31. Jahrgang / Heft 2 - Oktober 2024
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Streiflichter
Rezension
EditorialEiner der stärksten Triebe aller Lebewesen ist unbezweifelbar der Überlebenswille. Das gilt selbstverständlich auch für den Menschen. Davon zeugt nicht nur die in Sagen und Mythen häufig vorkommende Suche nach Unsterblichkeit, sondern dies zeigen auch zahlreiche ausgefallene Bemühungen, das Rätsel der Langlebigkeit bestimmter Lebewesen zu lösen. Gegenwärtige Bemühungen sind vor allem auf dem Gebiet der Genetik angesiedelt. Die Genome besonders langlebiger Organismen werden nach besonderen Abschnitten untersucht, die die Langlebigkeit fördern. Solche Genome werden im Rahmen der Langlebigkeitsforschung als „Methusalem-Genome“ bezeichnet – nach dem gemäß der Bibel langlebigsten Menschen der Geschichte, der dem biblischen Bericht zufolge 969 Jahre alt wurde. Biologische Tatsachen legen dabei nahe, dass diese Lebenserwartung keineswegs abwegig ist. Es sind inzwischen einige Lebewesen bekannt, die im Verhältnis zu vergleichbaren Arten erstaunlich langlebig sind: z. B. der Grönlandwal (geschätzt 200 Jahre), die Galapagos-Riesenschildkröte (ca. 175 Jahre), der Nacktmull (ca. 30 Jahre) und die Brandtfledermaus (ca. 40 Jahre). Wie aktuell üblich, wurden die Genome der Lebewesen zwecks Erklärung der Langlebigkeit untersucht und mit anderen verglichen. Dabei wurde bisher allgemein festgestellt, dass langlebige Organismen z. B. ungewöhnliche Muster in Genen für das Immunsystem, Tumor-unterdrückende Systeme und Resistenz gegen oxidativen Stress bzw. für die Reparatur der DNA aufweisen. Kürzlich wurde das Genom des außerordentlich langlebigen Grönlandhais beschrieben (Sahm et al. 2024, preprint). Seine Lebenserwartung wurde mit-hilfe von radiometrischen Messungen auf ungefähr 400 Jahre geschätzt. Das Genom des Grönlandhais ist mit 6,45 Gigabyte das bisher größte unter den Hai-Genomen und weist besonders viele Genkopien auf (70 % des Erbguts). Besonders häufig liegen Kopien von Genen vor, die für die DNA-Reparatur und das Unterdrücken der Tumorentwicklung zuständig sind. Die Autoren verglichen das Genom des Grönlandhais mit den Genomen anderer Haiarten und stellten besonders viele Ähnlichkeiten zum Erbgut des Weißen Hais fest, der allerdings mit 70 Jahren eine deutlich geringere Lebenserwartung hat – möglicherweise liegt das daran, dass in seinem Erbgut keine Kopien von Genen für die Genomstabilität vorliegen. Beim Versuch einer Erklärung für das Zustandekommen der Langlebigkeit des Grönlandhais ergab sich aus der Perspektive der Evolutionslehre allerdings ein Paradox: Die Entstehung der vielen Genkopien soll das Resultat der Aktivität von Retrotransposons (RT) sein, die jedoch dafür bekannt sind, Doppelstrangbrüche im Erbgut zu verursachen – eine besonders gefährliche Art von Schäden. Als vage Hypothese wurde daher vorgeschlagen, dass die Evolution von RT und Reparaturgenen „verwoben“ gewesen sein soll, was nicht weiter konkretisiert wurde. Aus dieser Perspektive bleibt der Ursprung der Langlebigkeit unerklärt. Festzuhalten bleibt lediglich, dass es sich bei der Langlebigkeit um ein komplexes, von mehreren Genen bedingtes Merkmal handelt. Um nach schlüssigen Erklärungen für den Ursprung komplexer Merkmale in der Biologie zu suchen, ist es erforderlich, die Mechanismen von Umstrukturierungen des Erbguts zu verstehen. Peter Borger beschreibt in seinem Beitrag Vorgänge der genetischen Variation, die sich interessanterweise ganz anders darstellen, als bisher im Rahmen der Mutations-Selektions-Hypothese gemäß Darwin’scher Lesart angenommen wurde. Ein besonders eindrückliches Beispiel für die Variation eines komplexen äußeren Erscheinungsbildes (Phänotyps) sind die Flügelmuster von Schmetterlingen. Nigel Crompton und Reinhard Junker zeigen anhand von genetischen Vererbungsmechanismen, dass die beobachtbare Variation auf vorhandenen Programmen beruht, die abgerufen werden können – und nicht das Resultat des ungesteuerten Wechselspiels aus Mutation und Selektion ist. Ein weiteres hochgradig komplexes biologisches Merkmal ist die Selbstreparatur der Zelle. Wie aus dem Artikel von Boris Schmidtgall hervorgeht, ist sie unverzichtbar für die Lebensfähigkeit eines Organismus. Diese zweite Folge über „Reparaturmechanismen in der Zelle“ zeigt auf, dass nicht nur die DNA, sondern auch die Proteine einer ständigen und äußerst effizienten Reparatur bedürfen. Ein weiteres anspruchsvolles Merkmal von Lebewesen ist die Intelligenz. Generell wird im Rahmen der Paläoanthropologie angenommen, dass die kognitiven Fähigkeiten früher Menschenformen weniger entwickelt waren als diejenigen moderner Menschen. Michael Brandt und Benjamin Scholl begründen die Deutung eines Artefakts mit Ritzmuster als Mondkalender des Homo erectus. Doch auch frühe Steinwerkzeugfunde und Holzwaffen aus Schöningen belegen, dass Frühmenschen schon immer vergleichbar intelligent waren wie der moderne Mensch. Mit weiteren Artikeln zu Themen aus biblischer Archäologie, Biologie und Genetik wünschen wir Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre. Ihre Redaktion STUDIUM INTEGRALE JOURNAL |
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