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Abb. 1: Eine Megaponera-Ameise kümmert sich um einen verletzten Artgenossen. (© Erik T. Frank, mit freundlicher Genehmigung) |
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Ameisen der afrikanischen Art Megaponera analis haben sich darauf spezialisiert, andere soziale Insekten, nämlich Termiten, zu überfallen und auszurauben. Dabei spioniert eine Scout-Ameise die Lage eines Termitenbaus aus. Von ihr geführt macht sich dann ein Bataillon von 200-500 Ameisen in Angriffskolonne auf zum Zielobjekt. Dort angekommen brechen große Ameisen Löcher in den Termitenbau, kleinere stürzen sich hinein, töten Termiten und ziehen die Beute heraus, die dann wiederum von den größeren Ameisen zurück zum Nest transportiert wird. Das läuft routiniert, 2-4 solcher Überfälle werden pro Tag durchgeführt. Natürlich lassen Termiten sich das nicht einfach gefallen. Sie sind in „Kasten“ organisiert, darunter Soldaten, die mit gepanzerten Köpfen und kräftigen Kiefern darauf spezialisiert sind, Angriffe raubgieriger Eindringlinge zurückzuschlagen. So haben die angreifenden Ameisen regelmäßig deutliche Verluste zu beklagen. Termitensoldaten beißen Antennen oder Beine der Angreifer ab, oder wenn ihnen das nicht gelingt, verbeißen sie sich opferbereit in deren Extremitäten und lassen nicht mehr los. Solchermaßen gehandicapte Angreifer werden, sich selbst überlassen, leichte Beute anderer Fressfeinde oder sie gehen, durch die hartnäckig verbissenen Termiten-Soldaten ausgebremst, auf dem Heimweg an Erschöpfung ein.
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Die Autoren beschreiben ein bisher
unbekanntes Rettungsverhalten bei Ameisen. |
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Abb. 2: Männchen von Megaponera analis. (CC BY-SA 4.0) |
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Wissenschaftler der Universität Würzburg stellten fest, dass die beschriebenen Landpiraten-Ameisen ein so noch nicht beobachtetes Rettungsverhalten an den Tag legen (Frank et al. 2017). Bisher hatte man Rettungsverhalten nur beobachtet, wenn Artgenossen direkt bedroht waren, zum Beispiel wenn sie in die Falle eines Ameisenlöwen geraten waren oder, von Sand oder Erde bedeckt, zu ersticken drohten. Im Fall von Megaponera analis (Abb. 1, 2) dagegen werden verletzte Angreifer, die nur indirekt vom Tod durch Fressfeinde oder durch Erschöpfung bedroht sind, von großen Ameisen aufgenommen und zurück zum Nest transportiert. Dort werden sie von festgebissenen Termitensoldaten befreit. Tiere, die Gliedmaßen verloren haben, können sich regenerieren und lernen, sich wieder effektiv fortzubewegen, ohne weiter wegen fehlender Phantombeine zu stolpern. Schon kurz danach wurden die geretteten Ameisen wieder Teil neuer Angriffskampagnen, tatsächlich bestanden die von den Wissenschaftlern untersuchten Angriffskolonnen zu einem Fünftel aus genesenen „Veteranen“. Nach fast jeder Kampagne, die zu einer Auseinandersetzung führte, konnten solche Sanitätseinsätze beobachtet werden. Die Wissenschaftler konnten außerdem zeigen, dass verletzte Ameisen Duftstoffe (organische Schwefelverbindungen) absonderten, die die Sanitäter zur Hilfe veranlassten, und eine Haltung einnahmen, die das Tragen erleichterte. Tödlich verletzte Tiere dagegen wurden nicht transportiert. Außerdem wurden Verletzte nur transportiert, wenn sie direkt auf dem „Schlachtfeld“ oder auf dem Heimweg gefunden wurden, nicht wenn die Wissenschaftler sie auf dem Hinweg zum Angriff neben die Angriffskolonne platzierten.
Man könnte meinen, im großen Ameisenhaufen ist das einzelne Individuum nichts wert. Das beschriebene Rettungsverhalten beweist das Gegenteil. Die Autoren gehen davon aus, dass diese komplexen Verhaltensweisen im Zuge der „Aufrüstung“ zwischen Termiten und Ameisen entwickelt wurden. Nach ihrem Modell können die Ameisen dadurch 28,7 % größere Kolonien bilden.
Im Artikel liest es sich so, als ob sowohl angreifende Ameisen als auch verteidigende Termiten Verhalten und Morphologie entwickelt hätten, „um“ etwas „zu erreichen“1. Eine Wortwahl, die auf ein Ziel gerichtete Evolution ausdrückt, die aber wahrscheinlich nicht dem entspricht, was die Autoren tatsächlich annehmen. Versucht man sich aber klarzumachen, was alles zusammenkommen muss, um Verhalten und Morphologie wie oben beschrieben ohne Zielgerichtetheit (Teleologie) entstehen zu lassen, wird es äußerst kompliziert und unwahrscheinlich. Völlig zufällige Mutationen in der DNA einer Ameisen- bzw. Termitenkönigin bzw. in dem einen von Tausenden männlicher Gegenüber, das sie begattet, müssen via Ausprägung in Proteinen komplexe Verhaltensmuster sowie Produktion und Detektion bestimmter Chemikalien erschaffen; bei den Termiten außerdem eine Verstärkung des Panzers, und das nicht in ihnen selbst, sondern in den von ihnen gezeugten Soldaten. Die Veränderungen mussten so starke Selektionsvorteile bringen, dass dieses eine Volk derart erfolgreichere Raubzüge durchführt, bzw. sich besser dagegen verteidigt, dass es sich gegen andere durchsetzt. Gleichzeitig können die Selektionsvorteile aber nicht zu groß gewesen sein, denn weder Termiten noch Ameisen haben die Oberhand gewonnen, beide existieren immer noch nebeneinander! Die erforderliche Ausbalancierung und kreative Kraft, die hier der blinden (ziellosen) Evolution unterstellt werden, sind erstaunlich.
Ginge es hier um Henri Dunant, den Gründer des Roten Kreuzes, wäre die teleologische Wortwahl zutreffend. Er handelte zielgerichtet, und wir verstehen, warum und wozu er das Rote Kreuz ins Leben rief. Menschen helfen zumeist aus Empathie. Die Autoren dagegen sehen ihre Befunde als Beweis, dass Empathie nicht der einzige Weg ist, um Hilfsverhalten zu erklären. Die verschlungenen Wege der Evolution brachten beim Menschen die Empathie hervor, um Hilfsverhalten auszulösen. Bei Ameisen tun es auch Dimethyl-Disulfid und Dimethyl-Trisulfid.
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