Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 9. Jg. Heft 2 - Oktober 2002
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Streiflichter


Studium Integrale Journal
9. Jahrgang / Heft 2 - Oktober 2002
Seite 95 - 101





Daß das (endgültige) Aussterben der Dinosaurier und vieler anderer Arten durch einen verheerenden Asteroideneinschlag auf der Erde (an der Kreide/Tertiär-Grenze) ausgelöst worden sein soll, ist heute fast unbestritten. Nun behaupten einige Wissenschaftler, auch der Ursprung der großen theropoden Dinosaurier gehe auf ein solches Ereignis zurück. Ihr enormer Größenwuchs hätte sich demzufolge erst nach dem gewaltsamen Auslöschen der Fauna und Flora im vorhergehenden Erdzeitalter Trias entwickeln können. Diese Hypothese vertritt das internationale Forscherteam um den Paläobiologen Paul E. OLSEN. Im Grenzbereich zwischen Trias und Jura wurden bis zu vierfach höhere Iridiumkonzentrationen in Sedimenten Nordamerikas gemessen; diese hohen Konzentrationen sind vor allem aus extraterrestrischem Gestein bekannt. Daher gelten erhöhte Iridiumwerte in der Erdkruste als starke Hinweise auf einen Einschlag eines Himmelskörpers.

Aufgrund der Studien von OLSEN und Mitarbeitern an über 70 Fundorten an der Trias/Jura-Grenze soll die Entstehung und Verbreitung der Dinosaurier in unglaublichem Tempo geschehen sein. Versteinerte Fußstapfen der ersten Theropoden-Giganten erscheinen schon ca. 10.000 Jahre nach der Trias/Jura-Grenze und ca. 30.000 Jahre nach den letzten fossil überlieferten Lebewesen der Trias. Etwa 100.000 Jahre nach der Trias-/Jura-Grenze war bereits ein stabiles Maximum ihrer Artenvielfalt erreicht. Die Forscher mutmaßen, daß einige wenige Spezies die Katastrophe überlebt hätten und danach eine beschleunigte Evolution eingetreten sei. Ob eine solchermaßen beschleunigte Evolution, die in kürzester Zeit (gemessen an evolutionären Szenarien) zu der Größenzunahme und und neuen Merkmalen geführt haben soll, möglich ist, sei dahingestellt. Es stellt sich jedenfalls die Frage, ob das schnelle Auftreten der Dinosaurier alternativ damit zu tun haben könnte, daß die entsprechenden Grundtypen schon vorher in begrenzten, geologisch nicht überlieferten Lebensräumen existierten und nach dem katastrophalen Einschnitt Lebensbedingungen vorfanden, die nach dem Ausfall anderer Arten eine schnelle Vermehrung ermöglichten. OLSEN et al. (2002, 1307) lassen die Möglichkeit offen, daß es sich um ein Ausbreitungsereignis handeln könnte, das von irgendeinem unbekannten Ort seinen Ausgang nahm („dispersal event from some unknown location“).

RJ

[OLSEN PE, KENT DV, SUES H-D, KOEBERL C, HUBER H, MONTANARI A, RAINFORTH EC, FOWELL SJ, SZANJA MJ & HARTLINE BW (2002) Ascent of Dinosaurs Linked to an Iridium Anomaly at the Triassic-Jurassic Boundary. Science 296, 1305-1307]


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Abb.1: Vogelartige Fusspuren aus der Santo Domingo-Formation der Obertrias
Balken: 1 cm
(© Ricardo N. MELCHOR, Abdruck mit freundlicher Genehmigung)
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In seinem neuen Buch „Der Mensch und die geologische Zeittafel“ beschreibt STEPHAN (2002) vielfältige Hinweise auf die Existenz von Lebewesen vor ihrem fossilen Auftreten. Bei-spielsweise gehen Sporenfunde den fossilen Funden ihrer pflanzlichen Erzeuger voraus. STEPHAN begründet damit, daß z.B. viele der heutigen Lebewesen in fossil nicht überlieferten Lebensräumen vorkamen. Damit ist die Fossilgeschichte in solchen Fällen nicht Abbild einer möglichen Evolution, sondern von Sukzession, d.h. die Ablösung verschiedener Lebensgemeinschaften aus ökologischen Gründen. Ein weiteres Beispiel stellen fossile Fährten dar. „Bei manchen Reptilgruppen der Trias ist ein nicht unerheblich früheres Vorkommen ihrer Fährten gegenüber den Skelettresten festgestellt worden“ (STEPHAN 2002). Dies scheint aber nicht nur für Reptilien zu gelten. In einer der letzten Ausgaben der Fachzeitschrift „Nature“ beschreiben MELCHOR und Kollegen (2002) fossile Fußabdrücke, die verblüffend vogelähnlich aussehen. Diese Fußabdrücke sind nun allerdings 55 Millionen Jahre älter als die ältesten Skelettfunde früher Vögel wie z.B. des bekannten Archaeopteryx. Zwar sind die Autoren des Artikels in der Zusammenfassung vorsichtig und sprechen nur von „vogelähnlichen Verursachern“, gleichzeitig führen sie aber eine Reihe von Merkmalen an, die eindeutig für Vögel sprechen: 1) Die Spuren weisen eine hohe Ähnlichkeit zu modernen Vogelspuren auf, 2) die Abdrücke sind weiter als lang und eher klein, 3) schlanke Zehenabdrücke, 4) ein weiter Winkel zwischen den Zehen II und IV, 5) ein rückwärts gelegener Hinterzehen-Abdruck, 6) schmale Krallen mit einer Rundung, die von der Fußachse weg weist, und 7) ein Sohlenabdruck, wo die Zehe II und IV zusammentreffen. Die Argumente, die gegen die Deutung als Vogelspuren sprechen, sind nicht so überzeugend, wie z.B. fehlende Schnabelabdrücke (Futtersuche) oder das Vorkommen von (einzelnen) Schwielenabdrücken. Wie kommt es nun, daß man zwar Fußabdrücke fossil findet, aber anscheinend keinerlei Vögel aus dieser Zeit aufzufinden sind? Eine interessante These ist, daß ein Tier in Laufe seines Lebens viele Spuren hinterlassen konnte, aber nur einen Körper (STEPHAN 2002). Leider ist dieser Fund bislang einzigartig und es bleibt zu hoffen, daß in Zukunft noch mehr solcher interessanten und herausfordernden Funde gemacht werden.

KN

[MELCHOR RM, DE VALAIS S & GENISE JF (2002) Bird-like fossil footprints from the late Triassic. Nature 417, 936-938; STEPHAN M (2002) Der Mensch und die geologische Zeittafel. Holzgerlingen.]


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Die ersten Menschen, die unbestritten zur Gattung Homo gehören, wurden bis Mitte der 1980er als eine weitverbreitete Art angesehen, und als Homo erectus mit einer afrikanischen und mit einer asiatischen Ausformung beschrieben. Doch seither aufgrund von diskreten Merkmalsunterschieden und der cladistischen Sichtweise immer wieder darauf hingewiesen, daß es sich um zwei ungefähr gleich alte Arten auf unterschiedlichen Kontinenten handle. Bernard WOOD hatte die Einführung von Homo ergaster für die frühen Afrikanischen Formen gefordert, während die asiatischen (und manche europäischen) Formen die Bezeichnung Homo erectus beibehielten. Nach dieser Vorstellung galt die afrikanische Form weiterhin als Ursprung für die robustere d.h. abgeleitete asiatische Form, die vor ca. 1 MrJ wieder nach Afrika zurückgewandert sein mußte, um Formen wie OH9 aus der Olduvai-Schlucht zu erklären.

Nun soll ein neuer Fund aus Bouri, Äthiopien, die Aufteilung in zwei Arten wieder in Frage stellen. 1997 fand sich im Mittel-Awash-Tal des Afar-Dreiecks ein relativ gut erhaltener Schädel (BOU-VP-2/66) aus der Dakanihylo (= „Daka“) -Schicht, der ungefähr 1 MrJ alt ist und in seinen Merkmalen intermediär zwischen den frühen afrikanischen und den späteren asiatischen Formen ist. Bei den Vergleichen erschienen den Forschern die Merkmale, die ursprünglich zur Artentrennung geführt haben, gar nicht mehr so diskret, sodaß sie aus den Ergebnissen schlossen, daß es sich bei den afrikanischen und asiatischen Formen um eine einzige Chronospezies mit bestenfalls zwei Unterarten handelte. Diese haben sich erst nach dem Auftreten des neuen Fundes in neue Arten aufgepaltet, als es zu klimatischen Veränderungen kam. Ihr Fund würde damit sozusagen den letzten gemeinsamen Vorfahren der beiden Unterarten Homo erectus erectus und Homo erectus ergaster darstellen. Diese hochpolymorphe, cosmopolitische Art Homo erectus hat ähnlich unserer Spezies durch ausgiebige Wanderungsbewegungen von und nach Afrika die ganze Alte Welt besiedelt (siehe Abb. 1 auf S. 69 dieser Ausgabe). Ihre kulturellen Hinterlassenschaften erscheinen demgegenüber erstaunlich eingeschränkt und „monoton“: nach einer längeren Epoche der Olduvai-Abschlag-Steinwerkzeugkultur zeigt sich nach 1,2 MrJ das Acheuléen, das ebenso lange Zeit unverändert besteht.

Die extensiven Wanderungen von und nach Afrika machen die Rückwanderung der asiatischen Form und die nachfolgender Hybridisierung mit den ansässigen afrikanischen ergaster-Formen wahrscheinlich. Damit ließe sich genauso leicht der intermediäre Status vom Daka-Schädel erklären – unabhängig ob es sich bei den betreffenden Formen um eine oder mehrere Arten handelt. Der überaus massive Schädel aus der Olduvaischicht (OH9) könnte aus solchen Verbindungen hervorgegangen sein. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein gleich alter Schädel aus Eritrea, der als „Mischung aus typischen Merkmalen von H. erectus und H. sapiens und als möglicher Vorläufer für H. sapiens beschrieben wird. Sein Schädeldach ist dem Dakas recht ähnlich. Ist dies nicht ein interessanter Hinweis auf die Merkmalsausprägung einer hochpolyvalenten Form mit erectus, ergaster und eben auch sapiens-Merkmalen?

Homo erectus, im Evolutionsmodell als polymorph und im Grundtypmodell als polyvalent bezeichnet, hat seine möglichen verschiedenen Morphologien zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten in unterschiedlicher Weise ausgebildet. Es bleibt für das Grundtypmodell unerheblich, ob es sich beim ersten Echten Menschen um ein oder mehrere Arten handelt, wenn allein die Hybridisierungsfähigkeit als Kriterium für die Zugehörigkeit zu einem Grundtyp – Homo – gewährleistet ist. Und dazu könnte der Daka-Schädel als möglicher Zeuge geltend gemacht werden.

SHS

[ABBATE E et al. (1998) A one million-year-old Homo cranium from the Danakil (Afar) depression of Eritrea. Nature 393, 458-460; ASFAW B, GILBERT WH, BEYENE Y, HART WK, RENNE PR, WOLDEGABRIEL G, VRBA ES & WHITE TD (2002) Remains of Homo erectus from Bouri, Middle Awash, Ethiopia. Nature 416, 317-320; GIBBONS A (2002) African skull points to one human ancestor. Science 295, 2192-2193.]


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Kleinere Insekten sind jederzeit dem Risiko des Austrocknens ausgesetzt. Den größten Wasserverlust erleiden die Insekten über ihre Tracheen. Dieses weitverzweigte Röhrensystem versorgt den Körper per Diffusion mit dem nötigen Sauerstoff. Gleichzeit wird CO2 abgeführt, aber unglücklicherweise auch kostbares Wasser. Engere Tracheeneingänge würden zwar den Wasserverlust begrenzen, aber auch den notwendigen Sauerstoffzufluß behindern. Erschwerend kommt hinzu, daß der Stoffwechsel beim Fliegen um etwa das 10- bis 20-fache über dem Ruhewert ansteigt. In dieser Situation sollten die Tracheeneingänge weit geöffnet sein, doch im Ruhezustand wäre der Wasserverlust unverkraftbar hoch. Die direkte Beobachtung der Tracheeneingänge ist bei diesen kleinen Fliegen nicht möglich, so wurden Messungen in winzigen Klimakammern mit virtueller Realität (um die Tiere zum Fliegen zu bewegen) durchgeführt. Diese haben nun gezeigt, daß Fruchtfliegen die Öffnungsweite der Tracheeneingänge der Muskelbelastung anpassen und die Zufuhr von Sauerstoff und die Abfuhr von Kohlendioxid gerade eben gewährleistet ist. Dies hilft, im Gegensatz zu voll geöffneten Tracheen, den Wasserverbrauch im Flug um 23% zu senken. Größere Tiere, wie Käfer, können sich einen Wasserverlust eher leisten und sie regulieren ihre Tracheeneingänge nicht. Diese Befunde sind einmal mehr ein Hinweis auf durchdachte Lösungen.

KN

[LEHMANN F-O (2001) Matching spiracle opening to metabolic need during flight in Drosophila. Science 294, 1926-1929]


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Eine raffinierte Methode der Wassergewinnung verwenden einige Käfer, die ihr Dasein in der Wüste Namib (Südwestafrika) fristen. Sie fangen winzige Wassertröpfchen aus Nebel ab, der frühmorgens durch den Wind verweht wird. Als Abfangflächen dienen die Elytren (zusammengewachsene Vorderflügel), die den Hinterleib bedecken. Darauf bilden sich Nebeltröpfchen, wenn sich das Tier dem nebelhaltigen Wind entgegenstellt. Diese werden über die Körperoberfläche zum Mund geleitet. Wie diese Methode der Wassergewinnung genau funktioniert, haben jüngst die britischen Zoologen Andrew PARKER und Chris R. LAWRENCE herausgefunden.

Der Mechanismus gleicht teilweise dem Lotusblatteffekt: Eine extrem wasserabweisende Oberfläche läßt abgefangene Wassertropfen heruntergleiten. Das alleine würde jedoch nicht genügen, denn die Nebeltröpfchen sind mit 1-40µm so winzig, daß sie durch die Hitze oder schon bei einer leichten Brise verdunsten würden. Das Verdunstungsproblem wird auf folgende Weise gelöst: Die Elytren sind in mehr oder weniger zufälliger Verteilung von zahlreichen, 0,5 mm großen Hubbeln bedeckt, die jeweils ca. 0,5-1,5 mm voneinander entfernt sind. Deren Spitzen sind glatt und ohne Wachsbedeckung; dort kann Wasser haften bleiben. Dagegen sind die dazwischenliegenden Furchen und deren ansteigende Seiten mit wasserabweisendem Wachs beschichtet. Die an den Spitzen hängenbleibenden Nebeltröpfchen vereinigen sich zu größeren Wassertropfen, bis die ganze Spitze überdeckt ist. Auch die Nebeltröpfchen, die auf die wasserabstoßenden Furchen treffen, können zu den Hubbeln geweht und dort gesammelt werden. Sobald ein Tropfen die Oberfläche der Furchen berührt, löst sich der Tropfen und wird vom Wind durch das wächserne Furchensystem über den Körper bis zum Mund geführt. Die auf diese Weise entstandenen Tropfen sind jetzt groß genug, um nicht durch die Windbewegung zu verdunsten (die Oberfläche, an welcher der Wind angreift, wächst weit langsamer als das Volumen).

Es bietet sich durchaus an, die Oberflächenstruktur der Elytren der Käfer nachzuahmen, wie das beim Lotusblatteffekt bereits praktiziert wird. Entsprechend konstruierte Hausdächer oder Wasserkondensatoren könnten Bewohnern extrem trockener Gebiete helfen, ebenfalls aus Nebel Trinkwasser zu gewinnen.

RJ

[PARKER AR & LAWRENCE CR (2001) Water capture by a desert beetle. Nature 414, 33-34.]


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Über eine komplizierte Vierecksbeziehung berichten J. A. THOMAS und Mitarbeiter. Der Schmetterling Maculinea rebeli (Kreuzenzian-Ameisenbläuling) legt seine Eier zunächst auf Enzianpflanzen. Die daraus schlüpfenden Larven werden dann von Ameisen, die durch abgesonderte Chemikalien angelockt werden, in deren Nest geholt. Die Weibchen der Schlupfwespe Ichneumon eumerus legen ihre Eier wiederum in M. rebeli-Schmetterlingslarven ab. Nach 11 Monaten verlassen die Nachkommen die Puppe des Wirts. Die Schlupfwespe lebt in ca. 20% von Kolonien ihres Wirtes. Die Schmetterlingslarven ihrerseits leben selbst als Parasiten in den Brutkammern von Ameisennestern (Myrmica schnecki), wo sie Verhalten und die Biochemie flüchtiger Stoffe der Ameisenlarven imitieren.

Die Schlupfwespen suchen nun zuerst Myrmica schnecki-Bauten, die Maculinea rebeli-Larven enthalten, und sondern dann Stoffe ab, welche bei den Ameisen Aggression auslösen, sie zu internen Kämpfen provozieren und so den Schlupfwespenweibchen relativ ungefährdet das Eindringen ermöglichen.

In experimentellen Untersuchungen konnten THOMAS et al. (2002) zeigen, dass das aggressive Verhalten unter den Ameisen durch Stoffe hervorgerufen wird, die durch Lösungsmittel aus den bereits von Schlupfwespen verlassenen Puppenresten extrahiert werden können. Wurden Attrappen aus Teflon mit den Extrakten imprägniert, so lösten sie unter den Ameisen Aggression gegenüber Artgenossen aus. Die analytische Untersuchung des Stoffgemischs ergab langkettige, ungesättigte Alkohole und Aldehyde:

CH3 (CH2)9,11,13/=\ (CH2)7 CH2OH Z-9-C20,22,24-ol
CH3 (CH2)9,11,13/=\ (CH2)7 CHO Z-9-C20,22,24-al

Die Mischung dieser Stoffe veranlaßten die Ameisen, sich zunächst den präparierten Attrappen zu nähern und diese zu untersuchen. Kontakt mit dem Objekt steigerte die Aggressivität der Ameisen derart, daß sie achtmal häufiger ihre Artgenossen anstatt I. eumerus, den Verursacher und Eindringling attackierten. Die bisher bekannten Signalstoffe sind kurzkettige Kohlenwasserstoffe, deren leichte Verdampfbarkeit für die schnelle Verbreitung und Auslösung des Alarms sorgten.

Nur von Formica subintegra, einer Ameisenart, die andere Ameisen versklavt, sind C12 -C16 Aldehyde bekannt, die in vergleichbarer Weise wirksam sind. Die langkettigen Alkohole und Aldehyde von I. eumerus verursachen auch noch nach 50 Tagen aggressives Verhalten unter den Ameisen. Mit der Sekretion dieses Chemikaliencocktails kann die Schlupfwespe 80 % der Individuen einer Ameisenkolonie erfolgreich ablenken. Eine vergleichbare Wirksamkeit von Ausscheidungsprodukten ist nicht bekannt.

THOMAS et al. erhoffen sich von diesen Ergebnissen Impulse zur Entwicklung von Alternativen zum Einsatz von Gift- und Abwehrstoffen zur Kontrolle von schädlichen Ameisen.

Die Ergebnisse zeigen aber auch, mit welchem Aufwand einschließlich dem Einsatz chemischer Kampfstoffe unter Insekten verschiedene Arten einander ausnutzen.

HB

[THOMAS JA, KNAPP JJ, AKINO T, GERTY S, WAKAMURA S, SIMCOX DJ, WARDLAW JC & ELMES GW (2002) Parasitoid secretion provoke ant warfare. Nature 417, 505. Im Internet mit Abbildungen: http://news.nationalgeographic.com/news/2002/05/0530_020530_ants.html]


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Die Fruchtfliege Drosophila subobscura ist in der Alten Welt beheimatet und besiedelt unterschiedliche Höhenstufen. Mit der Höhe steigen allmählich das Körpergewicht und die Flügellänge der Fliegen an (geographischer Klin). Vor zwei Jahrzehnten wurde D. subobscura in der Neuen Welt eingeführt. In den dort sich ausbreitenden nord-amerikanischen Populationen wurde nach zehn Jahren noch kein Unterschied in der Flügellänge festgestellt, nach zwei Dekaden aber war ein Klin evolviert und hatte sich stark dem geographischen Klin angenähert, der in der Heimat der Fliege verwirklicht ist. Darüber berichten Raymond B. HUEY und Mitarbeiter vom Zoologischen Department der University of Washington. Die Autoren stufen diese Entwicklung als auffällige Konvergenz und als „vorhersagbare Evolution“ ein, wenn auch der Weg, auf dem der geographische Klin erreicht wurde, verschieden war. Der Klin habe sich extrem schnell eingestellt. Lediglich die Änderungen der Schnabellängen der Darwinfinken infolge extremer Trockenheit im Jahr 1978 habe sich unter den bekannten Fällen noch schneller abgespielt.

RJ

[HUEY RB, GILCHRIST GW, CARLSON ML, BERRIGAN D & SERRA L (2000) Rapid evolution of a geographic cline in size in an introduced fly. Science 287, 308-309.]


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Bei Nacktsamigen Blütenpflanzen (Gymnospermen) wird der heranwachsende Embryo gewöhnlich von einem haploiden Gewebe ernährt (primäres Endosperm). Es geht auf die bei der Reduktionsteilung in den Samenanlagen entstehenden haploiden Zellen des weiblichen Gametophyten zurück.

Bei den Bedecktsamigen Blütenpflanzen (Angiospermen) hingegen entsteht das Endosperm durch den sehr merkwürdigen Vorgang einer doppelten Befruchtung. Das heißt, neben der Zygotenbildung durch Befruchtung der Eizelle durch eine Spermazelle erfolgt eine weitere Befruchtung innerhalb des hier als Embryosack bezeichneten weiblichen Gametophyten. Dabei verschmelzen zunächst zwei haploide Kerne (Polkerne) zu einem diploiden Kern, und dieser wiederum verschmilzt mit dem Kern einer zweiten Spermazelle zu einem triploiden Kern, aus dem sich dann das triploide Endosperm entwickelt.

Lange Zeit nahm man an, die beiden geschilderten Modelle „einfache Befruchtung – haploides Endosperm“ und „doppelte Befruchtung – triploides Endosperm“ würden einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Gymnospermen und Angiospermen ausmachen. Inzwischen weiß man, daß das nicht so streng gilt. So fand FRIEDMAN (1990; 1994) heraus, daß bei den nacktsamigen Gattungen Gnetum und Ephedra doppelte Befruchtung vorkommt, wenn auch ohne Bildung eines Endosperms. Aktuell berichten nun WILLIAMS & FRIEDMAN (2002) über den Nachweis von diploidem statt triploidem Endosperm bei der Teichrosen-Art Nuphar polysepalum. Dieser Befund ist insofern bemerkenswert, als die Teichrosen, Seerosen und ihre Verwandten seit einiger Zeit als besonders ursprünglich angesehen werden. In ihren Baumerkmalen weichen sie von den übrigen Blütenpflanzen ab und werden in neueren „molekularbiologischen Stammbäumen gewöhnlich als Schwestergruppe zu allen übrigen Ein- und Zweikeimblättrigen Bedecktsamern dargestellt.

Die durchgeführten Untersuchungen sind sehr aufwendig, was auch erklärt, weshalb insgesamt zur Frage der Endospermentwicklung vergleichsweise wenige Ergebnisse vorliegen. Bei Nuphar ist der reife Embryosack nur vierkernig und weicht damit vom achtkernigen Standardtyp ab. Dies wiederum bedingt, daß nur ein Polkern vorhanden ist und entsprechend als Ergebnis der doppelten Befruchtung auch nur ein diploides Endosperm entstehen kann.

Die Autoren untersuchten ausgewählte Vertreter der als ursprünglich angesehenen Pflanzengruppe um die Nymphaeales (inkl. Amborella und der sog. ITA Clade) und fanden vierkernige Embryosäcke (und damit sehr wahrscheinlich diploides Endosperm) bei folgenden Gattungen: Nuphar, Nymphaea und Cabomba (Nymphaeales), Schisandra (Schisandraceae) und Illicium (Illiciaceae). So könnte man das Ergebnis auf den einfachen Nenner bringen: Nacktsamer haben ein haploides Endosperm, ursprüngliche Bedecktsamer ein diploides und fortgeschrittene Bedecktsamer ein triploides Endosperm.

Doch ganz so einfach ist es nicht. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zunächst ist festzustellen, daß es eine Frage der Interpretation ist und kein Beweis, wenn man abweichende Gruppen mit ursprünglichen Gruppen gleichsetzt. Dafür haben deren Vertreter durchaus auch als fortschrittlich geltende Merkmale. Im übrigen sind Abweichungen vom Normaltyp der Embryosack- (und Endosperm-)entwicklung schon länger bekannt. Sie betreffen immerhin ein Drittel aller Angiospermen. So ist etwa bei Lilium das Endosperm pentaploid, und der vierkernige Embryosacktyp hat als alternative Möglichkeit der Entwicklung unter dem Namen Oenothera-Typ längst Einzug in die Lehrbücher gehalten. Dazu kommt nun, daß die ebenfalls zu der genannten Pflanzengruppe gerechnete Amborella, die in letzter Zeit von mehreren Autoren als die Urangiosperme schlechthin angesehen wurde, nicht den vierkernigen, sondern den achtkernigen Typ aufweist. Dadurch ergibt sich die für Evolutionsüberlegungen immer schwierige Situation der Konvergenz: Entweder entstand der achtkernige Embryosack und damit das triploide Endosperm (mindestens) zweimal unabhängig von einer diploiden Ausgangssituation, oder es ist sogar so, daß das diploide Endosperm den sekundären Zustand darstellt, der sich (mindestens) zweimal von einer triploiden Ausgangssituation entwickelte.

HK

[FRIEDMAN WE (1990) Double fertilization in Ephedra, a nonflowering seed plant: its bearing on the origin of angiosperms. Science 247, 951-954; FRIEDMAN WE (1994) The evolution of embryogeny in seed plants and the developmental origin and early history of endosperm. Amer. J. Bot. 81, 1468-1486; WILLIAMS JH & FRIEDMAN WE (2002) Identification of diploid endosperm in an early angiosperm lineage. Nature 415, 522-526.]


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Berichte über das Vorkommen von Mikroorganismen in geologisch alten Salzkristallen reichen bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück. Seit den 1960-er Jahren werden immer wieder Publikationen vorgelegt, in denen der Nachweis einer Reaktivierung von Mikroben behauptet wird. Diese Arbeiten werden aufgrund der z T. hohen Alter der Salzproben häufig in Frage gestellt (BINDER 2001). In einer jüngst erschienenen Arbeit wird versucht, die geologische Zuordnung der Proben abzusichern und durch den Nachweis mikrobieller DNA einen indirekten Nachweis für das Vorkommen von Mikroorganismen in diesen alten Proben zu führen.

Für diese neuen Untersuchungen über Mikroorganismen in alten Salzvorkommen benutzten FISH et al. (2002) Salz-Einkristalle mit vielen Flüssigkeitseinschlüssen. Durch die Verwendung vergleichsweise kleiner Proben kann die Gefahr verringert werden, daß umkristallisiertes Salz, genetisches Material oder Mikroorganismen, die nicht mit dem Kristallisationsvorgang in Zusammenhang stehen, die Analyse verfälschen. Hätten nachfolgende Prozesse, z.B. Umkristallisation die ursprünglichen Salzkristalle verändert, dann wären sie jünger, als sie durch die umgebende Matrix erscheinen. Die geringe Probengröße verringert aber auch die Aussicht, Mikroben reaktivieren zu können.

Durch ein Verfahren, bei dem mittels Laserlicht kleinste Proben aus einer Matrix abgetrennt und diese dann massenspektrometrisch untersucht werden („laser-ablation microprobe-inductively coupled plasma mass spectrometry“) haben die Autoren nachgewiesen, daß die im Kristall eingeschlossene Salzlösung in ihrer chemischen Zusammensetzung die ursprüngliche Salzlösung repräsentiert, aus der das Salz auskristallisiert ist (Mutterlauge). Damit sind die den Salzkristallen zugeordneten geologischen Epochen besser abgesichert.

Nach DNA-Isolierung und entsprechender Vermehrung durch PCR wurde gezielt nach 16S rDNA gesucht. Aufgrund der großen Kopienzahl für ribosomale RNA ist die Erfolgsaussicht, rDNA zu finden verhältnismäßig groß. Außerdem sind bereits viele 16S rDNA-Sequenzen von Mikroben untersucht und in Datenbanken abgelegt, sie werden u.a. zur Typisierung herangezogen. Zwei Proben, eine aus dem Mittleren Miozän und eine aus der Oberen Kreide, ergaben positive Resultate, während eine Probe aus dem Oberen Silur negativ war. Die Größe der DNA-Fragmente betrug 700-1000 Basenpaare. Eine analytische Untersuchung der DNA durch Verdauung mit Endonukleasen und anschließender Sequenzierung der fluoreszensmarkierten Enden (terminal restriction fragment polymorphism; t-RFLP) mit nachfolgendem Sequenzvergleich mit 16S rDNA-Sequenzen aus Datenbanken ergab, daß die gefundenen DNA-Fragmente auf verschiedene Mikroorganismen zurückzuführen sind.

Nach Klonierung und Sequenzierung konnten durch Sequenzvergleich in einer Probe Hinweise auf Haloarchaea gefunden werden, die übrigen Sequenzen zeigten große Ähnlichkeit zu gamma-Proteobakterien (Aquabacterium commune 98,4-99,0% Übereinstimmung in der Gensequenz), gamma-Proteobakterien (Pseudeomonas fluoreszens, Stenomonas maltophilia 98,5-99,8% und Acinetobacter-Arten 89,6-99,5%). Diese Bakterien kommen in den unterschiedlichsten natürlichen Umgebungen vor. FISH et al. schließen daraus, daß diese verwandten, aber geographisch spezialisierten Organismen wahrscheinlich seit Jahrmillionen getrennt sind, aber dennoch sehr ähnliche 16S rRNA aufweisen. Diese Überlegung stütze das Argument, daß molekulare Uhren in bestimmten phylogenetischen Linien langsam laufen können.

FISH et al. legen sich nicht fest, ob die nachgewiesene DNA nun aus dem Salz oder den wäßrigen Einschlüssen stammt. Ebenso wenig konnten sie Hinweise finden, die zeigen, ob es sich um DNA aus intakten Zellen oder um freie DNA aus lysierten Zellen handelt.

Mit dieser Untersuchung liegt ein weiterer experimenteller Befund vor, daß Nukleinsäuremoleküle und möglicherweise auch Mikroorganismen über geologische Zeiträume konserviert werden können. Der geringe Unterschied zwischen DNA-Sequenzen aus geologischen Proben und heute bekannten Mikroorganismen (dies war bereits früher Anlaß zu Kritik, s. BINDER 2001) steht im Widerspruch zu den langen Zeiträumen, die den Proben zugeordnet werden. Sollten die untersuchten Proben tatsächlich viele Millionen Jahre alt sein, bleibt nach wie vor unklar, durch welche Prozesse die Nukleinsäure-Moleküle oder gar reaktivierbare Mikroorganismen erhalten geblieben sind.

HB

[BINDER H (2001) Dornröschenschlaf bei Mikroorganismen? Stud. Int. J. 8, 51-55; FISH SA, SHEPHERD TJ, MCGENITY TJ & GRANT WD (2002) Recovery of 16S ribosomal RNA gene fragments from ancient halite. Nature 417, 432-436.]


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Bei Grabungsarbeiten in Jerusalem sind Archäologen der israelischen Altertumsbehörde (IAA) auf Mauerreste gestoßen, die sie aufgrund von Lageangaben des jüdischen Historikers Josephus mit großer Wahrscheinlichkeit als Grundmauern des Palastes Herodes identifizieren. Die parallel verlaufenden anderthalb bis zweieinhalb Meter dicken Mauern aus dem ersten vorchristlichen und ersten nachchristlichen Jahrhundert befinden sich sechs bis acht Meter unter einem Gefängnis aus der türkischen Zeit. Da sie direkt an den Felsen anschließen, vermuten die Wissenschaftler, daß es sich um eine Art Terrasse zur Einebnung des Geländes gehandelt hat, auf der dann der eigentliche Palast errichtet wurde.

Die Mauerreste wurden nahe des Jaffa-Tores und unmittelbar südlich der Zitadelle in der Altstadt von Jerusalem gefunden. Ganz in der Nähe stießen die Forscher auf weitere Mauern aus früheren Zeiten. Eine davon war Teil einer Struktur aus der Hasmonäerzeit (141 ­ 63 v.Chr.) und enthielt einen in der Herodianischen Periode (37-70 v.Chr.) eingearbeiteten Drainagekanal. Auch die Größe dieser Rinne läßt auf ein repräsentatives Gebäude in der Nähe schließen.

Wissenschaftlich ungleich bedeutsamer als das Fundament des Herodespalastes sind die ältesten Mauerreste, die in die Zeit des Südreiches Juda im siebenten und sechsten Jahrhundert v.Chr. datiert werden. Ausgräber John SELIGMAN merkt dazu an: „Wenn dies [d.h. diese Datierung, U.Z.] zutrifft, dann könnte der Fund eine unserer wichtigsten Fragen über die Größe des antiken Jerusalem zwischen den Ansichten der ,Minimalisten‘ und der ,Maximalisten‘ entscheiden.“ Während die ausgesprochen bibelkritischen „Minimalisten“ unter den Altertumsforschern eine Ausdehnung annehmen, die die antike Stadt auf das heutige jüdische Viertel beschränkt, vermuten die „Maximalisten“, daß die Mauern der alten Stadt den westlichen Hügel bis zum heutigen Jaffa-Tor umfaßten, in dessen Nähe die Mauerreste gefunden wurden. Erwiese sich ihre zeitliche Einordnung als zutreffend, dann hätten die „Maximalisten“ tatsächlich ein wichtiges Argument auf ihrer Seite.

Warum kommt der Ausdehnung Jerusalems in der Königezeit eine solche Bedeutung zu? Einer der führenden „Minimalisten“, der dänische Alttestamentler Niels Peter LEMCHE argumentiert aufgrund des nach seiner Ansicht begrenzten Stadtgebietes von etwa vier Hektar, daß in ihren Mauern höchstens 2000 Einwohner mit vielleicht 300 wehrfähigen Männern im Alter zwischen 17 und 45 Jahren gelebt haben könnten. Ein Imperium, wie es das Alte Testament der Herrschaft Davids und Salomos zuschreibt, hätte sich mit einer solchen Streitmacht schwerlich beherrschen lassen, weshalb der biblische Bericht als historisch obsolet abzutun sei.

Es ist freilich anzumerken, daß der Umfang der Stadt in der Zeit dieser Herrscher im 10. Jahrhundert v.Chr. nicht unbedingt der Ausdehnung im 7./8. Jahrhundert entsprochen haben muß. Nach einer, allerdings sehr umstrittenen, Theorie sollte eine Stadt Jerusalem zur Zeit Davids und Salomos sogar überhaupt nicht existiert haben. Der weitere Verlauf des Mauerrestes kann bedauerlicherweise nicht erforscht werden, da er unter der heutigen Polizeistation der Altstadt verläuft.

UZ

[SUDILOVSKY J (2001) Palatial Discovery. Walls may have been part of Herod‘s palace. Biblical Archaeological Review 27:6, 18.]


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