|
Abb. 1: Zwischen 4 und 7 MrJ gab es 5 Hominiden-Gattungen über ganz Afrika verteilt. Eine davon ist die auf 4 MrJ datierte Australopithecus-Art in Sterkfontein, Südafrika. Alle diese Formen werden oder wurden schon einmal als potentielle Vorfahren des Menschen diskutiert (siehe auch den nachfolgenden Kommentar „Evolution des Menschen ohne Zwischenglieder?“). |
In der möglicherweise fossilreichsten HominidenFundstelle der Welt, der südafrikanischen Höhle bei Sterkfontein wurden in den letzten beiden Jahren weitere hochinteressante und immer älter datierte Hominiden geborgen. Die Fossil-Fundstätte mehrere zusammenhängende Kalkstein Höhlen wird schon seit den dreißiger Jahren untersucht und gehört zum Weltkulturerbe. Man hat insgesamt 600 Reste von über 100 frühen Hominiden-Individuen ausgegraben, wobei die meisten zur Gattung der Australopithecinen gerechnet werden.
Aus dieser Höhle stammt auch das Teilskelett (Katalog-Nr. StW 573) mit dem Namen „Little Foot“. In den 1970er Jahren waren Fußknochen gefunden und 1994 von Ron CLARKE in einer Museumsschublade wieder entdeckt worden (CLARKE & TOBIAS 1995). Eine gezielte Grabung förderte dann 1997 weitere Teile dieses Individuums zutage. Sie ergaben ein Teilskelett, das in monatelanger Arbeit aus den fest verbackenen, zementartigen Kalksteinschichten befreit werden mußte.
Nun wurden weitere Knochen von Australopithecus spec. aus dem Sterkfontein-Höhlensystem beschrieben: Fragmente von Beckenknochen, Oberschenkelknochen, Rippen und Teile des Rückgrates. Im April dieses Jahres schließlich erschien die Beschreibung einer weiteren Serie von Funden aus einem bisher unerschlossenen Nachbargewölbe den Jacovec-Höhlen (PARTRIDGE et al. 2003). Bei diesen Hominidenfunden handelt es sich um Teile eines Schädels (StW 578; mit Teilen von Hinterhaupt-, Schläfen-, Stirn- und Scheitelbein sowie verschiedenen Gesichtsknochen), ein paar wenige Zähne, die untere Hälfte eines linken Oberarmknochens, die obere Hälfte eines linken Oberschenkelknochens, ein Teil eines Schlüsselbeins und ein Handknochen (diese Funde haben StWKatalognummern zwischen 590 und 606).
Die Forscher CLARKE und TOBIAS hatten schon 1995 aus der Anatomie von „Little Foot“ geschlossen, daß diese Australopithecus-Art sowohl aufrecht gehen als auch sich hangelnd fortbewegen konnte. Die Vermutung, daß die grazilen Australopithecinen kletternde Zweibeiner (oder zweibeinige Kletterer je nach Perspektive) gewesen sein könnten, wird jedoch schon seit über 20 Jahren vor allem für die ostafrikanischen Australopithecinen diskutiert (SUSMAN et al. 1983), auch wenn diese Meinung nicht von allen Anthropologen anerkannt wurde (z.B. LOVEJOY 1988).
Nun kristallisiert sich eine interessante Kombination von Merkmalen auch für die südafrikanischen Australopithecinen heraus: Standfuß (zweibeinig), Greifzeh (kletternd) und eine Hand mit opponierbarem Daumen (menschlich). Der sehr kräftige Daumen erlaubt anders als beim Schimpansen und Orang-Utan den sogenannten Präzisionsgriff (Zeigefinger und opponierbarer Daumen können ein „O“ formen, ein typisch menschliches Merkmal). Ron CLARKE folgert daraus, daß die australomorphe Art diesen Merkmalskomplex entwickelt habe, weil dies beim Greifen nach Ästen von Vorteil gewesen sei. Als dann irgendwann der Baum- zum Bodenbewohner wurde, habe sich diese Errungenschaft für Werkzeugherstellung und andere Manipulationen als recht brauchbar erwiesen. Früher nannte man dies „Präadaptation“; doch solche oft als „story telling“ kritisierten Szenarios lassen sich nicht testen.
MrJ: Millionen radiometrisch bestimmte Jahre. Mit dieser Bezeichnung soll die Abhängigkeit der Zeitskala von geologisch-radiometrischen Altersbestimmungsmethoden verdeutlicht werden.
|
Aus diesen Ergebnissen folgern diese Forscher, wie der letzte gemeinsame Vorfahre von Schimpanse und Mensch sich fortbewegt haben müsse: hangelnd-kletternd (d.h. baumbewohnend) und weder bodenbewohnend zweibeinig wie der Mensch noch knöchelgehend wie die Schimpansen. Letzteres seien beides sekundäre Entwicklungen gewesen.
Eine weitere Besonderheit des neuen Fundkomplexes ist das Alter: Ursprünglich hatten CLARK und Mitarbeiter die neuen Fossilien auf 3,5 MrJ datiert, was BERGER und Kollegen (2002) als zu alt kritisierten. Dem Fundkomplex wurde von den Kritikern höchstens ein Alter von knapp unter 3 MrJ zugebilligt. BERGER wollte damit demonstrieren, daß diese Formen aus Sterkfontein nicht zeitgleich mit Australopithecus afarensis, Australopithecus bahrelghazali und Kenyanthropus platyops lebten, sondern wesentlich später.
Doch die Revisionsarbeiten, die in Zusammenarbeit mit Tim PARTRIDGE von der Johannesburger Witwatersrand-Universität durchgeführt wurden (PARTRIDGE et al. 2003), erbrachten ein noch höheres Alter als ursprünglich angenommen. Inzwischen datiert dieser Fundkomplex auf 4,17 MrJ. Tim PARTRIDGE wandte eine neuartige Datierungsmethode an und hat die zeitliche Neu-Einordnung auch für andere Funde in Ost- und Zentralafrika ermöglicht. Diese Daten hat er nun zusammen mit Ron CLARKE, Darry GRANGER und Marc CAFFEE in „Science“ veröffentlicht (2003).
Die Methode beruht auf der Entstehung von Aluminium- und Berylliumisotopen aus z.B. Sauerstoffatomkernen, die durch kosmische Strahlen an der Erdoberfläche zum Zerfall gebracht werden. Diese instabilen Isotope besitzen wiederum ein bestimmtes Zerfallsprofil. Wenn das Erdreich nun durch Höhleneinsturz unter die Erdoberfläche gelangt (und damit keine neuen Aluminium- und Berylliumisotope mehr gebildet werden), zerfallen die zuvor entstandenen Isotope unterschiedlich schnell, so daß man aus dem Isotopenverhältnis das Alter des Höhleneinsturzes berechnen kann.
Durch die deutliche Erhöhung des Alters lebt „Little Foot“ nicht zeitgleich oder gar später als „Lucy“ (wie BERGER et al. 2002 behaupteten), sondern war ein Zeitgenosse der ältesten Australopithecus-Formen wie z.B. A. anamensis und der Gattung Kenyanthropus. Zudem hat die neue Datierungsmethode auch Einfluß auf das Alter anderer Australopithecinen. Die Forscher gehen davon aus, daß die frühen Hominiden aus der Gattung Australopithecus alle um bis zu zwei MrJ älter waren als bislang angenommen, so daß ihr Vorkommen eine Zeitperiode zwischen vier und sechs MrJ umspannen könnte (zuvor lag die Spanne eher bei zwei bis vier MrJ). Die Australopithecinen holen also zeitlich wieder auf, nachdem ihnen die Hominiden Ardipithecus, Kenyanthropus, Orrorin und Sahelanthropus (Abb. 1) zeitlich und auch morphologisch den Rang abzulaufen und sie buchstäblich aus dem evolutionären Rennen zu drängen schienen (HARTWIGSCHERER 2002). Daß auch das mehrere 1000 km südlich von Äthiopien gelegene Südafrika ein relativ hohes Hominidenalter zu bieten hat, erweitert nicht nur den Zeit-, sondern auch den örtlichen Entstehungsrahmen der mutmaßlichen Vorfahrengruppe zum Menschen um eine Größenordnung.
Aus der Sicht der Schöpfungsbiologie scheint es, daß die Ausbreitung des Grundtyps Australopithecus relativ schnell erfolgte und den gesamten Afrikanischen Kontinent umfaßt hat. Die Aufspaltung dieses Grundtyps in verschiedene Arten wurde wohl u.a. auch durch lokale Gegebenheiten begünstigt (Vorhandensein von Wald, klimatische Bedingungen, Nahrungsangebot u.v.a.). Wieviele Grundtypen die Australopithecinen, Kenyanthropus, Sahelanthropus und Orrorin tatsächlich umfaßten, muß weiter offen bleiben ähnlich wie ihre evolutionäre Stellung als vermeintliche menschliche Vorfahrengruppensein.
|