31. Jahrgang / Heft 1 - Mai 2024
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Kurzbeiträge
Streiflichter
Editorial„Alles Leben ist Problemlösen“ – so lautet der Titel eines Buches des einflussreichen Philosophen Karl Popper. Es geht darin um Erkenntnis, Geschichte und Politik. Aber hat das auch etwas mit der Biologie, der naturwissenschaftlichen Erforschung von Leben zu tun? Die Autoren um Steven S. Andrews (BioEssays 2024, 46, e2300188) wählten in einem kürzlich veröffentlichten wissenschaftlichen Artikel einen recht ungewöhnlichen Ansatz – zumindest wenn man vom mehrheitlich akzeptierten Verständnis der Biologie bzw. Naturwissenschaft im Allgemeinen ausgeht. Sie betrachteten sämtliche biochemische Einrichtungen einer biologischen Zelle im Sinne von Problemlösungen, die erlangt werden müssen, damit eine Zelle leben kann. Diese final orientierte Analyse der Biochemie eines E.-coli-Bakteriums steht im Kontrast zum naturalistischen Konsens, solche Fragen ausschließlich kausal zu betrachten: Eine Zelle existiert, weil bestimmte natürliche Vorgänge zu ihrer Entstehung geführt haben sollen. Überraschend sind auch der Titel der Arbeit „Design-Muster biologischer Zellen“ und entsprechende Vergleiche der biologischen Zelle mit Phänomenen aus der Computerwissenschaft wie etwa Datenverarbeitungssystemen. Dieser Gedankengang ist für Befürworter der intelligenten Schöpfung längst ein alter Hut, stellt aber in naturalistisch orientierter wissenschaftlicher Literatur im Jahr 2024 offenbar eine „neue Perspektive“ dar. Die Autoren schreiben selbst, dass dieser Gedankengang eigentlich nicht ihre Erfindung ist (wobei die Originalquellen der Intelligent-Design-Befürworter unerwähnt gelassen werden) und betonen wiederholt, dass diese Herangehensweise wichtige Erkenntnisse fördert, die auch in der Medizin hilfreich wären. Diese einfache und einleuchtende Analyse hätte völlig ausgereicht, doch die Autoren setzten am Ende noch dazu, dass es sich um „evolviertes Design“ handelt, was ein Oxymoron darstellt – wie etwa „falsche Wahrheit“ oder „lebende Tote“ – und tatsächlich keine Erkenntnis hervorbringt, sondern im Widerspruch mit dem gesamten Inhalt des Artikels ist. Die weltanschauliche Positionierung von Andrews et al. ist nicht überraschend. Dagegen ist es seltsam, dass sie eines der größten Design-Probleme der zellulären Biochemie unerwähnt lassen: die Notwendigkeit, beschädigte Makromoleküle zu reparieren (Nukleinsäuren, Proteine, Lipide). Nahezu alle Sorten von Molekülen in der Zelle sind von einer Zerfallstendenz betroffen, sodass in jeder Zelle ständig abrufbare und hocheffiziente Reparaturmechanismen zur Verfügung stehen müssen, damit die Organismen zumindest einige Zeit überleben können. Von der „Zerbrechlichkeit“ unseres Erbguts, den Nukleinsäuren, und den zellulären Mechanismen, die die Reparatur bewerkstelligen, berichtet Boris Schmidtgall in dieser Ausgabe des Studium Integrale Journal in der ersten Folge einer Serie zu „Reparaturmechanismen in der Zelle“ und der Frage nach ihrem Ursprung. Ein weiterer Beitrag zu einem neuen Befund aus der Biochemie der Zelle wurde von Peter Borger verfasst. Er weist darauf hin, dass diese Entdeckung die lange für unbezweifelbar gehaltene Behauptung „die Natur macht keine Sprünge“ gründlich in Frage stellt. Das Vorhandensein von Genen ohne nachweisbare Geschichte erfordert eine andere Erklärung als kleinschrittige Evolution über lange Zeiten. Gibt es für dieses Problem eine Lösung? Entwicklungssprünge scheinen – entgegen bisheriger Lehrmeinung – ebenso nötig zu sein, um die Entstehung eines einzigartigen Merkmals der Säugetiere durch Evolution zu erklären: die drei säugertypischen Mittelohrknöchelchen. Henrik Ullrich zeigt in seinem Artikel, dass die Annahme einer evolutiven Entstehung von Gehörknöchelchen bei Säugetieren viele Konvergenzen (unabhängige Entstehung gleichartiger Strukturen) erfordert – ein Erklärungsmuster, das lange Zeit bei Befürwortern der Evolutionslehre als problematisch galt. Ein weiteres schwerwiegendes Problem für die etablierten Vorstellungen betrifft die Geschichte der Menschheit. Geht man von der allgemein akzeptierten evolutiven Lesart der Menschheitsgeschichte aus, müssten die Menschen fast über die gesamte Zeit ihrer Geschichte vom Aussterben bedroht gewesen sein. Michael Brandt bietet dazu eine Lösung an, die sich bei Ablegen weltanschaulicher Vorurteile als sehr plausibel erweist. Nicht nur Menschen müssen Probleme lösen, sondern auch Tiere. Eine unverzichtbare Voraussetzung für diese Kompetenz ist die „kulturelle“ Lernfähigkeit, die bisher bei Primaten als Argument für eine gemeinsame Abstammungsgeschichte mit Menschen verwendet worden ist. Benjamin Scholl berichtet in dieser Ausgabe über Hummeln, die nicht nur Probleme lösen können, wie etwa an verdeckte Zuckerlösungen zu gelangen, sondern auch noch fähig sind, das Erlernte an Artgenossen weiterzugeben. Weitere Herausforderungen für das naturalistische Weltbild betreffen das Gebiet der Kosmologie. Neue Daten vom James-Webb-Teleskop haben ergeben, dass die Beschaffenheit ferner Galaxien sich nicht so einfach mit den Erwartungen aus dem kosmologischen Standard-Modell harmonisieren lassen. Ob eine Auflösung dieser Spannung möglich ist, thematisiert Peter Trüb in einem ausführlichen Beitrag. Mit weiteren spannenden Themen aus biblischer Archäologie, Biologie und Paläobiologie wünschen wir Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre. Ihre Redaktion STUDIUM INTEGRALE JOURNAL |
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