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„Schneeball-Erde“: Total-Vergletscherung der Erde in nur 1000 Jahren?

von Michael Kotulla

Studium Integrale Journal
25. Jahrgang / Heft 2 - Oktober 2018
Seite 101 - 105

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Zusammenfassung: Als die Erde noch ein Schneeball war!? Für eine totale Vergletscherung der Erde wird ein schnell ablaufender geologischer Prozess postuliert – aber gab es diese Vergletscherung überhaupt? Es wird das Beispiel der „durchmischten“ Gesteine der Negash-Formation in Äthiopien diskutiert.




Hinführung

Kürzlich erschien in Spektrum.de der Artikel Erde gefror in kürzester Zeit (Lingenhöhl 2018). Wird die dort angegebene Minimalzeit von 1000 Jahren für eine einstmals totale Vergletscherung der Erde in Betracht gezogen, mag dies im Kontext der Beobachtungen zum aktuellen Klimawandel und zahlreicher diesbezüglicher Prognosen Erstaunen, Besorgnis oder gar Unglaube ausgelöst haben. Lingenhöhl (2018) hatte für seinen Beitrag eine aktuelle Publikation von MacLennan et al. (2018) in der Fachzeitschrift Geology aufgegriffen und vorgestellt. Darin präsentieren die Autoren hauptsächlich ihre Ergebnisse von Isotopenanalysen von neoproterozoischen („oberpräkambrischen“) Sedimentgesteinen, insbesondere die Erstellung und Korrelation eines 13C-Profils* sowie die Ermittlung von 206Pb/238U-Verhältnissen von Zirkonen und deren Altersinterpretation.

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Lithologie und Stratigraphie
Abb. 1: Geschieferter, massiger Diamiktit der Negash-Formation. Die unterschiedlich großen, eckigen und gerundeten Gesteinsbruchstücke (Klasten) „schwimmen“ in einer feinkörnigen Grundmasse. Beyth (1972) hatte das Gestein in der nordöstlich gelegenen Negash-Mulde als kiesigen Schiefer („pebbly slate“) bezeichnet; dort erreicht es eine Mächtigkeit von mindestens 150 m. Lokalität: nahe der Ortschaft Samre (Nordäthiopien). Foto: Scott MacLennan (freundliche Zurverfügungstellung).

Die von MacLennan et al. (2018) untersuchte „oberpräkambrische“ Sedimentfolge ist Teil des Samre-Faltendecken-Gürtels (Nordäthiopien, nach der Ortschaft Samre), der strukturell zum Arabisch-Nubischen Schild gehört. Stratigraphisch* bildet sie den oberen Teil der Tambien-Gruppe und umfasst bei Samre von unten nach oben dolomitisierte Kalkgesteine mit zwischengeschalteten Siltsteinen (Didikama-Formation), fein- und grobkörnige Karbonatgesteine (Matheos-Formation, MF), hauptsächlich karbonatische (teilweise mit dolomitisierten Stromatolithen) oder hauptsächlich feinkörnige, siliziklastische* Gesteine (Mariam-Bohhahko-Formation, MBF) und Diamiktite (Negash-Formation, Abb. 1). Die ursprüngliche Mächtigkeit des Diamiktit-Körpers ist nicht bekannt; in der Negash-Mulde (etwa 120 km NNO) erreicht er im Muldenkern eine Mächtigkeit von mehr als 150 m (Beyth 1972). Die insgesamt bis zu 5 km mächtige Schichtenfolge der Tambien-Gruppe in Nordäthiopien (vgl. Swanson-Hysell et al. 2015) zeugt von der Auffüllung eines ehemals begrenzten, sich rasch absenkenden Beckens.

Ein Diamiktit ist ein wenig oder nicht sortiertes, „durchmischtes“ Gestein mit eckigen und/oder runden Gesteinsfragmenten (Klasten) in einer feinkörnigen Grundmasse (Matrix). Der Diamiktit bei Samre setzt abrupt ein (Abb. 2-3). Der Kontakt zum Liegenden ist MacLennan et al. (2018) zufolge scheinbar konkordant* („seemingly conformable“). Nur punktuell bildet die Basis des Negash-Diamiktits ein Karbonat-Konglomerat; für MacLennan et al. (2018) ein Hinweis auf Erosion des Untergrundes und möglicherweise fehlende Zeit.

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Interpretation der Sedimentgesteine
Abb. 2: Markanter Wechsel in der Sedimentation: Karbonatgestein wird von Diamiktit überlagert. Der hier abgebildete Negash-Diamiktit wird von MacLennan et al. (2018) als eine glazigene Bildung interpretiert. Der Kontakt (gestrichelte Linie) ist konkordant. Der dolomitisierte Kalkstein ist mittel- bis grobkörnig (Grainstone); die Korngröße lässt auf eine rasche Sedimentation schließen (Schuttkalk). Der Diamiktit ist massig; wird er als Ablagerung eines Massenstroms interpretiert, muss es sich um ein großdimensioniertes, rasches Schüttungsereignis gehandelt haben. Lokalität: nahe der Ortschaft Samre (Nordäthiopien). Foto: Scott MacLennan (freundliche Zurverfügungstellung).

MacLennan et al. (2018) interpretieren den Negash-Diamiktit als glazigene*, das Karbonatgestein dagegen als warm-marine* Ablagerung; Ersteres mit Verweis auf Miller et al. (2003). Demnach wäre der Diamiktit ein Tillit, ein verfestigter Geschiebemergel, also eine Gletscherablagerung. Der Karbonat/Diamiktit-Kontakt (Abb. 2) würde klimatisch einen abrupten und extremen „Warm/Kalt“-Umschlag anzeigen; dahinter stehen angenommene Temperaturabfälle von bis zu 50° C. Mit dieser Interpretation folgen MacLennan et al. (2018) einem weit verbreiteten Muster. Neoproterozoische Diamiktit-Körper sind auf allen Kontinenten verbreitet. Häufig werden sie auch von Karbonatgesteinen unmittelbar überlagert (vgl. Kotulla 2016, Abb. 7); dies würde umgekehrt einen abrupten und extremen „Kalt/Warm“-Umschlag anzeigen.

Mit dem Kryogenium (gr.: kryos – Frost)1 hat die Internationale Stratigraphische Kommission ein neoproterozoisches System klassifiziert (s. Kotulla 2016, Abb. 3), dessen Bezeichnung sich nicht nur von einer glazigenen Interpretation von Ablagerungen herleitet, sondern „glazigene Ablagerungen“ faktisch konstituiert. Das Kryogenium-System umfasst physisch u. a. zwei teils mehrere hundert Meter mächtige neoproterozoische Diamiktit-Körper. Sie werden – dem Konzept zufolge – als Produkte einer „frühen Kryogenium-Vergletscherung“ und einer „späten Kryogenium-Vergletscherung“ betrachtet (Shields-Zhou et al. 2012); sie heißen in Australien nach Lokalnamen „Sturt-Vergletscherung“ und „Eladina-Vergletscherung“. Im Deutschen sind die Begriffe „Sturtische Vereisung“ und „Marionische Vereisung“ verbreitet (vgl. Rother & Meschede 2015).

Kryogenium: vom Konzept zum Faktum, erdgeschichtliche Periode mit globaler Vereisung.

Zum Ausmaß der vermeintlichen Vergletscherungen gibt es unterschiedliche Vorstellungen. Sie reichen von einer partiellen bis vollständigen (globalen) Vereisung der Erde; letztere Vorstellung ist erneut von Kirschvink (1992) aufgegriffen und als „Schneeball-Erde“ bezeichnet worden. Für eine Total-Vergletscherung werden paläomagnetische Messungen angeführt, wonach einige der Regionen mit Diamiktit-Folgen zum Zeitpunkt der Ablagerung sich in Äquatornähe (< 30° Breite) befunden haben sollen.

Als Hauptindiz für eine glazigene Ablagerung nennen MacLennan et al. (2018, 540; ihre Abb. 4C im data repository) Klasten im Negash-Diamiktit, deren Oberflächen mit Striemungen versehen sind; implizit werden diese als Gletscherschrammen aufgefasst. Diese scheinen aber nur sehr vereinzelt aufzutreten. Oberflächenstriemungen können beispielweise auch tektonisch entstehen. Vereinzelten „gestriemten Oberflächen“ von Klasten kann keine spezifische Bedeutung beigemessen werden; sie treten auch in Konglomeraten auf.

Eyles & Januszczak (2004) zeigen systematisch auf, dass zahlreiche Phänomene, die als Indizien für glazigene Ablagerungen bzw. glazigene Ablagerungsräume in der Literatur aufgeführt werden, allgemeiner Natur sind und nicht spezifisch und ausschließlich als glazigen klassifiziert werden können. Die meisten neoproterozoischen Diamiktite seien Massenströme* in tieferem Wasser, die auf tektonisch aktive Becken hinweisen würden. Als Kriterien nennen sie u. a. – im Vergleich und im Gegensatz zu pleistozänen glazigenen Ablagerungen – ihre stratigraphische Inkomplexität und hohe Mächtigkeit. Diese zwei Kriterien treffen auch auf den Negash-Diamiktit zu. Folglich wird der Negash-Diamiktit vom Verfasser – abweichend zu MacLennan et al. (2018) – als ein Produkt von Massenströmen interpretiert.

δ13C-Profil: Verhältnis von 13C zu 12C in Relation zu einem Standard; die ermittelten δ13C-Werte der Sedimentproben der Sedimentfolge werden grafisch als Profil dargestellt. Glazigen: Vom Gletscher- oder Inlandeis geschaffene Formen und abgelagerte Sedimente, z. B. Till (Geschiebemergel). Konkordant: Gleichsinnige, ungestörte Lagerung von Schichten übereinander; Konkordanz „ist in den meisten Fällen ein Hinweis auf mehr oder weniger ununterbrochene Sedimentation“ (Murawski 1977). Marin: Hier: im Meer gebildet. Massenstrom (engl.: mass flow): Mischungen aus Sediment und Flüssigkeit, die sich unter dem Einfluss der Schwerkraft hangabwärts bewegen; es werden mehrere Typen unterschieden. Siliziklastisch: Klastisch: aus den Trümmern anderer Gesteine bestehend; „silizi“ bezieht sich auf siliziumreiche Komponenten bzw. Minerale (z. B. Tonminerale, Feldspäte, Quarz) in Abgrenzung zu karbonatischen Gesteinen. Stratigraphisch: Hier: Die (relative) Altersfolge der (Schicht)gesteine betreffend; auf Grundlage einer formalen Gliederung und Klassifikation.

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Vulkanische Zwischenlagen und U-Pb-Zirkonalter

Der Sedimentfolge sind tuffitische Siltsteine bzw. Tuffe zwischengeschaltet, die primär durch Einträge (Niederschläge) vulkanischer Aschen entstanden. Von drei solcher Horizonte hatten MacLennan et al. (2018) Zirkonminerale extrahiert, deren 206Pb/238U-Verhältnisse bestimmt und als [radiometrische] Alter interpretiert.

Bei den Tuff-Proben SAM-ET-03 und SAM-ET-04 (MBF) streuen die 206Pb/238U-Verhältnisse und demzufolge die ermittelten 206Pb/238U-Alter der Zirkonkörner erheblich. Für die jeweils ausgewählten Cluster von Zirkonkörnern (Subpopulationen) sind die bestimmten U-Pb-Alter (jeweils gewogene Mittel) von 719,58 ± 0,56 und 719,68 ± 0,46 Millionen [radiometrischen] Jahren im Rahmen ihrer 2σ-Unsicherheit nicht unterscheidbar (Tab. 1, Pos. 2 und 1). Für ausgewählte Zirkonkörner der stratigraphisch über 400 m tieferen Tuffprobe T46-102_2Z (Basalteil der MF) wird ein Alter von 735,25 ± 0,88 Millionen [radiometrischen] Jahren ausgewiesen (Tab. 1, Pos. 3). Die Alter sollen das Eruptionsdatum und folglich das Sedimentationsdatum repräsentieren. Die Isotopenalter passen in das etablierte geochronologische Rahmenwerk (die Internationale Chronostratigraphische Tabelle wird mit einem radiometrischen Altersmodell numerisch geeicht; s. Kotulla 2016, Abb. 3). Implizit setzen die Autoren radiometrische Jahre und Realjahre gleich (s. hierzu Kotulla 2014).

Des Weiteren ermittelten MacLennan et al. (2018) mit dem Isotopenalter (Tab. 1, Pos. 3 zu Pos. 2/1) eine durchschnittliche Sedimentationsrate, die sie auf den Abschnitt zwischen Tuff SAM-ET-04 und der Basis des Diamiktits (74 m) übertrugen. Mit dieser Extrapolation wurde schließlich der Beginn der Ablagerung des Diamiktits mit 717,1 Millionen [radiometrischen] Jahren bestimmt. Mit diesem Alterswert weisen sie den Negash-Diamiktit der „Sturtischen Vergletscherung“ (s. o.) zu; Grundlage ist eine Alterskorrelation mit Diamiktiten in Nordwestkanada. Dort setzt die „Sturtische Vergletscherung“ nach Macdonald et al. (2017) zwischen ca. 716,9 ± 0,4 und 717,4 ± 0,2 Millionen [radiometrischen] Jahren ein.

Tab. 1: Ausgewiesene U-Pb-Alter von Tuffen der oberen Tambien-Gruppe, Äthiopien. Zusammengestellt aus MacLennan et al. (2018); die Sedimentationsraten sind vom Verfasser errechnet worden (daher kursiv). Die 2σ-Unsicherheit bezieht sich lediglich auf den Analyseteil.
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1000 Jahre: Turbo-Vergletscherung?
Abb. 3: Markanter Wechsel in der Sedimentation: Feinsandsteine werden von Diamiktit überlagert (vgl. Abb.1). Der Kontakt (gestrichelte Linie) ist relativ eben und konkordant. Eine sedimentäre Primärstruktur ist bei den Feinsandsteinen nicht erkennbar, bei dem planaren Gefüge handelt es sich um Schieferung. Von einer anderen Stelle berichten MacLennan et al. (2018; data repository, Fig. 4d) von Kletterrippeln im Feinsandstein, ein Hinweis auf schnelle Sedimentation. Der massige Diamiktit enthält ein größeres Bruchstück (über dem Hammer rechts). Foto: Scott MacLennan (freundliche Zurverfügungstellung).

Nach MacLennan et al. (2018, 542) war es „warm genug, dass die Flachwasser-Karbonatproduktion bis unmittelbar vor der Ablagerung der glazigenen Diamiktite andauerte“ (Abb. 2). Diese Interpretation – so die Autoren weiter – impliziere, dass der Übergang zu einer „Vergletscherung in den niedrigen Breiten“ (s. o.) rasch war; eine konkrete Zeitdauer geben sie in ihrem Artikel aber nicht an.

Eine Zeitdauer nannte Scott MacLennan allerdings gegenüber Science, die in ihrer Online-Rubrik News mit der Überschrift Frühere Erde fror in einem geologischen Augenblick zu (Joel 2018) von den Ergebnissen der Studie berichtete. MacLennan sagt in diesem Beitrag unter Bezugnahme auf den gleichmäßigen Karbonat/Diamiktit-Übergang, dass „möglicherweise wenig oder keine fehlende Zeit zwischen den warmen und gefrorenen Episoden war“, und erklärt, dass die Zeitdauer vom Anfang bis zum Ende der Vereisung „irgendwo zwischen 1000 und 100.000 Jahren“ gelegen haben könnte. Die hier angegebenen Zeiten sind dann von Lingenhöhl (2018) aufgegriffen worden.

Mit anderen Worten: Zwischen der Dachfläche der Karbonate und der Sohlfläche des Diamiktits (Abb. 2-3) wird eine Unterbrechung der geologischen Überlieferung von ≥ 1000 Jahren angenommen; es soll sich um die Wartezeit handeln, bis das lokale Klima bezogen auf die damalige Lage vollends „umgesprungen“ war und die vermeintlichen Gletscher ihre ersten Geschiebe subaquatisch ablagerten. Die Zeitangabe für den abrupten „Warm/Kalt“-Umschlag leitet sich wohl von Modellrechnungen ab, wonach „eine Eisexpansion zum Äquator in einer Zeitspanne von Tausenden von Jahren eintreten sollte, wenn zuvor einmal die Breite von etwa 30° erreicht worden sei“ (MacLennan et al. 2018, 539; mit Verweis auf Baum & Crowley 2001). Die Wartezeit wird also durch die Hypothese selbst und die gewählten Modellparameter vorgegeben.

Sedimentationsunterbrechung: nicht Jahrtausende, sondern möglicherweise nur Stunden.

Beide Kontakte – Karbonat/Diamiktit (Abb. 2) und Sandstein/Diamiktit (Abb. 3) – sind konkordant und lassen nicht auf eine größere Sedimentationsunterbrechung schließen. Möglicherweise liegen nur Stunden zwischen den Sedimentationsereignissen. Die Interpretation des Diamiktits als Produkt eines Massenstroms könnte auch die punktuelle Ausbildung eines Konglomerats an der Basis erklären, nämlich aufgrund einer lokal unterschiedlichen Sedimentkonzentration und Sedimentzusammensetzung des Stroms selbst.

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„Schneeball-Erde“: von einer Hypothese zu einer Tatsache

Lingenhöhl (2018) schreibt: „Doch im Präkambrium vor 750 bis 580 Millionen Jahren fror die Erde tatsächlich mehrfach komplett zu – von den Polen bis zum Äquator. Ein Phänomen, das Geologen heute als ‚Schneeball-Erde‘ bezeichnen.“ Hier zeigt sich, wie schnell durch Verwendung einer faktischen Aussage und des Wortes „tatsächlich“ in verkürzter Weise eine Transformation von einer Hypothese zu einer Tatsache geschieht. Dabei wird u. a. der Diamiktit als „unproblematisch produziert“ angesehen (vgl. Kotulla 2016, 92); denn der Diamiktit ist – so Lingenhöhl (2018) weiter – eine „Mischung aus zahlreichen unterschiedlichen Gesteinsbruchstücken, die in eine ehemals tonige oder schluffige Grundmasse eingebettet sind, und die im lokalen Fall nur durch Gletscher geformt worden sein können“ (Unterstreichung durch den Verfasser).

An dieser Transformation von „Hypothese“ zu „Tatsache“ haben MacLennan et al. (2018) sowie Park et al. (2016, Co-Autor ist MacLennan) ihren Anteil. In einer Vorab-Vorstellung einiger ihrer Ergebnisse beginnen Park et al. (2016) ihre Zusammenfassung zwar mit „Die Schneeball-Erde-Hypothese besagt (…)“, doch alle anderen verwendeten Formulierungen wie „Der Beginn der Sturtischen Schneeball-Erde“ (Überschrift), „die neoproterozoische Sturtische Schneeball-Erde-Vergletscherung“ und „Übergang in die Schneeball-Erde“ sind faktischer Natur. MacLennan et al. (2018) beginnen ihren Artikel mit „Um den Beginn der Schneeball-Erde-Ereignisse zu verstehen (…)“ und verwenden im Verlauf zahlreiche weitere faktische Aussagen, obwohl sie andererseits ihre Ergebnisse in Beziehung zur „Schneeball-Erde-Hypothese“ setzen. MacLennan et al. (2018) und Park et al. (2016) sind an der Konstruktion wissenschaftlicher Fakten (Kotulla 2016) aktiv Beteiligte; und gegenüber der interessierten Öffentlichkeit können Aussagen wie die von Lingenhöhl (2018, s. o.) oder auch Joel (2018, z. B. Überschrift) eine enorme Hebelwirkung entfalten.

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Schluss

Die Interpretation der neoproterozoischen Diamiktite als ausschließlich glazigene Ablagerungen ist irreleitend: bis hin zu einer Totalvergletscherung der Erde („Schneeball-Erde“). Die „Schichtfuge“ zwischen Karbonatgestein und Diamiktit (Abb. 2) repräsentiert möglicherweise nur eine kurzfristige Sedimentationsunterbrechung (Stunden?) und nicht 1000 bis 100.000 Jahre, wie es durch die Schneeball-Erde-Hypothese und unterstützende Modellrechnungen vorgegeben wird. Der Negash-Diamiktit ist aufgrund seiner stratigraphischen Inkomplexität und hohen Mächtigkeit – im Vergleich und im Gegensatz zu pleistozänen, glazigenen Ablagerungen – keine glazigene Ablagerung. Er ist wahrscheinlich das Produkt von mächtigen Massenströmen.

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Anmerkung

1 Die formale Definition der Basis des Kryogenium-Systems steht noch aus. Die zuständige Kommission hat durch Mehrheitsbeschluss festgelegt, dass die Basis unmittelbar „unterhalb der ältesten eindeutigen glazigenen Ablagerung in einer neoproterozoischen Sedimentfolge gesetzt werden sollte“ (Shields-Zhou et al. 2012).

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Literatur

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