Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 23. Jg. Heft 1 - Mai 2016
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23. Jahrgang / Heft 1 - Mai 2016
Eine Pflanze, die zählen kann, wenigstens bis fünf: Die Venusfliegenfalle registriert die Anzahl der Berührungen der Fühlborsten, vermeidet auf diese Weise Fehlalarm und erhält Auskunft über die Größe der Beute (siehe Beitrag S. 61). (Foto: © Svenja98 - Fotolia.com)



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Themen

R. Junker
Evolution „erklärt“ Sachverhalte und ihr Gegenteil
M. Suling
Kretazische Insekten im Gestein und als Einschlüsse. Stratigraphische Besonderheiten weisen auf kurze erdgeschichtliche Zeiträume hin
Online Zusatzmaterial (PDF)
A. Späth & P. van der Veen
Neuer Fund aus König Hiskias Palastarchiv in Jerusalem

Kurzbeiträge

H.-B. Braun
Geheimnisvolle Octopussy – Wie wurden die Kraken, was sie sind?
M. Brandt
Rumpfdrehung des Schimpansen beim zweibeinigen Gang
H. Ullrich
Fossiler Fund eines Säugetiers mit prächtigem Haarkleid
R. Junker
Dino-Doppelgänger des Vogels Strauß
H. Binder
Hocheffiziente Reparaturmechanismen für das Erbgut
S. Scherer
Ist der Erreger der Beulenpest erst vor 3000 Jahren entstanden?
M. Kotulla
Ringwoodit: Gigantische Wasserreservoire in großer Tiefe?
PDF-Version

Streiflichter

Invasion einer verwandten Spezies führt zu schneller Divergenz
Alte Vögel mit moderner Flugkunst
Erneute Bestätigung: Homo habilis war kein Mensch
Plastizität: Funktionelle Interpretation fossiler Gehirne problematisch
Neues zur kambrischen Explosion?
Schnelle Entstehung der Dinosaurier?
Zwei, drei, fünf – ein grüner Mathematiker
Ist die Gegenwart der Schlüssel zur Vergangenheit? (PDF-Version)
2 km unter dem Meeresboden (PDF-Version)
Fossile Hinweise auf erste Lebensspuren: echt oder nur scheinbar?
Kohlenstoff biologischen Ursprungs in alten Zirkonkristallen?

Kommentar

R. Junker: Nichts in der Biologie macht Sinn außer ...

Editorial

Früher oder später begegnet jedem, der sich mit biologischer Literatur beschäftigt, der Satz des russisch-amerikanischen Evolutionsbiologen Theodosius Dobzhansky: „Nichts in der Biologie macht Sinn außer im Licht der Evolution.“ In den Kontroversen um Schöpfung und Evolution wird dieser Satz auch gerne als eine Art „Kampfzitat“ genutzt: Es kann doch nicht angehen, dass man auf das Licht verzichtet, das alleine das Verständnis des Lebens ermöglicht – allen Lebens! Nichts macht Sinn außer ...!

Aber nicht allen Biologen scheint bei diesem Absolutheitsanspruch ganz wohl zu sein, auch wenn sie eine Evolution der Lebewesen nicht in Frage stellen. So stellt Walter Bock heraus, dass funktionale Erklärungen unabhängig von evolutionären Erklärungen seien, das Umgekehrte jedoch nicht zutreffe. Daher sei Dobzhanskys Aussage nicht schlüssig (Bock WJ, Explanations in a historical science. In: Peters DS & Weingarten M (Hg) Organisms, Genes and Evolution. Stuttgart 2000, S. 33-42). Funktionale Erklärungen bildeten sogar die große Mehrheit der Erklärungen in der Biologie, völlig unabhängig von Evolution oder irgendeiner anderen Erklärung. Und Olivier Rieppel weist darauf hin, dass wenn die Idee der Evolution oder einer speziellen Evolutionstheorie der Beobachtung vorausgestellt werde, die Welt dann im Licht jener Theorie erscheinen werde. Die Theorie werde sich nie als falsch erweisen können, sondern stets mit der Beobachtung in Einklang stehen (Rieppel O, Unterwegs zum Anfang. Zürich, München 1989, S. 18). Dass dem so ist, zeigt Reinhard Junker in seinem Beitrag „Evolution ‚erklärt‘ Sachverhalte und ihr Gegenteil“. Er stellt darin eine Reihe von systematischen Befunden zusammen, die früher geäußerten Voraussagen bzw. Erwartungen unter Vorgabe von Evolutionstheorien widersprachen. Trotzdem resultierte daraus nie eine kritische Anfrage an das Rahmenparadigma „Evolution“. Diese paradoxe Situation ist aber nicht überraschend, wenn Evolution das einzige Licht ist, das die biologischen Befunde beleuchten darf. Sie zeigt aber auch, dass Evolution als Rahmenparadigma äußerst flexibel und als solches nicht widerlegbar ist. Allerdings kann unter solchen Vorzeichen nicht von „Evolutionsbeweisen“ die Rede sein.

In einer 2013 veröffentlichten Analyse zeigt der Philosoph Stephen Dilley noch einen weiteren überraschenden Aspekt von Dobzhanskys berühmten Satz auf: Dobzhansky argumentiert im betreffenden Beitrag gegen einen selbst definierten Gegner. Denn er konstruiert bestimmte Vorstellungen über einen Schöpfer, gegenüber denen evolutionstheoretische Erklärungen durchweg überlegen seien. Dilley zeigt: Alle Argumente, die Dobzhansky als Belege für seine These bringt, sind nur schlüssig, wenn man seine speziellen Annahmen über Gottes Natur, seine Schöpfungsmethode oder seine Absichten und Ziele hinzunimmt. Diese Annahmen sind selbstgemacht mit dem Ziel, für Evolution punkten zu können (siehe dazu den Kommentar von Reinhard Junker).

Rieppel (1989, 13) liest aus Dobzhanskys Satz heraus, „daß die Welt aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden kann und daß sie – je nach Sicht der Dinge – dem Betrachter auch unterschiedlich erscheint.“ Vermutlich denkt er dabei nicht an eine dezidierte Schöpfungsperspektive (jedenfalls soll er dafür nicht vereinnahmt werden) – die Autoren von STUDIUM INTEGRALE JOURNAL tun das aber sehr wohl oder legen dies nahe. So kann man sich fragen, ob die markanten genetischen Unterschiede der Kraken im Vergleich zu anderen Weichtieren, über die Hans-Bertram Braun berichtet, besser in ein  Schöpfungsparadigma als zu Evolution passen. Henrik Ullrich stellt den Fossilfund eines eutriconodonten Säugetiers vor, welcher ein weiteres Mal zeigt, dass Schlüsselmerkmale der Säugetiere mehrfach unabhängig voneinander mit erstaunlicher morphologischer Identität entstanden sein müssen. Eine kausale evolutionstheoretische Erklärung für diese Befunde fehlt, sie sind aber aus einer Schöpfungsperspektive gut verstehbar, da mehrfach unabhängige Verwendung komplexer Module ein typisches Kennzeichen für einen kreativen Ursprung ist. Harald Binder gibt einen Überblick über neuere Ergebnisse zu den hocheffizienten Reparaturmechanismen für das Erbgut. Sie weisen typische Kennzeichen teleologischer Strukturen auf, da sie auf Zukunft angelegt sind, nämlich auf das zu erwartende Auftreten von Fehlern und auf den lebensnotwendigen längerfristigen Erhalt der Erbsubstanz. Gleichzeitig sind sie aufwändig und vielseitig und somit deutliche Indizien auf einen Schöpfer.

Eine interessante paläontologisch-geologische Spur verfolgt Michael S.. Die zeitliche Verteilung von Insektenfossilien im geologischen System der Kreide und die Art ihrer Konservierung (als Kompressionsfossil oder in Bernsteinerhaltung) zeigen auffällige unterschiedliche Muster. Diese scheinen im Rahmen kurzer Zeiträume besser verstehen zu sein als in einem Langzeitkonzept. In einem weiteren geologischen Beitrag berichtet Michael Kotulla über enorme Wasserreservoire in großen Tiefen im Erdinneren, die in Form von im Kristallgitter des Minerals Ringwoodit eingebauten (OH)-Gruppen vorliegen. Sie umfassen umgerechnet wahrscheinlich das Mehrfache der Wassermenge der heutigen Ozeane. Das Phänomen in Verbindung mit dieser Dimension erinnert an die in der Bibel erwähnten „Quellen der großen Tiefe“, auch wenn dazu kein direkter Bezug hergestellt werden kann.

Für spannende Lektüre ist also gesorgt.

Ihre Redaktion STUDIUM INTEGRALE JOURNAL



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