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![]() | Die evolutive Bewertung der Technikkomplexe innerhalb der Steinwerkzeugkulturen ist ein wesentlicher Bestandteil der menschlichen Evolutionsforschung. Man ging bis vor kurzem davon aus, daß vor etwa 2 Millionen Jahren eine Homo-Form aus primitivsten Abschlagtechniken die Olduvai-Kultur entwickelte (um 1,8 MrJ), aus der wiederum im Zuge der menschlichen Evolution komplexere Techniken hervorgingen. Doch seit geraumer Zeit mehrten sich die Zweifel an dieser Abfolge. Inzwischen sind weit vor den einfachen Olduvai-Funden in Ostafrika Steinwerkzeuge entdeckt worden, die nicht nur älter, sondern auch wesentlich komplexer sind, als man es für diese Zeit für möglich gehalten hätte.
Steinwerkzeugfunde in Lokalalei und Gona. Inzwischen jedoch wurden neue Funde entdeckt, die für ihr sehr hohes Alter eine erstaunlich komplexe Technik aufweisen. Diese Werkzeuge sind nicht nur um ca. eine halbe Million radiometrische Jahre älter als die Olduvai-Funde, sondern weisen zudem eine enorme Komplexität auf, was die Handhabung des Rohmaterials betrifft (Roche 1999). Die Fundstelle in Lokalalei 2C (2,3 MrJ) nahe dem Westufer des Turkana-Sees gehört neben den beiden äthiopischen Fundstellen Hadar (2,3 MrJ) und Gona (2,5 MrJ) zu den wenigen gut dokumentierten Fundstellen, die aus dem Pliozän stammen (siehe Abb. 2 im Beitrag über Australopithecus garhi in dieser Ausgabe). Die sehr gute Erhaltung der Fundplätze in Lokalalei 2C erlaubte es, aus den fast 3000 Funden eine Reihe der abgeschlagenen Steinsplitter zumindest teilweise wieder zum ursprünglichen Rohling zusammenzufügen (Abb. 1). Solche Rekonstruktionen waren zwar schon an den jüngeren Werkzeugen aus Koobi Fora gelungen, aber die um eine halbe MrJ ältere Fundstelle Lokalalei 2C erlaubte nun interessante Rückschlüsse: in ca. 60 Fällen ließen sich scharfkantige Abschlagsplitter zusammensetzen, die eine erstaunliche Präzision der Schlagtechnik offenbaren (Abb. 2). Bis zu 20 solcher Abschläge wurden aus einem einzigen Lava-Rohling gewonnen. Dies ist eine beachtliche Leistung, welche ohne die entsprechenden kognitiven und morphologischen Voraussetzungen nicht denkbar wäre. Es wird in der Literatur immer wieder betont, daß die Beherrschung einer solchen Abschlagtechnik nicht zu unterschätzen sei (Steele 1999).
Die erstaunliche Komplexität, die die Herstellung der Lokalalei 2C-Werkzeuge vermuten läßt, und ihr hohes Alter rütteln an momentan gängigen phylogenetischen Vorstellungen: Offensichtlich wechseln einfache und komplexe Werkzeugkulturen einander ab, ohne daß man eine direkte Korrelation mit einem beobachtbaren evolutiven Fortschritt möglicher Hersteller erkennen kann. Deshalb diskutieren die Autoren der neueren Veröffentlichungen häufiger auch nicht-evolutive Ursachen. Die Beschreiber der Lokalalei-Funde erklären die hohe Diversität ihrer Funde mit dem Bedarf und dem Materialangebot. Besonders eindrucksvoll sind die winzigen, fast filigranen Steinwerkzeuge von Omo, die keine eigene Kulturform darstellen, sondern sich einfach aus dem Fehlen von größeren Rohlingen erklären lassen. Auch Heinzelin et al. (1990) erklären z.B. die Abwesenheit von Abschlägen am Schlachtplatz von Bouri mit der Spärlichkeit geeigneten Materials vor Ort. Die Rohlinge oder die fertigen Steinwerkzeuge mußten von weither mitgebracht werden, sodaß sie sparsam eingesetzt wurden. Dies deutet auf die individuelle Reaktion der - offensichtlich intellektuell kompetenten - Hominiden auf die jeweilige Lebenssituation. Die hohe Diversität spätpliozäner Steinwerkzeug-"Betriebe", sogenannte "Schulen" unterschiedlicher Komplexitätsstufen, können also nicht mit der Fortschrittlichkeit oder Primitivität der Hersteller in Zusammenhang gebracht werden, sondern lassen sich durch äußere "wirtschaftliche" Faktoren wie "Angebot und Nachfrage" erklären. Diese Adaptations- und Funktionalitätsaspekte wurden schon früher an anderer Stelle diskutiert (Hartwig-Scherer 1991) und könnten sich auch weiterhin für die Interpretation anderer Fundkomplexe als sinnvoll erweisen. | ![]() |
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Wer waren die Hersteller?Insgesamt kommen für die frühen, teilweise über 2,5 MrJ alten Funde aus Ostafrika aufgrund der räumlich-zeitlichen Rahmenbedingungen des Fossilbefundes vier verschiedene Hersteller in Frage, die jedoch alle nicht (mehr) zur Gattung Homo zählen: Paranthropus (Australopithecus) aethiopicus, Australopithecus (Homo) rudolfensis, Australopithecus (Homo) habilis und Australopithecus garhi. Unweigerlich belebt dies eine alte Frage der Paläanthropologie: Stellten die Australomorphen, d.h. die Australopithecinen im weiteren Sinn, Steinwerkzeuge her? In den letzten Jahrzehnten ging man weitgehend davon aus, daß Australopithecinen nicht die Urheber der einfachen Olduwan-ähnlichen Steinwerkzeuge gewesen seien, sondern daß dafür nur Homo-Formen verantwortlich wären. Momentan jedoch scheint sich hier möglicherweise ein Paradigmenwechsel anzubahnen. Bis vor kurzem wurde "Homo" habilis als der erste Steinbearbeiter angesehen, wie sein Name - der geschickte Mensch - andeuten sollte (Leakey 1964). Ungefähr zeitgleich mit den oben beschriebenen Steinwerkzeugfunden in Gona und Lokalalei wurde - ebenfalls im Jahr 1994 - in Hadar zusammen mit typischen Olduvai-Steinabschlägen ein auf 2.33 MrJ datiertes Oberkieferfragment (AL 666-1) gefunden (Kimbel 1997), das mit seinen morphologischen Affinitäten zu "Homo" habilis als primitiver Vorläufer und eben auch als Urheber all dieser frühen Werkzeuge vorgestellt wurde. Inzwischen jedoch wurde diese Gruppe als Australopithecus habilis reklassifiziert (siehe Wood 1999 und den Beitrag über "Homo" habilis in dieser Ausgabe). Besonders aktuell sind Befunde um den neuen Australopithecus garhi (Asfaw 1999; siehe den Beitrag über A. garhi in dieser Ausgabe) als potentiellen Hersteller (oder nur Nutzer?) der Olduvan-ähnlichen Werkzeuge (Heinzelin et al. 1999). Man fand nämlich in der Nähe des Teilskelettes, das man im Moment wegen seiner räumlichen Nähe zu den diagnostisch relevanten Schädelteilen Australopithecus garhi zuschreibt, Säugerknochen mit Schnittspuren, die von der Bearbeitung mit scharfen Steinabschlägen stammen und nicht von Raubtierzähnen verursacht wurden (Heinzelin 1999, Abb. 1). Da man nur sehr sporadisch Abschläge vor Ort fand, also keine "Industrie" wie im 100 km entfernten Gona, gehen die Beschreiber davon aus, daß aufgrund des Mangels von größeren Rohlingen diese woanders produziert und absichtsvoll zum Metzgerplatz transportiert wurden, eine Verhaltensweise, die als recht "fortschrittlich" einzustufen ist. Doch die morphologischen Gegebenheiten, die nach Marzke und Kollegen (Marzke 1998) für die Herstellung von Olduvai-Werkzeugen unbedingt notwendig sind, sind entweder aufgrund des mageren Fossilbestandes auch an den viel jüngeren habilis-Formen nicht nachvollziehbar oder, wenn vorhanden, dann scheinen sie für solcherart komplexe Manipulationen ungeeignet. Zu den manipulativen und kognitiven Voraussetzungen der anderen zeitgleichen ostafrikanischen Formen Paranthropus aethiopicus, "Homo" alias Australopithecus rudolfensis und Australopithecus garhi läßt sich aufgrund mangelnder fossiler Handknochen wenig sagen. Auch wenn man momentan vom direkten Fossilbefund nur australomorphe Formen aus dieser Zeit kennt, sind diese nicht zwangsläufig auch die Hersteller. Die Fossilsituation kann und wird sich mit jeder Grabungs-Saison ändern. Es wäre angesichts des allgemeinen Umbruchs nicht allzu verwunderlich, wenn andere Formen, auch solche aus der Gattung Homo zutage kämen. Im Moment bleibt die Frage nach dem Hersteller offen. | ![]() |
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