Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 11. Jg. Heft 1 - April 2004
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Die ältesten Salamander sind modern

von Reinhard Junker & Manfred Stephan

Studium Integrale Journal
11. Jahrgang / Heft 1 - Mai 2004
Seite 31 - 32


Abb. 1: Holotyp von Chunerpeton tianyiensis gen. et sp. nov. von der Bauchseite. ©Mick Ellison, Abdruck mit freundlicher Genehmigung. Originalveröffentlichung: Gao K-Q & Shubin N (2003) Earliest known crowngroup salamanders. Nature 422, 424-428

Die heutigen Amphibien werden in drei Gruppen unterteilt: Frösche (Anura), Salamander (Urodela) und Blindwühlen (Gymnophiona); sie werden als Lissamphibien zusammengefaßt. Ihre evolutive Herkunft liegt im Dunkeln, ebenso gehören ihre Verwandtschaftsbeziehungen zu den größeren ungelösten Problemen der Wirbeltierphylogenie (SCHOCH & CARROLL 2003, 314; CLACK 2002, 275). Lücken von 80-100 Millionen Jahre trennen die ältesten bekannten Vertreter der heutigen Ordnungen von irgendwelchen denkbaren Vorfahren im späten Paläozoikum (SCHOCH & CARROLL 2003, 314; CLACK 2002, 274). Die ältesten bekannten Fossilien der Stammgruppen-Frösche, Blindwühlen und Salamander aus Unter- bis Oberjura sind den lebenden Nachfahren im wesentlichen ähnlich. Es sind keine Fossilien aus dem Paläozoikum bekannt, die offenkundig als Vorfahren in Frage kämen (SCHOCH & CARROLL 2003, 314). Das Fehlen von Fossilfunden sei überraschend, meint CLACK (2002, 274f.), da es in der fraglichen Zeit viele Fossilien von Amnioten (Reptilien) gebe; dies gelte erst recht, wenn man bedenke, daß Amphibien in Wassernähe lebten und starben, weshalb die Chance ihrer Erhaltung eigentlich besonders groß sei. Demnach müßten die zwischen den paläozoischen und mesozoischen Arten vermittelnden Formen längere Zeit in geologisch nicht überlieferten Lebensräumen gelebt haben (vgl. STEPHAN 2002).

Die ältesten Fossilien, die zu einer der Lissamphibien-Gruppen gestellt werden können, stammen aus der Untertrias; sie weisen wenig Ähnlichkeit mit irgendwelchen paläozoischen Formen auf.

In seltenen Fällen scheinen Lebensräume, die gewöhnlich geologisch nicht überliefert sind, doch einmal ein „Geheimnis“ preiszugeben. 1963 fand P.P. VAUGHN in einem Koprolithen (= Kotstein; fossiler Kot) des Unteren Perm von New Mexiko (USA) einen lepospondylen Wirbel (Hülsenwirbel). VAUGHN betont ausdrücklich, daß sich sein Caudalwirbel kaum von dem eines Cryptobranchus unterscheidet. Der Wirbeltierpaläontologe O. KUHN bezeichnet ihn als Vaughniella urodeloides (MÜLLER 1985, 494). Wenn die Bestimmung zutrifft und dieser unterpermische Wirbel große Ähnlichkeit mit dem eines heutigen amerikanischen Riesensalamanders (Cryptobranchus) aufweist, dann erfüllt er nicht die Erwartungen, die man an evolutive Vorläufer der Salamander stellt – obgleich er aus Schichtfolgen stammt, die ca. 100 Millionen Jahre (!) älter als die nächstjüngeren Gesteine mit Salamanderfossilien eingestuft werden (Jura; s.o.). Dieser Riesensalamander aus dem Unterperm ist einem Freßfeind zum Opfer gefallen; sein spärlicher Überrest im Exkrement des Räubers wurde offenbar nur durch besonders glückliche Umstände entdeckt.

Im März 2003 berichteten GAO & SHUBIN (2003) über den ältesten Fund eines Kronengruppe-Salamanders aus dem Mitteljura. (In Kronengruppen werden die heutigen Vertreter einer Gruppe und ihre nächsten Verwandten zusammengefaßt.) Die neue etwa 18 cm lange Art Chunerpeton tianyiensis (Abb. 1) aus der Familie der Cryptobranchidae wurde in vulkanischen Ablagerungen der Jiulongshan-Formation der inneren Mongolei gefunden. Fossilien aus dieser Familie waren bislang erst aus Sedimenten bekannt, die etwa 100 Millionen Jahre jünger datiert werden. Die nächst verwandten Salamander aus der Familie der Hynobiidae sind fossil erst seit dem Miozän (ca. 5 Millionen Jahre) bekannt. Aufgrund des neuen Trias-Fundes muß evolutionstheoretisch angenommen werden, daß die Vorfahren der Cryptobranchidae und Hynobiidae vor dem Mitteljura gelebt haben. Für beide Gruppen, insbesondere für die Hynobiidae, muß daher für die meiste Zeit ihrer Existenz wiederum angenommen werden, daß sie in geologisch nicht überlieferten Lebensräumen gelebt haben.

GAO & SHUBIN (2003, 428) stellen fest, daß die neue Cryptobranchiden-Art ihren lebenden Verwandten außerordentlich ähnlich ist. Diese Ähnlichkeit unterstreiche die Stasis (Stillstand) in der anatomischen Evolution der Salamander. Die Cryptobranchiden könnten daher als lebende Fossilien betrachtet werden, deren Bau sich während 160 Millionen Jahren nur geringfügig verändert hat.

Solche Beispiele mehren sich. Sie zeigen, daß nicht nur eine schöpfungsorientierte, sondern auch die evolutionsorientierte Paläontologie zunehmend geologisch nicht überlieferte Lebensräume in Rechnung stellen muß, um die fossilen Befunde zu erklären (vgl. STEPHAN 2002).Dasgiltvorallem,wenn aufgrund molekularer Stammbäume sehr große, nicht überlieferte „Vorläuferzeiten“ postuliert werden. Das ist besonders vor der Präkambrium-Kambrium-Grenze der Fall. Hier können die angenommenen „Vorläuferzeiten“ mehrere Hundert Millionen Jahre (!) betragen (vgl. JUNKER 2001a; b).

Literatur

CLACK JA (2002)
Gaining ground. Bloomington & Indianapolis.
GAO K-Q & SHUBIN N (2003)
Earliest known crown-group salamanders. Nature 422, 424-428.
JUNKER R (2001a)
Erste Landpflanzen und molekulare Uhren. Stud. Int. J. 9, 42f.
JUNKER R (2001b)
Das Präkambrium-Kambrium-Problem: Molekulare Uhren und Fossilien. Stud. Int. J. 8, 83-85.
MÜLLER AH (1985)
Lehrbuch der Paläozoologie, Bd. III, Teil 1: Fische im weiteren Sinn und Amphibien. 2. Aufl. Jena.
SCHOCH RR & CARROLL RL (2003)
Ontogenetic evidence for the Paleozoic ancestry of salamanders. Evolution & Development 5, 314-324.
STEPHAN M (2002)
Der Mensch und die geologische Zeittafel. Holzgerlingen.

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