Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 9. Jg. Heft 2 - Oktober 2002
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Simon Winchester
Eine Karte verändert die Welt

William Smith und die Geburt der modernen Geologie

Rezension von Manfred Stephan

Studium Integrale Journal
9. Jahrgang / Heft 2 - Oktober 2002
Seite 103 - 105


Simon Winchester
Eine Karte verändert die Welt.
William Smith und die Geburt der modernen Geologie
(Aus dem Englischen von R. Pfleiderer).
Verlag Albrecht Knaus, München 2001, Gebunden, 335 Seiten

William Smith (1769-1839) erhielt 1831 für seine grundlegenden Schichtuntergliederungen, die in der berühmten geologischen Karte von England und Wales (1815) gipfelten, als erster die neugestiftete, dem späteren Nobelpreis vergleichbare Wollaston-Medaille. Er gilt als Begründer der Schichtenbeschreibung (Stratigraphie) mit Hilfe von Fossilien (Biostratigraphie). In der Laudatio wurde er von dem bedeutenden Geologen A. Sedgwick als „Vater der englischen Geologie“ gefeiert (282). Über Smith gab es bisher außer kurzen Abschnitten in geologiegeschichtlichen Veröffentlichungen kaum deutschsprachige Literatur (s. aber HAARMANN 1942). Nun liegt die erste Biographie in Übersetzung vor. Der Autor studierte zwar in den 1960er Jahren Geologie, ist aber seit langem als Journalist, Sachbuchautor und Korrespondent tätig. Entsprechend leicht lesbar und verständlich ist sein Buch. Geologische Sachverhalte werden jedoch manchmal vereinfachend und popularisierend dargestellt.

William Smith stammte aus einfachen, bäuerlichen Verhältnissen. Da ihm eine Ausbildung finanziell nicht möglich war, eignete er sich die Fachkenntnisse für seinen Beruf als Gruben-, Straßen-, Kanalbau- und Entwässerungs-Ingenieur autodidaktisch an. Ein zumeist unstetes Berufsleben führte ihn in alle Regionen Englands.

Smith hatte 1791 während seiner ersten Anstellung (später war er fast nur freiberuflich tätig) in den Kohlengruben bei Bristol entdeckt, daß es eine rhythmische Abfolge unterschiedlicher Gesteine und der zwischengeschalteten Steinkohleflöze gibt. Ebenso haben die Flöze in den benachbarten Zechen die gleichen charakteristischen Merkmale und können miteinander parallelisiert werden. Auch erkannte er typische Abfolgen von Fossilien in der kohleführenden Schichtenfolge. Die gefaltete Steinkohlenserie (heute Karbon) wird in diesem Gebiet von ungefalteten, fast waagerechten, zumeist roten Mergelschichten (heute: Trias) bedeckt. Smith erkannte auch, daß diese scheinbar waagerecht liegenden roten Mergel ein leichtes Gefälle nach Südosten aufweisen. Er fragte sich, ob die Mergel aus diesem Grund nicht weiter südöstlich von anderen Schichtfolgen überlagert sind. Es war ein großes Glück für Smith, daß er in dieser Zeit mit der Planung zweier Kanäle zum Transport der Kohle beauftragt wurde, die parallel etwa nach Osten verlaufen sollten. Für diese Kanäle wurde der Untergrund von Sommerset „aufgeschnitten“ (88), und Smith lernte von Westen nach Osten immer neue, aufeinanderfolgende Schichten kennen: Über den roten Mergeln folgten zahlreiche fossilführende Schichtgesteine, deren Fossilabfolge sich nach oben immer wieder ändert (Lias, später Unterer Jura genannt). Südlich von Bath sind sie überlagert von mächtigeren, landschaftlich als Hügel hervortretenden Schichtfolgen. Diese bestehen zum Teil aus Gesteinen, die ein fischrogenartiges Aussehen haben (sog. Oolithe; später als Mittlerer Jura benannt). Auch hier treten von Schichtstoß zu Schichtstoß immer wieder andere Fossilien auf. Smith begann eine umfangreiche Fossiliensammlung anzulegen mit genauen Vermerken, aus welcher Schicht jedes Fossil stammt.

Leider hatte Smith eine Abneigung gegen das Schreiben. 1799 diktierte er zwei befreundeten Geistlichen die ihm bis dahin bekannte Abfolge von 23 übereinanderliegenden Schichtfolgen und den jeweiligen Fossilinhalt tabellarisch, angefangen von der Steinkohle (Karbon) bis zur Schreibkreide (Oberkreide). Die Tabelle (in Englisch bei HAARMANN 1942, 131!) wurde auf seinen Wunsch hin verbreitet.

Smiths frühe Idee, seine Entdeckung der Schicht- und Fossilabfolgen in Form einer großformatigen, detaillierten farbigen geologischen Karte von England und Wales herauszugeben, führte zunächst ab 1799 zu kleineren und einfacheren Karten. Da er beruflich fast ständig mit der Postkutsche unterwegs war, konnte er seine geologischen und fossilkundlichen Kenntnisse über die englischen Schichtfolgen immer mehr verbessern und von Landstrich zu Landstrich miteinander vergleichen. Es wird berichtet, daß er immer neben dem Kutscher saß und sofort herab sprang, wenn er Gesteinsschichten erblickte. Vielen Menschen wurde er so als Sonderling, als „Strata-Smith“ („Schichten-Schmidt“) bekannt. Erst 1815 konnte er mit Hilfe vermögender Gönner die große Karte vollenden. Da die Geological Society in London unter ihrem snobistischen Präsidenten Greenough ihn wegen seiner einfachen Herkunft und ungeschliffenen Sprache ausgrenzte (und ihn zudem durch Herausgabe einer eigenen, großenteils „abgekupferten“ [!] Karte finanziell schädigte), brachte auch dieses Projekt nicht seine fachliche Anerkennung. Erst viele Jahre später, als herausragende, vorurteilsfreiere Geologen wie Murchison, Sedgwick und Buckland in der Geologischen Gesellschaft zu Autoritäten aufrückten, verlieh ihm die Society als „offizielle“ Anerkennung seiner Lebensarbeit die genannte Medaille. Fazit und Ziel seiner Forschungen drückte er 1817 so aus: „Die Identifikation von Schichten mit Hilfe der Fossilien [wird] eine der wichtigsten modernen Entdeckungen der Geologie werden. Es befähigt den Geologen, eine Schicht von der anderen in England klar zu unterscheiden und ihre Verbindung mit der gleichen Schicht auf dem Kontinent aufzuspüren“ (Übersetzung U. Leu).

WINCHESTER stellt Smith als Bahnbrecher neuer geologischer Erkenntnisse dar, „die es dem Menschen erlaubt haben, aus dem Schatten religiöser Dogmen zu treten und gesicherte Erkenntnisse über den Ursprung des Menschen und des Planeten zu gewinnen“, und die in der Arbeit Darwins gipfelten (14; ähnlich 25). Er schreibt, die Schöpfung der Erde, die Bischof Ussher anhand der biblischen Chronologien auf 4004 v. Chr. berechnet hatte und die allgemein anerkannt war (28-30), wurde nun „von wirklichen Denkern geprüft, von Rationalisten, von radikalen Wissenschaftlern, die den Mut aufbrachten, Dogmen und Gesetze in Frage zu stellen, Klerus und Justiz herauszufordern“ (39). An anderer Stelle ist „von der geistigen Knebelung durch religiöse Dogmen“ die Rede (222). Solche Bemerkungen ziehen sich durch das Buch. Pathetisch kommentiert der Autor die geologische Schichtentabelle, die Smith den oben genannten Geistlichen diktierte:

„Zum ersten Mal hatte die Erde eine nachweisbare Geschichte, festgehalten in einem schriftlichen Dokument, das sich keinen religiösen Dogmen anpaßte oder unterwarf, sondern von einem Glauben lossagte, der nichts weiter war als die blinde Akzeptanz des Absurden. Eine Wissenschaft – eine elementare, grundlegende Wissenschaft, die es der Menschheit zu gegebener Zeit erlaubte, die nahezu unbegrenzten Schätze der Unterwelt auszubeuten – hatte sich endlich von den uralten Zwängen der doktrinären und kanonischen Bevormundung befreit“ (139).

WINCHESTER bringt keine Belege für die Sicht, daß schon William Smith seine geologische Forschung als Speerspitze gegen die biblische Urgeschichte verstanden habe. Auch Personen, die Smith nahe standen, haben seine Forschungen nicht als unvereinbar mit den ersten Kapiteln der Bibel bewertet. Einer der beiden genannten Geistlichen, Rev. Townsend, der „ein wahrer Freund“ Smiths war und selbst die wissenschaftliche Zuverlässigkeit der biblischen Schöpfungs- und Sintflutlehre belegen wollte, stellte in einem eigenen Buch „die Hauptgedanken von William Smiths Arbeit ausführlich“ dar und zeigte damit, „daß Smith grundlegend neue Erkenntnisse über das Innere der Erde zu verdanken waren“ (212f.). Das hätte der Reverend aber nicht getan, wenn er Smiths geologische Forschungsresultate als bibelwidrig angesehen hätte. Ein „begeisterte(r) Fürsprecher“ von Smith war auch der Unterhausabgeordnete Lockhart. Er vertrat ähnlich wie Townsend die Meinung, die er auch in einer „flammenden Rede“ vortrug, Smiths Erkenntnisse stützten den biblischen Schöpfungs- und Sintflutbericht (244). Das zeigt zumindest, daß man in seinen Forschungsresultaten keine Widerlegung der biblischen Urgeschichte sehen mußte und ebenso, das Smith sich nicht entsprechend kritisch geäußert haben kann. Er stellte ja keine eigentlichen erdgeschichtlichen „Theorien“ (also Deutungen) auf (so mißverstehen auch WHITCOMB & MORRIS 1977, 128). Im wesentlichen hat Smith sich auf genaue Beobachtungen (also Daten) beschränkt, nämlich auf die geregelte Abfolge der unterschiedlichen Schichten und der Fossilien in der Gesteinsfolge. HÖLDER (1976, 109) äußert sogar: „Weitere Fragen hat Smith aber nicht daran geknüpft. Denn ihn interessierte die praktische Seite der Angelegenheit. Er konnte mit den ‚Leitfossilien’, wie wir heute sagen, nun jederzeit bestimmte Gesteine wiedererkennen, sei es, daß sie als technisch wichtiges Material dienten, sei es, daß sie besondere Schwierigkeiten beim Bau von Straßen, Brücken und Kanälen zu machen pflegten.“

Doch ganz so verhält es sich nicht. Smith vertrat trotz dem Optimismus seiner o.g. Förderer geologische Langzeit-Vorstellungen, wenngleich er sich zurückhaltend ausdrückte. Er konnte von „Perioden der Erdgeschichte“ sprechen (s.u.). Es ging Smith nicht ausschließlich um „die praktische Seite der Angelegenheit“. So schrieb er 1817, „daß jede Schicht dieser fossilen organisierten Körper für eine eigene Schöpfung gehalten werden muss“. Denn wie die in den einzelnen Schichtabschnitten eingebetteten Fossilien „sich grundsätzlich von den gegenwärtigen Meeresbewohnern unterscheiden, so unterscheidet sich jedes [Fossil] vom anderen während der einzelnen Perioden der Erdgeschichte“ (Übersetzung U. Leu). Die von ihm entdeckte „große Linie der Abfolge (Sukzession)“ der Lebewesen in den Schichtgesteinen deutete er also nicht – was ja möglich gewesen wäre – im Rahmen der seinerzeit noch weithin anerkannten Kurzzeit-Urgeschichte. Offenbar im Sinn langzeitlicher Entstehung notierte Smith schon 1795/96 in seinem Notizbuch: „Die Schichten waren der Reihe nach Meeresboden und enthielten die mineralisierten Denkmäler der damals existierenden organischen Wesen“ (zit. n. HAARMANN 1942, 125). Die Abfolge der Schichten unterschied Smith scharf von den darüber liegenden lockeren Kiesen und Sanden an der Erdoberfläche; nur für letztere ließ er die Sintflut als Entstehungsursache gelten (HAARMANN 1942, 125). Die meisten dieser Ansichten waren in den Grundzügen schon seit 1762 vertreten worden (G.C. Füchsel in Thüringen; vgl. MÖLLER 1963, 15-24; HÖLDER 1960, 480) und hatten inzwischen auch in Großbritannien Anhänger gefunden (vgl. WHITCOMB & MORRIS 1977, 125-127; HÖLDER 1989, 56f.).

Nach der Verleihung der Wollaston-Medaille besuchte Smith, der laut WINCHESTER „nie ein besonders gottesfürchtiger Mann“ war, mit allen Angehörigen in seinem Geburtsort die Kirche, „wo wir im Gebet unsere kahlen Köpfe vor ihrem Schöpfer verneigten“ (283), wie er notierte. In den Erläuterungen zur geologischen Karte (1815) schrieb er über die geordnete Schichten- und Fossilabfolge: „Dabei ergab sich der für jeden wissenschaftlich Urteilenden überzeugende Beweis, daß die Erde ebenso wie die anderen Werke aus der Hand ihres großen Schöpfers nach geordneten und unwandelbaren Gesetzen gebildet und von ihnen beherrscht ist...“ (zit. n. HÖLDER 1960, 438). Es ist natürlich trotzdem nicht ausgeschlossen, daß Smith – um mit dem Historiker J. BURCKHARD (1905, 31) zu sprechen – ebenso wie die „Masse“ der (damaligen) Bevölkerung nur „an der äußeren Form“ der Religion festgehalten hat (BURCKHARD wußte, daß der Menge „der Kern jeder Religion unzugänglich bleibt“). Aber es geht zu weit, wenn man wie WINCHESTER ohne Belege in Smith einen „ausgewiesenen Agnostiker“ sehen will (140). Das erweckt wie viele Bemerkungen des Buches den Eindruck, als solle Smith für die eigene weltanschauliche Sicht reklamiert werden.

Der Autor beschreibt in Kap. 11 anschaulich seine Reise auf den Spuren von William Smith durch die schöne Landschaft entlang der Mitteljura-Oolithe, die sich fast durch ganz England von der Dorset-Kanalküste nach Norden zieht. Er erzählt von einem Ammonit, den er einst als Schüler eines unter der strengen Leitung von Ordensschwestern stehenden klösterlichen Internats am Strand gefunden und dann wieder verloren hatte. Zu Beginn seiner Reise fand er dort nun leider keinen zweiten Ammoniten. „Wie gern hätte ich ein Exemplar als Talisman bei mir getragen“ (175; ähnl. 168). Und die zufällige Begegnung mit dem jüngsten Preisträger der kürzlich gestifteten William Smith Award (Medaille) nahm er als „gutes Omen“ für den Rest der Reise (303). Wie bemerkte doch J. BURCKHARD (1860, 477) zur Religionskritik in der Renaissance? „Letzteres ist wieder höchst bezeichnend; der Glaube ist dahin, aber die Magie behält man sich vor.“

Literatur

BURCKHARD J (1860)
Die Kultur der Renaissance in Italien. Angeführt n. Kröners Taschenausgabe, Bd. 53. Stuttgart 1976.
BURCKHARD J (1905)
Weltgeschichtliche Betrachtungen. Über geschichtliches Studium. Angeführt n. dtv-Bibliothek. München 1978.
HAARMANN E (1942)
Der „Schichten-Schmidt“. William Smith 1769-1839. Geol. Rundschau 33, 121-155.
HÖLDER H (1960)
Geologie und Paläontologie in Texten und ihrer Geschichte. Orbis Academicus, Bd. II/11. Freiburg / München.
HÖLDER H (1976)
Die Entwicklung der Paläontologie im 19. Jahrhundert. In: Treue W & Mauel K (Hg) Naturwissenschaft, Technik und Wirtschaft im 19. Jahrhundert. Acht Gespräche der Georg-Agricola-Gesellschaft zur Förderung der Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik, 1. Teil. Göttingen, S. 107-134.
HÖLDER H (1989)
Kurze Geschichte der Geologie und Paläontologie. Berlin.
MÖLLER R (1963)
Mitteilungen zur Biographie Georg Christian Füchsels. Freiberger Forsch.-Hefte D 43, 1-29.
WHITCOMB JC & MORRIS HM (1977)
Die Sintflut. Neuhausen-Stuttgart. Amerikan. Originalausgabe Philadelphia 1961.

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