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Das Sporangien-Katapult – ein miniaturisierter Schleudermechanismus

von Winfried Borlinghaus

Studium Integrale Journal
20. Jahrgang / Heft 2 - Oktober 2013
Seite 106 - 108


Zusammenfassung: Die im Pflanzenreich als relativ ursprünglich geltenden Farne besitzen einen sehr effizienten, biomechanischen Verbreitungsmechanismus für ihre Sporen. Neuere Untersuchungen eröffnen einen detaillierten Einblick in eine ausgeklügelte Sporangien-Schleuder, gegen die mittelalterliche Steinschleudern ausgesprochen primitiv sind.


Abb. 1: Tüpfelfarn mit rundlichen Sporangienhaufen im Gegenlicht. (Foto: W. Borlinghaus)

Die meisten Farne besitzen auf ihrer Blattunterseite deutlich erkennbare bräunliche Flecken (Sori), die sicher jedem aufmerksamen Naturbeobachter schon aufgefallen sind (Abb. 1, 2).

Abb. 2: Geöffnete Sporangienhaufen (Sori) auf der Unterseite eines Wedels des Wurmfarns (Dryopteris filix-mas). (Foto: R. Junker)

Sie können sehr unterschiedliche Formen auf­wei­sen. Bei dem in Deutschland verbreiteten Tüpfelfarn (Polypodium vulgare) sind es kreis-runde „Tüpfel“. Betrachtet man diese genauer, erkennt man bei entsprechender Vergrößerung, dass sie aus unzähligen Sporenbehältern bestehen. Diese als Sporangien bezeichneten Miniatur-Behälter enthalten die der ungeschlechtlichen Fortpflanzung dienenden Sporen der Farne.

Das einzelne Sporangium entpuppt sich unter dem Mikroskop als ausgefeilte Schleuderapparatur – ein regelrechtes Miniatur-Katapult! Die ausgeklügelte Mechanik sorgt dafür, dass die Sporen des Farns mit hoher Geschwindigkeit weggeschleudert werden. Die Schleuderkraft des miniaturisierten Katapultes bewirkt gemeinsam mit dem Wind eine effiziente Verbreitung der Sporen, die wiederum die Vermehrung der Pflanze ermöglichen.

Die Details dieser Einrichtung sind an Genialität kaum zu überbieten und wurden anhand des Goldtüpfelfarns (Phlebodium aureum) u. a. von Xavier Noblin und seinen Kollegen von der französischen Forschungsorganisation CNRS (Centre National de la Recherche Scientifique) genauer untersucht (Noblin et al. 2012).

Die Sporen befinden sich in einer geschlossenen Kapsel, die von einem zunächst stark nach innen, um die Kapsel gekrümmten Zellenstrang, dem Anulus (oder Annulus), umgeben sind (Abb. 3a). Die Zellen dieses Strangs sind speziell konstruiert. Sie besitzen relativ starre und feste Zellwände. Eine Ausnahme bildet die äußere, von der Sporenkammer abgewandte, Zellwand. Sie ist vergleichsweise dünn und durchlässig gestaltet. Bei entsprechenden klimatischen Bedingungen nach der Reife der Sporen kann durch Verdunstung das Wasser im Inneren der Anuluszellen recht schnell entweichen. Dabei baut sich im Zellinneren kurzfristig ein starker Unterdruck auf. Gleichzeitig verdunstet Wasser in der Sporenkammer. Diese reißt auf und die Sporen liegen wie in einer hohlen Hand frei, ohne dass sie herausfallen können (Abb. 3b-d). Gleichzeitig falten sich bei zunehmendem Unterdruck in den Anuluszellen die dünnen Außenwände ein. Die starken Zelltrennwände werden dadurch an den äußeren Enden zusammengezogen. In der Folge biegt sich der gesamte Anulusstrang, der aus 12 bis 13 solcher Zellen besteht, wie eine gespannte Feder zurück. Dies geschieht, bis der Unterdruck bei ca. –9 MPa einen kritischen Punkt erreicht, bei dem es zu dramatischen Kavitationseffekten kommt.1 Dadurch bilden sich in Sekundenbruchteilen Gasbläschen in den Zellen, die zu einem schlagartigen Volumenzuwachs führen. Im Ergebnis schnellt der Anulusstrang innerhalb von etwa 10 Mikrosekunden mit enormer Geschwindigkeit zurück in Richtung seiner ursprünglichen Position (Abb. 3e und f).

Mit nur wenigen Pflanzenzellen wird ein perfektes Miniatur-Katapult verwirklicht, dessen Details an Genialität kaum zu überbieten sind.

Als echtes Katapult benötigt die Vorrichtung nun noch einen Stopper. Dieser muss verhindern, dass die offene Sporenkapsel quasi an der Befestigungsstelle des Anulusstranges aufschlägt und somit die Schleuderwirkung sinnlos verpuffen würde. Bei mittelalterlichen Katapulten wurde dieser Stopper in Form eines starken, gepolsterten Querbalkens eingebaut, gegen den der Hebelarm des Katapultes nach Entspannung des Federmechanismus prallte. Der Hebelarm wurde abrupt gestoppt und die Kugel, bedingt durch ihre Massenträgheit, in einem optimalen Winkel weggeschleudert. Beim Sporangien-Katapult werden hierbei immerhin Geschwindigkeiten von 10 m/s erreicht! Der notwendige Stoppmechanismus ist dabei erstaunlicherweise gleich in den Hebelarm des Anulus integriert, so dass kein zusätzliches Bauteil benötigt wird. Beim Zurückschnellen kann das durch die Kavitationsbläschen verdrängte Wasser nicht schnell genug aus den umliegenden Zellwänden ergänzt werden. Durch diese „Hydraulikbremse“ wird der zurückschnellende Anulus-Hebelarm stark abgestoppt, bis der Wasservolumenausgleich innerhalb von ca. einer halben Sekunde erfolgt ist und sich der Anulus zu ca. 85 % wieder schließt (Abb. 3f).

Abb. 3: Verschiedene Stadien des Katapultmechanismus beim Farnsporangium. Erläuterungen im Text. Unter http://www.youtube.com/watch?v=mDlHGrRlNPE wird der Katapultmechanismus auch mit bewegten Bildern gezeigt. (Nach einem Poster von C. Llorens, M. Argentina, J. Dumais & X. Noblin; http://tinyurl.com/lezho3n)

Insgesamt ist mit nur wenigen Pflanzenzellen ein perfektes Katapult verwirklicht und der Gedanke liegt sehr nahe, dass solche Genialität nicht alleine durch Selbstorganisationsmechanismen erklärt werden kann. Man kann hier durchaus Ernst Kullmann und Horst Stern (1981, S. 242) beipflichten, die vor etlichen Jahren angesichts vergleichbar fantastischer Einblicke in die Spinnenbiologie bemerkten: „Es sind noch am ehesten Maschinen wie das Elektronenmikroskop, die einen verengten Spezialisten wieder transzendieren lassen. (...) Fabre jedenfalls, da bin ich sicher, hätte in solchen Bildern Gott nicht mehr gesucht. Er hätte ihn gesehen.“ Was spricht angesichts solcher Entdeckungen wie beim Sporangien-Katapult dagegen, eine solche Schlussfolgerung selbst zu ziehen, wie sie der im Zitat erwähnte französische Insektenkundler Jean-Henri Fabre, ein evolutionskritischer Zeitgenosse von Charles Darwin, gezogen hat?


Anmerkung

1 http://www.pro-physik.de/details/news/1113287/Kuenstlicher_Baum_laesst_die_Saefte_schiessen.html. Unter einem Kavitationseffekt versteht man das Wechselspiel plötzlicher Verdampfung und Kondensation von Flüssigkeiten bei einem kritischen Unterdruck. Hierbei bilden sich im Wasser entsprechende Wasserdampfblasen. Kurzzeitig können dabei, insbesondere beim Kollaps einer Kavitationsblase, erhebliche Drücke und Temperaturen auftreten, die bei technischen Geräten sogar Schäden an Metallteilen verursachen können.


Literatur

Kullmann E & Stern H (1981)
Leben am seidenen Faden. Kindler.
Noblin X, Rojas NO, Westbrook J, Llorens C, Argentina M & Dumais J (2012)
The fern sporangium: a unique catapult. Science 335, 1322.
Pollmann M (2012)
Sporenkatapult des Farns ergründet http://www.spektrum.de/alias/biophysik/sporenkatapult-des-farns-ergruendet/1145522


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