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Studium Integrale Journal
17. Jahrgang / Heft 2 - November 2010
Seite 109 - 116
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Abb. 1: Dreistacheliger Stichling Gasterosteus aculeatus. (Foto: W. Cresko, University of Oregon, Abdruck mit freundlicher Genehmigung) |
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Der dreistachlige Stichling (Gasterosteus aculeatus) wird schon seit einigen Jahren genetisch untersucht. Er kommt in Küstengewässern und im Süßwasser der Nordhemisphäre vor. Besonderes Interesse wecken die drei namengebenden Rückenstacheln, die mit dem Beckengürtel verbunden sind. Einige weit voneinander entfernt lebende Süßwasserpopulationen dieser Art besitzen diese Stacheln jedoch nicht, auch der Beckengürtel fehlt ihnen ganz oder teilweise. Man geht davon aus, dass dieser Verlust wahrscheinlich über 20 mal unabhängig erfolgt ist. Ein Forscherteam um David Kingsley hat herausgefunden, dass der Verlust dieser Körperteile auf eine Deletion (Verlust) einer Regulationssequenz zurückgeht, die etwa 30 kb (Kilobasen) vor dem Pitx1-Homeobox-Gen liegt (Chan et al. 2010). Homeobox-Gene sind regulative Gene, durch deren Produkte die Aktivität anderer, funktionell zusammenhängender Gene während der Individualentwicklung gesteuert wird. Bei der verlorengegangenen Sequenz handelt es sich um einen sogenannten Enhancer, das ist ein DNA-Abschnitt, der die Transkription (das Ablesen) eines nachgeschalteten Gens steuert bzw. verbessert. Die Forscher bauten DNA mit dem betreffenden intakten Enhancer in befruchtete Eier von Fischen ein, denen die Stacheln und der Beckengürtel fehlten. Die daraus sich entwickelnden Tiere bildeten einen Beckengürtel aus, womit gezeigt wurde, dass der Verlust der Regulationssequenz ursächlich für den Verlust des Beckengürtels war.
Dieses Beispiel zeigt einmal mehr, dass eine markante Gestaltänderung durch eine ziemlich einfache Änderung der DNA möglich ist. Da es sich in diesem Fall um einen Verlust handelt, trägt dieses Beispiel nichts zum Verständnis bei, wie neue Bauelemente der Lebewesen erstmals entstehen. Der Verlust ist im Süßwasser verkraftbar, da die Stichlinge weniger durch Raubfische bedroht sind, so dass der Schutz durch die Stacheln nicht erforderlich ist und diese eingespart werden können. Die Autoren diskutieren Hinweise auf positive Selektion der Stachellosigkeit der Süßwasserfische. Sie vermuten, dass die Enhancer-Region des Pitx1-Gene für Änderungen prädisponiert ist, so dass es zu vielfach unabhängigen Verlusten kommen konnte. Das könnte auch als Vorprogrammierung interpretiert werden. Schon in früheren Studien war festgestellt worden, dass auch seitliche Panzerplatten und Bauchstacheln bei Stichlingen durch das Vorhandensein oder die Abwesenheit bestimmter Allele (Gen-Varianten) ausgebildet werden (Cresko et al. 2004; Colosimo et al. 2005, vgl. Winkler 2005a, b).
[Chan YF, Marks ME et al. (2010) Adaptive evolution of pelvic reduction in sticklebacks by recurrent deletion of a Pitx1 enhancer. Science 327, 302-305; Cresko WA, Amores A et al. (2004) Parallel genetic basis for repeated evolution of armor loss in Alaskan threespine stickleback populations. Proc. Natl. Acad. Sci. 101, 6050-6055; Colosimo PF, Hosemann KE et al. (2005) Widespread parallel evolution in sticklebacks by repeated fixation of Ectodysplasin alleles. Science 307, 1928-1933; Winkler N (2005a) Über genetische Schalter bei Stichlingen. Stud. Int. J. 12, 32-34; Winkler N (2005b) Stichlinge: Evolution oder Allelfrequenzverschiebung. Stud. Int. J. 12, 76-77] |
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Archaeopteryx ist als sogenannter „Urvogel“ berühmt. Mit diesem Gattungsnamen bezeichnet man eine Gruppe fossiler Archosaurier („Herrscherreptilien“), die im Altmühltal in den Solnhofener Plattenkalken gefunden wurden. Die bisher beschriebenen Exemplare weisen Merkmale von Reptilien auf (z. B. einen bezahnten Kiefer und Schwanzwirbel) und solche, die für Vögel als typisch gelten (mit Federn bedeckte Flügel). Oft wird Archaeopteryx als Übergangsform zwischen Sauriern und Vögeln interpretiert. Für die bisherigen Studien der Struktur dieser Fossilien wurden diese neben optischen Methoden auch mit Hilfe von Röntgentomographie, Elektronenmikroskopie und mikroskopischen Methoden unter Zuhilfenahme von UV- und sichtbarem Licht untersucht.
Bergmann et al. (2010) beschreiben erstmals den Einsatz von Synchroton-Röntgenstrahlung, die in der Probe eine für die chemischen Elemente spezifische Fluoreszenz auslöst (synchroton rapid scanning X-ray fluorescence, SRS-XRF). Die Fluoreszenzsignale kann man dann in bildgebenden Verfahren nutzen und so elementspezifische Bilder erzeugen. Mit dieser Methode untersuchten sie das so genannte „Thermopolis-Exemplar“, das der Art Archaeopteryx siemensii zugeordnet wird. Dieses Fossil wurde von Mayr et al. (2005, 2007) wissenschaftlich beschrieben.
Mit der angewendeten Methode kann sowohl das Fossil selbst als auch das umgebende Gestein (Matrix) auf die chemischen Bestandteile hin untersucht werden. Die Autoren konnten Hinweise zur Physiologie des lebenden Archaeopteryx, zum Prozess der Fossilisierung und Einflüsse der Pflege des Fossils im Museum finden.
Die Bilder auf der Basis der für Phosphor (P) spezifischen Signale zeichnen das sichtbare fossil überlieferte und präparierte Skelett sehr detailreich nach. Erstaunlicherweise zeigt diese Darstellung auch sonst nicht erkennbare Schäfte (Rachis) von Schwungfedern. Der Gehalt an P und S (Schwefel) kann aus dem ursprünglichen Gehalt der Elemente in Skelett und Federn erklärt werden, man muss keine Anreicherung aus der Umgebung annehmen. Aus experimentellen Untersuchungen ist bekannt, dass die Federäste im Vergleich zum Federkiel schneller durch Bakterien abgebaut werden. Aus diesen Befunden schließen die Autoren, dass die fossilen Rückstände der Federschäfte zumindest teilweise chemische Bestandteile des ursprünglichen Lebewesens enthalten. Auch Zink (Zn) erscheint im Skelett deutlich angereichert, während dessen Konzentration im umgebenden Kalkgestein gering ist; daher geben die Zn-Bilder die Knochen gut wieder. Die Autoren fanden keine Hinweise darauf, dass Zn durch wässrige Lösungen angeliefert worden wäre. Vermutlich stammt also auch das vorhandene Zn aus den Knochen des Archaeopteryx.
Die Vorkommen von Eisen (Fe) und Mangan (Mn) ergeben ein anderes Bild, hier scheinen deutliche Veränderungen abgelaufen zu sein (z. B. Mn-Ausfällungen, Dendriten). Für alle gemessenen chemischen Elemente liegt die Verteilung aus dem Bereich der Federn innerhalb der statistischen Verteilung in der übrigen Kalkplatte, so dass nur Spuren des Materials von „Weichteilen“ erhalten geblieben sind. In allen weiteren anatomischen Strukturen weichen die jeweiligen Elementkonzentrationen von denjenigen in der Matrix signifikant ab. Zn und Cu (Kupfer) sind auffällig angereichert in Schädel, Krallen, postcranialem Skelett und den Zähnen; P und S konzentrieren sich in den Zähnen von Archaeopteryx. Die Analysenergebnisse wurden mit unabhängigen Methoden (inductive coupled plasma, ICP; Punktanalysen) bestätigt.
Damit haben die Autoren gezeigt, dass Elementanalysen an Fossilien sich zu Studien über chemische Änderungen vor und nach der Fossilisation eignen; weiter wird aufgedeckt, dass die Konzentration von Elementen innerhalb einer bestimmten Struktur stark variieren können.
Bergmann et al. können mit ihrer Methode auch anatomische Strukturen im Submillimeterbereich differenziert analysieren. Das demonstrieren sie durch die Untersuchung einer Handkralle: hier ist erstaunlicherweise die Elementverteilung zwischen dem Knochen der Handkralle und deren Keratinummantelung in den elementspezifischen Abbildungen nicht zu unterscheiden. Die Darstellung von Federresten anhand von P-Signalen zeigt ebenfalls Strukturen im Submillimeterbereich.
Im Blick auf die Entstehung des Fossils (Taphonomie) zeigt die Untersuchung der einzelnen Elemente, dass ca. 90% des ursprünglich vorhandenen P verschwunden sind, aber auch die Matrix, das umgebende Kalkgestein ist auffällig arm an P, so dass der noch im Skelett verbliebene P aussagekräftige Abbildungen ermöglicht. Der Verlust an Ca ist dagegen extrem gering (ca. 4%), was auf die Kalkmatrix zurückgeführt werden kann. Der hohe Zn-Gehalt könnte evtl. mit dem geringen Ca-Verlust gekoppelt sein.
S und Fe liegen in oxidierter Form (z. B. S als Sulfat) vor und weisen damit darauf hin, dass nach den für die Phase der Sedimentation angenommenen reduzierenden Bedingungen zumindest zeitweise oxidierende Bedingungen vorgeherrscht haben müssen.
Die Abbildung aufgrund der Chlor (Cl)-Signale macht Fingerabdrücke auf der Platte erkennbar, was die Autoren zu Vorsichtsmahnungen für die Handhabung von Fossilien in Museen veranlasst.
Die von Bergmann et al. (2010) angewandte Methode zur Untersuchung von Fossilien ermöglicht sehr vielfältige und differenzierte Aussagen über das Fossil. Dabei gewinnt man sowohl Hinweise auf physiologische Aspekte des Lebewesens als auch Aussagen zu seiner Fossilisierung und der Geschichte seiner geologischen Geschichte, bis hin zu seiner Präparation und Pflege im Museum. Man darf darauf gespannt sein, wie diese Methode zukünftig mit dazu beitragen wird, die Hinweise aus der Erdgeschichte genauer betrachten zu können und etwas besser zu verstehen.
[Bergmann U, Morton RW, Manning PL, Sellers WI, Farrar S, Huntley KG, Woelius RA, & Larson P (2010) Archaeopteryx feathers and bone chemistry fully revealed via synchroton imaging. Proc. Nat. Acad. Sci. USA; doi/10.1073/pnas.1001569107; Mayr G, Pohl B, & Peters DS (2005) A well-preserved Archaeopteryx specimen with Theropod features. Science 310, 1483-1486; Mayr G, Pohl B, Hartmann S, & Peters DS (2007) The tenth specimen of Archaeopteryx. Zool. J. Linn. Soc. 149, 97-116] |
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Abb. 1: Rekonstruktion von Archaeopteryx. (Nach Portmann 1976) |
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Die Flugfähigkeit des berühmten „Urvogels“ Archaeopteryx wurde immer wieder kontrovers diskutiert. Seine modern anmutenden Federn schienen aber deutlich dafür zu sprechen, dass die Flügel gewissen aerodynamische Belastungen als Voraussetzung für die Fähigkeit zum aktiven Flug standhalten können. Eine Analyse der Federschäfte der Handschwingen von Archaeopteryx (Nudds & Dyke 2010) brachte nun ein etwas anderes Ergebnis: Verglichen mit heute lebenden Vogelarten waren die Schäfte deutlich zu schwach für einen kontinuierlichen Ruderflug. Auch unter der Annahme, dass die Schäfte nicht wie bei heutigen Vögeln hohl waren, sondern massiv (was an den Fossilien nicht erkennbar ist), würde ihre Dicke nicht ausreichen, um den Belastungen beim Flug (Widerstand beim Verbiegen) standhalten zu können oder den Vogel aufgrund seiner geschätzten Körpermasse überhaupt in der Luft halten zu können. Beide Schlussfolgerungen gelten auch für die Federschäfte des fossilen Confuciusornis aus der frühen Unterkreide, die ebenfalls untersucht wurden.
Die Länge der Handfedern von Archaeopteryx und Confuciusornis entspricht dagegen der Größe bei vergleichbar großen heute lebenden Vögeln. Die Forscher schließen daraus, dass die untersuchten fossilen Vögel nur kurze Strecken gleiten, aber nicht aktiv fliegen konnten. Sonderbar ist aber, dass der Bau der Flügel im Ganzen nicht zum längeren Gleiten passt (Nudds & Dyke 2010, 889), obwohl weitere anatomische Befunde (z. B. Anatomie des Schultergürtels, Federinnervation) bei Archaeopteryx dafür sprechen. Rätselhaft ist zudem, dass der deutlich jüngere und in vielen Eigenschaften als moderner geltende Confuciusornis hinsichtlich seiner Flugfähigkeit als noch schwächer einzustufen ist als der ältere Archaeopteryx. Wie aber passt ein an sich flugtaugliches Federkleid zu einer Fortbewegung als Gleiter? Offenbar genügten die Federn und weitere anatomische Anpassungen jedoch der Erzeugung von kurzzeitiger Schubkraft bzw. Gleitfähigkeit. Über die von den Autoren geäußerten Erklärungsversuche hinaus käme dies z. B. einem durch Flattern unterstützten Herumhüpfen (vergleichbar den relativ ungerichteten Flugbewegungen von Jungvögeln moderner Arten) oder einem kurzzeitigen Gleiten mit nach hinten gerichteten Flügeln (etwa dem Stoßflug heutiger Vögel mit fast parallel zum Körper angelegten Flügeln) zugute. Eine solche Fähigkeit könnte in Gefahrensituationen durchaus nützlich gewesen sein, um etwa einem unmittelbaren Feindangriff zu entgehen. Selbstverständlich fehlen in diesem Kontext wichtige Informationen zur Lebensweise und Ökologie zu einem besseren Verständnis. Einstweilen können die beiden Gattungen überzeugender als bisher als Übergangsformen auf dem Weg zum aktiven Flug interpretiert werden, wenn auch wesentliche Fragen nach Selektionsdrücken und Umbaumechanismen offen bleiben.
Mit dieser Deutung der Federn von Archaeopteryx und Confuciusornis durch Nudds & Dyke 2010 würde auf jeden Fall eine der beiden konkurrierenden Theorien zur Flugentstehung ausscheiden: Ausgehend von diesen beiden Arten könnte das Fliegen kaum vom Boden ausgehend durch immer längere Sprünge entstanden sein. Es bliebe nur das Gleiten über kurze Entfernungen (etwa von Baum zu Baum) übrig. Die Frage der eingeschränkten Gleitfähigkeit stünde dabei der relativ modern anmutenden Flügelanatomie entgegen. Dieser Widerspruch könnte sicherlich nur anhand von Fossilfunden späterer Kreidevögel gelöst werden, die nach Autorenmeinung von Confuciusornis abzuleiten wären. Für Archaeopteryx selbst bliebe nach dieser Interpretation hinsichtlich der Vorläuferschaft moderner Ruderflieger nur eine evolutionäre Sackgasse übrig.
[Nudds RL & Dyke GJ (2010) Narrow Primary Feather Rachises in Confuciusornis and Archaeopteryx Suggest Poor Flight Ability. Science 328, 887-889. Vgl. auch: http://www.g-o.de/wissen-aktuell-11720-2010-05-28.html]
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Abb. 1: Sehr gut erhaltener Gliederfüßer aus der Gruppe der Chelonielliden. Obere Fezouata-Formation. (Aus van Roy et al. 2010, Abruck mit freundlicher Genehmigung) |
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Der Burgess-Schiefer des Mittelkambriums in den kanadischen Rocky Mountains birgt eine weltberühmte Fossillagerstätte mit verschiedensten Bauplänen vielzelliger Tiere in sehr guter Erhaltung, auch mit lithifizierten (versteinerten) Weichteilen. Einer breiten Öffentlichkeit wurde diese Vielfalt früher Lebensformen durch Stephen Jay Goulds Buch „Wonderful Life“ vorgestellt (Gould 1989; deutsch 1991 unter dem Titel „Zufall Mensch“). Gould schreibt darin: „Der Burgess-Shale umfaßt eine große anatomische Verschiedenartigkeit wie sie nie wieder erlangt wurde und auch heute von keinem der in den Weltmeeren lebenden Geschöpfe erreicht wird“ (S. 230). Es handelt sich dabei auch keineswegs um primitive Baupläne, wie schon frühere Bearbeiter herausgestellt haben; Gould bezeichnet einige von ihnen gar als „irre Wundertiere“. Die Burgess-Tiere sind Teil der sogenannten „kambrischen Explosion“, des geologisch plötzlichen fossilen Auftretens verschiedenster Tier-Baupläne (Valentine 2004).
Bisher schien es so, als ob ein Großteil der Burgess-Fauna genauso schell von der Weltbühne verschwunden wäre wie er auftauchte, so dass man ein großes Aussterben bereits im Kambrium annahm. Doch wurde auch die Vermutung geäußert, dass in Wirklichkeit geeignete Fossilisationsbedingungen fehlten und viele Burgess-Tiere weiterlebten. Diese Vermutung wurde nun durch die Entdeckung zahlreicher ähnlicher Formen im unteren Ordovizium Marokkos bestätigt (van Roy et al. 2010). In der Fezouta-Formation fand man eine Reihe von Bauplänen, die bisher als charakteristisch für das Kambrium galten. Damit ist klar, dass die betreffenden Formen in geologisch nicht überlieferten Lebensräumen existierten und ihr zwischenzeitliches Fehlen in der Fossilüberlieferung auf die Erhaltungsbedingungen zurückzuführen ist. Über 1500 Fossilien mit Weichteilen aus mindestens 50 verschiedenen Taxa wurden entdeckt. Zu den gefundenen beschalten Organismen gehören unter anderem verschiedenste Trilobiten, Muscheln, Schnecken, Tintenfischartige, Brachiopoden (Armfüßer) und Stachelhäuter.
Neben den vielen bisher nur aus dem Kambrium bekannten Formen wurden aber auch weitere Formen entdeckt, es gibt also auch einige Unterschiede zwischen den Formen der marokkanischen und den kambrischen Lagerstätten. Bemerkenswert ist, dass darunter einige bisher nur aus deutlich jüngeren geologischen Systemen bekannte Formen sind, z. B. Gliederfüßer aus der Gruppe der Chelonielliden (Abb. 1) und Pfeilschwänze. Eine der entdeckten Pfeilschwanz-Arten weist Merkmale auf, die heutigen Formen sehr ähnlich sind (van Roy et al. 2010, 217). Dazu gehört auch der einmalig gebaute, neu beschriebene Anomalocaride Schinderhannes bartelsi aus dem unterdevonischen Hunsrückschiefer, der in dem sehr ähnlichen Anomalocaris der Burgess-Lagerstätte ein „Gegenstück“ hat. Zwischen beiden Räubern klafft nach herkömmlicher Zeitrechnung eine Überlieferungslücke von mindestens 100 Millionen Jahren (Kühl et al. 2009). Das Gleiche gilt für einige Burgess-ähnliche Arthropoden im Hunsrückschiefer; die offenbar nach Bartels & Lutz (1997, 65) ebenfalls seit dem Kambrium „in besonderen Lebensräumen überdauern“ konnten. Insgesamt werden damit die Unterschiede zwischen den kambrischen und späteren Faunen geringer, so van Roy et al. (2010).
[Bartels C & Lutz H (1997) Schatzkammer Dachschiefer. Die Lebenswelt des Hunsrückschiefer-Meeres. Mainz/ Bochum; Gould SJ (1991) Zufall Mensch. Das Wunder des Lebens im Spiel der Natur. München Wien; Kühl G, Briggs DEG &Rust J (2009) Schinderhannes bartelsi: Räuber aus dem Hunsrückschiefermeer. Fossilien 26, 232-235; Valentine J (2004) On the origin of phyla. Chicago and London; Van Roy P, Orr PJ et al. (2010) Ordovician faunas of Burgess Shale type. Nature 465, 215-218.]
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Der Fossilbericht der Vögel zeigt ein zweimaliges explosives Auftreten (Radiationen) vieler verschiedener Gruppen. Die erste Radiation ist vor allem im Oberjura und besonders in der Unterkreide dokumentiert. Diese Vogelgruppen unterscheiden sich von den heute lebenden Familien und gelten als „primitiver“. Zu ihnen gehört auch der berühmte „Urvogel“ Archaeopteryx. Eine zweite Radiation datiert ins untere Tertiär (Feduccia 1995). In diesen Schichtfolgen taucht eine Vielzahl von Fossilien auf, die heutigen Vogelfamilien zugeordnet werden können (Neornithes). Zwischen beiden Radiationen (oder besser „Explosionen“) liegt die auf 65 Millionen Jahre datierte Kreide/Tertiär-Grenze. Sie markiert die Folgen eines mutmaßlichen verheerenden Bolideneinschlags aus dem Weltraum. Allgemein wird vermutet, dass zu dieser Zeit die Dinosaurier endgültig ausstarben, was den Weg für die Entstehung auch der anatomisch modernen Vögel frei gemacht habe.
Doch dieses Bild ist in den vergangenen Jahren zunehmend fraglich geworden und muss mittlerweile als widerlegt gelten. Zum einen gibt es indirekte Hinweise darauf, dass die anatomisch modernen Vögel doch schon deutlich früher existierten; darauf deuten molekulare Studien hin, allerdings nur, wenn Evolution vorausgesetzt wird. Mehr und mehr werden aber auch direkte Belege für die frühere Existenz durch Fossilfunde bekannt. Darauf weist Dyke (2010) in einem Überblicksartikel hin. Zu den vortertiären Vogelfossilien gehört ein bereits 1987 entdeckter Flügel aus der Mongolei, der zu den Presbyornithinen gestellt wird, die mit Enten und Gänsen verwandt sind. Er erhielt 2002 den Gattungsnamen Tevornis. Etwas jünger, aber ebenfalls aus der Kreide, ist Vegavis von der antarktischen Insel Vega. Auch diese Gattung besitzt viele Gemeinsamkeiten mit Entenartigen. Weitere Funde, allerdings zumeist nur einzelne Knochen, die auf die Existenz anatomisch moderner Vögel in der Kreide hinweisen, stammen aus New Jersey und werden auf 80-100 Millionen Jahre datiert.
Diese Funde und die indirekten Hinweise aufgrund der molekularen Daten heutiger Vögel bedeuten, dass anatomisch moderne Vögel zeitgleich mit vielen Dinosauriern gelebt haben. Da von diesen Vögeln nur sehr wenige Reste gefunden wurden, müssen sie oftmals in geologisch nicht überlieferten Lebensräumen existiert haben. Nur selten tauchen Spuren von ihnen auf, bevor sie sich mutmaßlich aufgrund für sie besserer Lebensbedingungen in größerem Ausmaß verbreiten konnten. Als großes Rätsel erscheint den Wissenschaftlern die Frage, warum einige anatomisch moderne Vögel die mutmaßliche Katastrophe an der Kreide/Tertiär-Grenze überleben könnten, die anderen vielfältigen Vogelgruppen der Kreidezeit jedoch nicht. Dyke (2010) vermutet, dass die überlebenden Gruppen Generalisten, also relativ wenig spezialisiert waren. Das könnte ihnen die nötige Flexibilität verliehen haben, extrem stressende Bedingungen zu überleben.
[Dyke G (2010) Winged victory. Modern birds now found to have been contemporaries of dinosaurs. Sci. Am. 303, July 2010; Feduccia A (1995) Explosive evolution in Tertiary birds and mammals. Science 267, 637-638]
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Abb. 1: Dreidimensionales Modell von Wujicaris muelleri in verschiedenen Richtungen. (Aus Zhangsend et al. 2010; Abdruck mit freundlicher Genehmigung) |
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Nur 0,25 Millimeter sind sie groß: Metanauplius-Larven von Wujicaris muelleri, die ältesten bisher entdeckten Larven von Krebsen aus dem Unterkambrium, der Zeit der sogenannten „kambrischen Explosion“. Darüber berichtet eine Arbeitsgruppe um Professor Dieter Waloszek von der Arbeitsgruppe Biosystematische Dokumentation der Universität Ulm. Trotz des datierten Alters von 525 Millionen Jahren erinnert der Körperbau der in China entdeckten Larve von Wujicaris stark an heutige Krebse in diesem Entwicklungsstadium, zum Beispiel an Ruderfüßer oder Seepocken. Wahrscheinlich hatten die Beine der Tiere die gleichen Funktionen in Bezug auf Fortbewegung und Nahrungsfang. Die Konstanz des Körperbaus über so lange Zeit in der Paläontologie als Stasis bezeichnet führen die Forscher auf eine entsprechend lang anhaltende Gleichheit der physikalischen Rahmenbedingungen zurück. Für kleine Gliederfüßer unter zwei Millimetern Größe sei das Wasser, in dem sie leben, zäh wie Honig, was zu speziellen Erfordernissen in der Fortbewegung führe. Die Spezialisierungen ihrer Beine ermöglichten es den Krebslarven, in Bewegung zu bleiben und gleichzeitig Nahrung abzufangen. Die untersuchten Krebslarven verfügten von Anfang an über optimale Extremitäten genauso wie die modernen Krebse.
[Zhangsend XG, Maas A, Haug JT, Siveter DJ & Waloszek D (2010) A Eucrustacean Metanauplius from the Lower Cambrian. Current Biology 20, 1075-1079.]
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Was haben Fledermäuse und Wale gemeinsam außer dass sie zu den Säugetieren gehören? Nicht viel, aber in beiden Gruppen orientieren sich viele Arten mit einem Echoortungssystem, das sie zum Jagen und Navigieren benutzen. Es handelt sich um eine überaus komplexe Fähigkeit, zu der vermutlich viele hundert Gene beitragen (Li et al. 2008, 13962). Zu einem funktionierenden Echoortungssystem gehören die Erzeugung und Regelung eines hochfrequenten Rufs, das Hören des Echos und die Interpretation der eingehenden Signale. Außer bei Walen und Fledermäusen kommt Echoortung auch bei Spitzmäusen, Tenreks und zweimal bei Vögeln vor (Fettschwalm und Höhlensalangane; Veselka et al. 2010, 939). Die Fähigkeit zur Echoortung ist also mindestens sechsmal unabhängig entstanden, was für diese außergewöhnliche Fähigkeit an sich schon höchst erstaunlich ist.
Eine große Überraschung brachte eine Untersuchung der Sequenzen des Proteins prestin bei Fledermäusen, Walen und anderen Säugetieren, die von zwei Forschergruppen untersucht wurden (Liu et al. 2010, Li et al. 2010). Prestin wird beim Hörvorgang benötigt; es handelt sich um ein Transmembran-Motorprotein1 und wird in den äußeren Haarzellen der Schnecke im Innenohr aktiviert. Es scheint als eine Art „Verstärkerprotein“ von besonderer Bedeutung für die Wahrnehmung höherer Frequenzen und für selektives Hören von einzelnen Frequenzen zu sein; beides ist für die Echoortung wichtig (Teeling 2009, 353; Li et al. 2008, 13959). Es stellte sich heraus, dass die Sequenzen von prestin bei Walen und Fledermäusen, die Echoortung haben, nahezu identisch sind. Für Stephen Rossiter, den Leiter der einen Arbeitsgruppe, kommt dieses Ausmaß an Ähnlichkeit völlig unerwartet. „Ich kenne kein weiteres Beispiel dafür, dass sich Konvergenz so genau in den Genen widerspiegelt“, wird er in der Süddeutschen Zeitung zitiert.2 Obwohl es im Sonarsystem der beiden Tiergruppen einige Unterschiede gibt und obwohl sich der Schall in den beiden Medien Wasser und Luft deutlich unterschiedlich schnell bewegt, scheint genau eine bestimmte Form des prestin-Proteins für die Echoortung erforderlich zu sein. Zusätzlich zeigt auch der anatomische Bau der Schnecke in beiden Gruppen im Innenohr mannigfaltige Konvergenzen (Liu et al. 2010).
Die prestin-Aminosäuresequenzen bei Zahnwalen und Fledermäusen ähneln sich so stark, dass sie in einem auf diesen Daten basierenden Dendrogramm (Ähnlichkeitsbaum) als eine gemeinsame Gruppe erscheinen, obwohl beide Gruppen unter den Säugetieren sonst überhaupt nicht näher verwandt sind. Nach den DNA-Nukleotid-Sequenzdaten des Prestin-Gens gruppieren die Wale und Fledermäuse dagegen weitgehend gemäß dem Arten-Stammbaum. Nur innerhalb der Fledermäuse passen auch die Nukleotid-Sequenzdaten nicht zu den sonst anerkannten Verwandtschaftsbeziehungen.
Die Gemeinsamkeiten des prestin-Proteins bei den Fledermäusen und den Zahnwalen sind deswegen so erstaunlich, weil es sich um immerhin 14 Veränderungen handelt, die sich von dem jeweiligen Vorfahren herkommend ergeben haben mussten. Vermutlich ermöglicht dieser bestimmte Bau des prestins der Zahnwale und Fledermäuse, dass sie auf höhere Frequenzen reagieren können, und liefert so eine der biochemischen Voraussetzungen für ein funktionierendes Ultraschall-Sonarsystem. Es scheint also so, dass prestin für die Echoortung eine sehr spezifische Aminosäuresequenz benötigt. Dass dieser Unterschied in 14 Positionen durch ungerichtete Mutationen und Selektion jeder einzelnen Änderung Schritt für Schritt überbrückt wurde und von völlig verschiedenen Urahnen beider Tiergruppen zum selben Ergebnis kam, erscheint eine gewagte Annahme. Alle Zwischenschritte müssen selektionspositiv sein. Wie kam also diese erstaunliche Ähnlichkeit zustande? Die Forscher erhoffen sich Antworten durch Untersuchungen von prestin bei den anderen Arten, die eine Echoortung haben.
1 Transmembranproteine sind eine Untergruppe der Membranproteine, die die Zellmembranen (bestehend aus einer Phospholipiddoppelschicht) vollständig durchqueren.
2 http://www.sueddeutsche.de/wissen/genetik-ueberraschende-verwandtschaft-1.52654; siehe auch www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,673955,00.html
[Li G, Wang J, Rossiter SJ, Jones G, Cotton JA, Zhang S (2008) The hearing gene Prestin reunites echolocating bats. Proc. Natl. Acad. Sci. 105, 13959-13964; Li Y, Liu Z, Shi P & Zhang J (2010) The hearing gene Prestin unites echolocating bats and whales. Curr. Biol. 20, R55-R56; Liu Y, Cotton JA, Shen B, Han X, Rossiter SJ & Zhang S (2010) Convergent sequence evolution between echolocating bats and dolphins. Curr. Biol. 20, R53-R54; Teeling EC (2009) Hear, hear: the convergent evolution of echolocation in bats? Trends Ecol. Evol. 24, 351-354; Veselka N, McErlain DD et al. (2010) A bony connection signals laryngeal echolocation in bats. Nature 463, 939-942.]
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Abb. 1: Schematische Darstellung der beiden Muster des Skelettwachstums bei Schildkröten. Oben: das verbreitete Muster, unten das hier beschriebene spzialisierte Muster bei Lederschildkröten. (Nach Snover & Rhodin 2008) |
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Die im Meer lebende Lederschildkröte (Dermochelys coriacea) besitzt anders als alle anderen Schildkröten keinen typischen Rückenschild mit Hornschuppen. Die Elemente ihres Knochenpanzers hängen vielmehr lose zusammen und sind von einer derben lederartigen Haut umgeben. Der Hals ist verhältnismäßig kurz und kann nicht in den Panzer zurückgezogen werden. Ihre Extremitäten sind als lange Paddel ausgebildet. Es fehlen ihnen Krallen, was für Schildkröten sehr untypisch ist. Die Tiere können bis zu etwa 2,5 m lang werden; die Lederschildkröte ist damit die größte lebende Schildkröte.
Neben diesen und anderen Besonderheiten ist das Muster des Skelettwachstums der Lederschildkröte einzigartig. Während bei allen anderen Schildkröten beim Skelettwachstum dünnes Knorpelgewebe ohne Blutgefäße gebildet wird und das Wachstum nur langsam erfolgt, wachsen bei den Lederschildkröten rasch Blutgefäße in dickes Knorpelgewebe, und das Skelettwachstum verläuft schnell (vgl. Abb. 1). Dieses Skelettwachstumsmuster ist unter den heute lebende Reptilien einmalig und kommt nur bei der Lederschildkröte vor. Es wurde aber auch bei einigen ausgestorbenen Meeresschildkröten wie z. B. bei Archelon aus der Kreide nachgewiesen (Snover & Rhodin 2008, 33). Diese sind aber mit der heute lebenden Gattung Dermochelys nicht verwandt. Daher muss je nach systematischer Einordnung der fossilien Formen eine zwei- bis viermalige unabhängige, also konvergente Entstehung dieser ungewöhnlichen Form des Skelettwachstums angenommen werden. Alternativ käme auch ein sekundärer Verlust in Frage. Beide Szenarien halten Snover & Rhodin nicht für wahrscheinlich.
Es handelt sich also um eines von mehr und mehr bekannt werdenden Beispielen dafür, dass auch Bauplan-Gleichheit in der Ausprägung von Komplexmerkmalen an sich nicht auf gemeinsame Vorfahren schließen lässt (vgl. das Streiflicht über die Konvergenz im Echoortungssystem bei Fledermäusen und Walen).
[Snover ML & Rhodin AGJ (2008) Comparative Ontogenetic and Phylogenetic Aspects of Chelonian Chondro-Osseous Growth and Skeletochronology. In: Wyneken J, Godfrey MH & Bels V (eds) Biology of Turtles. Boca Raton: CRC Press, S. 17-43.]
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Eierschalen werden in der archäologischen Forschung bereits seit längerer Zeit als Untersuchungsobjekte genutzt. Sie können einen Beitrag zur Ermittlung paläoökologischer Verhältnisse leisten oder auch zur Feststellung von Ernährungsgewohnheiten vergangener Kulturen. Auch zu Datierungszwecken sind fossile Eierschalen genutzt worden.
Jetzt legten Oskam et al. (2010) eine Studie zur Isolierung und Charakterisierung von DNA aus fossilen Vogeleiern vor. Dabei zeigt sich, dass Eierschalen aufgrund ihres Aufbaus sehr gut geeignet sind für die Erhaltung fossiler Nukleinsäure-Makromoleküle. Die Schalen von Vogeleiern bestehen zu ca. 97% aus Calcit (einem Calciumcarbonat-Mineral; CaCO3) und ca. 3% organischem Material. Im Uterus wird bei Vögeln auf der Schalenhaut (Membranen, die das Ei umschließen) die Kalkschale aufgebaut. Die Schale schützt den sich entwickelnden Embryo vor mechanischer Zerstörung und vor Mikroorganismen. Durch die Eierschale erfolgt der Austausch von Gasen und Wasser. In früheren Studien (Miller et al. 2000) war gezeigt worden, dass die organischen Komponenten eher intra- als interkristallin (also eingebettet in die Mineralkristalle und nicht zwischen diesen) vorkommen. Von diesem strukturierten Aufbau scheinen auch Biomakromoleküle zu profitieren, denn sie sind in den Calcitkristallen auch vor einem Abbau durch Mikroorganismen geschützt.
Oskam et al. berichten von Versuchen, durch die in den vergangenen Jahren DNA aus der Schalenhaut von Eiern aus Museen isoliert und charakterisiert wurde. Aus dem Jahr 2009 führen sie zwei Arbeiten an, in denen DNA-Profile (Mikrosatelliten) aus frischen, pulverisierten Eierschalen der Silbermöwe (Larus argentatus) und von Hühnchen (Gallus gallus) beschrieben wurden.
Oskam und Mitarbeiter untersuchten Proben aus fossilen Eierschalen von Emus (Dromaius novaehollandiae), Donnervögeln (Genyornis), Elefantenvögeln (Mullerornis agilis) und verschiedenen Moaarten (Dinornis sp.) aus Australien, Madagaskar und Neuseeland. Die Alter der Fossilien lagen zwischen 400 bis ca. 50 000 Jahren. Aus den ältesten Fossilien (ca. 50 000 Jahre) konnte keine DNA isoliert und nachgewiesen werden. Aus jüngeren Proben konnten sie z. B. aus 19 000 Jahre alten fossilen Eierschalen von Emus mitochondriale DNA (mtDNA) isolieren.
Wo in der Eierschale befindet sich die DNA? Mit Fluoreszenzfarbstoffen konnte DNA in Proben angefärbt werden und bei mikroskopischen Untersuchungen zeigte sich, dass DNA gleichmäßig in der gesamten Schale verteilt vorkommt, auch wenn sie gelegentlich konzentriert an bestimmten Strukturen (mammillary cones) nachzuweisen ist.
Die Autoren haben verschiedene Methoden zur Extraktion von DNA (sowohl mitochondriale DNA, mtDNA, als auch DNA aus Zellkernen, nuDNA) ausprobiert und für die verschiedenen Proben optimiert. Um zu untersuchen, welcher Anteil der DNA von Bakterien stammt, wurden jeweils für Bakterien und Vögel spezifische Sequenzen verglichen. Die Resultate zeigen, dass in fossilen Eierschalen von Moas sehr viel weniger bakterielle DNA nachzuweisen ist als in deren fossilen Knochen.
Die Untersuchungen wurden parallel in zwei verschiedenen Labors durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass historische und fossile Eierschalen verheißungsvolle Quellen für fossile DNA darstellen. Mit diesen Untersuchungen konnten Oskam et al. zeigen, dass auch aus Lebensräumen in feuchtem oder trockenem, heißem Klima fossile DNA zugänglich sein kann. Nach diesen Resultaten sind die Schalen von Vogeleiern potentielle Quellen dafür, auch wenn bereits jetzt feststeht, dass auch intrakristallin eingelagerte Biomakromoleküle nicht beliebig lange konserviert werden. Mit diesen Untersuchungen ist ein neues Feld eröffnet zur Erforschung ausgestorbener Vögel anhand molekularer Daten. Auf die ersten aussagekräftigen DNA-Sequenzen darf man gespannt sein.
[Miller GH, Hart CP, Roark EB & Johnson BJ (2000) Isoleucine epimerization in eggshells of the flightless Australian birds, Genyornis and Dromaius. In: Perspectives in amino acid and protein geochemistry (eds.: Goodfriend GA, Collins MJ, Fogel ML, Macko SA & Wehmiller JF) S. 161„181. Oxford, MA: Oxford University Press; Oskam CL, Haile J, McLay E, Rigby P, Allentroft ME, Olsen ME, Bengtsson C, Miller GH, Schwenninger J-L, Jacomb C, Walter R, Baynes A, Dortch J, Parker-Pearson M, Gilbert MTP, Holdaway RN, Willerslev E & Bunce M (2010) Fossil avian eggshell preserves ancient DNA. Proc. Roy. Soc. B doi: 10.1098/rspb.20092019.]
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Am brennenden Dornbusch wird Mose das verheißene Land als ein gutes und geräumiges Land beschrieben, das von Milch und Honig überfließt (Ex 3, 8). Dieser Honig wird häufig als süßes Produkt aus Datteln, Feigen oder Trauben interpretiert, da keine gezielte Honigproduktion durch Imkerei angenommen wird (Ri 14,8+9; 1. Sam 14,27).
Nun haben Bloch et al. (2010) den Inhalt von Tonzylindern aus ungebranntem Ton untersucht und darin Überreste von Bienen (Arbeiterinnen, Drohnen und Larven) gefunden. Ähnliche Tongefäße sind als Bienenstöcke im Nahen Osten immer noch im Gebrauch. Sie haben an einer Stirnseite ein kleines Loch als Flugloch für die Bienen und auf der gegenüberliegenden Seite eine mit einem Deckel verschlossene Öffnung, um die Honigwaben zu entnehmen. Die Tongefäße waren bei Grabungen in Tel Rehov im mittleren Jordantal in Nordisrael freigelegt worden, sie waren in mehreren Reihen aufeinander geschichtet und werden von den Autoren als eine industrielle Bienenzucht und Imkerei in einem damals dicht besiedelten Gebiet interpretiert. Radiometrische Datierungen (14C) ergaben ein Alter von 10. bis 9. vorchristliches Jahrhundert. Damit haben Bloch et al. den archäologisch ältesten Imkereibetrieb in Israel beschrieben, zur Zeit, als David und Salomo Könige in Israel waren bzw. um die Zeit der Reichsteilung.
Aufgrund von elektronenmikroskopischen Untersuchungen der gefundenen Insektenbeine, Körper und vor allem der Flügelfragmente konnten anhand von Vergleichsdaten auch Fragen nach der gezüchteten Bienenart bearbeitet werden. Durch morphologische Vergleiche (vor allem der durch die Flügeladern gebildeten Zellen) kann wahrscheinlich gemacht werden, dass vor ca. 3000 Jahren in Israel Imker nicht mit der lokalen Bienenart Apis mellifera syriaca oder mit anderen benachbarten Unterarten (A. m. lamarckii, oder A. m. meda), sondern mit A. m. anatoliaca gearbeitet haben. Das ist eine Bienenart, die aus dem Gebiet der heutigen Türkei stammt, vergleichsweise wenig aggressiv ist und gute Honigproduktion aufweist. Mit dieser Arbeit wurden Befunde vorgestellt, die belegen, dass um 1000 v. Chr. in Israel Bienenzucht und Imkerei bereits auf hohem Niveau etabliert waren.
Abbildungen von der Ausgrabungsstätte sowie mikroskopische Aufnahmen der Überreste von Bienen sind im Internet zu finden unter: www.pnas.org/lookup/suppl/doi:10.1073/pnas.1003265107/-/DCSupplemental).
[Bloch G, Frankoy TM, Wachtel I, Panitz-Cohen N, Fuchs S & Mazar A (2010) Industrial agriculture in the Jordan valley during biblical times with Anato honeybees. Proc. Nat. Acad. Sci. USA; doi: 10.1073/pnas.1003265107]
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Schon lange ist bekannt, dass Seeigel auf Lichtreize reagieren. Manche suchen dunkle Höhlen auf, sie können polarisiertes Licht wahrnehmen, weichen UV-Licht aus, haben einen Tag- und Nacht-Rhythmus, finden ihre Heimathöhle usw. Eine Untersuchung des gesamten Erbgutes zeigte, dass mehrere für das Sehen notwendige Opsin-Gene im Erbgut von Seeigeln vorhanden sind, aber trotz genauer Untersuchungen wurden keine Augen entdeckt. Die Opsin-Eiweiße, die sonst nur im Auge vorkommen, konzentrieren sich zwar an manchen Stellen auf dem Körper, so in den Füßchen und anderen Organen, sind aber letztlich über den ganzen Körper verteilt. Der Forscher Woodley hatte 1982 die Idee, ob nicht der ganze Körper als Auge dienen und das Stachelkleid der Seeigel durch die jeweilige Beschattung einen Einfluss auf das Richtungssehen haben könnte. Tatsächlich konnten Blevins und Johnson (2004) diese Vermutung in gewisser Weise bestätigen. Bei der damals getesteten Gattung Echinometra sitzen die Stacheln relativ weit verteilt am Körper. Theoretische Betrachtungen ergaben eine Sehschärfe von maximal 30° (das entspricht etwa einem Autoreifen in 1m Abstand). Tatsächlich konnten diese Seeigel in den Experimenten Objekte wahrnehmen, die diese Mindestgröße von 30° ihres Sichtfeldes besaßen. Wenn die Hypothese, dass das schattenspendende Stachelkleid einen Einfluss auf die Sehschärfe hat, stimmt, dann müssten Seeigel mit dichterem Stachelkleid wohl kleinere Objekte sehen können. Kürzlich testeten Yerramilli und Johnsen eine weitere Art, Strongylocentrotus purpuratus auf ihre Sehfähigkeit. Die Stacheln dieser Art sind ca. 2-3-mal so dicht wie die der zuvor untersuchten Art und diese Tiere sollten daher eine theoretische Auflösung von ca. 8° erreichen (ca. Kuchenteller in 1m Abstand). Es wurden deshalb dunkle Aufkleber in einem ansonsten konturlosen Aquarium getestet, die entweder 6,5° (ca. Untertasse in 1m) oder 10° (ca. Suppenteller in 1m) des „Sichtfeldes“ der Seeigel einnehmen. Die Tiere reagierten auf die kleineren Aufkleber mit 6,5° nicht, wohingegen die größeren Aufkleber von 10° gesehen wurden und je nach Tier verschieden, dann aber konsistent verschiedene Reaktionen hervorriefen: Ein Teil der Seeigel kroch so weit wie möglich weg, ein anderer Teil suchte die dunklen Aufkleber auf. Warum manche so oder so reagierten, blieb unklar. Verblüffend ist aber, dass sich die Hypothese „dichtes Stachelkleid besseres Sehen“ bestätigen ließ. Offensichtlich setzen diese Tiere also ihren ganzen Körper als Auge ein. Der Ort der nervlichen Verarbeitung der Signale ist unklar, denn Seeigel besitzen kein Gehirn. Das erinnert an Würfelquallen, die Fischjäger sind und mehrere Linsenaugen besitzen. Auch diese Tiere haben kein zentrales Gehirn, schwimmen aber zielstrebig auf Beute zu oder vermeiden andere Objekte. Die Sehschärfe des Seeigel-Ganzkörperauges mag gering erscheinen, aber Tiere mit dichtem Stachelkleid erreichen eine ähnliche Auflösung wie Nautilus mit seinen Lochkameraaugen oder Pfeilschwanzkrebse mit ihren einfachen Komplexaugen. Man fragt sich da dann schon, ob frisch aufgeschlagene Seeigel mit Zitrone beträufelt wirklich eine Delikatesse sind.
[Blevins E & Johnsen S (2004) Spatial vision in the echinoid genus Echinometra. J. Exp. Biol. 207, 4249-4253; Yerramilli D & Johnsen S (2010) Spatial vision in the purple sea urchin Strongylocentrotus purpuratus (Echinoidea). J. Exp. Biol. 213, 249-255.]
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Letzte Änderung:
19.11.2010 •
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