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EinführungE. Rutte, emeritierter Würzburger Geologe und Paläontologe, hat sich seit Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn besonders mit der tertiären Vorgeschichte und quartären Geschichte süddeutscher Flüsse beschäftigt1. Dazu gehören auch die Folgen des Ries-Meteoriteneinschlags, allein schon wenn man bedenkt, daß bereits durch den Auswurf der Trümmermassen in die Umgebung des Einschlagareals zwischen Schwäbischer und Fränkischer Alb das Relief der Landschaft eingeebnet wurde, so daß die vorhandenen Abflüsse sich anders orientieren mußten (vgl. z.B. Simon 1988, 244-247). Jedoch unterscheidet sich die Arbeitsweise Ruttes insofern von der sonstigen, als er (und ansatzweise auch Saier und Buchner; s.u.) enorme zusätzliche Bildungsbeziehungen herstellt zwischen dem Riesereignis auf der einen Seite sowie überregionaler Tektonik und großräumigen Erosions- und Sedimentationsprozessen auf der anderen Seite. In diesem Beitrag können nicht alle geologischen und mineralogischen Aspekte erörtert werden, aber es sollen die (z.T. hypothetischen) Vorgänge herausgestellt werden, die mehr oder weniger katastrophisch anmuten und sich an das Riesereignis zeitlich anschließen bzw. sich davon ableiten lassen. Natürlich war die Aussprengung des Rieskraters von 25 km Durchmesser, wahrscheinlich durch den Einschlag eines etwa 1 km großen Steinmeteoriten vor 14,7 - 15 Millionen radiometrischen Jahren (im tiefen Obermiozän) mit einer Energiefreisetzung entsprechend ca. 300.000 Hiroshima-Atombomben, eine ungleich größere Katastrophe als alles, was sich daran anschloß (Chao et al. 1983; Reiff 1988; Hüttner 1990; Tollmann & Tollmann 1993, 289-294, 518-520; Buchner 1998, 401). Um in diesem sensiblen Umfeld die Positionen Ruttes möglichst objektiv darzustellen, werden im ersten Teil zahlreiche, auch längere Zitate vor allem aus seinen Publikationen angeführt und eigene Erwägungen möglichst deutlich davon abgehoben. Im zweiten Teil werden dann die Hypothesen Ruttes und Buchners diskutiert. |
Das Ries-Ereignis - Auslöser überregionaler Tektonik sowie großräumiger Erosions-, Sedimentations- und Verkieselungsprozesse?Nach Rutte (1987, 25) werden in der Südlichen Frankenalb "recht häufig Massenkalk, Kelheimer Kalk, selbst der Lithographische Schiefer, ferner Kreide- und Molassesandsteine vollkommen verkieselt angetroffen. Er spricht von "'Imprägnationen durch Kieselsäureregen' sowie von der 'in-situ-Verkieselung' - ohne die Art und Weise der Zufuhr deuten zu können", und fragt: "Ist die Kieselsubstanz geschmolzener Steinmeteorit? Oder ist sie in der Kontaktnahme des noch frischen Auswurfmaterials mit dem Gestein der Landoberfläche angesammelt worden?"2 (Hervorhebungen - auch im folgenden - nicht im Original) Rutte (1987, 27) schreibt unter der Überschrift "Die weiter reichenden Effekte": "Dem Riesereignis verdanken wir eine bis in die Gegenwart reichende Veränderung der Lagerungsverhältnisse Süddeutschlands: Schwäbische Alb samt Schwarzwald beginnen großzügig zu steigen, während östlich vom Ries das Areal der Astrobleme, also Südliche Frankenalb und Bayerischer Wald, gleichsam stehenbleibt. Auffallend ist, daß dort die Nivellierungsfläche auf über 200 Kilometern die gleiche Höhe einhält - bis heute." Die Jahre nach dem Riesereignis werden so geschildert: "Alles Leben ist erloschen. Auf die oft mehrere hundert Meter hohe, noch heiße Masse aus steinigem Staub oder Glasasche stürzen die auf solche Ereignisse zwangsläufig folgenden Regenwasserfluten". "Von der offenbar nicht nennenswert auswurfüberstreuten Schwäbischen Alb, vom Hesselberg und Gelben Berg stürzen ungeheure Regenwasserfluten ungehemmt in Richtung Süden, hinein in das Tiefengebiet der ehemaligen Helvetischen Straße. Hier stoßen sie mit den vom Albsteinareal heranbrausenden Wassern zusammen, können aber weder nach Westen - wo sich die Schwarzwaldregion gehoben hatte - noch nach Osten - wo die Berge des Riesauswurfs eine unüberwindliche Sperre bilden - entwässern. Zwangsläufig toben sich die Energien im obersten Gestein, den Kirchberger Schichten, aus. Abgesehen von den von der Oberen Süßwassermolasse bedeckten Distrikten werden Kies, Sand und Ton immer wieder, Schwall auf Schwall, aufgerissen, gemischt, sortiert, Unteres nach oben gebracht; die helvetischen Meeresminerale, die Muscheln und Haifischzähne werden umgelagert und neu gebettet. Zugleich gelangen Alemonite bis in den Hegau (umgelagerte Kieselknollen und andere verkieselte Gesteine bei der Autobahnzufahrt Engen). Ein breiter Streifen des nördlichen Albsteinareals fällt der Erosion zum Opfer" (ebd., 28; vgl. Blockbild 1).3 |
Zu den durch die Regenwasserfluten bewirkten Umlagerungen im Areal der bereits vor dem Riesereignis primär eingebetteten Langenauer Fossilien (nordöstlich Ulm) heißt es weiter bei Rutte (1987, 28f.): "Die schönsten Beweise für das Wirken der Fluten erhalten wir über die neue Fossilfundstätte Langenau, und zwar über die Art der Einlagerung der Skelettelemente der vielen großen und kleinen Tiere, vor allem der Dinotherien" (Abb. 6); dazu zitiert er Heizmann (1984, 37): "Im Bereich des Geländeeinschnittes, in dem die Fundstelle lag, wurden auch bis kubikmetergroße Jurakalkblöcke gefunden, die auf eine zeitweilig erhebliche Transportenergie des hier fließenden Gewässers schließen lassen", und folgert: "So erklären sich auch zwanglos die zwischen den Landsäugerknochen verteilten brackischen Muscheln und die Heringsfische: sie sind von den gleichen Wogen aus den Kirchberger Schichten aufgearbeitet" (vgl. Rutte 1987, 20f.; Buchner 1998, 452f.; Böttcher 1987, 4-6). "Über die vom Albsteinareal kommenden Wassermassen und deren enorme Erosionskraft" führt Rutte (1987, 29) eine eigene Beobachtung aus der Kartierung der Molasse bei Owingen (nahe Überlingen) an: "Dort lagert auf geflammten Letten der Sandschiefer ein kleines Vorkommen des Mischhorizontes der erweiterten Graupensandrinne. Das lokale Auftreten von Geröllen des Mischgeröllhorizontes etwa einen Kilometer innerhalb des Albsteinareals kann nur durch die Annahme einer von Norden nach Süden fjordartig vorstoßenden, sehr schmalen, einen Schottertransport gestattenden 15 Meter tiefen Schlucht erklärt werden." Die Sedimentdecke des Schwarzwaldes wird abgeschält.Rutte (1987, 35) begründet seine Sicht, die Rieskatastrophe habe überregionale tektonische Auswirkungen gehabt, so: "Daß der Schwarzwald wie auch die Schwäbische Alb im Riesereignis gehoben waren, ist an der unmittelbar darauf einsetzenden, mehr oder weniger intensiven Abtragung in Richtung zum südlich gelegenen Molassebecken zu erkennen. Demgegenüber verhalten sich die Vogesen durchaus unauffällig. Es sedimentieren nun die Wanderblockformation des Basler Jura und, zwischen Basel und Schwäbischer Alb, die Juranagelfluh" (Blockbild 2). "Zumindest für die Nordschweiz ist nicht auszuschließen, daß der Transport beider in vielfacher Hinsicht doch recht eigenartigen Gerölleinheiten vom katastrophalen Regen nach dem Riesereignis initiiert wurde. Die Komponenten sind gewöhnlich groß, wenn nicht gar riesig, und sie liegen in auffälliger Menge weit vom Herkunftsort entfernt. Zudem sind die bis kubikmetergroßen Wanderblöcke in der Regel Verkieseltes; und das beobachtet man auch immer wieder in der Juranagelfluh" (Rutte 1987, 35). Die Wanderblöcke und auch wenig Juranagelfluh werden später, Ende Altpliozän, von der Faltung des Schweizer Jura ergriffen "und in Mulde oder Scheitel in Höhen zwischen 400 bis 1150 Metern" gehoben (ebd., 53). Daher findet man sie heute über die Berge und Täler der Juraketten südlich von Basel verteilt. "Die größten Blöcke erreichen einen Meter Durchmesser; die Masse ist immerhin kopf- bis doppelkopfgroß. Bei 80 Prozent der Komponenten handelt es sich um sekundär verkieselten Buntsandstein. Er ist auffällig gut abgerollt und gewöhnlich umgeben ihn Eisenrinden. Die anderen Gerölle bestehen im wesentlichen aus - stets verkieselten - Materialien, die nur aus Norden, dem Südende des Rheintalgrabens, aus den Dinkelbergen und aus dem Schwarzwald, der seinerzeit noch mit Trias bedeckt war, gekommen sein können: Muschelkalk, Lias, oligozäne Süßwasserkalke, auch Doggeroolith. Der Transport vom Anstehenden zum gegenwärtigen Lager muß über eine Distanz von mindestens 20 Kilometern unter Entfaltung allergrößter fluviatiler Kräfte stattgefunden haben" (ebd., 36). "Auch die Juranagelfluh zeigt die Abschälung der damals noch vorhandenen Sedimentdecke auf dem Kristallin des Schwarzwaldes an (...). In der Schweiz können wir die Juranagelfluh als eine paläogeographisch bedingte Vertretung der Wanderblöcke betrachten. Im Laufenbecken verzahnen sich die beiden Schüttungen. Sie sind also gleichzeitig gebildet worden. Südlich Basel besteht die Juranagelfluh aus 50 Prozent Dogger, je rund 20 Prozent Muschelkalk bzw. Malmkalk, der Rest ist Buntsandstein, Süßwasserkalk und Kristallin. Die Komponenten - viele davon sind verkieselt - können einen Durchmesser von 50 Zentimetern erreichen. Die Rundung ist bei Buntsandstein vollkommen, sonst ungleichmäßig, oft nur angedeutet. Die Verfestigung wechselt von Ort zu Ort; teils sind die Komponenten zu Nagelfluh verbacken, teils sind sie locker einem alles in allem recht geringen Bindemittel eingestreut. Die sedimentologischen Eigenheiten und die Unterschiede zu den Wanderblöcken erklären sich in erster Linie aus der Tatsache, daß die Juranagelfluhvorkommen von der Jurafaltung weniger ergriffen worden sind" (ebd., 36). Zwischen den Gerölltransport-Stromsystemen gab es auch vergleichsweise ruhige Bezirke wie die Süßwassermergel und -kalke von Anwil als reichhaltigste Fossilfundstätte des Schweizer Miozäns (ebd.). |
Ein letztes Zitat zur Juranagelfluh (vgl. Abb. 3 und 4): "Im Hegau stürzen aus canonartigen Rinnen Geröll- und Schlammströme heraus in die Senke der Oberen Süßwassermolasse und verdrängen in oft gewaltigen Kegeln die Glimmersande. Die Juranagelfluh besteht hier weniger aus Geröllen als hauptsächlich aus kalkigem, sandigem, gelbbraunem Mergel, hervorgegangen aus den aufgearbeiteten weicheren Schichtserien des Deckgebirges auf der Ostabdachung des Schwarzwaldes. Auch auf der Schwäbischen Alb ist die Juranagelfluh ein Verband schlecht sortierter, meist grober Malmkalkgerölle in einer oft dominierenden Matrix kalkreicher gelbbrauner Mergel. In der Westalb sind die Verbände gelegentlich in zusammenhängenden Decken erhalten; ansonsten handelt es sich, wie vielerorts auf der Ostalb, um einen dünnen Lesesteinschleier. Am Saume zur Molassesenke stellen sich, ähnlich den Verhältnissen im Hegau, gefüllte Rinnen mit Schwemmfächern ein - aber keineswegs in der Mächtigkeit wie dort" (ebd., 36; vgl. Schreiner 1965, 335; Blockbild 3). |
DiskussionMeteorologische und tektonische Auswirkungen von Impakten.Die gewaltigen Regenwasserfluten als Ursache der enormen Erosions- und Sedimentationsprozesse sind u.a. bedingt durch das vom Impakt hochgeschleuderte staubige Feinstmaterial, das noch lange Zeit in der Atmosphäre verblieb und den Regentropfen als Kondensationskerne diente (vgl. Rutte 1974a, 422; 1974b, 113f.; 1987, 24).4 Allerdings waren die Wassermengen nicht so groß wie etwa beim Kreide-Tertiär-Grenzimpakt, als ein Meteorit von ca. 10 km Durchmesser im Küstenbereich der mexikanischen Yukatan-Halbinsel ins Meer einschlug (vgl. Pailer 1997) und dabei riesige Meerwasser-Dampfmengen in die Atmosphäre beförderte, die anschließend als Sturzregen zur Erde fielen (Tollmann & Tollmann 1993, 36-39, 62-64). Aber auch die vom Riesereignis initiierten Regenwasserfluten werden die Landschaft in erheblichem Maß umgestaltet haben. Weiter sieht Rutte durch den Riesimpakt großräumige tektonische Veränderungen ausgelöst: die Heraushebung von Schwarzwald und Schwäbischer Alb, nicht aber die Regionen östlich des Rieses, also Südliche Frankenalb und Vorwald-Fläche des Bayerischen Waldes. Auch das Gebiet westlich des Schwarzwaldes (und der Oberrheinebene), nämlich die Vogesen, heben sich nicht heraus. Das schließt Rutte u.a. aus folgender Beobachtung: Schwarzwald und Schwäbische Alb unterliegen "der unmittelbar" auf das Riesereignis "einsetzenden Abtragung in Richtung zum südlich gelegenen Molassebecken"; dagegen "verhalten sich die Vogesen durchaus unauffällig", d.h., von ihnen sind keine auffälligen Erosionsprozesse zu vermelden (Rutte 1987, 27, 35; s.o.). Gemeint ist offenbar: Durch die Hochlage konnte sich die Erosion nur bei Schwarzwald und Schwäbischer Alb sehr intensiv auswirken, nicht aber bei den Vogesen. Von anderen Voraussetzungen ausgehend, hat sich nach Schreiner (1965, 341) im Nordwesten das Schwärzwälder Einzugsgebiet der Hegauer Juranagelfluh "pultförmig herausgehoben". Diese "Aufkippung, vielleicht nach einer besonders starken Bewegung zu Beginn", dauerte während der ganzen Juranagelfluh-Schüttung an; jedoch "eine Gesamtaufkippung gleich zu Beginn des Obermiozäns wäre an sich auch denkbar und würde mit der erhöhten tektonischen Unruhe dieser Zeit im Einklang stehen". Allerdings erklärt nach Schreiner eine sofortige Gesamtaufkippung kaum, warum "in hohen Lagen der Juranagelfluh noch ebenso grobes Geröll transportiert wurde wie in tieferen" (s.u.). Mit dem späteren Ausklingen der Heraushebung (Aufkippung) endet dann die Juranagelfluh-Geröllschüttung (ebd., 343). Die tektonische Unruhe dieser Zeit sieht Schreiner auch dadurch als gegeben an, daß im Hegau etwa die Absenkung an der Immendinger Flexur eine bedeutend mächtigere Juranagelfluh-Sedimentation auf der Tiefscholle bewirkt; ebenso fällt an der Randenverwerfung die tektonische Absenkung mit der Verfüllung der Tiefscholle zeitlich zusammen (ebd., 348). Für Saier (1985, 126-128) ist weniger der Aufstieg des Schwarzwaldes als vielmehr die tektonische Absenkung im Hegau der Hauptgrund für die Anlieferung und Anhäufung mächtiger Juranagelfluh-Ablagerungen. Schreiner und Saier leiten die Tektonik nicht wie Rutte vom Riesereignis ab, bestätigen sie aber als solche für die Zeit des Obermiozäns. Wie kommt es zu Schollenbewegungen durch einen Impakt? Der Einschlag eines Himmelskörpers entsprechender Masse bewirkt nach Tollmann & Tollmann (1993) u.a. eine Erdbebenkatastrophe ungekannten Ausmaßes, ein sogenanntes Impaktbeben. "Schon ein Impaktor mit 100 Milliarden Tonnen" - das sind nur ein Zehntel der Masse des Endkreide-Boliden - "würde eine 500 bis 2500mal stärkere Bebenwirkung als die stärksten irdischen Beben erzielen" (letztere liegen auf der Richter-Skala bei ca. 9). Dabei kommt es "zu großräumigen Landschaftsveränderungen, weil sich in tektonisch aktiven, unter Spannung stehenden Regionen Schollen der Erdkruste heben oder senken, kippen oder sich verformen" (ebd, 42). Schon bei einer Großkatastrophe wie dem Sagami-Beben nahe Tokio im Jahre 1923 (Seibold 1995, 43-46), das nicht zu den stärksten irdischen Erdbeben zählt (Richter-Skala 8,2), traten Hebungen des Ozeanbodens bis zu 250 m auf, während andere, nahe gelegene Teile des Meeresbodens um 466 m absanken (Tollmann & Tollmann 1993, 150).5 Und bei dem Agadir-Beben vor Marokko 1960 (Richter-Skala 5,9; Seibold 1995, 272) - erheblich schwächer als das Sagami-Beben -, wurden küstennahe, 360 m tiefe Gebiete bis 14 m unter den Meeresspiegel gehoben; gleichzeitig senkte sich ein landferner gelegener Teil des Meeresbodens von 360 m auf 1350 m ab (Tollmann & Tollmann 1993, 150). |
Grundsätzlich gesehen kann unter diesen Voraussetzungen den tektonischen Hypothesen Ruttes die Plausibilität wohl nicht abgesprochen werden. Schon in den "Jahre(n) nach dem Riesereignis" hatte sich nach ihm "die Schwarzwaldregion gehoben" und der katastrophale Wanderblock-Transport sowie die enorme Juranagelfluh-Schüttung eingesetzt. Und von der Schwäbischen Alb und weiter nordöstlich "stürzen ungeheure Regenwasserfluten ungehemmt in Richtung Süden" in das Molassebecken, transportieren (am Top der Graupensandrinne?) Alemonite bis in den Hegau und schichten das oberste Gestein, die oberen Kirchberger Schichten, um (Rutte 1987, 28, 35; s.o.). Rutte (ebd., 28) zitiert in diesem Zusammenhang Schreiner (1976 = 1984, 18): "Die Ausräumung der Graupensandrinne und deren Füllung mit zum Teil fluviatilen Sedimenten nordöstlicher Herkunft (Graupensande) und mit grobem Geröll und staubfeinem Sand alpiner Herkunft enthält sedimentologische und paläogeographische Probleme, die noch nicht gelöst sind", die Rutte aber wohl z.T. zu lösen meint.6 Neue Erkenntnisse zu Ereignissen nach dem Ries-Meteoriteneinschlag.Nach der neuen Hypothese von Buchner (1998) könnten die von Schreiner benannten Probleme möglicherweise noch besser gelöst werden. Hatte Rutte - abgesehen von Wanderblöcken und Juranagelfluh! - lediglich Sedimente im höchsten Teil der Graupensandrinne, den obersten Kirchberger Schichten, von den postimpaktischen Regenwasserfluten anliefern und umlagern lassen, so setzt Buchner die Auswirkungen des Riesimpakts stratigraphisch tiefer an. Nach ihm gehen nicht nur Transporte und Umlagerungen am Top der Kirchberger Schichten, sondern vielmehr die Sedimente des gesamten unteren Teils der Rinne selbst, also die Graupensande, auf das Riesereignis zurück (Karte 1, Nebenkarte). Er beschreibt sowohl aus einer geringmächtigen Bentonitlage ("Impakt-Bentonit") im Liegenden7 als auch aus den überlagernden, ca. 15 m mächtigen Graupensanden selbst das ganze Inventar der vom Riesimpaktor bewirkten Stoßwellenmetamorphose, vor allem die geschockten Quarze (Buchner 1998, 413-423, 432-434).8 Die Graupensande stammen demnach also im wesentlichen nicht - wie im Lehrbuch beschrieben (Geyer & Gwinner 1986, 206) - aus der Bayerisch-Böhmischen Masse (so z.B. Lemcke 1985, 13-16; Zöbelein 1995, 6-8, 95) und ebensowenig die "alpinen" Gerölle im Bodenseegebiet aus den Alpen (so z.B. Schreiner 1992a, 64; vgl. Buchner 1998, 406), sondern es handle sich um ausgesprengte Riestrümmermassen, z.T. aus dem kristallinen Grundgebirge, die nach dem Auswurf fluviatil aufgearbeitet (ebd., 448), auf einer Länge von ca. 80 km seitlich in die Graupensandrinne befördert und in der Rinne weit nach Südwesten bis in die heutige Schweiz verfrachtet wurden (Buchner et al. 1996, 179; Karte 2). Während nach Saier (1985, 106) für den Transport der zu Graupensanden aufgearbeiteten Riestrümmermassen "riesige Wassermassen notwendig waren", die er (im Anschluß an eine Erwägung Ruttes) von postimpaktischen Regenwasserfluten herleitet, äußert Buchner sich nicht zu dieser Hypothese, obgleich die beschriebenen sedimentologischen Befunde auf besondere, schnelle, von Buchner selbst herausgestellte Bildungsbedingungen und "auf eine relativ hohe Energie dieses verzopften Flußsystems hindeuten" (ungewöhnliches Korngrößenspektrum: vor allem Fein- und Mittelkiese = "Graupen", aber auch Sande; fehlende Sortierung und fehlende Abnahme der Korngröße von Osten nach Westen trotz einer Länge der Rinne von 300 km; stark schwankende lithologische Zusammensetzung der Sedimente selbst in benachbarten Aufschlüssen; meist trogförmige Schrägschichtung; dezimetergroße Gerölle bis meterdicke Blöcke am Rinnenboden; sehr rasches Einsetzen und abruptes Ende der Graupensandschüttung; Buchner 1998, 440; vgl. 404-407, 424, 440-442). "Der Graupensandfluß war in Anbetracht seiner Ausmaße und Auswirkungen ein großer Strom" (Zöbelein 1995, 96). |
Sehr bedeutsam ist auch, daß Buchner (1998, 408, 423-427) aus der Graupensandrinne ebenfalls eine nahezu umfassende Verkieselung aller nicht primär kieseligen Komponenten, auch der Jurakalk-Gerölle, beschreibt. Er erklärt das Phänomen aber nicht als spontanes Ereignis wie Rutte (s.o.; ablehnend auch Beyer 1974), sondern als längerfristigen Prozeß der Umwandlung von aus Impaktschmelze stammendem Gesteinsglas in Quarz und seiner in großen Mengen erfolgten Verfrachtung in die Rinne. Zur stratigraphischen Neueinstufung der Brackwassermolasse.Nachdem Untere und Obere Meeres- sowie die Untere Süßwassermolasse sich gut mit der eustatischen Meeresspiegelkurve der Paratethys korrelieren lassen, nicht aber Brackwasser- und unterer Teil der Oberen Süßwassermolasse, schlägt Buchner (1998, 443-447) für die letzteren eine neue stratigraphische Einstufung vor (Tab. 1). Einige stratigraphische Probleme der Neueinstufung werden von Buchner (1998, 451-453) nur knapp andiskutiert und brauchen hier nicht behandelt zu werden9, aber der folgende Satz (ebd., 452) scheint bemerkenswert: "Die relative Abfolge der Säugerzonen-Stratigraphie kann also in sich stimmen, nicht aber die absoluten Altersangaben, die indirekt aus ihr entnommen werden". Buchner verschiebt - entgegen der "offiziellen" Einstufung des Geologischen Landesamtes (Villinger & Fleck 1995, 13f., 68) - die Graupensandrinne um ca. 3 Millionen Jahre nach oben (Tab. 1) und weist darauf hin, daß "bislang keinerlei absolute Datierungen für die Brackwassermolasse existierten" (ebd.). Er erwähnt noch die Diskussion eines weiteren Impakt-Szenarios (ebd., 455): Die stoßwellenmetamorph überprägten Graupensande müssen nicht zwangsläufig vom Rieseinschlag stammen. Es könnte sich um umgelagerte Auswurfmassen eines ca. 3 Millionen Jahre älteren, möglicherweise im Gebiet der Bayerisch-Böhmischen Masse niedergegangenen Impaktors handeln, dessen Krater weitgehend eingeebnet sein könnte (vgl. Karte 2). Obgleich Buchner diesem Diskussionsbeitrag nicht zustimmt, könnte bei der Einbeziehung von Ruttes Hypothesen gemutmaßt werden: Die Auswurfmassen des ersten (hypothetischen!) Boliden wurden in die Graupensandrinne eingetragen; die Regenwasserfluten des Ries-Meteoriten bewirkten die oben beschriebenen Umschichtungen sowie den Transport von Juranagelfluh und Wanderblöcken. Beachtlich ist, daß sowohl die Graupensande als auch Wanderblöcke und, untergeordnet, die (Schweizer) Juranagelfluh stark verkieselt sind - m.E. eine wichtige Parallele. |
Allerdings stellt Schreiner (1992a, 77; ähnlich Saier 1985, 114) den Beginn der Juranagelfluh-Schüttung im Hegau bereits in das obere Ottnang, also noch in die Sedimentationszeit der Kirchberger Schichten (Tab. 2), bzw. knapp darüber (Anfang Torton = Karpat; ebd. Beilage 3/1; vgl. Blockbild 1). Vielleicht drückt sich Rutte aus diesem Grund zurückhaltend aus (s.o.). Direkt erwägt er nur von der Nordschweizer Juranagelfluh, daß ihre Schüttung durch die vom Riesereignis ausgelösten Regenwasserfluten initiiert worden sein könnte, nicht aber ausdrücklich vom Hegau. Nur von der Schweizer, nicht von der Hegau-Juranagelfluh beschreibt Rutte die Verkieselungen. Andererseits kann man die Verursachung der ungefähr gleichzeitigen, räumlich benachbarten Massentransporte vom Schwarzwald in die Nordschweiz bzw. in den Hegau wohl kaum völlig voneinander trennen. Bereits zuvor wurde im Hegau allerdings schon die Ältere Juranagelfluh abgelagert (Schreiner 1965, 313-325; vgl. zu seiner Sediment-Interpretation aber Saier 1985, 54-62). Sie wird ins Aquitan gestellt (Tab. 2; vgl. Blockbild 1); ihre Ablagerung fand mit Sicherheit vor dem Ries-Impakt statt. Jedoch sind deren Gerölle nur bis 20 cm groß, während die Jüngere Juranagelfluh Blöcke bis 60 cm Durchmesser enthält (Schreiner 1992a, 42, 74). Die in den Mergeln der Jüngeren Juranagelfluh am Vulkan Hohenhewen gefundenen Reste von Säugetieren erlauben keine nähere Zuordnung innerhalb des Obermiozän; radiometrische Datierungen an eingelagerten Vulkangesteinen und geröllanalytische Untersuchungen zeigen nach Schreiner (1992a, 77-79; vgl. aber Saier 1985, 122), daß der höhere Teil der Jüngeren Juranagelfluh des nordwestlichen Hegau im Sarmat sedimentiert wurde (Tab. 2; Blockbild 3).10 Was bedeutet die Formulierung, der Transport von Juranagelfluh und Wanderblöcken könnte vom katastrophalen Regen nach der Ries-Katastrophe "initiiert" sein (s.o.)? Ist damit nur der (plötzliche?) Schüttungsbeginn gemeint, oder dauerten die post-impaktischen Regenfälle länger an? Das sagt Rutte nicht ausdrücklich; immerhin aber behandelt er die beiden Gerölleinheiten im Kapitel über das (höhere) Obermiozän, also wohl Sarmat (?) (Rutte 1987, 30 = Zeitskala). Zwischen dem Riesereignis im tiefen Obermiozän (Torton) und höherem Obermiozän liegen nach radiometrischen Datierungen aber mehrere Millionen Jahre (vgl. Tab. 2). Nicht nur im unteren (liegenden) Bereich (Weißjurablöcke bis 60 cm Durchmesser; vgl. Abb. 1), sondern auch im oberen (hangenden) Anteil der konglomeratischen Juranagelfluh im Hegau ist der Bestand an großen Geröllen z.T. erheblich (Abb. 2), was auf immer wieder enorme Transportstöße schließen läßt. Zum Liefergebiet hin ist die Juranagelfluh geringermächtig, aber großenteils (nach Saier 1985, 114: zu 30%) konglomeratisch ausgebildet (vgl. Abb. 4); beckenwärts, wo sie im Hegau bis 400 m mächtig wird, geht sie mit dem allmählichen Aufhören der Geröllführung in kalksandiges bis toniges Feinsediment über (Schreiner 1992a, 73ff.). Schreiner (1965, 306) bemerkte zum Liefergebiet hin keine deutliche Abnahme der Geröllgröße vom Liegenden zum Hangenden; vielmehr finden sich die "teilweise besonders großen Buntsandstein-Blöcke" bis 50 cm Durchmesser in den höchsten Lagen der konglomeratischen Juranagelfluh (s.o.). Sollten die von der Rieskatastrophe initiierten Regenwasserfluten auch die Gerölleinheiten im Hangenden der Juranagelfluh - fast 200 m höher - sedimentiert haben, so wäre das mit der angenommenen langen Zeitspanne kaum verträglich. Zur Abtragung des Schwarzwald-Mesozoikums kann man weiter fragen: wurden die dem Schwarzwald-Kristallin aufliegenden Trias- und Jura-Sedimentserien durch Impaktbeben und Heraushebung geradezu "zerrüttet" (vgl. Halsteadt 1983, 20; Scheven 1988, 104), so daß die gelockerten Gesteinsdecken vergleichsweise leicht zu Sedimenten aller Korngrößen aufgearbeitet und nach Süden verfrachtet werden konnten? Die liegenden, konglomeratischen Anteile der Juranagelfluh lagern im nordwestlichen Hegau in vier tief in Weißjuratafel und Albsteinfläche eingeschnittenen canonartigen Rinnen (vgl. Saier 1985, 118-122), durch welche Geröllmassen bis z.T. in die ehemalige helvetische Meeresstraße transportiert wurden, bevor die Gerölle in den eingetieften Rinnen liegenblieben und diese plombierten (Blockbild 1 und Karte 3). So ist nach Schreiner (1965, 328) und Saier (1985, 119) die Tengener Rinne 200 m breit und 70 m tief (vgl. Abb. 3 und 4). Möglicherweise sind diese Rinnen nicht erst durch den Juranagelfluh-Massentransport, sondern bereits zuvor durch gewaltige Fluten ausgeräumt worden; das würde zu dem von Rutte für die Bildung der Juranagelfluh und der Wanderblöcke diskutierten Modell passen. Daß entsprechend mächtige Fluten auch den festen Untergrund tief auskolken können, wurde durch die - noch viel stärker eingetieften - Rinnen im "Channeled Scabland" bewiesen. Dort (im heutigen US-Bundesstaat Washington) hatten am Ende der letzten Eiszeit Wassermassen den Gletscherstirnriegel des riesigen Missoula-Eisstausees durchbrochen und im harten Basalt Rinnen von Hunderten Meter Tiefe ausgewaschen (Gould 1989, 205-209; Tollmann & Tollmann 1993, 53f.). Ähnliches können (im kleineren Maßstab) auch vulkanische Lahare bewirken (Fritzsche 1995, 9). Allerdings ist die paläogeographische Situation im Herkunftsgebiet der Juranagelfluh wohl kaum mit der Konfiguration des Missoula-Eisstausees zu vergleichen - andererseits: wurden die Geröllmassen durch eine postimpaktische Regenwasserflut ins Molassebecken befördert, so wäre die Situation nicht völlig unvergleichbar. Biostratigraphie und Bildung neuer Arten.Die Sedimentationszeit der mit der Jüngeren Juranagelfluh seitlich verzahnten Oberen Süßwassermolasse (Blockbild 3) reicht in der aktuellen Gliederung nach Fahlbusch (1981) vom oberen Ottnang bis zum Sarmat (s.o.). Nach der zeitlichen Einstufung unterschiedlich zusammengesetzter Säuger-Gemeinschaften und ihrer (mikro)evolutiven Abfolge werden Miozän und Pliozän in Europa in 17 Kleinsäugetier-Einheiten ("Mammal Neogene Units", MN) untergliedert (Tab. 2); diese feinstratigraphische Gliederung wird auch auf die Obere Süßwassermolasse angewandt (Jung & Mayr 1980, 166-169). Hier sei auf die Kleinsäuger-Gattung Cainotherium hingewiesen (Müller 1989, 317-319), deren Abfolge "die feinsten stratigraphischen Einzelheiten anzuzeigen vermag" (Rutte 1987, 20; vgl. Heizmann & Fahlbusch 1983, 89; Reiff 1988, 385). Diese hasenartigen Paarhufer (Abb. 5) werden in 5 Arten unterteilt; ihr Auftreten fällt zum Teil in die Bildungszeit der Brackwassermolasse und der Oberen Süßwassermolasse (Tab. 2 und 3). Die als Arten unterschiedenen Formen von C. laticurvatum über C. bavaricum bis C. huerzleri unterscheiden sich hauptsächlich durch eine zunehmende Verkürzung des Prämolarengebisses, "deren funktionelle Bedeutung noch nicht geklärt ist" und gelten als "charakteristische Entwicklungsreihe" (Heizmann 1983, 781, 824). Sie können wohl als sich auseinanderentwickelnde Angehörige eines Grundtyps gemäß der Definition von Scherer (1993) gelten; womöglich gilt das für die gesamte, "vergleichsweise einheitliche" Familie der Cainotheriidae (Heizmann 1983, 801), die vom Obereozän bis zum Miozän reicht. |
Von den Großsäugern sind für die Untergliederung der Molasse die Hauer-Elefanten der Gattung Dinotherium (bzw. Deinotherium) wichtig (Dehm 1951; 1955; 1960; Büchi 1959; revidiert von Heizmann 1984, 38f.). Sie trugen im Unterschied zu gewöhnlichen Elefanten nur im Unterkiefer nach unten und hinten gerichtete Stoßzähne. Auch sie bilden eine - hauptsächlich durch phylogenetische Größenzunahme gekennzeichnete - Entwicklungsreihe, die von D. bavaricum (Unt. - Ob. Miozän; Abb. 6) über D. levius (Mittl. Miozän) und D. giganteum (Ob. Miozän)11 zu D. gigantissimum (Mittl. Pliozän) führt; D. bavaricum erreichte 2,5 m Höhe, D. gigantissimum ca. 3,6 m. Sie stellen ebenfalls eine einheitliche Gruppe dar (Müller 1989, 476) und dürften als Angehörige eines Grundtyps gelten. |
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Inzwischen häufen sich in der Rezentbiologie die Beobachtungen12, daß die Entstehung neuer Arten keineswegs lange Zeiten benötigt, sondern z.T. während weniger Generationen ablaufen kann (Junker 1993, 39-42; Junker & Scherer 1998, 290-293). So verlief die genetische Mikro-Evolution einer Guppy-Population bei einem Wechsel von Umweltparametern um bis zu 10 Millionen (!) mal schneller als aus Fossilreihen abgeleitet worden war (Reznick et al. 1997; vgl. Morell 1997; Brüggemann 1998). Auch die o.g. Cainotherium- und Dinotherium-Arten bilden solche Fossilreihen. Da auch Sedimente sehr oft schnell gebildet wurden - was für viele Schichtfolgen der Molasse ohnehin angenommen wird - , könnten von diesen Gesichtspunkten her gesehen die Tertiär-Stufen während der Molasseablagerung erheblich kürzere Zeiten als heute angenommen repräsentieren.13 Dem stehen natürlich wichtige Einwände entgegen - man braucht nur an die radiometrischen Datierungen zu denken, die im Rahmen dieser Argumentation ein ungelöstes Problem darstellen. Auch können die fossilen leitenden Säugetiere "nicht überall gleichzeitig auftreten" (Rutte 1977, 291), da sie sich von unterschiedlichen (Entstehungs-)Zentren ausgebreitet haben, was eine gewisse Zeit benötigt. Die sich allerdings u.a. daraus nicht selten ergebenden stratigraphischen Unstimmigkeiten14 könnten aber möglicherweise bei der Erwägung kürzerer erdgeschichtlicher Zeiten eher verständlich werden, da im Vergleich zu den sehr langen geologischen Epochen heutige Ausbreitungsgeschwindigkeiten von Organismen oft außerordentlich hoch sind.15 Setzt man heutige Ausbreitungsgeschwindigkeiten für eine sehr lange erdgeschichtliche Vergangenheit voraus, so müßten sich die stratigraphischen Diskrepanzen verwischen, da das Ausbreitungstempo in keinem Verhältnis zur Länge der geologischen Zeit steht. Sie verwischen sich jedoch nicht. Aber diese Überlegungen sind vorerst von sehr vorläufiger Natur. Neo-Katastrophismus und Massenuntergänge von Arten.Besonders seit im Jahre 1980 ein Impakt für das Artensterben an der Kreide-Tertiär-Grenze diskutiert wurde16 und, z.T. dadurch angeregt, weitere Organismenuntergänge im Verlauf der Erdgeschichte untersucht wurden (z.B. Stanley 1989; Schindler 1990; Thies 1991; Raup 1992; Eldredge 1994), ist eine Tendenz in den Geowissenschaften hin zu einer stärkeren Betonung katastrophischer Vorgänge zu beobachten; man spricht vom "Neo-Katastrophismus" (vgl. Rieppel 1985). In mancher Hinsicht knüpft er an Katastrophen-Vorstellungen des 17.-19. Jahrhunderts an (Hölder 1960, 130-139, 473-478; 1989, 21-25, 55-61; Stanley 1989, 13-21; Gould 1990; Tollmann & Tollmann 1993, 417-422; Fritzsche 1997) und gehört inzwischen bereits zum Lehrbuchwissen (Stanley 1994). Sind die Hypothesen Ruttes im Rahmen dieses veränderten Klimas in Geologie und Paläontologie zu verstehen? Wurden sie dadurch (mit)angeregt? - Die Entstehung des Nördlinger Rieses durch einen Meteoriteneinschlag wurde längst vor dem Aufkommen des "Neo-Katastrophismus" diskutiert; die Impakt-Hypothese wurde schon ab 1960 besonders durch die Entdeckung von Hochdruckmodifikationen des Quarzes gesichert und setzte sich frühzeitig als Lehrmeinung durch. Die Geschichte der Ries-Erforschung war - bei zunehmender internationaler Teilnahme und Beachtung - zunächst eher ein "internes", spannendes Sonderthema süddeutscher Geologie (Hölder 1989, 159-163) und höchstens indirekt vom veränderten Wissenschaftsklima abhängig. Allerdings hat Rutte (und z.T. auch Saier und Buchner) viel weitreichendere geologische Folgen an des Ries-Ereignis geknüpft als dies gemeinhin der Fall ist. Damit ist er gewissermaßen im voraus einer Forderung von Tollmann & Tollmann (1993, 64, 209, 260, 264ff.) nachgekommen, tektonische, erosive, sedimentologische und andere Phänomene gezielt auf einen möglichen Zusammenhang mit Impakt-Ereignissen zu untersuchen. Nachdem inzwischen zahlreiche Impaktstrukturen bekannt wurden - Tollmann & Tollmann listeten bereits 1993 116 weltweit entdeckte Krater auf (ebd., 282-285) -, ist davon auszugehen, daß viele geologische Ereignisse mit Einschlägen kosmischer Körper in direktem und indirektem Zusammenhang stehen, und Buchner et al. (1996) und Buchner (1998) forschen bereits gezielt in diese Richtung. Hier tut sich ein weites Feld für neue geologische Fragestellungen auf. Es ist m.E. ein Verdienst Ruttes, gewissermaßen als Pionier solchen (möglichen) Impaktfolgen im Gelände nachgegangen zu sein und sie in der regionalen Erdgeschichte Süddeutschlands und der Nordschweiz zur Diskussion gestellt zu haben. Gehört die Rieskatastrophe zu den "großen Untergängen" der Erdgeschichte, bei denen die meisten der fossil belegten Arten ausstarben? Seit dem Kambrium gab es nach heutiger Sicht mindestens zehn Massenaussterben. Fünf davon werden als "Big Five" zusammengefaßt, die jeweils den Untergang des größten Teils der fossil bekannten Arten bewirkten (Stanley 1989; Raup 1992, 82-84, 100f.; Tollmann & Tollmann 1993, 295-307; Eldredge 1994, 77-171; Jäger 1997, 364). Der Riesimpakt zählt jedenfalls nicht zu den "Big Five"; aber verursachte er vielleicht ein kleineres Artensterben? Raup (1992, 204, 208) bringt einen kleineren weltweiten Artentod mit dem Riesereignis in Verbindung, den er auf 12 Millionen Jahre beziffert17; doch die Datierung des Riesimpakts liegt bei 14,7 bis 15 Millionen radiometrischen Jahren (s.o.). Man geht gewöhnlich davon aus, daß zwar durch die Rieskatastrophe bis in Entfernungen von 100 bis 150 km fast alle größeren Tiere ausgelöscht wurden (Reiff 1976, 46; Groschopf & Reiff 1986, 11), ja diese Vernichtung ganz Süddeutschland betroffen haben wird (Saier 1985, 106; vgl. Reiff 1990, 112), aber das verwüstete Land mit Pflanzen und nachfolgend Tieren verhältnismäßig schnell im Laufe von Jahrhunderten wieder besiedelt wurde (Reiff 1988, 388). Ein weltweites Artensterben wird zumeist nicht angenommen. Immerhin vermutet Rutte (1981, 201), daß zumindest die größeren Landwirbeltiere zwischen Alpen und Nordeuropa ausgelöscht wurden; und Tollmann & Tollmann (1993, 290) sprechen von einer Katastrophe für Europa. Aus diesen unterschiedlichen Stellungnahmen ist wohl zu entnehmen, daß die Auswirkungen des Impakts auf die Lebewelt (vorerst) schwer einzuschätzen sind. Dank: Dr. Reinhard Junker danke ich herzlich für vielfältige Hilfen. Dipl.-Geol. Dr. Martin Ernst, Dipl.-Min. Dr. Thomas Fritzsche und Dipl.-Geol. Achim Zimmermann sage ich ebenso herzlichen Dank für die kritische Durchsicht des Manuskripts und für wertvolle Hinweise. |
Anmerkungen
Literatur
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Glossar
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