Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 19. Jg. Heft 1 - Mai 2012
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20. Jahrgang / Heft 2 - Oktober 2013
Titelbild: Tüpfelfarn mit rundlichen Sporangienhaufen im Gegenlicht. Die Farn-Sporangien erweisen sich neuen Untersuchungen zufolge als ausgesprochen ausgeklügelte Miniatur-Katapulte. (Foto: W. Borlinghaus)



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Themen

H. Ullrich
„Die Narben der menschlichen Evolution“. Der Körper des Menschen: Ein evolutionärer Kompromiss    
oder ein geschaffenes Wrack?
H. Kutzelnigg
Rekordverdächtige Konvergenzen. Beziehungen zwischen Pflanzen und Ameisen
M. Kotulla
Eiskerndatierung: 100 000 Jahre und mehr?
(PDF-Version)
H. Binder
Der Mensch und sein Genom.
II. Einfluss schwerer Infektionskrankheiten auf das Erbgut des Menschen

Kurzbeiträge

H. B. Braun
Fliegen mit Parkinson?
R. Junker & H. Ullrich
Erstaunliches Experiment: Flosse zu Bein umgewandelt?
H. Binder
Genomdaten aus fossilem Pferdeknochen
W. Borlinghaus
Das Sporangien-Katapult – ein miniaturisierter Schleudermechanismus
R. Junker
Morphologie-Moleküle in scharfem Widerspruch
H. Ullrich
Der Wurmfortsatz: Vom Nichtsnutz zum Mysterium

Streiflichter

Spinnennetze reagieren auf elektrostatisch geladene Insekten
Springspinne – Sprung durch Spinnfaden stabilisiert
Überraschende Befunde an der Basis des Tierreichs
Eichelwürmer – eine weitere Tiergruppe der kambrischen Explosion
Das Genom von Kalkalgen – neue Einsichten in deren Ökologie
Moleküle und Anatomie im Konflikt? Die Systematik der Säugetiere
Tiefgreifende Veränderung von Plattengrenzen in Sekunden oder Minuten – Folge des verheerenden Erdbebens vom 11. März 2011 (PDF-Version)
Klein aber oho: Eine Mottenart hört höhere Töne als alle anderen Tiere
Knoblauchsrauke bereits vor mehr als 6000 Jahren als Gewürz genutzt

Rezension

M. Widenmeyer
Why the materialist neodarwinian conception of nature is almost certainly false (Thomas Nagel)
H. Kutzelnigg
Die Evolution der karnivoren Pflanzen: Was die Selektion nicht leisten kann: Das Beispiel Utricolaria (Wasserschlauch) (Wolf-Ekkehard Lönnig)

Editorial

Eines der zählebigsten und am häufigsten gebrauchten Argumente in den Kontroversen um Schöpfung und Evolution ist das „Unvollkommenheitsargument“. Dabei wird behauptet, dass in Lebewesen Organe, Stoffwechselvorgänge oder auch Entwicklungsabläufe vorkämen, die eine Diskrepanz zwischen ihrem Aufbau und ihrer Funktion zeigten. Wären die Lebewesen dagegen zielgerichtet konstruiert worden, müsste man deutlich bessere Lösungen für ihre Organe vorfinden – so wird es häufig behauptet. „Konstruktionsfehler“ oder „Design-Fehler“ sprächen gegen die Existenz eines Designers und für die „Tatsache“ der Evolution. Das Argument ist so alt wie Darwins Abstammungstheorie. Charles Darwin hat es in Origin of Species ausführlich behandelt; es ist auch unter dem Stichwort „Rudimentäre Organe“ geläufig. Diesem Argument misst man auch heute große Bedeutung bei. Nicht zuletzt wird dies daran sichtbar, dass man es auch dann unbedingt zu retten versucht, wenn es durch neue Erkenntnisse geschwächt wird. In jüngerer Zeit war dies beim Nachweis der Funktionalität nicht-codierender DNA beobachtbar. Die sogenannte „junk DNA“ (DNA als „evolutionärer Abfall“) schien sich früher besonders gut als Beispiel für schlechtes, dysfunktionales Design zu eignen, doch die Tendenz der Forschung ging zuletzt dahin, dass dem Konstruktionsfehler-Argument hier zunehmend der Boden entzogen wurde. Das Argument von einem Design-Fehler wird dennoch auch in diesem Fall nach wie vor verteidigt.

Die Liste von Beispielen, die als Belege für Konstruktionsmängel angeführt wurden, ist lang und wird laufend ergänzt. Vor diesem Hintergrund befasst sich Henrik Ullrich in dieser Ausgabe in grundsätzlicher Weise mit der Behauptung von Konstruktionsfehlern und widmet sich Fragen wie: Ist es möglich, naturwissenschaftliche Kriterien zu definieren, Fehlkonstruktionen als solche erkennbar machen? Werden diese Kriterien der Komplexität der untersuchten biologischen Struktur und deren Individualentwicklung gerecht? Hat sich im Verlauf der biologischen Forschung die Behauptung von Fehlkonstruktionen bewährt? Geht man diesen Fragen nach, wird unter anderem deutlich, dass die Argumentation mit vermeintlichen Design-Fehlern erst durch die Inanspruchnahme spezifischer theologischer Rahmenbedingungen Kraft gewinnt.

In einem eigenen Beitrag wird die Problematik um Design-Fehler am wohl berühmtesten Beispiel eines mutmaßlich rudimentären Organs ausgeführt, dem Wurmfortsatz des menschlichen Blinddarms, der seine ursprüngliche Form und Funktion im Verlauf der Evolution verloren habe und deshalb in einer zurückgebildeten Version vorliege. Die Forschungen der letzten Jahre haben dieses traditionelle Bild vom Wurmfortsatz zunehmend in Frage gestellt und mittlerweile widerlegt. Im Artikel „Der Wurmfortsatz: Vom Nichtsnutz zum Mysterium“ erklärt Henrik Ullrich, warum das so ist.

Das Dauerbrenner-Thema „Konvergenzen“ bzw. „Baukastensystem“ begleitet uns auch in dieser Ausgabe. Mit diesem Begriff ist das Auftreten bauplanähnlicher Strukturen in nicht-verwandten Formen bezeichnet. Man muss es sich immer wieder klar machen: Es ist in der Biologie, wo es um komplexe funktionale Strukturen geht, nicht zu erwarten, dass natürliche Prozesse, die keine Ziele verfolgen können, von verschiedenen Startpunkten aus zu sehr ähnlichen Resultaten führen. Daher soll durch Algorithmen, durch die Stammbaumrekonstruktionen erstellt werden, die Annahme von Konvergenzen minimiert werden. Dass unter den Bedecktsamigen Blütenpflanzen (Angiospermen) besonders viele Merkmale (z. B. bei Samen und Früchten) konvergent auftreten, ist schon lange bekannt. Durch neue Untersuchungen wurde nun bei zwei Merkmalen ein immenses Ausmaß an Konvergenzen nachgewiesen. Herfried Kutzelnigg berichtet darüber in seinem Beitrag über den „Konvergenzrekord“ beim Auftreten von extrafloralen Nektarien und bei Ölkörpern bei Samen.

In der in der letzten Ausgabe begonnenen Reihe über das Genom (Erbgut) des Menschen befasst sich Harald Binder mit der Frage, ob sich Spuren der Auseinandersetzung des Organismus mit Infektionskrankheiten im Erbgut von Menschengruppen nachweisen, die über Generationen hinweg mit bestimmten Erregern kontinuierlich konfrontiert waren. Durch diese Belastung entsteht ein starker Selektionsdruck, was in der konventionellen Synthetischen Evolutionstheorie als eine wichtige Triebfeder für den evolutionären Wandel angesehen wird. Es zeigt sich bislang jedoch, dass die Vitalität der betroffenen Menschen im Vergleich zu gesunden eingeschränkt und nur die Situation von Erkrankten verbessert wird, während die Dauerbelastung durch Infektionskrankheiten die Entstehung neuer genetischer Information nicht fördert.

Mit Eisbohrkernen des grönländischen Inlandeises als Mittel zur Datierung befasst sich Michael Kotulla. Er zeigt, dass die Eiskerndatierung in ihrer Gesamtheit weder ein unabhängiges noch ein absolutes Datierungsverfahren ist. Denn die Eisschichten sind nicht durchgängig sicher mit Jahren gleichzusetzen und es erfolgt eine Eichung mittels radiometrischer Daten.

In weiteren Beiträgen wird eine Reihe interessanter Entdeckungen vorgestellt, so zum Beispiel die erstaunlichen Ähnlichkeiten des Gehirns von Fliege und Mensch, unerwartete Diskrepanzen zwischen morphologischen und molekularen Ähnlichkeiten oder die ausgeklügelten Feinheiten des Miniatur-Sporangien-Katapults bei Farnen, die sich in großer Zahl auf der Unterseite der fertilen Wedel befinden, und vieles mehr. Für spannende und lehrreiche Lektüre ist also gesorgt.

Ihre Redaktion STUDIUM INTEGRALE JOURNAL



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