20. Jahrgang / Heft 1 - April 2013
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KommentarEditorialIm März dieses Jahres erschien ein bemerkenswerter Artikel in ZEIT ONLINE. „Von wegen menschlich“ überschrieb Autor Frederik Jötten seine Ausführungen über die Studien des Verhaltensforschers Claudio Tennie vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Tennie wollte eine bedeutsame menschliche Fähigkeit bei Schimpansen nachweisen, die uns Menschen in besonderer Weise das Lernen ermöglicht: die Fähigkeit zur Nachahmung. Er fand jedoch das Gegenteil heraus: Affen können genau das nicht. Und das unterscheidet sie grundlegend vom Menschen. Diese Erkenntnis komme in der Fachwelt nicht gut an, schreibt Jötten weiter; man sei sehr viel aufgeschlossener für Ergebnisse, die Gemeinsamkeiten zwischen Affen und Menschen belegen. Doch diese Voreingenommenheit birgt die Gefahr, fälschlicherweise Dinge zu sehen, die man sehen will, und andere nicht zu sehen, obwohl sie da sind, weil man nicht mit ihren rechnet. Lesen Sie dazu den Kommentar „Affen äffen nicht nach“ am Ende dieser Ausgabe. Vergleiche von Menschenaffen und Menschen, in denen Gemeinsamkeiten sehr viel deutlicher als die Unterschiede wahrgenommen und entsprechend interpretiert werden, sind auch Thema weiterer Artikel dieser Ausgabe von Studium Integrale Journal. Dabei geht es um Werkzeuggebrauch, um das Erbgut und um Fossilien. Michael Brandt stellt anlässlich einer im letzten Jahr publizierten Veröffentlichung in der amerikanischen Fachzeitschrift PNAS Experimente mit Schimpansen vor, die belegen sollen, dass diese in Bezug auf Werkzeugnutzung und Werkzeugherstellung menschenähnliche Fähigkeiten besaßen. Seine Analyse zeigt, dass diese starke Behauptung nicht aufrechterhalten werden kann. Die durch viel Training erlernte einfache Abschlagtechnik der Zwergschimpansen unterscheidet sich deutlich von der komplexen Abschlagtechnik der frühesten Steinwerkzeughersteller. Mit der immer größer werdenden Fülle von Daten über das Erbgut (Genom) des Menschen und Menschenaffen befasst sich Harald Binder. Auch hier spielen Erwartungen bezüglich der vorausgesetzten Evolution des Menschen eine Rolle, denn Vergleiche zwischen dem Genom des Menschen und dem Genom anderer Organismen werden häufig herangezogen, um bereits etablierte Vorstellungen bezüglich ihrer angenommenen Evolution zu untermauern. Die Forschungen auf diesem Gebiet zeigen jedoch zunehmend, dass viele Merkmale spezifisch für Menschen sind und dass die genetischen Unterschiede zwischen Mensch und Schimpanse weitaus größer sind als früher angenommen wurde, so dass der Mensch anhand genetischer Merkmale klar von anderen Lebewesen abgegrenzt werden kann. Weitreichende Schlussfolgerungen auf diesem Gebiet sind vorerst nicht ratsam, weil der enormen Menge an Genomdaten bisher ein sehr lückenhaftes Verständnis der Bedeutung einzelner Abschnitte des Erbguts gegenüber steht. Dieser Mangel begrenzt derzeit die Aussagekraft von Genomvergleichen. In der ersten Folge einer Artikelserie gibt Harald Binder einen Überblick zu diesem spannenden Thema. Schließlich sind auch die Paläontologen auf der Suche nach Merkmalen, die den Menschen mit nichtmenschlichen Primaten verbinden. Hier werden nach wie vor die Australopithecinen trotz ihrer recht großaffenähnlichen Schädel- und Zahnstruktur unter Berufung auf passende Merkmale des Körperstamm- und Extremitätenskeletts häufig als „Vormenschen“ gedeutet. Diese behauptete Menschenähnlichkeit wird durch neue Untersuchungen jedoch in Frage gestellt; es spricht vieles dafür, dass das Klettern und nicht der aufrechte Gang die normale Fortbewegungsweise dieser ausgestorbenen Primaten war. Wenn die nachweislich vorhandenen Klettermerkmale als funktionslose Überbleibsel von Vorläuferformen interpretiert werden, scheint dies auch hier eher für Voreingenommenheit der Forscher zu sprechen als für Ergebnisoffenheit in der Interpretation der nachweisbaren Merkmale. In einem physikalischen Beitrag geht es um die Konsequenzen, die sich aus dem Nachweis eines lange postulierten Elementarteilchens – des Higgs-Teilchens – ergeben. Dieses Elementarteilchen schaffte es letztes Jahr öfter in die Tagespresse, wobei mit dessen Bezeichnung als Gottesteilchen irreführende Vorstellungen suggeriert wurden. Wenn es sich tatsächlich um das Higgs-Teilchen des Standardmodells handelt, könnten die Entdeckung von Physik jenseits des Standardmodells und damit die Klärung offener Fragen der Kosmologie noch längere Zeit auf sich warten lassen, wie Peter Trüb erläutert. Ein etwas ungewöhnliches Thema dieser Ausgabe ist der Zusammenhang zwischen dem im Matthäusevangelium berichteten Erdbeben bei der Kreuzigung Jesu und geologischen Befunden im Nahen Osten. Die spannende Frage, ob dieses Beben geologisch nachgewiesen werden kann, ist aber nur ein Aspekt im Artikel von Michael Kotulla. Die Leser erhalten darüber hinaus Einblicke in geologisches Arbeiten und über Voraussetzungen und Probleme bei Altersdatierungen. Mit dieser bunten Vielfalt hoffen wir, dass diese Ausgabe für alle Leser Interessantes und Gewinnbringendes bereithält. Ihre Redaktion STUDIUM INTEGRALE JOURNAL |
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