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Die Erdkruste: Alt, älter ... am ältesten?

von Thomas Fritzsche

Studium Integrale Journal
9. Jahrgang / Heft 1 - Mai 2002
Seite 46 - 48


Mitte der 1980er Jahre wurden an Zirkonen vom Mount Narryer in Westaustralien Alter von 4,1-4,2 Ga (Giga annum: 109 Jahre) ermittelt. Da diese hohen Alterswerte nur an 4 von insgesamt 102 Zirkonen bestimmt wurden, war dieses Resultat nicht unumstritten. Kurze Zeit darauf untersuchten andere Forscher Zirkone in einem Konglomerat der Jack Hills, etwa 60 km nordöstlich des Mount Narryer (COMPSTON & PIDGEON 1986). 17 der 140 analysierten Zirkone lieferten Alter von über 4 Ga, in einem Fall wurde sogar ein Alter von fast 4,3 Ga ermittelt.

In einem Kommentar im Wissenschaftsjournal Nature verriet MOORBATH (1986) hierzu seine Ängste. Er berichtete vom Verdrängen eines wiederkehrenden bösen Traumes: Wann würde mit der hochauflösenden Ionen-Mikrosonde ein Alter ermittelt, das höher als das anerkannte Erdalter von rund 4,6 Ga ist?

Eineinhalb Jahrzehnte später dürfte Moorbaths Nachtruhe noch immer ungestört sein – zumindest was die wissenschaftlichen Daten angeht. Seine Ängste haben sich nicht bewahrheitet, der Grenzwert von 4,6 Ga wurde bislang nicht überschritten. Allerdings haben sich inzwischen zwei Forschergruppen dieser Marke weiter genähert.

Erneut galt das Interesse den Zirkonen im Narryer-Gneis. WILDE et al. (2001) suchten in den ca. 100 extrahierten Zirkonen nach den ältesten Exemplaren. Ein Zirkon, der ein Alter von 4,3 Ga lieferte, wurde näher untersucht. Ein „Abtasten“ des Kristalls mit dem Strahl der Ionen-Mikrosonde erbrachte für einen Teil dieses winzigen Zirkons den Spitzenwert von 4,404 ± 0,008 Ga - er ist damit von nun an das älteste bekannte irdische Material.

Mit der Ionen-Mikrosonde (bekannt unter dem Spitznamen SHRIMP) können gleichzeitig mehrere Uran-Blei-Zerfallsuhren gemessen werden. Dadurch ist zugleich eine Prüfung auf Konkordanz (gleiche Alterswerte) möglich. Die drei Uran-Blei-Methoden sind die 238U/206Pb-, die 235U/207Pb- und die 207Pb/206Pb-Methode. Im Idealfall, wenn das Gestein oder Mineral keiner Störung unterlag, sollten alle drei Methoden das gleiche Alter ergeben (siehe hierzu auch FRITZSCHE 2001). Zahlreiche der von WILDE et al. (2001) bestimmten Zirkonalter sind nicht konkordant und könnten einen Pb-Verlust während der späteren Metamorphose des Gesteins anzeigen. Im Falle des 4,4 Ga alten Einschlusses betrug die Konkordanz allerdings fast 99 %.

Zirkone sind verwitterungsbeständig und können auch eine Gesteinsumwandlung bei höheren Temperaturen, die sog. Metamorphose, überstehen. Die Zirkone im Narryer-Gneis entstanden nicht in den Gesteinen, in denen sie heute zu finden sind, sondern sind die letzten Überreste eines zuvor existierenden Gesteins. Sie wurden als Abtragungsprodukte bestehender Krustenblöcke in Sedimentgesteinen eingebettet und mit diesen zusammen metamorphisiert, d.h. zu Gneisen umgewandelt. Da die Zirkone im Narryer-Gneis ein gewisses Altersspektrum aufweisen, könnten sie einst Bestandteil mehrerer Krustenblöcke mit verschiedenen Bildungsaltern gewesen sein; in jedem Fall ist davon nichts mehr erhalten. Zirkone können sich unter verschiedenen Bedingungen bilden, am wahrscheinlichsten ist aber eine Entstehung in granitischen Magmen.

Die eigentliche Überraschung waren die erhöhten Gehalte an schwerem Sauerstoff 18O, von denen Wilde et al. (2001) und weitere Bearbeiter in der GLEICHEN Ausgabe berichten (MOJZSIS et al. 2001). Schwerer Sauerstoff ist charakteristisch für niedrige Temperaturen und wäßriges Milieu, also z.B. für Meerwasser. Der schwere Sauerstoff im Zirkon könnte das Aufschmelzen von granitischen Gesteinen anzeigen, die ihrerseits von Material abzuleiten wären, das zuvor an der Erdoberfläche lag und im Kontakt mit Wasser (einem Ozean?) stand. Die Zirkone enthalten zudem Einschlüsse von Siliziumdioxid (SiO2) und haben Gehalte an Selten-Erden Elementen, die ebenfalls gewichtige Indizien für granitische Magmen sind.

Sollte das Alter von 4,4 Ga für den Zirkon zutreffen, hätte es vermutlich zuvor schon eine Erdkruste oder gar Wasser auf der Erde gegeben. Da die isotopischen Daten vom Mond nahelegen, daß die Erde in der Zeit von 4,5 Ga bis ungfähr 3,9 Ga einem heftigen Meteoritenbombardement ausgesetzt war, wurde eine feste Erdkruste bislang als wenig wahrscheinlich erachtet. Folgen hätten die Datierungen auch für die Diskussion über die Lebensentstehung. Spuren von Kohlenstoff finden sich bereits vor ca. 3,8 Ga. Gab es aber schon vor 4,4 Ga Wasser auf der Erde, einem wichtigen Grundstoff für Leben, eröffnen die Datierungen den evolutionstheoretischen Spekulationen über die Prozesse der Lebensentstehung eine halbe Milliarde Jahre mehr Zeit (MOJZSIS et al. 2001).

Unterstützung finden die gemessenen Zirkonalter durch die Rekalibrierung der Lutetium-Hafnium-Zerfallsuhr durch Mineralogen der Universität Münster (SCHERER et al. 2001). Die Halbwertszeit von 176Lu zu 176Hf beträgt rund 37 Ga. Alle jüngeren Messungen der Zerfallskonstante schienen einen um rund 4 % niedrigeren Wert zu erfordern. Durch einen Vergleich mit Uran-Blei-Datierungen haben SCHERER et al. (2001) die Lutetium-Hafnium-Uhr nun neu kalibriert und geben die Zerfallskonstante von 176Lu mit 1,865 ± 0,015 x 10-11 a-1 an. Dies wurde durch eine verbesserte Analysetechnik möglich.

Eine geringere Zerfallskonstante von 176Lu bedeutet, daß das ursprüngliche Verhältnis der Hafnium-Isotope in den Gesteinen weniger radiogen ist, d. h. weniger des vorhandenen 176Hf entstammt dem radioaktiven Zerfall. Bei der Aufschmelzung irdischen Gesteins neigt das Lutetium dazu, sich im Erdmantel zu konzentrieren. Deshalb stellt sich in der Erdkruste ein geringeres Lu/Hf-Verhältnis ein (KRAMERS 2001). Das Hafnium kann nun mit bis zu 2% in sich bildende Zirkone eingebaut werden. Da in den Schmelzen, in denen Zirkone entstehen, wenig radioaktives 176Lu vorhanden ist, ändert sich das Verhältnis von 176Hf/177Hf in den Zirkonen im Laufe der Zeit praktisch nicht. Deshalb läßt sich aus der Messung dieses Isotopenverhältnisses auch eine Aussage über das ursprüngliche Lu/Hf-Verhältnis und damit über die Herkunft der Schmelze machen.

Die Zirkone von Jack Hills in Australien und aus dem Acasta Gneis in Kanada (ungefähr 4 Ga alt) sind gemessen an ihrer Hf-Isotopie offenbar in granitischen Schmelzen entstanden, und granitische Schmelzen sind Kennzeichen einer existierenden Erdkruste. Die Folgerungen aus der korrigierten Lutetium/Hafnuim-Zerfallsuhr und den Isotopenverhältnissen durch SCHERER et al. (2001) sprechen für die Existenz einer frühen Erdkruste und sind mit den Zirkondatierungen von WILDE et al. (2001) verträglich. Andererseits folgt aus den Isotopendaten auch, daß die Menge an Erdkruste in den ersten 0,5 Ga nicht allzu groß war (KRAMERS 2001).

Es ist ohne Zweifel gewagt, aus einemTeil eines Zirkons von weniger als einem Millimeter Durchmesser und den Sauerstoffisotopen derart weitgespannte geologische Szenarien zu entwickeln. Auch die Rekalibrierung der 176Lu/176Hf- Zerfallsuhr und die aus der Hf-Isotopie abgeleiteten Schlüsse könnten zu sehr an heute bekannten Prozessen orientiert sein. Doch gilt das gleiche für die möglichen Einwände (z. B. Meteoritenschauer, Aufschmelzen der frühen Erdkruste). Insgesamt vermitteln die jüngsten Datierungen und Überlegungen doch den Eindruck, daß sie wichtige Mosaiksteine im Verstehen der Entwicklung unseres Planeten bilden.

Um noch einmal auf MOORBATHs bösen Traum zurückzukommen: Eine geringfügige Verschiebung der Resultate jüngster Datierungen, sprich: mit dem Erdalter identische Gesteinsdatierungen, könnte sich zum Alptraum vieler Wissenschaftler entwickeln, nämlich der Vorstellung einer von Anbeginn an „fertigen“ Erde.


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Literatur

Compston W & Pidgeon RT (1986)
Jack Hills, evidence of more very old detrital zircons in Western Australia. Nature 321, 766-769.
Fritzsche T (2001)
Millionenverluste: Das Kambrium schrumpft. Stud. Int. J. 8, 22-27.
Kramers J (2001)
The smile of Cheshire cat. Science 293, 619-620.
Mojzsis SJ; Harrison TM & Pidgeon RT (2001)
Oxygen-isotope evidence from ancient zircons for liquid water at the Earth´s surface 4,300 Myr ago. Nature 409, 178-181.
Moorbath S (1986)
The most ancient rocks revisited. Nature 321, 725.
Scherer E; Münker C & Mezger K (2001)
Calibration of the lutetium-hafnium clock. Science 293, 683-687.
Wilde SA; Valley JW; Peck WH & Graham CM (2001)
Evidence from detrital zircons for the existence of continental crust and oceans on the Earth 4.4 Gyr ago. Nature 409, 175-178.

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