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Die Kontroverse um die 14C-Datierung für den Alten Orient ist so alt, wie die Methode der Radiokarbondatierung selbst, und sie hat seit dieser Zeit immer wieder unerwartete Wendungen genommen. Eine Ursache dafür lag in dem beständigen Erkenntnisgewinn und der Weiterentwicklung der 14C-Methode. Die Entwicklung spiegelt sich in den tausenden 14C-Daten, die im Laufe der letzten Jahrzehnte generiert wurden, wider. Viele der Altersangaben, die in der Vergangenheit Anlaß zu kontroversen Diskussionen waren, werden heute als wenig aussagefähig angesehen, während neue Daten neue Probleme aufwerfen. Bevor das Problem der 14C-Daten des Alten Orients anhand einer Reihe von Beispielen eingehender diskutiert werden soll, ist es notwendig, einige grundsätzliche Fragen zu erörtern, die sich bei der 14C-Datierung historischer Artefakte, aber auch bei der konventionellen archäologisch-historischen Datierung vergangener Zeiträume ergeben. |
Neben dem Effekt der Verunreinigung, der bereits in Teil I des vorliegenden Aufsatzes, (Abschnitt "Verunreinigungen mit artfremdem Kohlenstoff") angesprochen wurde, besteht ein zweites Grundproblem der 14C-Datierung historischer Artefakte darin, daß mit dem Verfahren Proben datiert werden und nicht Ereignisse. Genauer: es wird der Sterbezeitpunkt des Materials ermittelt, aus dem ein bestimmter Artefakt hergestellt wurde. Gelegentlich ist zwar auch das Alter einer Probe an sich für den Archäologen interessant, in der Regel sucht er aber nach Anhaltspunkten für die Datierung eines bestimmten Ereignisses oder einer bestimmten Periode, etwa der Zerstörung einer Stadt oder der Regierungszeit eines Herrschers. Damit stellen sich gleich zwei Fragen: erstens die Frage nach der Assoziierung des 14C-Alters des datierten Materials mit dem Alter eines gefundenen Artefakts und zweitens die Frage nach dem Verhältnis beider zu dem damit korrelierten historischen Ereignis. Im Folgenden soll zunächst nur die erste der beiden Fragestellungen erörtert werden. Auf das Problem der Zuordnung archäologischer Funde (bzw. Fundschichten) zu geschichtlichen Ereignissen soll weiter unten noch ausführlicher eingegangen werden. Das Problem des Verhältnisses von Material und Artefakt läßt sich anhand des sog. "Altholz" (engl. "old wood")-Effektes illustrieren. Aufgrund der geringen Verunreinigungsneigung bildeten Holzproben (z.B. Balken in alten Bauwerken) und Holzkohlereste (etwa aus Zerstörungsschichten) in der Vergangenheit das Rückgrat der 14C-Datierung (Taylor 1987). Bäume wie die Zedern des Libanon, im Altertum gern als Baumaterial genutzt, konnten jedoch ein Alter von 400 Jahren und mehr erreichen (Schiffer 1986). Wurden sie in einem Bauwerk verarbeitet, kamen noch einmal einige Jahre oder Jahrzehnte Bauzeit hinzu. Datiert man einen solchen Holzbalken, so erhält man deshalb einen Zeitpunkt, der das Alter des Bauwerkes um einen unbekannten Betrag übersteigt. Hinzu kommt, daß oft nicht sicher auszuschließen ist, ob das Holz nicht vielleicht in einem viel älteren, abgerissenen Gebäude entnommen und wiederverwendet worden ist. Holzkohle ist bezüglich der Eignung für die Datierung mit Holz vergleichbar. Während das Material in der Regel als unanfällig gegen Verunreinigung gilt (Ausnahme bildet Material, das in feuchtem Boden oder Sumpf eingebettet war (Goh & Molloy 1979), ist die Assozierung der Proben mit den zu datierenden Fundschichten aus den oben erwähnten Gründen ebenfalls problematisch (Waterbolk 1987). In antiken Eisengegenständen finden sich gewöhnlich zwischen 0,1 und 5% Kohlenstoff (Taylor 1987). Wichtigste Quelle dieses Kohlenstoffs war Holzkohle. Letztere kann aus Holz hergestellt worden sein, das zur Zeit des zu datierenden Ereignisses gewachsen ist, sie kann aber auch aus Bauholz aus einem abgerissenen Gebäude o.ä. stammen, weshalb auch hier eine gewisse Unsicherheit besteht. Auch bei Keramik erweist sich die Herkunft der organischen Bestandteile als problematisch. Neben dem Lehm als Grundbestandteil kann in den Scherben additiver Kohlenstoff aus dem Brennprozeß (aus dem Feuerholz), Kohlenstoff aus Lebensmitteln, die in dem Gefäß zubereitet wurden, und Kohlenstoff aus möglichen späteren Verunreinigungen im Boden enthalten sein (De Atley 1980; vgl. auch Gabasino et al. 1986; Hedges 1992). Die Auswertung der 14C-Messung erfordert darum ein großes Maß an Erfahrung. In bronzezeitlichen Schatzkammern im syrisch-palästinischen Raum wurden große Mengen Elfenbein gefunden. Das Material gilt hinsichtlich der 14C-Datierung als "gutmütig", allerdings wird ein Altersgradient über die Dicke der Stoßzähne gemessen (Ralph 1971). Zumeist unbekannt ist, inwieweit älteres Material erst zu einer späteren Zeit aufgearbeitet und im Fundzusammenhang eingelagert wurde. Bei der Interpretation der 14C-Messung ist darum Vorsicht geboten. Hilfreich kann die Datierung einer Serie von Elfenbeinproben sein. Knochen lassen sich in der Regel exzellent mit dem zu datierenden Ereignis (normalerweise der Anlage eines Grabes) korrelieren. Aufgrund ihrer Porosität neigen sie aber außerordentlich stark zur nachträglichen Verunreinigung mit Fremdkohlenstoff. Obwohl in der Vergangenheit große Anstrengungen bezüglich der Probenvorbehandlung unternommen wurden, ist das Problem bis heute nicht vollständig gelöst (Hedges & van Klinken 1992). Stark verkohlte Knochen erlauben eine zuverlässigere Datierung als nicht verkohlte (Ralph 1971). Diesem Vorteil stehen aber auch potentielle Unsicherheiten gegenüber. Geyh et al. (1989) weisen auf ein Problem hin, das sich gerade aus der Kurzlebigkeit der Materialien ergibt: Frühere Untersuchungen (z.B. Farmer & Baxter 1972) ergaben an Proben aus den letzten zwei Jahrhunderten jährliche 14C-Aktivitätsschwankungen in der Größenordnung von 240 14C-Jahren, Burleigh & Hewson (1976) fanden sogar Abweichungen bis zu 300 14C-Jahren an Einjahresproben aus der Zeit um 2000 v. Chr. Die herkömmlichen Kalibrierkurven geben diese Schwankungen nicht oder nur abgeschwächt wieder, da sie auf 14C-Messungen an Proben beruhen, die ein oder zwei Jahrzehnte umfassen. Die erhaltenen 14C-Alter sind entsprechend "geglättet", d.h. sie stellen Mittelwerte über die entsprechenden Zeiträume dar. Das ist unproblematisch, wenn die zu datierenden Materialien "langlebig" waren, es kann aber zu gravierenden Fehldatierungen führen, wenn sie innerhalb eines oder weniger Jahre gewachsen sind, wie dies z.B. bei Getreide der Fall ist. Es muß an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß die unlängst vorgestellte Überarbeitung der einheitlichen Kalibrierkurve (Stuvier et al. 1998) für das dritte und vierte Jahrtausend v. Chr. auf Dreijahresintervallen beruht, was das Problem für den genannten Zeitraum künftig verringern wird. Ein weiteres potentielles Problem für die Datierung bestimmter "kurzlebiger" Materialien sind lokale und temporäre Reservoireffekte. Geyh et al. (1989) fanden Hinweise darauf, daß auf stark humosen Böden gewachsene Gräser höhere 14C-Alter aufweisen als Gräser, die ihr Kohlendioxid aus der offenen Atmosphäre bezogen haben. Süßwasserpflanzen können in einer Umgebung gewachsen sein, die aufgrund ihres abweichenden 14C/12C-Gleichgewichtes eine mitunter erhebliche Verfälschung der gemessenen Alter nach sich ziehen kann (Long & Muller 1981; Hakansson 1979). Ein solcher Effekt ist beispielsweise für antikes Gras in der Nähe des Nils vermutet worden (Fishman et al. 1977). Ein spezieller Reservoireffekt geht von Vulkanen aus, die 14C-armes Kohlendioxid an die umgebende Atmosphäre abgeben. Das Problem besteht darin, daß die Proben aufgrund ihrer kurzen Lebensdauer temporäre Verschiebungen des lokalen 14C/12C-Isotopenverhältnisses als Folge des Ausgasens des Vulkans nicht ausmitteln können (Bruns et al. 1980; Olsson 1987). In der Vergangenheit hat es v.a. im Zusammenhang mit der Datierung der Eruption des Thera in der Ägäis eine Rolle gespielt (s.u.). Bei der Abbindung von Mörtel wird Kalziumhydroxid unter Aufnahme von Kohlendioxid in Kalziumkarbonat umgewandelt. Das erforderliche Kohlendioxid stammt ausschließlich aus der Atmosphäre, was die 14C-Datierung des Mörtels ermöglicht. Die Zuordnung des Meßwertes zum datierten Ereignis, der Errichtung eines Gebäudes, ist naturgemäß exzellent, und kann nur dann problematisch werden, wenn frühere oder spätere Bauphasen durch den Ausgräber nicht erkannt werden. Ein Problem ist, daß der gesamte Kohlenstoff im Mörtel aus dem Kohlendioxid stammen muß, was im Nachhinein jedoch kaum noch festgstellt werden kann. Fremdkohlenstoff kann aus organischem Material etwa in beigemengtem Sand oder aus dem ursprünglichen Kalziumkarbonat stammen, sofern dies im Brennprozeß nicht vollständig zu Kalziumoxid umgewandelt worden ist (vgl. z.B. Zouridakis et al. 1987). Die Zuverlässigkeit einer Datierung wird heute in der Regel durch die Vermessung einer ganzen Probenserie aus "kurz- und "langlebigen" Materialien von einer oder mehreren Fundstellen erhöht.
Auch die Anwendung der neuen Hochpräzisions-Kalibrierkurven seit Mitte der 80er Jahre brachte zunächst keinen wesentlichen Fortschritt, da die meisten 14C-Daten an archäologischen Proben mit nur geringer oder mittlerer Präzision (mit einer Standardabweichung zwischen 50 und 100 Jahren oder mehr) ermittelt worden waren. Baillie & Pilcher wiesen bereits 1983 auf dieses Problem hin (vgl. auch Damon 1987). Eine wichtige Schlußfolgerung war, daß die künftig zu generierenden Daten ebenfalls auf Hochpräzisionsmessungen (Standardabweichung £ 20 Jahre) abgestützt werden sollten. Damit entstand aber in der Folge ein neues Problem. Aufgrund der Wiggles in der Hochpräzisionskalibrierkurve war die Beziehung zwischen unkalibrierten und kalibrierten Altern in vielen Fällen nicht mehr eindeutig. Abb. 47 veranschaulicht das Prinzip. Fällt das gemessene 14C-Alter in einen steilen Kurvenabschnitt, so ist der Fehler der kalibrierten Daten vergleichsweise gering (Abb. 47a). Fällt er in einen flachen Kurvenabschnitt, so wird er vergrößert (Abb. 47b). Überstreicht er schließlich mehrere Wiggles, so ergeben sich auch mehrere, unterschiedlich hohe kalibrierte Alter (Abb. 47c). Auf diese Weise können sich im ungünstigen Fall selbst bei einer Standardabweichung des 14C-Alters von nur 20 Jahren Variationsbreiten des kalibrierten Alters von 250 Jahren und mehr ergeben. Das extremste Beispiel ist die "Radiokarbonkatastrophe des ersten Jahrtausends v. Chr." (Baillie & Pilcher 1983), ein nahezu horizontaler Abschnitt der Kalibrierkurve zwischen 760 und 400 v. Chr. Ein Beispiel für eine Kalibrierung, die in einen flachen Kurvenabschnitt fällt, zeigt Abb. 61. Die heutige Hochpräzisionskurve liegt nach den Versionen von 1986 und 1993 seit Ende 1998 nunmehr in der dritten Überarbeitung vor (Stuvier et al. 1998). Die Unterschiede zwischen den einzelnen Fassungen sind zwar nicht dramatisch, dennoch können sie für bestimmte Kurvenabschnitte signifikante Folgen für die Korrektur der 14C-Alter haben. Ein Beispiel wird weiter unten vorgestellt (Abb. 56). Die einfachste Anwendung der Kalibrierkurve beruht auf der sog. "Schnittlinien-Methode", die Pearson (1987) beschrieben hat. Dabei werden die Streubänder der 14C-Alter der Probe und der Kalibrierkurve geschnitten, so wie es in der Prinzipskizze in Abb. 47 illustriert ist. Dieses einfache Verfahren wird aber zunehmend als wenig aussagefähig angesehen (Bowman 1994), da es keine statistischen Aussagen im Sinne einer Wichtung der verschiedenen kalibrierten Altersabschnitte erlaubt. In Wirklichkeit kennzeichnen die Streubänder in Abb. 47 lediglich die Standardabweichungen der statistischen Verteilungen der 14C-Alter der Probe und der Kalibrierkurve. Wird deren Überlagerung mathematisch angemessener behandelt, dann ergibt sich als Ergebnis eine Wahrscheinlichkeitsverteilung der kalibrierten Alter. Ein vereinfachtes Beispiel, bei dem nur die Verteilung des 14C-Alters der zu datierenden Probe auf diese Weise berücksichtigt ist, zeigt Abb. 48 (nach Bowman 1995). |
In den letzten Jahren wurden erhebliche Anstrengungen bezüglich der mathematisch-statistischen Behandlung des Kalibrierproblems und der Umsetzung in Rechnerprogrammen unternommen, wobei in zunehmendem Maße Modelle Anwendung fanden, die auf der Bayesschen Statistik beruhen (vgl. Aitchison et al. 1989; Buck et al. 1994; Stolk et al. 1994; Christen 1994; Ramsey 1998). |
Aber nicht nur die Genauigkeit der 14C-Rohdaten und der Kalibrierkurve beeinflußt das Ergebnis einer Datierung. Einen noch größeren Effekt kann die Datierung von Probenserien haben. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Hochpräzisionsdatierung von Serien von Proben aus "kurz-" und "langlebigen" Materialien in zunehmendem Maße zum Standard einer modernen 14C-Datierung wird. Eine Erweiterung dieses Prinzips ist das sog. archäologische Wiggle-Matching. Dieses Verfahren ist mit dem in Teil IIa und b beschriebenen Wiggle-Matching vergleichbar. Serien von Proben unterschiedlichen Alters werden mit der 14C-Kalbrierkurve zur Deckung gebracht. Dazu muß der relative Altersunterschied zwischen den Proben bekannt sein. Bei archäologischen Artefakten stammt diese Information aus der archäologisch-historischen Chronologie. Diese Vorgehensweise setzt natürlich voraus, daß die historische Chronologie für den entsprechenden Zeitraum möglichst zuverlässig sein muß, da ansonsten die Gefahr einer "selbsterfüllenden Prophetie" (Manning 1995) besteht. Ein Beispiel für archäologisches Wiggle-Matching zeigt Abb. 50, weitere Erläuterungen finden sich bei Manning (1992, 1995) (vgl. auch Baillie 1995; Haas & Doubrava 1998). Baillie (1995) weist darauf hin, daß die Anforderungen an die Genauigkeit und Reproduzierbarkeit von 14C-Messungen beim archäologischen Wiggle-Matching nicht zu unterschätzen sind, da eine leichte Verschiebung in den Rohdaten im ungünstigen Fall zu einem sehr viel größeren Versatz bei der Datierung der ganzen Serie führen kann. Im Idealfall sollte die Datierung durch dasselbe Labor vorgenommen werden, das auch den entsprechenden Abschnitt der Kalibrierkurve erarbeitet hat. Abschließend soll eine letzte Entwicklung erwähnt werden, die darauf abzielt, eine lokale dendrochronologische Standardchronologie für den Nahen Osten zu erarbeiten. Kuniholm et al. (1996) haben unlängst eine anderthalb Jahrtausende umfassende "schwimmende" Chronologie für Anatolien vorgelegt (vgl. Abb. 58). Der wesentliche Vorteil einer solchen Chronologie besteht darin, daß sie teilweise an Holz von Fundorten aufgenommen wurde, die aufgrund ihres archäologischen Kontextes mit anderen Funden im Alten Orient korrelierbar sind. Eine ausführliche Diskussion findet sich weiter unten. |
Neben der Assoziierung der 14C-Daten mit den zu datierenden Objekten kann auch die Zuordnung dieser Objekte zur überlieferten Geschichte ein Problem sein. Im Zuammenhang mit dem Thema des vorliegenden Aufsatzes ist dies gleich in zweierlei Hinsicht bedeutsam. Zunächst könnte eine fehlerhafte Zuordnung zwischen einem archäologischen Fund oder einer Fundschicht und dem historischen Kontext in vielen Einzelfällen eine Erklärung für ein vermeintlich falsches 14C-Datum einer Probe sein. Forscher, die eine prinzipielle Übereinstimmung zwischen historischen und 14C-Altern vertreten, haben ihre Argumentation wiederholt auf dieses Argument abgestützt (s.u.). Das Problem könnte aber auch eine tiefere Dimension haben. Wäre es nicht möglich, daß beobachtete Diskrepanzen zwischen 14C- und historischen Altern in Wirklichkeit ein Indiz für grundsätzlich fehlerhafte archäologisch-historische Chronologien des Alten Orients sind? (Es sei an die eingangs zitierte "Radiokarbon-Revolution" der europäischen Frühgeschichte erinnert.) Und wäre es dann nicht an der Zeit, die bisherigen, fehlerhaften Chronologien durch 14C-Chronologien zu ersetzen, wie dies westlich und nördlich der Ägäis schon lange Praxis ist? Autoren, die sich für eine solche Alternative stark machen, verweisen dabei auf eine Reihe ungelöster Probleme der konventionellen archäologisch-historischen Datierung (vgl. z.B. Bruins & Mook 1989). Es ist daher nötig, an dieser Stelle die Grundprinzipien und Schwachstellen der konventionellen Datierung in kurzer Form zu erörtern, ohne allerdings eine detailliertere Diskussion zu führen, die den Rahmen des vorliegenden Aufsatzes sprengen würde. Die Aufarbeitung der Alten Geschichte stützt sich prinzipiell auf zwei unterschiedliche Arten von Quellen: auf die schriftlich fixierte Überlieferung und auf die materiellen Überreste der einstigen Kulturen. Darin unterscheidet sie sich von der Erforschung der sog. Vorgeschichte, für die keine schriftlichen Quellen existieren. |
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Schriftquellen. Die wichtigsten chronologisch relevanten Schriftquellen für das Gebiet des Alten Orients sind die antiken Königslisten. So geht beispielsweise die heute etablierte Einteilung der ägyptischen Geschichte nach 31 Dynastien (Abb. 51) auf den ägyptischen Priester Manetho von Sebennytos zurück, der zu Beginn des dritten vorchristlichen Jahrhunderts die "Aegyptica", eine griechischsprachige Geschichte Ägyptens verfaßte. Weitere Quellen für Ägypten sind der "Turiner Königskanon", ein im Ägyptischen Museum in Turin aufbewahrter, stark beschädigter Papyrus aus der 19. Dynastie, der ebenfalls eine umfangreiche Liste mit allen Königsnamen bis auf Ramses II. enthält, sowie Inschriften auf Gebäuden in Karnak, Abydos und Sakkarra, die Pharaonen des Neuen Reiches wie Thutmosis III. und Sethos I. für die Darstellung der Ahnenopfer in ihren Tempeln anfertigen ließen. Diese und andere Fragmente bilden im Zusammenhang mit astronomischen Berechnungen die Grundlage für den chronologischen Rahmen der ägyptischen Geschichte. In ähnlicher Weise lassen sich Königslisten aus anderen Teilen der antiken Welt, v.a. Mesopotamien auswerten. Für das Gebiet des Alten Israel ist das Alte Testament eine Schriftquelle von unvergleichlichem Rang. Die Ausarbeitung einer historischen Chronologie auf der Grundlage all dieser Dokumente ist jedoch kein einfaches Unterfangen. Zunächst beziehen sich die chronologischen Angaben des Altertums naturgemäß nicht auf einen universalen zeitlichen Fixpunkt, wie ihn unser heutiger Kalender in der Geburt Christi hat. Statt dessen steht zunächst eine Vielzahl einzelner chronologischer Informationen mehr oder weniger ungeordnet nebeneinander. In der Regel dient als relativer Bezugspunkt für ein beschriebenes Ereignis die Anzahl der Jahre seit dem Regierungsantritt eines bestimmten Herrschers. Um ein solches Datum in unser heutiges Bezugssystem in Jahren v. Chr. umzurechnen, müssen die Regierungszeiten aller anschließenden Herrscher in einem chronologischen Rahmen zusammengefaßt und dann von einem bereits kalendarisch bekannten Fixpunkt zurückgerechnet werden. Es ist klar, daß ein solches Projekt mit einer Reihe von Unsicherheiten und Fehlermöglichkeiten zu kämpfen hat. Da ist zum einen die Zuverlässigkeit der antiken Quellen selbst, ein Problem, das sich im Falle Ägyptens bereits zeigt, wenn man die Angaben Manethos mit denen der anderen Quellen vergleicht. Bei abweichenden Zahlen hinsichtlich einzelner Regierungslängen, aber auch hinsichtlich der Vollständigkeit der Liste und der Abfolge der Herrscher wird jeweils der Variante Vorrang gewährt, die bei Hinzuziehung des gesamten verfügbaren Materials am wenigsten Widersprüche nach sich zieht. Auch die Interpretation der antiken Angaben kann ein Problem sein. So mußten die Forscher lernen, daß verschiedentlich Dynastien, die in den alten Dokumenten nacheinander aufgeführt sind, zeitgleich nebeneinander existierten. Hinzu kommen Ko-Regentschaften und bewußte chronologische Fälschungen, etwa im Fall des "Ketzerkönigs" Echnaton. Die Liste der Probleme ließe sich noch erweitern. Vor dem Hintergrund dieser Faktenlage ist verständlich, daß eine antike Chronologie weniger einem fest gegründeten Monolithen gleicht, als einem komplizierten Puzzle aus einer großen Menge an Daten, Rückschlüssen und überbrückenden Annahmen. Je weiter eine Zeittafel in die Vergangenheit zurückreicht, desto größer werden die Unsicherheiten, da der Umfang der empirisch verfügbaren Daten kleiner wird. Es kann darum nicht verwundern, daß die Chronologien des Alten Orients immer wieder gewisse Verschiebungen erfahren haben und auch heute noch erfahren. Materielle Quellen. Die durch die alten Schriftquellen vorgezeichneten Chronologien werden durch die Erkenntnisse der Archäologie illustriert, ergänzt und gegebenenfalls auch korrigiert. Als Forschungszweig der Altertumswissenschaft befaßt sich die Archäologie mit den materiellen Überresten der Vergangenheit, mit den Fundamentresten alter Gebäudekomplexe, mit Grabstätten, kultischen Objekten, Schmuck- und Alltagsgegenständen usw. Daß der richtigen Zuordnung der Funde zu den geschriebenen Quellen für jede weitere Interpretation entscheidende Bedeutung zukommt, ist unmittelbar einsichtig. Dabei ist die Erfüllung dieser Forderung oft alles andere als trivial, wie am Beispiel der palästinischen Archäologie illustriert werden soll. Für den Raum des antiken Palästina bietet v.a. das Alte Testament eine einzigartige schriftliche Geschichtsquelle. Die Anbindung der Texte an die lokale Archäologie ist aber seit jeher ein Problem. Manche Autoren sprechen von einer "stummen" Archäologie Palästinas. Anders als in Ägypten und Mesopotamien, wo die Bauten über und über mit Inschriften bedeckt sind, die die vermeintlichen oder wirklichen Ruhmestaten ihrer Errichter preisen, wo unzählige Artefakte - Skarabäen, Siegel, Krüge, Rechts- und Haushaltsdokumente - die Namen und Regierungsdaten von historisch bekannten Herrschern tragen, fehlen vergleichbare datierungsrelevante Informationen für den Hauptteil der alttestamentlichen Geschichte (vor der Zeit des geteilten Reiches) nahezu vollständig. Hier ist die Archäologie auf andere, indirekte Methoden der Datierung angewiesen. Die palästinischen Tells bestehen aus übereinandergeschichteten Ruinen aus dem Schutt der für den Häuserbau verwendeten Schlammziegel. Diese Ziegel waren zwar durch aufgebrachten Putz gegen die Witterung geschützt, dennoch war ihre Haltbarkeit auf wenige Jahrzehnte beschränkt. Üblicherweise wurden die Bauwerke später eingeebnet und dienten als Fundament für neu zu errichtende Häuser. So wuchs der Tell im Laufe der Zeit Schicht für Schicht in die Höhe. Heute ermöglicht dieser Schichtaufbau dem Archäologen eine relative Datierung. Schichten, die sich weiter oben im Tell befinden, müssen jünger sein als Schichten weiter unten, ein Prinzip, das aus der historischen Geologie stammt und als Stratigraphie (von Stratum = Schicht) bezeichnet wird. In der Realität einer Ausgrabung kann aber selbst die relative Zuordnung einer Schicht ein Problem sein. Nicht alle Materialien waren gleich witterungsanfällig. So konnte es geschehen, daß aus festerem Material errichtete Anlagen wie Paläste oder Tempel erhalten blieben, während die umliegenden Wohnkomplexe mehrfach eingeebnet wurden. Sie liegen darum heute auf einer niedrigeren Ebene als die übrigen Häuser. Bauschutt aus älteren Siedlungsphasen wurde regelmäßig als Füllmaterial für die Böden und Mauern späterer Schichten wiederverwendet. Während die Tells allmählich kegelförmig in die Höhe wuchsen, wurde die bebaubare Fläche auf der Spitze naturgemäß immer kleiner. Als Ersatz wurden auf den Hängen angelegte Terassen bebaut. Der Tell wuchs zusätzlich in die Breite. In ähnlicher Weise konnte sich eine Siedlung auch am Fuß des Tells ausbreiten. Für die Identifizierung und Zuordnung der einzelnen Grabungsschichten bedeutet dies zusätzliche Verkomplizierung. Tiefe entspricht nicht einfach Alter. Die Stratigraphie erlaubt, sofern keine direkt datierbaren Artefakte wie Inschriften oder Münzen gefunden wurden, zunächst nur eine relative zeitliche Zuordnung der Strata eines Tells: die eine Schicht ist älter, die andere jünger. Daß dennoch eine Zuordnung der Schichten unterschiedlicher Tells und Grabungsstätten möglich ist, geht auf die Existenz sog. archäologicher "Leitformen" (Lübbes Enzyklopädie der Archäologie) zurück. Das Prinzip der relativen Datierung über "Leitformen" wurde ebenfalls der historischen Geologie entlehnt, wo es der Altersbestimmung über Leitfossilien entspricht. Archäologische Leitformen sind Artefakte, die geographisch eine weite Verbreitung gefunden hatten, und deren Gestaltung von Zeit zu Zeit gewissen Veränderungen unterworfen war. Die für die Archäologie weitaus wichtigsten "Leitformen" sind bestimmte Keramikstile. Keramik wird praktisch bei jeder Grabung in größerer Menge gefunden. Da ihr Stil stark der Mode unterworfen war, bietet er heute ideale Bedingungen für Datierungszwecke. Entdeckt man in zwei Schichten unterschiedlicher Tells denselben charakteristischen Keramikstil, so können beide Schichten auch derselben Zeit zugeschrieben werden. Die relative zeitliche Zuordnung archäologischer Schichten verschiedener Grabungsstätten aufgrund dieser "Keramikstratigraphie" ermöglichte die Ausarbeitung relativer Chronologien für ganze Regionen wie z.B. Syro-Palästina oder die Ägäis. Das zugrundeliegende Schema ist immer dasselbe. Es knüpft an das archäologische Dreiperiodensystem an, das seine klassische Formulierung bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Skandinavien und dem nördlichen Mitteleuropa erhalten hat. Das Dreiperiodensystem gliedert die frühe Geschichte grob in Steinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit. In manchen Gegenden - u.a. in Palästina - ist es üblich, zwischen der Stein- und Bronzezeit noch die sog. Kupferzeit oder Kupfersteinzeit einzuschieben. Jede dieser Perioden ist ihrerseits in zahlreiche Unterabschnitte aufgeteilt. An die Eisenzeit schließen sich geschichtlich intensiver belegte Perioden an. In Palästina sind dies bis zum Mittelalter die persische Zeit, die hellenistische Zeit, die Hasmonäerzeit, die römisch-byzantinische Zeit und die islamische Zeit. Eine Übersicht über die konventionelle archäologische Chronologie Palästinas enthält Abb. 52. Jede relative archäologische Chronologie ist auf eine Region beschränkt, die bestimmte lokale Eigentümlichkeiten und charakteristische chronologische Fixpunkte aufweist. Den lokalen Chronologien können dabei unterschiedliche absolute Zeiten zugeordnet sein, d.h. beispielsweise, daß die Bronzezeit in Mitteleuropa einer anderen Zeit entspricht als die Bronzezeit in Palästina oder Anatolien. |
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Um derartige Aussagen treffen zu können, sind neben der relativen Datierung absolute, mit Jahreszahlen belegte Altersangaben nötig. Innerhalb der Archäologie des Alten Orients wurde die Ermittlung absoluter Alter v.a. dadurch möglich, daß archäologische Leitformen, die überall in den Tells des Alten Orients gefunden wurden, auch in ägyptischen Fundstätten auftauchten, wo sie der schriftlichen Chronologie des Pharaonenreiches zugeordnet werden konnten. Im folgenden soll diese Art der Datierung als "historische Datierung" bezeichnet werden. Ihr steht - was das Thema des vorliegenden Aufsatzes ist - in jüngerer Zeit die direkte Datierung über naturwissenschaftliche Verfahren, v.a. Radiokarbon und Dendrochronologie gegenüber. |
Ägypten. Aufgrund seiner exponierten Stellung nahm das Alte Ägypten in der Diskussion des Problemkreises 14C-Datierung/historische Chronologie in der Vergangenheit einen breiten Raum ein. Das vergleichsweise trockene Klima und eine große Anzahl gut erhaltener Artefakte schienen ideale Bedingungen für die Anwendung der Radiokarbonmethode zu bieten. Es verwundert daher nicht, daß die erste 14C-Messung überhaupt an einem ägyptischen Fund vorgenommen wurde, an einem Stück Akazienholz aus der ältesten Pyramide Ägyptens, die Pharao Djoser aus der III. Dynastie des Alten Reiches hatte errichten lassen (Arnold & Libby 1951). In den 50er Jahren nutzte Libby historisch datierte ägyptische Proben, um die Zuverlässigkeit seiner Methode nachzuweisen (Libby 1955). Es war von großem Wert für die Fortführung seiner Arbeiten, daß die Übereinstimmung zwischen den Altersangaben dieser frühen Messungen und den historischen Daten sehr gut war. Schon bald sollten sich jedoch Widersprüche einstellen. Im Jahre 1962 präsentierte Hayes eine auf Konsens beruhende historische Chronologie Ägyptens, die "Cambridge Ancient History" (Hayes 1964). Für die Zeit vor dem Mittleren Reich deuteten die 14C-Daten ein geringeres Alter an, als von den Historikern angenommen (Libby 1963; Damon et al. 1966). Unmittelbare Folgen für die historische Chronologie hatte dies jedoch nicht. Die Ägyptologen argumentierten, die 14C-Messungen seien weder zahlreich noch genau genug, um wirklich belastbare Aussagen zu ermöglichen (Hayes 1964; Smith 1964). Zudem hatte Smith Schwachstellen wie die Datierung ungeeigneter Materialien - z.B. potentiell stark verunreinigter Museumsstücke - und eine ungenügende Assoziation zwischen den Funden und den Ereignissen, die sie beschreiben sollten, aufgedeckt. Die Skepsis vieler Archäologen gegenüber der 14C-Datierung hat in dieser Zeit ihren Ursprung. Ende der 50er Jahre fand de Vries erste Hinweise auf eine 14C-Isotopenverschiebung in historischer Zeit (vgl. Teil I, Abschnitt "Das Problem der Isotopenverschiebung" und Teil IIa, Abschnitt "Wiggle-Matching"). Es wurde schnell klar, daß die 14C-Datierung einer zusätzlichen Korrektur bedurfte, um historisch verwertbare kalendarische Alter zu liefern. Dabei deutete sich ein Langzeittrend der Isotopenverschiebung in Richtung zu geringer Alter an, der die bisherige Diskrepanz zu den historischen Altern erklären konnte. Die frühen Kalibrierkurven (vgl. Teil IIa, Abschnitt "Frühe 14C-Kalibrierkurven") wurden unverzüglich in der ägyptischen Archäologie angewendet (Edwards 1970; Berger 1970; Michael & Ralph 1970; Säve-Söderberg & Olsson 1970; Derricourt 1971; Clark & Renfrew 1973). In schneller Folge entstanden mehrere umfassende Datensammlungen, anhand derer das Verhältnis zwischen 14C-Datierung und historischer Chronologie erneut untersucht wurde (Berger 1970; Säve-Söderberg & Olsson 1970; Long 1976). Das Ergebnis war jedoch eher entmutigend. Waren die nichtkalibrierten Daten im Vergleich zur historischen Chronologie zu niedrig gewesen, so erwiesen sich die kalibrierten nun als zu hoch. Die wohl wichtigste der erwähnten Datensammlungen, die 237 Jahresangaben umfassende Liste Longs (1976) wies für Ägypten und Nubien Differenzen in der Größenordnung von etwa 300 Jahren auf, um die die 14C-Alter höher lagen als die historischen Angaben. Edwards (1970) und Long (1976) blieb zunächst nur die Hoffung auf präzisere 14C-Daten und verbesserte Kalibrierkurven in der Zukunft. Long bezweifelte zudem, daß die an nordamerikanischen Borstenkiefern gemessene Kalibrierkurve für den Nahen Osten überhaupt anwendbar sein würde, eine Vermutung, die angesichts der Vielfalt der zu dieser Zeit in verschiedenen Teilen der Erde ermittelten Kalibrierkurven nicht ganz unbegründet schien (vgl. Teil IIa, Abschnitt "Frühe 14C-Kalibrierkurven"). Erst der Vergleich zwischen den nordamerikanischen Borstenkieferchronologien mit den westeuropäischen Eichenchronologien in den 80er Jahren beendete die Diskussion. Als Folge einer systematischen Auswertung der vorhandenen Informationen wurden weitere Verbesserungen der Datenerhebung angemahnt. Säve-Söderberg & Olsson (1970) wiesen erneut darauf hin, daß für die Unstimmigkeiten zwischen 14C-Daten und historischen Altern nicht selten eine ungenügende Assoziation der Proben mit den zu datierenden Ereignissen verantwortlich war. Als Konsequenz forderten sie, historische Ereignisse möglichst nicht mehr mit einzelnen Proben, sondern mit Probenserien bevorzugt aus unterschiedlichen Materialien zu datieren. Bei der Altersbestimmung von Gebäuden sollten an verschiedenen Stellen Proben entnommen werden, um spätere Anbauten zu identifizieren. Eine weitere Forderung zielte auf Mehrfachmessungen unter Einbeziehung verschiedener 14C-Labors ab, um so eine Qualitätskontrolle der 14C-Messungen zu erhalten. Aber nicht nur auf der Seite der 14C-Datierung wurde nach möglichen Fehlern gesucht. Säve-Söderberg & Olsson (1970) sahen als eine mögliche Ursache für die Diskrepanzen auch Unsicherheiten bei den historischen Chronologien an. Derricourt (1971) schlug vor, eine 14C-basierte Chronologie für Ägypten und Nordafrika zu erstellen, mit deren Hilfe die historische Chronologie entsprechend korrigiert werden könnte. Einen ähnlichen Vorschlag unterbreitete wenige Jahre später Mellaart (1979). Beide Autoren fanden aber wenig positive Aufnahme durch die Altertumsforschung (Kemp 1980). Den umgekehrten Weg beschritt McKerrell (1975) mit dem Vorschlag, auf der Grundlage der etablierten historischen Chronologie für Ägypten eine 14C-Kalibrierkurve für den Nahen Osten zu konstruieren. Konsequenzen hatte auch dieser Vorstoß nicht. Zwar äußerte Lord Mallowan (1970) in der dritten Auflage der "Cambridge Ancient History" die Befürchtung, der weitere Fortschritt bei der 14C-Datierung könnte in der Zukunft zu einer Erschütterung des gesamten chronologischen Rahmenwerkes Ägyptens führen, insgesamt blieben die Historiker jedoch weiterhin skeptisch, was die Möglichkeiten der Radiokarbonmethode betraf. Bestärkt wurden sie in ihrer ablehnenden Haltung, wie erwähnt, auch dadurch, daß die Anwendung unterschiedlicher 14C-Kalibrierkurven für zusätzliche Verwirrung sorgte. Mit der Einführung der Hochpräzisionskalibrierkurven Mitte der 80er Jahre schien das letztgenannte Problem überwunden, die Forscher mußten jedoch sehr bald erkennen, daß die Anwendung dieser Kurven allein noch keinen Fortschritt brachte, solange die Messungen an den archäologischen Proben mit geringer oder mittlerer Genauigkeit erfolgte (s.o.). Shaw (1985) kam bei der Begutachtung der vorhandenen ägyptischen Daten zu dem Schluß, daß sie in aller Regel zu ungenau waren, um in der Kombination mit Hochpräzisionskalibrierkurven zu einer Verbesserung der historischen Chronologie beitragen zu können. Den Wert der 14C-Messungen sah Shaw allenfalls im Sinne einer "Kommentierung des vorhandenen Rahmens", was immer dies bedeuten mochte. Ein wichtiges Ergebnis der Analyse Shaws war, daß bei Einbeziehung statistischer Betrachtungen eine signifikante Diskrepanz zwischen den 14C-Daten und der historischen Chronologie nicht mehr nachweisbar war. Zu ähnlichen Folgerungen war zuvor bereits Clark (1978, vgl. auch Clark & Renfrew 1973) gekommen, nachdem er denselben Datensatz, den McKerrell (1975) genutzt hatte, unter konsequenter Einbeziehung der Meßwertstreuungen und Konfidenzintervalle erneut analysiert hatte. Obwohl die zugrundeliegenden Rohdaten bei beiden Analysen dieselben waren, waren die Schlußfolgerungen also ganz verschieden. Ein wesentlicher Fortschritt der Radiokarbondatierung war mit der Einführung der Massenspektrometrie verbunden (vgl. Teil I, Abschnitt "Die Radiokarbonmessung"). War bislang das Gros der Altersbestimmungen an Holz und Holzkohle vorgenommen worden, so ermöglichte die neue Technik nun die Verarbeitung sehr kleiner Probenvolumina, etwa von Getreidekörnern oder organischen Spuren in Keramik, Mörtel oder Eisen. Vergleichsmessungen führten zur Aufdeckung des "Altholz-Effekts" (s.o.). Altersüberschätzungen z.B. von Bauholz wurden aufgrund des Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte zählenden Alters des Holzes zum Zeitpunkt seiner Verwendung nun sehr einfach deutbar. Eine wichtige Konsequenz für die Methodik der 14C-Datierung an archäologischen Funden ist seither die Einbeziehung "kurzlebiger" Materialien in die Analyse. Im Jahre 1987 veröffentlichten Hassan und Robinson eine Studie, die an die bis dahin gewonnenen Erkenntnisse zur Datierungseignung der unterschiedlichen Materialien und an die statistischen Arbeiten Clarks (1978) und Shaws (1985) anknüpfte. Die Autoren unterzogen die vorhandenen ägyptischen 14C-Daten einer rigorosen Neubewertung, indem sie alle als nicht zuverlässig eingestuften Materialien verwarfen. Der verbliebene Datensatz wurde mittels statistischer Ausreißertests weiter bereinigt. Ziel der Studie war der Nachweis, daß die in der Vergangenheit beobachtete Diskrepanz zwischen 14C-Daten und historischen Altern eine Fehldeutung sei, die bei der Anwendung objektiver Kriterien der Probenauslese gegenstandslos würde (Abb. 53). Obwohl die Art und Weise hinterfragbar ist, wie die Autoren die Statistik einsetzten, wurden die Ergebnisse von verschiedenen Forschern (Damon 1987; Wendorf 1992) als der lange erwartete Ausgleich zwischen 14C und historischer ägyptischer Chronologie begrüßt. |
Daß die Ergebnisse Hassans und Robinsons mit einer gewissen Skepsis zu sehen waren, zeigte aber sehr schnell eine weitere Studie (Haas et al. 1987), die noch im selben Jahr erschienen war, und für das Alte Reich zu gänzlich anderen Ergebnissen führte. Waren die bisherigen Aktivitäten v.a. darauf gerichtet, Ordnung in die vorhandenen ägyptischen 14C-Daten zu bringen, so setzen seit den 80er Jahren einige Forschergruppen eher auf einen kompletten Neuanfang bei der 14C-Datierung archäologischer Artefakte im Alten Orient. Dabei sollten die in den letzten Jahren gewonnenen Erkenntnisse von der Probennahme bis zur Interpretation der Ergebnisse konsequent umgesetzt werden. Die Datensätze sollten an Serien unterschiedlicher Proben einschließlich "kurzlebiger" Materialien mit geringer Verunreinigungsneigung aufgenommen werden. Datiert würden nur solche Proben, bei denen die Assoziierung zwischen den Funden und den zu datierenden Ereignissen eindeutig wäre. Von den 14C-Meßverfahren sollte nur die Hochpräzisionsmessung Anwendung finden, und durch Einbeziehung verschiedener 14C-Labors sollte von vornherein eine Qualitätssicherung gewährleistet sein. Die Studie von Haas et al. (1987) war das erste Ergebnis einer Initiative von Forschergruppen des Amerikanischen Forschungszentrums in Ägypten, der Methodistischen Universität und der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich zur Datierung des Alten Reiches. Die Wissenschaftler hatten insgesamt 64 Proben von 10 verschiedenen Pyramiden und anderen Monumenten u.a in Giza und Sakkara entnommen und getrennt nach verschiedenen Materialien (Holz, Holzkohle, Stroh und Gras in Mörtel bzw. Ziegeln) ausgewertet. Im Ergebnis erhielten sie kalibrierte 14C-Alter, die die historischen Daten um 294 bis 414 Jahre überstiegen (Abb. 54). Quantitativ vergleichbare Ergebnisse für das Alte Reich erhielten etwa zur selben Zeit Geyh et al. (1989). Einzelne neuere Messungen für das Alte Reich (Lange 1998) und für die frühdynastische Zeit (Görsdorf et al. 1998) weisen geringere Unterschiede zwischen historischen und kalibrierten 14C-Altern auf. Lange hat allerdings nur 4 Proben ausgewertet, die er der 4. und 5. Dynastie zuordnete. Görsdorf et al. erhielten an 16 Holzproben aus der Totenstadt Umm el-Qaab bei Abydos Alter, die im Schnitt 100 bis 150 Jahre höher waren als erwartet. Auch eine neue Meßreihe von Haas & Doubrava (1998) ergab für das Alte Reich nur um 125 bis 230 Jahre zu hohe kalibrierte 14C-Alter, die Autoren weisen jedoch darauf hin, daß der neue Datensatz eine deutlich geringere innere Konsistenz aufweist, als der frühere Datensatz von 1987. |
Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß die schon fast vier Jahrzehnte anhaltende Diskussion zwischen der historischen ägyptischen Chronologie und der 14C-Datierung bis heute nicht zu einem allgemein akzeptierten Abschluß gekommen ist. Weiterentwicklungen auf dem Gebiet der Radiokarbondatierung selbst, der Kalibrierung der Rohdaten, aber auch des Verständnisses der Zuordnung von Proben und historischen Zeiträumen lassen heute Daten, die vor der Mitte der 80er Jahre gewonnen wurden, oft als fragwürdig erscheinen. Neuere Untersuchungen haben sich bislang schwerpunktmäßig auf die Zeit des Alten Reiches konzentriert, wobei sich ein im Vergleich zur konventionellen historischen Chronologie um bis zu mehreren Jahrhunderten zu hohes kalibriertes 14C-Alter andeutet. Inwieweit sich dieser Trend bestätigt, und inwieweit in ähnlicher Weise auch jüngere Zeitabschnitte betroffen sind, müssen künftige Untersuchungen noch erweisen. Hinweise könnten auch 14C-Datierungen in anderen, chronologisch mit Ägypten verbundenen Regionen des Alten Orients liefern, wie sie in den folgenden Abschnitten diskutiert werden sollen. Südliche Levante (Palästina, Sinai und angrenzende Gebiete). Während Ägypten von Anfang an im Zentrum der Debatte um die 14C-Datierung stand, wurde der erste etwas umfangreichere Satz kalibrierter Radiokarbonalter für die frühe Bronzezeit in Palästina erst 1977 publiziert (Callaway & Weinstein 1977). Von den 55 Meßwerten an "kurz-" und "langlebigen" Materialien mußten die Autoren nicht weniger als 25 als unbrauchbar verwerfen. Ursachen waren potentielle Probenverunreinigungen, Behandlungsfehler im Labor und Unsicherheiten über den stratigraphischen Kontext der Proben. Die übrigen Werte deuteten für das Ende der Frühen Bronzezeit FBZ IC, den Beginn der FBZ II und die FBZ III Alter an, die höher lagen als die konventionellen historischen Angaben. Aufgrund der Unsicherheiten des Datensatzes lehnte Weinstein (1980) aber den Vorstoß Mellaarts (1979) ab, die historischen Chronologien Ägyptens und des Nahen Ostens aufgrund des 14C-Befundes nach oben zu korrigieren. Die Qualität der Radiokarbondaten sollte für die Region auch in den folgenden Jahren ein Problem bleiben. 1984 legte Weinstein eine wesentlich erweiterte Datensammlung vor, die später von Waterbolk (1987, 1990) systematisch aufgearbeitet wurde. Die Kollektion enthielt 14C-Meßwerte von der Steinzeit bis zur Eisenzeit, wobei sich das Interesse aber v.a. auf die Frühe Bronzezeit und die vorausgegangenen Perioden konzentrierte. Weinstein und mehr noch Waterbolk diskutierten ähnlich wie zuvor Säve-Söderberg und Olsson (1970) (s.o.) Maßnahmen für eine Qualitätssicherung der 14C-Datierung archäologischer Artefakte. Diese betrafen die Assoziierung des Probenmaterials mit den zu datierenden Artefakten, die Problematik "kurz-" und "langlebiger" Materialien, Messungen mittlerer und hoher Präzision und nicht zuletzt die Qualitätssicherung innerhalb der 14C-Labors. Ihre Schlußfolgerungen glichen den für die ägyptischen Daten gezogenen und wurden für die Levante u.a. von Wissenschaftlern der Ben-Gurion Universität und der Universität Groningen aufgegriffen (Bruins & Mook 1989). |
Hatten bereits die älteren 14C-Messungen für das vierte und dritte vorchristliche Jahrtausend in der Regel Alter ergeben, die signifikant höher waren als die Vorstellungen der Historiker (Mazar 1990; vgl. auch Hole 1987), so sollten die neueren Untersuchungen diesen Trend ähnlich wie im Ägypten des Alten Reiches bestätigen. Bruins & van der Plicht stellten 1995, 1996 und 1998 14C-Daten von Tell-es Sultan, dem antiken Jericho vor. Frühere Daten, die das Britische Museum Anfang der 80er Jahre für Tell-es Sultan publiziert hatte (Auflistung der Publikation bei Bruins & van der Plicht 1998) werden heute als weitgehend fehlerhaft verworfen. Verglichen mit den historischen Daten lieferte die (kalibrierte) 14C-Datierung für die Frühe Bronzezeit um 150 bis 300 Jahre zu hohe Alter (Abb. 55). Für die Zerstörungsschicht gegen Ende der Mittleren Bronzezeit erhielten die Autoren bei Anwendung unterschiedlicher Kalibrierkurven weite Spannen der kalibrierten Alter für das späte 17. und 16. Jhd. v. Chr., während das konventionelle historische Alter um 1550 v. Chr. angenommen wird (Abb. 56). Mehrere Autoren (Bimson & Livingston 1987; Wood, vgl. Bienkowski & Wood 1990) vertreten jedoch eine spätere historische Datierung um 1400 v. Chr. und deuten die Zerstörung der Stadt in Verbindung mit der israelitischen Landnahme in Kanaan. Insgesamt kann für die südliche Levante festgehalten werden, daß der bereits für das Alte Reich in Ägypten beobachtete Trend des Auseinanderfallens zwischen historischen und kalibrierten 14C-Altern für die Frühe und Mittlere Bronzezeit auf der Grundlage neuerer Daten bestätigt wird. Ägäis und Anatolien. Vergleichbar mit den Verhältnissen im syro-palästinischen Raum basiert auch die historische Chronologie der Ägäis weithin auf Querverbindungen mit Ägypten (z.B. Muhly 1991; Hankey 1991/92). Vergleiche zwischen historischen und Radiokarbondaten konzentrieren sich v.a. auf die Späte Bronzezeit in der Region. In Ägypten entsprach diese Epoche der Zweiten Zwischenzeit und dem Beginn des Neuen Reiches. Frühe 14C-Daten für die Ägäis waren in den 70er Jahren verworfen worden, weil sie Zeiträume ergaben, die rund ein Jahrhundert höher waren, als die entsprechenden historischen Angaben (Bentacourt & Weinstein 1976; vgl. auch Cadogan 1978). Ähnlich wie im Falle der ägyptischen Daten (Long 1976) wurde zu dieser Zeit auch für die Ägäis die Frage aufgeworfen, inwieweit die Annahme einer weltweit einheitlichen 14C-Kalibrierkurve überhaupt berechtigt sei (Hood 1978). Das Bild änderte sich im Jahre 1987, als Bentacourt aufgrund der existierenden 14C-Messungen entgegen der bisherigen Sichtweise eine höhere Datierung des Beginns der Späten Bronzezeit in der Ägäis vertrat. Ein Argument war, daß das höhere Alter besser mit den - ebenfalls auf Radiokarbon aufbauenden - chronologischen Daten für das nördliche Europa zu harmonisieren sei. Bentacourts Vorschlag wurde jedoch umgehend mit dem Hinweis zurückgewiesen, die 14C-Daten seien viel zu ungenau, um derart weitreichende Schlußfolgerungen zu rechtfertigen (Warren 1987). In der Folgezeit bildeten sich zwei Fraktionen von Altertumsforschern, die für den Beginn der Späten Bronzezeit in der Ägäis einen frühen (14C gestützten) bzw. einen späten (historisch v.a. über Synchronismen mit Ägypten gestützten) Beginn annehmen. Die entsprechenden Daten liegen bei ca. 1700 v. Chr. bzw. 1600 v. Chr., wobei die historischen Alter tendentiell eher noch später angesetzt werden könnten (Muhly 1991). Vertreter der Frühdatierung sind Michael & Bentacourt (1989), Manning & Weniger (1992) und Manning (1995), Vertreter der Spätdatierung Cadogan (1987), Warren & Hankey (1989), Warren (1990/91), Muhly (1991) und Dickinson (1994). Im Zentrum der Debatte steht seit dem Ende der 80er Jahre die Datierung der Explosion der Vulkaninsel Thera in der Ägäis, die wegen ihres überragenden Stellenwertes weiter unten gesondert behandelt werden soll. Sieht man von Thera ab, so sind es v.a. zwei Entwicklungen, die für die gegenwärtige Diskussion wichtig sind. Das ist zum einen die konsequente Anwendung des oben beschriebenen Prinzips des archäologischen Wiggle-Matchings auf Fundstätten im ägäischen Raum (Abb. 57, nach Manning & Weniger 1992). Ein wichtiges Ziel der Datierung von Probenserien besteht in der Verringerung der Konfidenzintervalle der Altersangaben. Letztere sind aber in Abb. 57 immer noch so groß, daß eine belastbare Aussage für Früh- oder Spätdatierung nicht möglich ist, zumal bei einer Reihe von Probenserien noch ein potentieller "Altholzeffekt" (s.o.) überlagert sein dürfte. |
Von noch größerer Bedeutung ist die zweite aktuelle Entwicklung. Seit Ende der 70er Jahre arbeiten Wissenschaftler um P. I. Kuniholm von der Cornell University am Aufbau einer Baumring-Standardchronologie für die Ägäis und Anatolien (Kuniholm & Striker 1983). Unlängst berichtete ein Autorenteam von der Schließung einer Lücke im späten 17. Jhd. v. Chr. (Kuniholm et al. 1996). Damit erhielten sie eine eineinhalb Jahrtausende überstreichende "schwimmende" Chronologie, die sie über Wiggle-Matching, also indirekt vermittels 14C-Datierung (vgl. Teil IIa, Abschnitt "Wiggle-Matching") mit den existierenden europäischen und nordamerikanischen Chronologien auf einen Zeitraum von 2233-731 (+76/-22 Jahre) v. Chr. fixierten (Abb. 58). In einem Leitartikel von "Nature" unterstreicht der eingangs erwähnte Renfrew (1996) die besondere Bedeutung der ägäisch-anatolischen Chronologie. Die Holzproben wurden an einer größeren Zahl von Fundstellen antiker Bauten entnommen, die teilweise auch historisch datierbar sind. Da die dendrochronologischen Ergebnisse eher die Frühdatierung des Beginns der Späten Bronzezeit in der Ägäis (s.o.) stützen, stellen sie die historischen Daten zwischen dem 18. und 15. Jhd. v. Chr. in Frage. |
Die Explosion des Thera Die Explosion der Kykladeninsel Thera in der Ägäis gilt als eine der größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte. In die Kraterflanken einbrechendes Meerwasser hatte zur Absprengung des ehemals 2000 Meter hohen Bergmassivs geführt und eine gewaltige Flutwelle ausgelöst, die die Ägäis im weiten Umkreis verwüstete. Heute bildet der Vulkan eine flache Mulde von elf Kilometern Durchmesser mit dem zentralen Teil 300 Meter unterhalb der Wasseroberfläche (Kelmschemper 1980) (Abb. 59). Die Datierung der Eruption ist gegenwärtig zu einer Schlüsselfrage bei der zeitlichen Einordnung der Späten Bronzezeit in der Ägäis geworden. Baillie (1990/91, 1995) und Warren (1990/91) geben einen guten Überblick über die bisherige Diskussion. Neben der historischen Datierung über archäologische Synchronismen - die mit einem Datum nicht vor 1520 (maximal 1550) v. Chr. (Warren 1990/1991) für die Spätdatierung des Ereignisses zu Beginn der Späten Bronzezeit in der Ägäis spricht, wird die Datierungskontroverse auf drei weitere Argumentationsstränge gestützt: - auf die zeitliche Zuordnung von Schichten mit einem erhöhten Schwefelsäuregehalt im grönländischen Eis, - auf die ungewöhnliche Ausprägung bestimmter Ringe in den Dendrochronologien, und - auf 14C-Datierungen von Funden auf Thera und in der Ägäis. a) Die 14C-DatenObschon von geringster Aussagekraft sollen im Folgenden zunächst die vorhandenen 14C-Daten diskutiert werden. Michael & Bentacourt (1988) und Manning (1990) vertreten die Auffassung, daß die kalibrierten Radiokarbonmessungen am ehesten ein Datum im 17. Jhd. v. Chr. stützen. Eine definitive Aussage ist jedoch nicht möglich. Bereits im Jahre 1990 hielten Housley et al. fest, daß die Katastrophe auf der Grundlage kalibrierter 14C-Daten mit einer Wahrscheinlichkeit von 70% im 17. Jhd. v. Chr. und mit einer Wahrscheinlichkeit von 30% im 16. Jhd. v. Chr. stattgefunden haben sollte. Abb. 60 und 61 veranschaulichen, warum eine Entscheidung zwischen Früh- und Spätdatierung auf der Grundlage von 14C allein nicht möglich ist. Zwar weisen die 96 in Abb. 60 aufgetragenen nichtkalibrierten 14C-Daten einen Schwerpunkt bei 3350 14C-Jahren BP (= vor heute, d.h. vor 1950) auf, da die Kalibrierkurve in diesem Bereich aber nahezu horizontal verläuft, würde bereits eine - viel zu gering angesetzte - Streuung des 14C-Alters zwischen 3290 und 3350 BP für zwei Standardabweichungen der Kalibrierkurve eine Variationsbreite des kalibrierten Alters zwischen ca. 1520 und1680 v. Chr. ergeben, die sowohl die Früh- als auch die Spätdatierug einschließen würde. Der Aussagewert der Radiokarbondaten geht hinsichtlich der behandelten Fragestellung also nahezu gegen Null. b) Schichten mit einem erhöhten Schwefelsäuregehalt im grönländischen EisIn Teil IIb (Abschnitt "Datierung der periodischen Schichtung in Eis") wurde die Datierung des grönländischen Inlandeises über die Auswertung seiner Jahresschichtung vorgestellt. Einer der dabei benutzten Marker waren jahreszeitliche Unterschiede im Säuregehalt, die über die Veränderung der elektrischen Leitfähigkeit nachweisbar sind. Im Jahre 1977 berichtete Hammer von Schichten, die sich durch einen besonders hohen Gehalt an Schwefelsäure auszeichneten und deutete die Herkunft des Schwefels aus großen Vulkanausbrüchen. Damit ergab sich die Möglichkeit, Vulkanausbrüche zu datieren, auch wenn sie weit entfernt von Grönland stattgefunden hatten. Nach Auswertung einer frühen Bohrung ("Camp Century", vgl. Teil IIb) schlug der Autor wenig später eine Datierung der Eruption des Thera auf 1390 ± 50 v. Chr. vor (Hammer et al. 1980). Sieben Jahre später wurde dieser Vorschlag durch ein früheres Datum um 1645 ± 20 ersetzt (Hammer et al. 1987), nachdem Lamarche & Hirschbroek bereits 1984 aufgrund eines dendrochronologischen Befundes ein Datum zwischen 1628 und 1626 v. Chr. ins Gespräch gebracht hatten (s.u.). Das alternative Datum war an einer neuen Bohrung ("Dye 3", vgl. Teil IIb) gewonnen worden. Außer "Dye 3" wurden in jüngerer Zeit zwei weitere Tiefbohrungen eingebracht, die für den fraglichen Zeitraum Aussagen liefern können (zu den Bezeichnungen vgl. ebenfalls Teil IIb). "GRIP" weist besonders auffällige Säureschichten um 1425 und 1636 v. Chr., "GISP 2" zwischen 1454 und 1459 und v.a. um 1695 v. Chr. auf (Clausen et al. 1997). In Teil IIb war bereits darauf hingewiesen worden, daß zwischen den 14C-Kalibrierkurven auf der Basis von "GRIP" und "GISP 2" ein nahezu durchgängiger systematischer Versatz existiert. Baillie (1996) vermutet, daß "GISP 2" für das 17. Jhd. v. Chr. eine Fehldatierung von etwa 40 Jahren aufgrund des Verlustes eines Teils des Bohrkerns aufweist, allgemein akzeptiert ist diese Erklärung aber nicht (Zielinski & Germani, zit. in Buckland et al. 1997). Die unterschiedlichen Jahresangaben weisen auf ein wesentliches Problem hin. Während die prinzipielle Zuordnung zwischen Schichten mit erhöhtem Schwefelsäuregehalt und Vulkanausbrüchen heute unbestritten ist, ist die Zuordnung einer bestimmten Schicht zu einem bestimmten vulkanischen Ereignis nicht ohne weiteres möglich (vgl. die Kritik bei Pyle 1989, 1990 und Buckland et al. 1997). Für den in Frage kommenden Zeitraum wurden neben der Explosion des Thera auch Ausbrüche des Vesuvs in Italien, des Mount St. Helens im nordamerikanischen Kaskadengebirge und des Aniakchak II in Alaska als Verursacher der Schwefelsäureanreicherungen in Betracht gezogen (Vogel et al. 1990). Weitere potentielle Kandidaten sind bei Buckland et al. aufgelistet. Grundsätzlich muß festgehalten werden, daß unser Wissen über Vulkanausbrüche in der Vergangenheit sehr begrenzt ist, und das umso mehr, je weiter die Ereignisse zurückliegen. Für eine vergleichsweise abgelegene Region wie Kamtschatka existieren dokumentierte Beobachtungen überhaupt erst seit dem späten 18. Jahrhundert, und auch über physikalische Verfahren abgestützte Datierungen existieren bis heute nicht durchgängig (Buckland et al 1997). Die Entscheidung für Thera sollte sich deshalb auf bestimmte besondere Merkmale des Ausbruchsereignisses abstützen können. Aber gerade an diesem Punkt setzt die Kritik an. Schätzungen der bei der Eruption des Thera freigesetzten Menge an Schwefel ergaben nur einen kleinen Bruchteil der Menge, die für die Erzeugung des Schwefelsäuregehaltes in den grönländischen Eisschichten nötig gewesen wäre (Sigurdsson et al. 1990, Pyle 1990). Derartige Abschätzungen nehmen die Vulkanologen anhand eines Vergleiches des Schwefelgehaltes im urspünglichen und ausgegasten Magma vor. Reste des ursprünglichen Magmas sind in gläsernen Einsprenglingen im Gestein konserviert. Ausgehend vom Verhältnis beider Konzentrationen kann bei ungefährer Kenntnis der Menge an Magma, die beim Ausbruch ausgeworfen wurde, auf das freigesetzte Volumen an Schwefel geschlossen werden. Inwieweit eine solche geochemische Analyse den realen Gegebenheiten bei einem Vulkanausbruch wirklich gerecht wird, ist allerdings hinterfragbar (Bernard et al. 1991, vgl. auch die Diskussion bei Baillie 1995). Unlängst haben Zielinski & Germani (1998) ein weiteres Argument gegen eine Identifizierung der Thera-Eruption mit den Eisschichten des späten 17. Jhds. v. Chr. vorgebracht. Neben der Schwefelsäure vulkanischen Ursprungs fanden sie in "GISP 2" Spuren vulkanischen Glases, dessen chemische Zusammensetzung nicht mit der des Vulkans identisch ist. Ähnliches gilt für die anderen oben erwähnten Vulkane. Für die Autoren bedeutet dies, daß die grönländischen Eisschichten nicht länger geeignet sind, ein "definitives Alter für die Santorini (d.h. Thera, d.A.) Eruption zu liefern". c) Außergewöhnliche Ausprägungen von BaumringenLamarche & Hirschbroek berichteten im Jahre 1984 von ungewöhnlich schmalen Ringbreiten in ihrer nordamerikanischen Borstenkiefernchronologie, die sie auf 1628-1626 v. Chr. datierten. Die Autoren führten diese "Frostringe" auf einen ungewöhnlichen Kälteeinbruch während der Wachstumsphase zurück und brachten sie mit der Eruption des Thera in Verbindung. Vier Jahre später berichteten Baillie & Munro (1988) von einer ähnlichen Serie schmaler Ringe auch in ihrer Eichenchronologie, deren Beginn sie für 1628 v. Chr. konstatierten. Als Ursache vermuteten sie ebenfalls eine globale temporäre Abkühlung, die vulkanischer Staub in der Atmosphäre verursacht haben könnte. Mehrere neuere Untersuchungen (Briffa et al. 1998, de Silva & Zielinski 1998) bestätigen den prinzipiellen Zusammenhang zwischen der Ausprägung von Baumringen und großen vulkanischen Ereignissen, die sich allerdings eher in der Dichte als in der Breite der Ringe auszuwirken scheinen (Jones et al. 1995). Ein Problem, das ähnlich wie bei den Schwefelsäureanreicherungen im grönländischen Eis besteht, ist die mangelnde Kenntnis über große Vulkanausbrüche in der Vergangenheit (Pyle 1998), so daß die Zuordnung zwischen den anomalen Ringen und Thera nicht mit letzter Sicherheit möglich ist. Eventuell können hier aber die bereits erwähnten Messungen Kuniholms et al. (1996) weiterhelfen, die an 36 Holzproben von Porsuk in Anatolien - also in geringer räumlicher Entfernung zu Thera - ebenfalls ungewöhnliche Ringbreiten festgestellt haben, und die sie mittels Wiggle-Matching (s.o.) auf 1641 (+76/-22 Jahre) v. Chr. datieren. Der oben vorgeschlagene Zeitraum von 1628-1626 v. Chr. läßt sich statistisch mit dieser Spanne in Übereinstimmung bringen, so daß Kuniholm et al. ebenfalls das Thera-Ereignis als Ursache vermuten. Anders als in den nördlicheren Regionen hätte sich die Abkühlung durch den vulkanischen Staub in der wärmeren Gegend aber wachstumsfördernd ausgewirkt, weshalb die entsprechenden Ringe breiter sind als gewöhnlich. |
Der von den Vertretern der frühen Datierung heute weithin vertretene Zeitpunkt der Thera-Eruption, 1628 v. Chr., lehnt sich hauptsächlich an die dendrochronologischen Untersuchungen an, die (vgl. Teil II a und b) über Vordatierung der Proben und Wiggle-Matching indirekt auch auf 14C-Messungen abgestützt sind. Aufgrund archäologischer Querverweise, insbesondere minoischer Wandgemälde in der Hyksos-Hauptstadt Avaris im Nildelta würde die Akzeptanz dieses Datums eine Korrektur der konventionellen ägyptischen Chronologie zu dieser Zeit um 130 zusätzliche Jahre erforderlich machen (Bietak 1996), ein Ergebnis, das mit den oben berichteten Diskrepanzen für die Datierung des Endes der Mittleren Bronzezeit in Jericho (etwa ein halbes Jahrhundert später) grob übereinstimmen würde. |
Bei der Diskussion des Problemkreises 14C-Datierung/historische Chronologien für den Alten Orient muß beachtet werden, daß viele der in der Vergangenheit generierten 14C-Daten vor dem Hintergrund von Verfahrensverbesserungen heute als nur noch wenig aussagefähig angesehen werden. Dementsprechend soll sich die weitere Diskussion im Wesentlichen auf die neueren Messungen abstützen. Datensätze, die im Kontext des vorliegenden Aufsatzes interessant sind, wurden seit Ende der 80er Jahr für das Alte Reich in Ägypten, für die Frühe und Mittlere Bronzezeit in Palästina und für den Beginn der Frühen Bronzezeit in der Ägäis bereitgestellt. Ungeachtet einer Reihe von Unsicherheiten deutet sich eine Bestätigung des alten Trends an, nach dem die kalibrierten 14C-Alter für die betrachteten Zeiträume teilweise in der Größenordnung von Jahrhunderten höher sind als die archäologisch-historischen Angaben. Die Durchgängigkeit dieses Trends weist eher auf einen generellen Versatz als auf Unsicherheiten bei den Einzeldaten hin, was für ein Reihe von Autoren Anlaß ist, die alte Frage nach einem Ersatz der historischen Zeittafel durch eine 14C-basierte Chronologie auch für den Alten Orient mit ganz neuem Nachdruck zu stellen. Es soll an dieser Stelle jedoch betont werden, daß die Diskrepanz zwischen historischen und kalibrierten 14C-Daten, die ja eigentlich eine Diskrepanz zwischen historischen und dendrochronologischen Angaben ist, nicht automatisch bedeutet, daß die Historiker im Unrecht sind. Ein derartiger Anspruch würde implizit voraussetzen, daß die 14C-Kalibrierkurven über jede größere Fehlermöglichkeit erhaben sind. In Teil II (a und b) des vorliegenden Aufsatzes wurde aber gerade diese Behauptung mit dem Argument, daß von einer völlig unabhängigen Reproduktion der Kurven - dem Hauptargument für ihre "absolute" Richtigkeit - nicht die Rede sein kann, in Frage gestellt. Aus dieser Perspektive muß es daher z. Z. offen bleiben, ob die Diskrepanz zwischen archäologisch-historischen und 14C-Altern, sollte sie sich bestätigen, ihre Ursache auf der Seite der archäologischen Chronologien oder in fehlerhaften dendrochronologischen Kalibrierkurven hat. |
Literatur
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