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9. Jahrgang / Heft 2 Oktober 2002
EditorialDie kausale Evolutionsforschung, welche die Ursachen für den evolutionären Wandel herauszufinden sucht, erlebt in den letzten Jahren bemerkenswerte Verlagerungen ihrer Fragestellungen. Nach dem klassischen Neodarwinismus sollte die Summierung zahlreicher geringfügiger Mutationen allmählich neue Bauteile des Lebens hervorbringen, bis auf diesem Wege schließlich die verschiedensten Konstruktionen der Lebewesen entstehen konnten. Dieses Konzept erfuhr zwar schon immer Kritiken verschiedenster Art; diese gewannen aber als Außenseitermeinungen gewöhnlich keine nennenswerte Bedeutung in der evolutionstheoretischen Diskussion. Befunde aus ganz unterschiedlichen Disziplinen haben das Augenmerk mittlerweile jedoch auf andere Ursache für Makroevolution gelenkt. So scheinen zum einen die großen Baupläne des Lebens auch nach allen Fortschritten in der Paläontologie nach wie vor abrupt in Erscheinung zu treten. Beispielsweise wird vom „Urknall der Paläontologie“ an der Präkambrium/Kambrium-Grenze gesprochen. Dieser Befund motiviert zunehmend die Frage nach Mechanismen, die ein schnelles Etablieren der Baupläne ermöglichten; die sukzessive Ansammlung von Mutationen scheint dafür nicht geeignet zu sein. Zum anderen hat sich mittlerweile herausgestellt, daß die Lebewesen baukastenartig zusammengesetzt sind, und das auf verschiedenen Ebenen, sei es bei Proteinen oder sei es bei ganzen Makro-Bauteilen. „Der Unterschied zwischen zwei Organismen ist also nicht so sehr die Anzahl unterschiedlicher Gene, sondern vielmehr der andere Zusammenbau gleicher oder ähnlicher Gene oder Genabschnitte der Organismen“, stellt Klaus NEUHAUS in seinem Beitrag über die „Flickschusterei“ (gene tinkering) der Evolution fest. Wer aber hat die Bauteile zusammengefügt? Halt, so darf ein Evolutionstheoretiker nicht fragen. Er muß es unpersönlich formulieren: Was hat dazu geführt, daß im Laufe der Evolution ähnliche Proteine, Proteinabschnitte oder ähnliche Bauteile in oft sehr verschiedenen Zusammenhängen des Stoffwechsels oder des Bauplans der Lebewesen verwendet wurden? Was hat zu dieser „Bastelei“ geführt? Oder, um eine Metapher von Francois JACOB aufzugreifen: Was „dirigierte“ das „Ballet der DNA-Fragmente“? Klaus NEUHAUS geht dieser Frage nach und präsentiert eine einführende Darstellung zum Stand der Forschungen zu diesen Fragen. Sein Artikel zeigt, daß „der Dirigent“ bisher nicht entdeckt wurde, aber auch, daß dieser „Dirigent“, wenn er denn gefunden werden könnte, die Herkunft der Bauteile an sich nicht erklären würde. Sprunghaftes Auftreten fossiler Formen zeigt sich außer an der vorhin erwähnten Präkambrium/Kambrium-Grenze neben vielen anderen Gruppen auch beim Ursprung der Insekten. Das Staatliche Museum für Naturkunde in Stuttgart veröffentlichte dazu kürzlich eine Publikation mit dem sinnreichen Titel „Ur-Geziefer“ und eröffnete im April dieses Jahres zu dieser Thematik eine gleichnamige Sonderausstellung im dortigen Löwentor-Museum. Reinhard JUNKER und Manfred STEPHAN fassen die wichtigsten Inhalte dieser Publikation zusammen. Auch in dieser Ausgabe beschäftigt uns die Paläoanthropologie, deren Gegenstand die Fossilgeschichte des Menschen ist. Die Entdeckung von Sensationsfunden reißt nicht ab. Nach dem „Millenium-Menschen“ (Gattung Orrorin) und dem „Kenya-Menschen“ (Kenyanthropus) ist der jüngst entdeckte Sahelanthropus aus dem Tschad nicht minder bedeutsam und löst erneut heiße Diskussionen aus. Natürlich interessieren sich die evolutionär orientierten Paläoanthropologen für Indizien, die auf eine Verbindung mit der Entstehung des Menschen hinweisen. Wie stichhaltig diese Befunde in diesem Sinne sind, untersucht Sigrid HARTWIG-SCHERER in einem ihrer Beiträge. Die zunehmende Vielfalt der fossilen Formen läßt sich auch nicht-evolutionär im Sinne von Spezialisierungen polyvalenter Grundtypen deuten. Dies wird auch in den anderen Beiträgen der Autorin deutlich, in welchen es um fossile Menschen (Gattung Homo) geht. Interessante neue Befunde gibt es auch in der Kometenforschung. Aufgrund des relativ häufigen Auftretens neuer Kometen wird ein riesiges Kometenreservoir weit jenseits der äußeren Planeten unseres Planetensystems vermutet: die nach dem holländischen Astronomen Jan OORT benannte Oortsche Wolke. Eine direkte Nachweismöglichkeit gibt es dafür nicht, aber auch die indirekten Hiweise auf ihre Existenz lassen sehr zu wünschen übrig. Peter KOREVAAR, ein Landsmann von OORT, schildert die aktuelle Situation in einem spannend zu lesenden Beitrag. Ihre Redaktion Studium Integrale journal | ![]() |
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