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Der sechste Sinn bei Hummeln

von Hans-Bertram Braun

Studium Integrale Journal
23. Jahrgang / Heft 2 - Oktober 2016
Seite 106 - 107


Zusammenfassung: Nicht nur im elektrisch gut leitfähigen Wasser, sondern auch auf dem Trockenen spielt Elektrizität bei Lebewesen eine wichtige Rolle. Der Pelz der Hummeln hat sich als regelrechter „Elektrodetektor“ erwiesen, der bei der Bestäubung eine überraschend ausgeklügelte Rolle spielt. Denn auch Blüten nutzen elektrische Felder und können sie sogar aktiv verändern, um mit ihren Besuchern gleichsam zu kommunizieren.


Abb. 1: Eine Erdhummel (Bombus terrestris) besucht das Blütenkörbchen einer Zinnie (Zinnia elegans). (Bild: Simon Koopmann, CC-SA 2.0)

„Elektrische“ Lebewesen sind vor allem aus dem Wasser bekannt. Zitteraale, Zitterrochen und andere Fische können starke elektrische Entladungen produzieren, um Beutefische zu lähmen. Viele weitere Knochen- und Knorpelfische (z. B. Haie) sind in der Lage, mit sogenannten Lorenzinischen Ampullen, spezialisierten Elektrorezeptoren, Beutefische oder Feinde durch die Wahrnehmung der schwachen elektrischen Felder zu detektieren, die diese bei der Kontraktion ihrer Muskeln hervorrufen. Auch das australische Schnabeltier nimmt seine Umgebung beim Tauchen im Wasser mit geschlossenen Augen durch Detektion von elektrischen Feldern mit seinem sensiblen Schnabel wahr.

Abb. 2: Die starke Behaarung der Erdhummel (hier an einer Lindenblüte) spielt bei der Bestäubung eine wichtige Rolle.(Bild: Ivar Leidus, CC-BY-SA 4.0)

Aber auch auf dem Land spielt Elektrizität in der Natur eine große Rolle: Vor wenigen Jahren wurden Experimente durchgeführt, die zeigten, dass Hummeln Blüten nicht nur an Form, Farbe (einschließlich Muster im für Menschen unsichtbaren ultravioletten Bereich) und Duft, sondern auch an dem sie umgebenden elektrischen Feld erkennen. Schon früher war bekannt, dass Blütenpollen auch aufgrund von elektrostatischer Ladung auf Blüten übertragen werden. Insekten wie Hummeln oder Bienen laden sich im Flug durch Abstreifen von Elektronen positiv auf. Blumen sind dagegen negativ geladen. Wenn sich die Hummel dann auf der Blüte niederlässt, fliegen zwar keine Funken, aber die Pollen tun es. Bei diesem Besuch ändert sich die elektrische Ladung der Blüte für eine gewisse Zeit, allerdings nicht einfach nur passiv durch die landende Biene, sondern erstaunlicherweise aktiv durch die Pflanze selbst: Kurz vor der Landung wird sehr schnell die Ladung verändert, und auch nach dem Besuch bleiben die elektrischen Verhältnisse für eine längere Zeit verändert, sodass weitere anfliegende potenzielle Bestäuber erkennen können, ob sich ein Anfliegen der Blüte lohnt oder ob sie gerade „ausverkauft“ ist.

Somit war also nachgewiesen, dass Hummeln elektrische Ladungen erkennen können, aber das entsprechende Sinnesorgan war noch nicht bekannt. Erster Kandidat waren die Antennen, die ja ohnehin mit Sinneszellen gepflastert sind. Außerdem war nachgewiesen worden, dass Antennen bei der Biene elektrische Signale wahrnehmen können, die durch andere Bienen z. B. beim Schwänzeltanz ausgesandt werden. Dieser Tanz wird im dunklen Bienenstock aufgeführt; dennoch erfahren die Artgenossen dadurch, in welcher Richtung Nahrung zu finden ist, wahrscheinlich also durch Wahrnehmung der elektrischen Ladung der tänzelnden Biene.

Bei den Hummeln konnte auch gezeigt werden, dass die Antennen durch statische Ladung ausgelenkt werden; die entsprechenden Nervensignale, die von der Antenne gesendet wurden, korrelierten allerdings nicht mit der angelegten elektrischen Spannung. Im Gegensatz dazu animierte ein mit Duftstoffen angereichertes Lüftchen, das im Nebeneffekt auch eine entsprechende Bewegung der Antennen hervorrief, die Nervenbahnen der Antennen zum Dauerfeuer, sozusagen als Positivkontrolle, dass die Antenne ihre Aufgabe als Duftrezeptor gut erfüllt, aber nicht als Elektrorezeptor.

Etwa jedes zehnte Körperhaar
der Hummel ist an seiner Basis mit einer Sinneszelle ausgestattet.

Nun ist der Körper einer Hummel bekanntermaßen sehr behaart, und Haare erfüllen bei vielen Lebewesen die Rolle von Sinnesrezeptoren, wie etwa als Tasthaare an der Schnauze der Hauskatze oder im Mittelohr als Bewegungs- und Erdanziehungssensor. Es konnte gezeigt werden, dass etwa jedes zehnte Körperhaar der Hummel an seiner Basis mit einer Sinneszelle ausgestattet ist, die registriert, wie das normalerweise selbst elektrostatisch aufgeladene Haar durch benachbarte elektrische Felder angezogen oder abgestoßen und dadurch zur Seite gebogen wird. Dies geschieht viel schneller, stärker und in größerem Winkel, als es bei den Antennen der Hummel beobachtet wurde. Ein weiterer starker Hinweis, dass der „Elektrodetektor“ hiermit tatsächlich gefunden wurde, ergab sich daraus, dass das Feuern der Nervenzellen an der Basis der Haare tatsächlich mit dem elektrischen Feld korrelierte. So konnte gezeigt werden, dass die bekannte charakteristische Haartracht der Hummel nicht nur gut aussieht und beim Pollentransport hilft, sondern dass sie ein elektrisches Rundum-Sinnesorgan darstellt, das ihren Besitzer blitzschnell auf elektrische Felder reagieren lässt, ob sie nun durch Nahrungsquellen oder Fressfeinde hervorgerufen werden. Es versteht sich von selbst, dass der „Elektro-Sinn“ der Hummeln ein enormes Ausmaß an Datenverarbeitung erfordert.

So zeigt sich, dass Organe zur Wahrnehmung schwacher elektrischer Felder weit über das Tierreich (und bis zu den Pflanzen?) verbreitet sind. Gedeutet im Rahmen des Evolutionsmodells bedeutet dies, dass sie nicht durch Vererbung von einem gemeinsamen Vorfahren stammen, sondern vielfach unabhängig voneinander (konvergent) zufällig entstanden oder gar mehrfach verloren gegangen und neu „erfunden“ worden sein müssten (S. Conway Morris1). Ob das eine überzeugende Erklärung der Datenlage dieses erstaunlichen „Sechsten Sinnes“ ist, mag jeder Leser selbst beurteilen.


Anmerkung

1 „From an evolutionary point of view, electroreception is particularly intriguing as a sense modality that has been repeatedly lost and reinvented again.“ (http://www.mapoflife.org/topics/topic_41_electroreception-in-fish-amphibians-and-monotremes/)


Literatur

Sutton GP, Clarke D, Morley EL & Robert D (2016)
Mechanosensory hairs in bumblebees (Bombus terrestris) detect weak electric fields. Proc. Natl. Acad. Sci. 113, 7261-7265, doi:10.1073/pnas.1601624113
Clarke D, Whitney H, Sutton GP, Robert D (2013)
Detection and Learning of Floral Electric Fields by Bumblebees. Science 340, 66-69, doi: 10.1126/science.1230883
Greggers U, Koch G, Schmidt V, Dürr A, Floriou-Servou A, Piepenbrock D, Göpfert MC & Menzel R (2013)
Reception and learning of electric fields in bees. Proc R Soc B 280: 20130528. http://dx.doi.org/10.1098/rspb.2013.0528


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