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Neu entdeckte Rolle von Introns

Molekularer „Abfall“ erweist sich erneut als funktional

von Boris Schmidtgall

Studium Integrale Journal
26. Jahrgang / Heft 1 - April 2019
Seite 50 - 52


Zusammenfassung: Lange Zeit wurden bestimmte kleine RNA-Abschnitte, die Introns, für molekularen Abfall in der Zelle gehalten, der keine biologische Funktion aufweist. Neuere Untersuchungen an Hefen unter Bedingungen der Nahrungsknappheit förderten das überraschende Ergebnis zutage, dass Introns unter diesen Bedingungen überlebenswichtig sind. Dies bestätigt auf eindrucksvolle Weise die Auffassung, dass Lebewesen intelligent geschaffen sind, und steht damit in einer Linie mit den bahnbrechenden Resultaten des ENCODE-Projekts.


Die Vermutung, dass „die Natur“ nicht verschwenderisch ist, motiviert Forscher wiederholt dazu, etablierte Gewissheiten der Lebenswissenschaften zu hinterfragen. Die lange Zeit gängige Auffassung, dass es sich bei einem Großteil des menschlichen Erbguts um genetischen Abfall handelt, verursachte schon früh bei manchen Forschern Skepsis. Auch wenn die als „Junk-DNA-Hypothese“ bezeichnete Erklärung, dass sich eine genetische Müllhalde über Jahrmillionen durch Evolution angehäuft habe, von vielen für plausibel gehalten wurde, ließen einige Forscher sich nicht davon abhalten, die vermeintlich überflüssige DNA weiter zu untersuchen. Das Ergebnis der umfangreichen Arbeiten im Rahmen des ENCODE-Projekts* sorgte für Erstaunen: Die Indizien sprechen dafür, dass mindestens 80 % des genetischen Materials funktional sind. Bei den restlichen ca. 20 % herrscht noch keine Klarheit bezüglich der Funktion (ENCODE consortium 2012).

Abb. 1: Linke Seite: Strukturformeln der zur Herstellung von Koazervaten verwendeten Polymere. Rechte Seite: Schematische Darstellung der Synthese von Koazervaten aus den entgegengesetzt geladenen Polymeren.

Nun konnte die erstaunliche Effizienz von Organismen an einem anderen Beispiel gezeigt werden. Kürzlich untersuchten zwei wissenschaftliche Gruppen das Spleißen von mRNA bei der (gemeinen) Hefe (Saccharomyces cerevisiae). Das Spleißen ist ein Vorgang, der nur bei Eukaryoten vorkommt. Dabei wird das zunächst aus der DNA transkribierte (umgeschriebene) mRNA-Molekül durch Spleißosomen* (Proteinkomplexe) so verändert, dass bestimmte Sequenzabschnitte herausgeschnitten werden (Abb. 1). Das auf diese Weise erhaltene „reife“ mRNA-Molekül wird dann zu den Ribosomen transportiert und zur Proteinbiosynthese verwendet. Dabei wurde stets beobachtet, dass die ausgeschnittenen Sequenzen, welche als Introns bezeichnet werden, schnell wieder abgebaut werden. Allerdings war es bisher üblich, solche Vorgänge bei normalen Wachstumsprozessen von Hefen zu beobachten.

Dagegen untersuchten Wissenschaftler um Elela (Parenteau et al. 2019) diese Vorgänge in extremeren Lebenssituationen wie z. B. unter einer Nahrungsknappheit, die höchstens ein langsames Wachstum der Hefekultur ermöglichte. Dabei konnten sie nachweisen, dass bestimmte Introns der Hefe in dieser Stresssituation zu einer wesentlich längeren Überlebensdauer verhelfen. Die Autoren der Arbeit kommentierten ihre Arbeit gegenüber den „Nature News“ mit folgenden Worten: „Alle haben uns ausgelacht.“ Denn kaum jemand rechnete damit, dass die für molekularen Abfall gehaltenen und schnell abbaubaren Introns tatsächlich einem biologischen Zweck dienen könnten.

Kaum jemand rechnete damit, dass die für molekularen Abfall gehaltenen und schnell abbaubaren Introns tatsächlich einem biologischen Zweck dienen könnten.

Bei ihrer Experimentreihe gingen die Forscher wie folgt vor: Sie erzeugten etwa 300 Varianten der Hefe, in denen jeweils ein oder wenige (verschiedene) Introns fehlten, und verglichen ihre Wachstumsfähigkeit mit derjenigen von unveränderten Hefen. Unter normalen Bedingungen wuchsen die veränderten Hefen ähnlich schnell wie die natürlichen. Doch sobald die Nahrung knapp wurde, starben 64 % der veränderten Hefen recht schnell ab. Bei weiteren Kontrollversuchen zeigte sich darüber hinaus, dass die modifizierten Hefen schneller wuchsen als die unveränderten, wenn nach einer solchen Mangelsituation erneut Nahrung dazugegeben wurde. Ferner stellten die Forscher fest, dass bei Zugabe der den fehlenden Introns zugrundeliegenden genetischen Information in Form bestimmter Plasmide die veränderten Hefen vor dem schnellen Absterben bewahrt werden konnten. Daher wurde die Schlussfolgerung gezogen, dass die Hefen in Situationen der Nahrungsmittelknappheit durch die Wirkung der Introns länger überleben können.

Als nächstes stellte sich die Frage nach dem Wirkmechanismus, durch den diese kleinen RNA-Abschnitte die Hefe in Mangelsituationen beständiger machen. Es gelang dabei folgenden Zusammenhang zu beobachten: Unter Stress nimmt die Menge an Introns in der Zelle zu und verlangsamt das Zellwachstum. Die Forscher fanden zudem heraus, dass die Introns die Synthese von Ribosomen durch Blockade bestimmter ribosomaler Gene hemmen. Die Ergebnisse von Elela et al. und deren Interpretation wurden durch die Resultate von Morgan et al. (2019) eindrucksvoll bestätigt. Letztere konnten zeigen, dass es in Hefen 34 Typen von „stabilen Introns“ gibt, die in Stresssituationen nicht abgebaut werden. Sie konnten ferner eine Zunahme „stabiler Introns“ beobachten, wenn der Wachstumsfaktor TORC1 gezielt blockiert wurde. Es besteht also ein direkter Zusammenhang zwischen der Aktivität des Wachstumsfaktors TORC1 und der Zunahme an Introns: Wird der Wachstumsfaktor TORC1 blockiert, kommt es zu einer Zunahme an „stabilen Introns“, die dann das Zellwachstum bremsen (Abb. 1).

Dies bedeutet, dass im Fall einer Nahrungs-knappheit die gesamte Proteinsynthese der Hefe auf ein geringeres Level herabgesetzt wird, sodass der Organismus sparsamer mit den vorhandenen Ressourcen umgehen kann. Das schnellere Wachstum der modifizierten Hefen kurz nach Zugabe von Nahrung in einer Nahrungsknappheit resultiert daher, dass die Synthese von Ribosomen deutlich schneller geschieht als bei natürlichen Hefen, die mit den Introns eine „Wachstumsbremse“ haben.

Die Autoren deuten diese Eigenschaft vor dem Hintergrund etablierter Evolutionsvorstellungen, indem sie schreiben: „Unsere Resultate zeigen Funktionen von Introns, die möglicher-weise helfen können, ihren Verbleib in den Genen während der Evolution zu erklären, und zeigen regulatorische Mechanismen der Anpassung der Zellen an Mangelsituationen.“

Der Rückkopplungsmechanismus kann nur funktionieren, wenn Spleißosomen, passende Introns und Ribosomen zeitgleich vorhanden sind.

Es ist allerdings mehr als fraglich, ob die Entstehung eines globalen Rückkopplungsmechanismus, der die gesamte Proteinbiosynthese reguliert, wirklich durch schrittweise Evolution entstehen kann, wie die Autoren selbstverständlich annehmen. Denn der Rückkopplungsmechanismus kann nur dann funktionieren, wenn Spleißosomen, passende Introns und Ribosomen, deren Synthese durch die Rückkopplung reguliert werden kann, zeitgleich vorhanden sind. Eine schrittweise Entwicklung des hier betrachteten Rückkopplungssystems ist auch in keiner Weise beobachtet worden. Der Verweis auf eine evolutive Entwicklung dieses faszinierenden Rückkopplungssystems ist daher spekulativ, zumal es für einen Mechanismus nicht einmal einen theoretischen Erklärungsansatz gibt.

Plausibler erscheint dagegen Planung als Ursache, wie ein Vergleich mit technischen Geräten oder anderen Erzeugnissen aufzeigt: Bei Computern werden Vorkehrungen getroffen, dass die Daten auch im Fall von Schäden erhalten bleiben. Gebäude in Erdbebengebieten werden so gebaut, dass sie möglichst lange bei starken Beben standhalten. Und Hefen sind offenbar so konzipiert worden, dass sie auf Sparflamme leben können, falls Nahrungsmittelknappheit herrscht.

ENCODE-Projekt: Ein umfangreiches, von 30 Forschungsgruppen durchgeführtes wissenschaftliches Projekt, bei dem das menschliche Genom auf funktionelle Elemente hin untersucht worden ist. Das Projekt wurde 2003 vom US-amerikanischen National Human Genome Research Institute initiiert. Intron: Kurze Sequenz innerhalb einer mRNA, die durch das Spleißen herausgeschnitten wird. Introns werden nicht in Proteine übersetzt (translatiert). Die übrigen Abschnitte der mRNA, die Exons, werden zusammengefügt und dann am Ribosom in ein Protein übersetzt. Spleißosom: Ein Proteinkomplex, der das Herausschneiden von Introns aus mRNA-Molekülen bewerkstelligt.


Literatur

O’Donoghue J, Moore L, Connerney J, Melin H, Stallard T, Miller S & Baines KH (2018)
Observations of the chemical and thermal response of ‘ring rain’ on Saturn’s ionosphere. Icarus. doi:10.1016/j.icarus.2018.10.027


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