Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 16. Jg. Heft 1 - Mai 2009
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16. Jahrgang / Heft 1 - Mai 2009

Themen

J. Fehrer
Eine neue Phylogenie der Vögel: Was sagen die Daten wirklich?
R. Junker
Evo-Devo: Schlüssel für Makroevolution?
Teil 2: Wiederverwendung, Umfunktionierung und Neuprogrammierung
C. Heilig
Ursachen fossiler Muster. Vergleich von phylogenetischer und ökologischer Deutung am Beispiel des Komplexitätsgewinns der Krebstiere (Crustacea)

Kurzbeiträge

R. Junker
Neues von der Entstehung der Vierbeiner
R. Junker
Schildkröten-Übergangsform?
N. Winkler
Ameisen – weitere Neuigkeiten, Teil V
W. Lindemann
Evolutionäres Proteindesign
C. Heilig
Molekulare Daten belegen: Konvergente Evolution komplexer Merkmalssysteme bei den Singvögeln. Neue Ergebnisse und alternative Deutung aus einer teleologischen Perspektive
H. Binder
„Fast lebendige Moleküle“. RNA-Moleküle – hohe Erwartungen für die Lebensentstehung
P. van der Veen
König Hiskia in einer neuen Inschrift aus Jerusalem?

Kommentar

R. Junker
Nur Sinn im Licht der Evolution?

Streiflichter

Bakterien treten die Kupplung
Alten Krankheiten mit modernen Methoden auf der Spur
Spinn-Rad oder Hat die Spinne das Rad erfunden?
Eine hungrige Gattung
„Trauben“ im Präkambrium?
Eine heiße Spur?
Saurier: „modern“ und „altertümlich“ zugleich
Neues über die Entstehung biochemischer Komplexität

Rezension

W. Lindemann
Die Natur des Menschen. Grundkurs Soziobiologie (E. Voland)
Titelbild: Schildkröten sind faszinierende Geschöpfe. Ihr Ursprung liegt im Dunkeln. Über eine neue Fossilform einer Wasserschildkröte berichtet Reinhard Junker auf Seite 39. Das Bild zeigt die Echte Karettschildkröte (Eretmochelys imbricata), einen Vertreter der Meeresschildkröten. (Bild: www.fotolia.com, © Richard Carey)





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Editorial

Vor 25 Jahren schrieb der berühmte Ornithologe und Evolutionsbiologie Ernst Mayr in seinem biologiehistorischen Buch Die Entwicklung der biologischen Gedankenwelt“ (Heidelberg 1984) unter der Überschrift „Der Niedergang der makrotaxonomischen Forschung“ folgende bemerkenswerte Sätze: „Die meisten Nicht-Taxonomen sind erstaunt, wenn sie hören, wie wenig sicher unsere Kenntnis der Verwandtschaftsgrade der Organismen immer noch ist. Zum Beispiel wissen wir bei der Mehrheit der Vogelordnungen immer noch nicht, welche andere Ordnung jeweils am nächsten mit ihr verwandt ist. Das gleiche gilt für viele Säugtierfamilien und -gattungen ...“  (S. 175). Das Zitat stammt aus einer Zeit, in der die molekulare Taxonomie noch in ihren Kinderschuhen steckte. Heute liefern die Sequenzanalysen des Erbmoleküls DNA, durch die die Abfolge ihrer Bausteine ermittelt werden, eine große Menge neuer Daten, die helfen können, Verwandtschaftsbeziehungen aufzuklären.

Auf diese Methode wurden und werden große Hoffnungen gesetzt, aber bisherige molekulare Studien bei den Vögeln widersprachen manchen etablierten Verwandtschaftsbeziehungen und warfen neue Fragen auf. Nun wurde im letzten Jahr eine sehr umfangreiche Studie veröffentlicht. In der Überschrift versprechen die Autoren, dass damit die Evolutionsgeschichte der Vögel enthüllt werde – ein hoher Anspruch. Judith Fehrer stellt die wichtigsten Ergebnisse dieser Studie dar und zeigt, dass auch dieser neue Vogelstammbaum mehr verspricht, als er halten kann. Es gibt fundamentale Probleme der phylogenetischen Analyse. Noch gar nicht klar ist, wie sich Verwandtschaft und Funktion in denselben Genen gegenseitig beeinflussen. Wann können genetische Ähnlichkeiten als Hinweise auf Verwandtschaft gelten und wann sind sie einfach nur Ausdruck gleicher Funktionen? Die Autorin stellt aber auch die Frage, welche Bedeutung die molekularen Daten im Bezug auf  die Grundtypbiologie haben könnten – eine Frage, der sonst nicht nachgegangen wird. Ihr Artikel gibt einen spannenden Einblick in die Methoden und ihre Probleme und die Schwierigkeiten der Deutung der Daten in Bezug auf Ursprungsfragen.

Alternativen zu evolutionstheoretischen Deutungen diskutiert auch Christoph Heilig auf der Grundlage einer umfangreichen Studie zur Fossilgeschichte der Krebstiere. Grundsätzlich kommen für fossile Abfolgen außer evolutionären Ursachen auch ökologische in Frage. Der Autor entwickelt Kriterien, die helfen können, zwischen beiden Möglichkeiten zu unterscheiden. Ökologische Gründe für das Vorliegen bestimmter fossiler Muster bringt auch Reinhard Junker in einem Beitrag über neue Fossilfunde im Bereich des Übergangs Fische – Vierbeiner ins Spiel und erläutert einige Indizien, die besser zu ökologisch als zu evolutionär bedingten Abfolgen passen. Dass die Deutung von Fossilfunden sehr unterschiedlich ausfallen kann, verdeutlicht auch der Beitrag über einen Fund einer fossilen Schildkröte. Je nachdem, welche Deutung zutrifft, bietet die neu entdeckte Gattung Odontochelys eine mögliche Übergangsform oder sie verschärft das Problem der evolutiven Entstehung der Schildkröten noch.

Um die Frage nach den Mechanismen der Evolution geht es in einigen weiteren Beiträgen. Wolfgang Lindemann schildert Experimente, mit denen das Szenario der Entstehung neuer Proteine durch Gen-Verdopplung und anschließende Mutationen in einem der beiden resultierenden Gene nachgestellt wurde. Dabei wurden die Veränderungen gezielt an einem geeigneten, bereits vorhandenen Gen durchgeführt. Daher können diese Versuche nicht ohne weiteres als Modell für natürliche Vorgänge gelten. „Steuerung“ ist auch ein Thema beim Evo-Devo-Ansatz der Evolutionsforschung, allerdings ungewollt. Im zweiten Teil der Serie zu diesem neueren Forschungszweig wird deutlich, dass einige im Rahmen dieses Ansatzes vorgeschlagenen Mechanismen so beschrieben werden, als wäre Lenkung im Spiel. Doch das wird in evolutionstheoretischen Erklärungen ausgeschlossen.

Im Zusammenhang mit Evolution interessieren sich die Forscher bekanntlich auch für die Entstehung des Lebens. Mit reißerischen Überschriften wie „Fast lebendige Moleküle“ wurde in der Presse der Eindruck erweckt, als sei man in dieser Frage ein gutes Stück vorangekommen. Harald Binder analysiert die betreffenden Originalarbeiten und kommt zum Ergebnis: Nur mit Erfahrung und lenkendem Eingreifen kann man interessante chemische Systeme entwickeln. Die dadurch gewonnenen Erkenntnisse deuten andererseits aber auch an, wo die Grenzen natürlicher Prozesse liegen könnten.

Ihre Redaktion Studium Integrale journal

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