Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 23. Jg. Heft 1 - Mai 2016
Druckerfreundliche Ansicht dieser Seite



Nichts in der Biologie macht Sinn außer …

Kommentar von Reinhard Junker

Studium Integrale Journal
23. Jahrgang / Heft 1 - Mai 2016
Seite 53 - 54


Kein Zitat in der Biologie ist wohl bekannter als der Satz „Nothing in biology makes sense except in the light of evolution“, im Jahr 1973 publiziert von einem der bedeutendsten Evolutionsbiologen des 20. Jahrhunderts, Theodosius Dobzhansky. Der Philosoph Stephen Dilley legt eine detaillierte Analyse dieses Artikels vor und kommt zu einem überraschenden Ergebnis: Alle Argumente, die Dobzhansky als Belege für Evolution bringt, fußen unverzichtbar auch auf expliziten theologischen Aussagen über einen Schöpfer. Auch andere bekannte Evolutionsbiologen stützen Behauptungen zu Evolutionstheorien mit Aussagen darüber, was Gott in der Geschichte des Lebens tun oder nicht tun würde – in einem überraschenden Ausmaß.

Er dürfte einer der meistzitierten Sätze in der biologischen Literatur sein: „Nothing in biology makes sense except in the light of evolution.“ Es handelt sich dabei um die Überschrift eines Artikels, den der bedeutende Evolutionsbiologe Theodosius Dobzhansky in der Zeitschrift The American Biology Teacher veröffentlicht hat (Dobzhansky 1973). Er wollte in diesem Artikel die besten Argumente für Evolution präsentieren, und man sollte meinen, dass diese Argumente sich aus den biologischen Daten ergeben. In diesem Sinne wurde dieser berühmte Satz auch gewöhnlich zitiert, auch wenn kaum jemand Dobzhanskys Artikel gelesen haben dürfte.

Die Lektüre bietet jedoch eine Überraschung: Alle Argumente, die Dobzhansky als Belege für seine These bringt, fußen unverzichtbar auch auf theologischen Aussagen. Sie sind nur schlüssig, wenn man Annahmen über Gottes Natur, seine Schöpfungsmethode oder seine Absichten und Ziele hinzunimmt. Diesen überraschenden Befund arbeitet der Philosophieprofessor Stephen Dilley in einem Fachartikel heraus und weist darüber hinaus darauf hin, dass auch weitere berühmte Evolutionsbiologen wie z. B. Ernst Mayr, Douglas Futuyma oder Stephen Jay Gould Argumente pro Evolution verwenden, die Bezug auf theologische Aussagen nehmen und ohne diesen Bezug logisch nicht schlüssig sind (Dilley 2013). Im Folgenden werden die wichtigsten Punkte seiner Analyse zusammengefasst.

Dilleys Analyse

Dobzhansky thematisiert sieben evolutionstheoretisch relevante Themengebiete: Radiometrische Datierung, Vergleichende Biologie, Embryologie, Adaptive Radiation, biologische Vielfalt, molekulare Homologie (biochemische Universalien) und Paläontologie. Es geht ihm dabei im Wesentlichen nur um die Frage der gemeinsamen Abstammung (Deszendenz), weniger um die Frage nach den evolutionären Mechanismen. Auf allen Gebieten führt er einen Vergleich durch: Die Daten seien besser durch eine natürliche Evolution zu erklären als durch eine direkte Schöpfung. Die in diesen Vergleichen zugrundeliegenden Schöpfungsvorstellungen entnimmt Dobzhansky jedoch erstaunlicherweise nicht der kreationistischen Literatur, sondern formuliert seine eigenen Vorstellungen über die Vorlieben und Handlungsweisen des Schöpfers2, um dann zu zeigen, dass nur eine evolutive Entstehung der jeweiligen Phänomene zu den betreffenden Gottesvorstellungen passt. Die Grundform seiner Argumentation, die Dilley (2013, 775) aus seinen Ausführungen herausarbeitet, kann man wie folgt zusammenfassen

  1. Wenn Evolution wahr ist, ist das Naturphänomen X zu erwarten.
  2. Wenn Kreationismus (im Sinne einer direkten Erschaffung von Lebewesen vor kurzer Zeit) wahr ist, ist das Naturphänomen X nicht zu erwarten.
  3. Wenn ein Befund im Rahmen der einen Hypothese zu erwarten ist, nicht aber im Rahmen der anderen Hypothese, dann „macht er Sinn“ nur im Licht der ersteren, nicht aber im Licht der letzteren.
  4. Daher macht eher Evolution als Kreationismus Sinn für das Naturphänomen X.

Prämisse 2 nimmt dabei immer Bezug auf eine Annahme darüber, was ein Wunder vollbringender Gott tun würde oder was er nicht tun würde. Das ist die theologische Aussage, die Dobzhansky benötigt, um seinen Schluss auf Evolution als einzigen „Lichtträger“ ziehen zu können.

Ein Beispiel: Einheit des Lebens

Im Folgenden soll diese allgemeine Argumentation am Beispiel der „Einheit des Lebens“erläutert werden (Dilley macht das ausführlich für alle sieben Themen). Es gibt Gemeinsamkeiten, die alle Lebewesen teilen, z. B. den genetischen Code, den Vorgang der Übersetzung von RNA in Proteine (Translation) oder bestimmte Vorgänge im Zellstoffwechsel. Dilley fasst die Argumentation Dobzhanskys zu diesem Befund wie folgt zusammen:

  1. Wenn die Evolutionstheorie (gemeint ist nur die Abstammung, nicht die Frage der Evolutionsmechanismen) wahr ist, sind bestimmte biochemische Universalien (z. B. der genetische Code) sehr stark zu erwarten.
  2. Wenn Kreationismus wahr ist, sind diese biochemischen Universalien nicht zu erwarten.
  3. Wenn die Befunde von der einen Hypothese sehr stark, von der anderen aber gar nicht erwartet werden, machen sie nur Sinn im Licht der ersteren Hypothese.
  4. Daher macht nur die Evolutionstheorie, nicht aber der Kreationismus, Sinn in Bezug auf bestimmte biochemische Universalien wie den genetischen Code.

Prämisse 2 hat offenkundig theologischen Inhalt. Diese Prämisse wird von Kreationisten jedoch gar nicht vertreten. Vielmehr argumentiert Dobzhansky hier mit einer stillschweigenden Annahme, nämlich dass die Einheitlichkeit des Lebens nicht vereinbar sei mit der Freiheit eines Schöpfers, so zu handeln, wie er wolle (Dilley 2013, 780).

Dieser für Dobzhansky eindrucksvollste Hinweis auf Evolution hängt also offenbar unabdingbar von einer theologischen Annahme ab, denn ohne Prämisse 2 kann der von ihm durchgeführte Schluss auf Evolution nicht gezogen werden.

Willkürliche theologische Annahmen

Die hier von Dobzhansky zugrunde gelegte theologische Annahme ist aber nicht nur willkürlich, sie ist sogar widersprüchlich zu einer anderen theologischen Annahme, die er bei einem anderen Argument macht. Denn bei der Argumentation zur Vielfalt des Lebens sieht Dobzhansky keinen vernünftigen Grund, warum Gott eine immense Anzahl von Arten erschaffen sollte (Dilley 2013, 777). Hier argumentiert er also genau anders herum, nämlich gegen Vielfalt (er erwartet nicht, dass ein Schöpfer so vielfältig erschafft). Im anderen Beispiel (biochemische Einheitlichkeit) dagegen argumentiert er für Vielfalt (er erwartet, dass der Schöpfer vielseitiger erschafft als beobachtet). Dobzhansky argumentiert mit seiner Gottesvorstellung also immer so, dass daraus ein theologisches Argument gegen die Schöpfungshypothese folgt, das dann in seinen Beweisgang eingeht.

Dilley zeigt auch anhand der anderen Beispiele, wo die theologischen Annahmen zum Tragen kommen, wobei sie auch etwas versteckt sein können, z. B.: Gott würde uns nicht über Isotopenverhältnisse täuschen (die in radiometrische Datierungen eingehen); wenn Gott durch natürliche Selektion schaffen würde, sollte kein Plan in der organischen Vielfalt erkennbar sein, und umgekehrt, wenn er durch direkte Schöpfungsakte die Lebewesen hervorgebracht hätte, sollte Plan und Zweck in der organischen Vielfalt erkennbar sein; im Falle einer Schöpfung sind Homologien (Bauplanähnlichkeiten) unter den Wirbeltieren nicht zu erwarten usw. Dobzhansky liefert jedoch durchweg keine Begründungen für seine speziellen Behauptungen über Gott. Darüber hinaus gehen z. T. auch noch moralische Bewertungen Gottes in Dobzhanskys Beweisgang ein, indem er annimmt, dass Gott nicht auf eine Weise handeln würde, die er, Dobzhansky, für unmoralisch hält.

Ob Dobzhanskys moralische Urteile gerechtfertigt sind, soll hier nicht diskutiert werden. Es soll hier nur herausgestellt werden, dass Dobzhansky in einem erheblichen Umfang mit eigenen spezifischen Urteilen und Kennzeichen über Gott operiert. Diese sind meistens nicht nur dem Kreationismus fremd, sondern stehen oft auch gegen eine Reihe von traditionellen theologischen Traditionen, die völlig unabhängig von den Auffassungen zeitgenössischer Kreationisten sind (Dilley 2013, 783). Dobzhanskys Theologie präsentiert sich selbstgemacht mit dem Ziel, für Evolution punkten zu können. Dilley (2013, 785) kommentiert: „This ‘tactical potpourri theology,’ as I call it, deploys muddled content in order to achieve a polemical victory.“

Nicht nur Dobzhansky bringt Gott ins Spiel

Dilley weist auch auf die erstaunliche Tatsache hin, dass Evolutionsbiologen wie Gould, Dawkins, Coyne und andere zwar einen persönlichen Gott ablehnen, aber dennoch Behauptungen zur Stützung ihrer Evolutionstheorien aufstellen, die beinhalten, was Gott in der Geschichte des Lebens tun oder nicht tun würde. Qua Evolutionsbiologen sind sie dafür sicher nicht autorisiert, aber es kommt noch schlimmer: Nach Dobzhanskys Verständnis von Evolution sind die Menschen gar nicht „geschaffen“, um etwas von Gott erkennen zu können, sondern sind nur da, weil günstige Umstände in der Umwelt und die nötige genetische Ausrüstung gegeben waren, um den Menschen möglich zu machen (Dobzhansky 1973, 127). Schon Darwin bezweifelte aus evolutionstheoretischer Perspektive, dass Menschen vertrauenswürdige Urteile in Bezug auf Gott fällen könnten. Nach Dilley ist das ein weiterer Grund, weshalb in allen sieben Beweisen Dobzhanskys ungerechtfertigte Prämissen (über Gott) verwendet werden. Ähnliches gelte auch für andere Evolutionsbiologen, die Bezug auf die Natur Gottes nehmen. „Thus, given their understanding of evolution, some evolutionary biologists may have powerful reasons that undermine their claims about God’s nature“ (Dilley 2013, 785).

Dilley stellt gegen Ende seines Artikels klar, dass er selber nicht der Auffassung sei, dass Argumente für Evolution auf theologische Prämissen angewiesen seien; er will jedoch herausstellen, dass Argumente überraschend oft mit solchen Prämissen versehen sind, nicht nur in Dobzhanskys Biology Teacher-Artikel, sondern in unzähligen Texten von Evolutionsbiologen: „A surprising number of actual justifications for evolution hinge upon God-talk“ (S. 784); er bringt auf S. 774f. und S. 784 einen wahren Berg von Belegen und findet die Häufigkeit theologischer Argumente in naturwissenschaftlichen Abhandlungen rätselhaft.

Literatur

Dilley S (2013)
Nothing in biology makes sense except in light of theology? Stud. Hist. Philos. Biol. Biomed. Sci. 44, 774-786.
Dobzhansky T (1973)
Nothing in biology makes sense except in the light of evolution. Amer. Biol. Teacher (March), 125-129.


Studium Integrale Journal 23. Jg. Heft 1 - Mai 2016