Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 23. Jg. Heft 1 - Mai 2016
Druckerfreundliche Ansicht dieser Seite

 


Landpflanzen bereits im Kambrium?

von Reinhard Junker

Studium Integrale Journal
25. Jahrgang / Heft 2 - Oktober 2018
Seite 94 - 96


Zusammenfassung: Der hypothetische evolutionäre Ursprung der Landpflanzen liegt im Dunkeln – und das in mehrerer Hinsicht. Eine neue umfangreiche Studie bestätigt eine deutliche Diskrepanz zwischen der Fossilüberlieferung und dem Entstehungszeitpunkt, der durch Vergleiche molekularer Daten erschlossen wird. Die Merkmalsbeziehungen der Hauptgruppen der ersten Landpflanzen stellen sich netzartig dar. Ihre Darstellung in einem Stammbaum ist nicht eindeutig möglich und würde am ehesten passen, wenn von einem relativ komplexen Vorfahren und teilweisen Merkmalsverlusten ausgegangen wird. Alle diese Befunde widersprechen mehr oder weniger deutlich evolutionstheoretischen Vorhersagen und stellen Evolution als Leitidee der naturhistorischen Forschung in Frage.


Inhalt
•  Einleitung
•  Neue Befunde
•  Diskussion
•  Literatur


Einleitung

Wie kann man den vermuteten evolutionären Ursprung von Tier- und Pflanzengruppen aufklären? Als erstes wird man an Fossilien denken. Jedenfalls geben Fossilien ein stratigraphisches Mindestalter an (das den geologischen Schichten entspricht, in denen sie entdeckt werden). Allerdings kann es viele Umstände geben, aufgrund derer ganze Gruppen fossil nicht in Erscheinung treten, obwohl sie existieren, z. B. schlechte Erhaltungsfähigkeit oder auch ökologische Gründe (Art des Lebensraums). Hier behelfen sich Evolutionstheoretiker mit Merkmalsvergleichen; seit einigen Jahrzehnten bevorzugt mit dem Vergleich molekularer Merkmale in Form von Sequenzen der Bausteine von Makromolekülen (Proteine, DNS). Dabei wird argumentiert, dass, je länger zwei Linien evolutionär seit der Aufspaltung eines gemeinsamen hypothetischen Vorfahren getrennt sind, desto stärker sie sich in den Sequenzen der Makromoleküle aufgrund von Mutationen unterscheiden sollten. Wenn man anhand von Fossilien und auf der Basis des Altersmodells der „geologischen Zeitskala“ eine Eichung vornehmen kann, lässt sich theoretisch der ungefähre Entstehungszeitpunkt einer Organismengruppe ableiten. Allerdings gibt es in der Praxis zahlreiche Schwierigkeiten, auf die hier nicht eingegangen werden soll. Und das Prinzip der molekularen Uhr funktioniert nur, wenn Evolution vorausgesetzt wird. Es sei außerdem angemerkt, dass weder Fossilien noch molekulare Uhren Auskunft über den Modus bzw. die Mechanismen der mutmaßlichen evolutionären Entstehung geben können.

Zum Inhaltsverzeichnis  Zur Literaturliste

Neue Befunde
Abb. 1: Sieben konkurrierende Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Hornmoosen, Lebermoosen, Laubmoosen und den Gefäßpflanzen, die in den letzten Jahrzehnten vorgeschlagen wurden. Puttick et al. (2018, 1) bemerken dazu: „Ohne phylogenetische Auflösung ist es nicht möglich, die Abfolge zu rekonstruieren, in welcher die Bauplanmerkmale der Embryophyten, Moose und die Gefäßpflanzen zusammengekommen sind.“ (Nach Puttick et al. 2018, CC BY-Lizenz)

Der evolutionäre Ursprung der Landpflanzen (Moose und Gefäßpflanzen = Embryophyten) ist ein Beispiel, bei dem sich die Wissenschaftler aufgrund teils dürftiger Fossilüberlieferung Antworten mithilfe des Prinzips der molekularen Uhr erhoffen. Es tritt zwar in den Schichten des oberen Silurs (ab 420 Millionen radiometrische Jahre, MrJ) und vor allem in den Schichten des Unterdevons sprunghaft eine Fülle von Fossilien von Gefäßpflanzen auf (zu denen Farne, Schachtelhalme, Bärlappgewächse und Samenpflanzen gehören), aber die fossile Überlieferung von Moosen ist relativ dürftig und setzt erst im Unterdevon zaghaft ein (Morris et al. 2018, 7).

Kürzlich veröffentlichten Philip Donoghue und Mitarbeiter von der Universität Bristol eine umfangreiche Studie auf der Basis der (theoretischen) molekularen Uhr und analysierten dazu Gensequenzen von etwa 100 unterschiedlichsten heute lebenden Algen, Moosen und Gefäßpflanzen (Morris et al. 2018). Sie kamen zum Ergebnis, dass aufgrund dieser Daten der älteste gemeinsame Vorfahre aller Landpflanzen viel früher als bisher angenommen gelebt haben müsse, nämlich wahrscheinlich bereits im mittleren Kambrium und damit 95 Millionen radiometrische Jahre früher, als durch die ersten Fossilfunde angezeigt wird. Spätestens mit Beginn des Silurs hatte sich demnach bereits die moderne Linie der Gefäßpflanzen differenziert. Über das Aussehen dieser Pflanzen kann allerdings nichts Sicheres gesagt werden, es wird angenommen, dass sie klein und sehr einfach gebaut waren.

In evolutionärer Perspektive ergibt sich eine deutliche Diskrepanz zwischen Fossilüberlieferung und den molekularen Daten.

Der Fortschritt der Leistungsfähigkeit von Computern erlaubte es den Wissenschaftlern, die Analysen mit allen denkbaren Verwandtschaftsbeziehungen von Algen, Moosen und Gefäßpflanzen durchzuführen. Es zeigte sich, dass das Ergebnis in Bezug auf den Entstehungszeitraum nur wenig variierte. Damit ist in evolutionärer Perspektive die Diskrepanz zwischen Fossilüberlieferung und den molekularen Daten gut begründet.
Die Verwandtschaftsbeziehungen von Horn-, Leber- und Laubmoosen sowie Gefäßpflanzen sind bis heute ungeklärt. In den letzten Jahrzehnten wurden fast alle denkbaren Verwandtschaftsverhältnisse vorgeschlagen (Morris et al. 2018; Puttick et al. 2018, 1, 8) und ein Konsens zeichnet sich nicht ab (Abb. 1). Darüber hinaus ist evolutionstheoretisch auch nicht geklärt, welche Algengruppe als Vorläufer der Landpflanzen gelten kann (Puttick et al. 2018, 2).

Aus den Analysen folgt in evolutionstheoretischer Perspektive ein weiteres bemerkenswertes Ergebnis. Der Urahn der drei Moosgruppen und der Gefäßpflanzen müsste bereits die Schlüsselmerkmale der Landpflanzen besessen haben: einen Embryo, in der Luft verbreitete widerstandsfähige Sporen, eine Kutikula (Außenhaut für den Verdunstungsschutz) und Spaltöffnungen sowie die biochemischen Wechselwirkungen zur Gewinnung von Nähr- und Mineralstoffen aus dem Boden (Puttick et al. 2018).

Zum Inhaltsverzeichnis  Zur Literaturliste

Diskussion

Das Beispiel der Landpflanzen reiht sich in zahlreiche ähnliche Fälle von Diskrepanzen zwischen „Fossilien und Molekülen“ ein. In evolutionstheoretischer Sicht muss man daher auch hier mit umfangreichen fossil nicht überlieferten Lebensräumen rechnen. Dies mag in diesem Fall teilweise plausibel sein, da die betreffenden Pflanzen mutmaßlich wenig erhaltungsfähig waren (was besonders für Moose gilt) und da es zum Teil keine terrestrischen Ablagerungen gibt, in denen ggf. diese Taxa hätten fossilisiert gefunden werden können (Morris et al. 2018, 7). Allerdings ist eine Spanne von mehreren Zehner Millionen Jahren für die Gefäßpflanzen und von über 100 Millionen Jahren bei Moosen (Mittelkambrium bis Unterdevon) ohne fossile Spuren vielleicht doch auch im evolutionären Langzeitrahmen problematisch.

Schon früher war eine noch größere Diskrepanz mit einer Entstehung der Landpflanzen anhand von Aminosäuresequenzen von 119 Proteinen gefolgert worden (Heckman et al. 2001), was in einer Folgearbeit jedoch bestritten wurde (Sanderson 2003). Die neue sehr viel umfassendere Untersuchung bestätigt nun (evolutionstheoretisch) eine deutliche, wenn auch geringere Abweichung.

Ein ganz ähnlicher Befund zeigt sich bisher auch bei der Bewertung von Sporen- und Sporangienfunden (Sporenbehälter), die bis ins mittlere Ordovizium zurückreichen und Landpflanzen unklarer Art, teilweise wahrscheinlich Lebermoosen, zugeordnet werden müssen (Morris et al. 2018, 7; vgl. Edwards et al. 2014).

Wie in vielen anderen Fällen muss ein relativ komplexer Vorfahr angenommen werden, wenn man die molekularen Daten im Rahmen des Evolutionsparadigmas interpretiert.

Evolutionstheoretisch unerwartet ist zudem, dass hier wie in vielen anderen Fällen ein relativ komplexer Vorfahr angenommen werden muss, wenn man die molekularen Daten im Rahmen des Evolutionsparadigmas interpretiert. Puttick et al. (2018, 1, 8f.) schließen aus einer Analyse des Transkriptoms (Summe aller zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Zelle von DNA in RNA umgeschriebenen Gene) von 103 Arten von Algen und Embryophyten, dass der relativ einfache Bau der Lebermoose durch Merkmalsverluste ausgehend von einem komplexeren Vorfahren entstanden ist.

Und ebenfalls entgegen evolutionären Prognosen ist der Befund, dass die Merkmalverteilungen der vier Landpflanzengruppen kaum (wenn überhaupt) eine Interpretation in Form einer klaren Abfolge mit Verzweigungen in einem Stammbaum zulassen. Man würde evolutionstheoretisch das Gegenteil erwarten. Angesichts der Hartnäckigkeit dieses Befundes scheint eine netzförmige statt baumförmige Merkmalsbeziehung weder auf mangelhafte Daten noch auf fehlerhaften Methoden zu beruhen, sondern eine Realität widerzuspiegeln. Eine Realität, die nicht nur dem hypothetischen evolutionären Ursprung der Landpflanzen, sondern auch dem Paradigma „Evolution“ als Schlüssel zur Deutung historischer Befunde widerspricht.

Zum Inhaltsverzeichnis  Zur Literaturliste

Literatur

Edwards D, Morris JL, Richardson JB & Kenrick P (2014)
Cryptospores and cryptophytes reveal hidden diversity in early land floras. New Phytol. 202, 50-78.
Heckman DS, Geiser DM et al. (2001)
Molecular evidence for the early colonization of land by fungi and plants. Science 293, 1129-1133.
Morris JL, Puttick MN et al. (2018)
The timescale of early land plant evolution. Proc. Natl. Acad. Sci. 115, E2274-E2283.
Puttick MN, Morris JL et al. (2018)
The Interrelationships of land plants and the nature of the ancestral embryophyte. Curr. Biol. 28, 1-13.
Sanderson MJ (2003)
Molecular data from 27 proteins do not support a Precambrian origin of land plants. Am. J. Bot. 90, 954-9566.


Studium Integrale Journal 25. Jg. Heft 2 - Oktober 2018