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Das Alter der Saturnringe

von Peter Korevaar

Studium Integrale Journal
21. Jahrgang / Heft 2 - Oktober 2014
Seite 91 - 94


Zusammenfassung: WEin ausgesprochen faszinierendes Schauspiel im Sonnensystem bieten uns die Ringe des Planeten Saturn. Sie werden derzeit eingehend vom der Raumsonde Cassini untersucht. Und eine Frage be-schäftigt die Forscher besonders: Welche Mechanismen sind für den Erhalt des Ringsystems über so lange Zeit verantwortlich? Obwohl verschiedene Modelle diskutiert werden, ist die Frage weiterhin unbeantwortet. Kann es sein, dass die Ringe wesentlich jünger sind als gemeinhin angenommen? Tiscareno (2013) räumt ein, dass „verschiedene Aspekte der Ringe schwer vereinbar sind mit einem Ringalter so hoch wie das des Saturns.“1




Einführung

Nach gängiger wissenschaftlicher Vorstellung ist unser Sonnensystem etwa 4,6 Milliarden Jahren alt. Die Planeten, Monde, Asteroiden und Kometen seien zeitgleich mit der Sonne entstanden und würden seitdem weitestgehend ungehindert und unverändert unter Einfluss der gegenseitigen Schwerkraftsanziehung ihre Bahnen ziehen. Folglich werden alle Objekte und Phänomene im Sonnensystem als entsprechend alt eingestuft. Diese Vorstellung wirft jedoch immer wieder Fragen auf, wir berichteten über ein Beispiel in der vorherigen Ausgabe dieses Journals (Korevaar 2014).

Im Folgenden werden die Saturnringe beschrieben, die Ringaspekte, die die Forscher vor Erklärungsprobleme stellen, besprochen und angedachte Erklärungsversuche, inklusive der Möglichkeit eines jungen Ringsystems, diskutiert.

Abb. 1: Saturnaufnahme in Echtfarben durch die Raumsonde Cassini. (NASA)

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Die Saturnringe

Schon 1610 stellte Galileo Galilei mit einem der ersten Teleskope fest, dass Saturn „einen Henkel“ hat. Christiaan Huygens erkannte 1655, dass dieser „Henkel“ in Wirklichkeit ein dünner, flacher Ring sei, der Saturn nicht berühre. Weitere 20 Jahre später stellte Giovanni Domenico Cassini fest, dass es sich nicht um einen einzelnen Ring, sondern vielmehr um ein Ringsystem, bestehend aus mehreren Ringen handelt, siehe Abb. 1. Gut zu sehen ist die nach ihm benannte Cassinische Teilung, die die beiden Ringe A und B vonei-nander trennt. Cassini vermutete außerdem schon damals, dass die Ringe aus einzelnen Partikeln bestehen.

Es wird geschätzt, dass das Ringsystem aus bis zu 100.000 einzelnen, klar voneinander getrennten Unterringen besteht.

Cassini sollte mit dieser Vermutung Recht behalten: Inzwischen wissen wir, dass das Ringsystem aus mehreren Hauptringen besteht, die sich in unzählige Unterringe aufteilen. Insbesondere die Bilder der Raumsonde Cassini zeigen die Ringe in hoher Auflösung (Abb. 2). Es wird geschätzt, dass das Ringsystem aus bis zu 100.000 einzelnen, klar voneinander getrennten Unterringen besteht. Und diese wiederum bestehen aus Eis- und Gesteinsbrocken mit Größen bis zu wenigen Metern. Das Ringsystem ist mit 10-100 Metern extrem dünn im Vergleich zum Gesamtdurchmesser des Ringsystems von etwa 1 Million Kilometer. Würde man das Ringsystem mit normalem Kopierpapier, das eine Dicke von 0,1 mm hat, verhältnisgerecht nachbauen, hätte dieser Papierring einen Durchmesser von 2 km! Auch wenn dies sehr erstaunlich klingt, gibt es eine plausible Erklärung dafür, dass das Ringsystem so dünn ist und auch stabil dünn bleibt: Der Planet Saturn ist als Gasplanet durch die hohe Drehgeschwindigkeit stark abgeflacht und ruft damit eine zusätzliche Gravitationskomponente (Quadrupol J2 genannt) hervor, die Material, das um den Planeten dreht, genau in die Drehfläche des Planeten führt. Ein „Ausbrechen“ nach oben oder nach unten wird somit kontinuierlich korrigiert.

Abb. 2: Hochauflösende Detailaufnahme der Saturnringe, dazwischen die Cassinische Teilung. Der hohe Wassereisanteil und die Helligkeit, insbesondere des B-Rings, sind Hinweise auf ein junges Alter. (NASA)

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Entstehung der Saturnringe

Charnoz (2009) widmet sich ausführlich der Frage nach Alter und Entstehung der Ringe. Dabei wird unterschieden zwischen dem Alter des Materials, aus dem die Ringe bestehen, und dem Alter der aktuell beobachteten Ringstruktur. Diese Unterscheidung macht Sinn, denn auch mit altem Material lassen sich neue Strukturen bilden.

Allgemein nehmen Astronomen an, dass das Ringsystem des Saturns schon früh in der Entwicklung des Sonnensystems entstanden sei. Damals soll es mehrere Perioden gegeben haben, in denen viele frisch entstandene Gesteins- und Eisbrocken auf instabilen Bahnen quer durch das Sonnensystem geflogen und dabei mit Monden und Planeten kollidiert sind. Bei der letzten dieser katastrophischen Perioden, auch LHB2 genannt, sollen unter anderem die großen Mare auf dem Erdmond durch Einschläge entstanden sein, die ihm das typische Mondgesicht verliehen haben.

Einer dieser Brocken soll nun, so die Theorie, nicht in den Saturn gestürzt, sondern innerhalb der Roche-Grenze von Saturn eingefangen und durch die starken Gezeitenkräfte auseinander gerissen worden sein und so das Material für das Ringsystem geliefert haben. Die zerstörerischen Gezeitenkräfte sind nahe dem Planeten am stärksten; die Roche-Grenze ist die Distanz vom Zentrum des Planeten, innerhalb derer die Gezeitenkräfte stärker sind als die Eigengravitation, die das eingefangene Objekt zusammenhält. Die Roche-Grenze ist materialabhängig und beträgt bei Saturn ca. 140.000 km für Wassereis. Da die Ringe fast ausschließlich aus Wassereis bestehen, muss das ursprünglich eingefangene Objekt einen hohen Eisanteil gehabt haben, d. h. entweder ganz aus Eis oder mit einem dicken Eismantel bedeckt gewesen sein.

Dass ein solches Einfangen erst kürzlich und nicht beim LHB vor mehreren Milliarden Jahren erfolgt sein könnte wird von den Astronomen ausgeschlossen, da es in der jüngeren Vergangenheit keine größeren Katastrophen im Sonnensystem gegeben habe. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein einziges Objekt, das auf den Saturn trifft, die Ringe hervorruft, ist sehr unwahrscheinlich. Das Objekt muss nämlich die richtige Bahnrichtung, Geschwindigkeit, Größe und Zusammensetzung haben, um innerhalb der Roche-Grenze eingefangen und zerstört zu werden und dabei das Ringsystem entstehen zu lassen. Daher wird auf das LHB verwiesen, da zum damaligen Zeitpunkt viele Objekte durch das Sonnensystem schwirrten, was die Wahrscheinlichkeit erhöhte, dass eines davon die passenden Eigenschaften in sich vereinte und so das Ringsystem hervorbrachte. Dieser Erklärungsversuch lässt allerdings die kritische Frage offen, warum der Planet Jupiter nicht ebenfalls ein solches Ringsystem hat, zumal Jupiter mehr LHB-Objekte anziehen würde als Saturn, weil er größer und schwerer ist.

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Das Alter der Ringstrukturen

Es gibt verschiedene Gründe, die dafür sprechen, dass die Ringstrukturen, die wir heute beobachten können, wesentlich jünger sind als das vermeintlich hohe Alter des Ringmaterials. Die folgenden Argumente sind entnommen aus Charnoz (2009).

Wären die Ringe schon mehrere Milliarden Jahren alt, dürfte es aufgrund der viskösen Ausdehnung keinen A-Ring mehr geben.

1. Viskose Ausdehnung der Ringe

Die Eis- und Gesteinsbrocken, aus denen die Saturnringe bestehen, bewegen sich auf nahezu kreisförmigen Bahnen um den Planeten, die Bahngeschwindigkeit nimmt aber mit dem Abstand zum Saturn ab. Die Brocken bewegen sich also auch relativ zu ihren Nachbarn. Zusammen mit minimalen Abweichungen der Kreisform führt dies dazu, dass ständig Kollisionen im Ringsystem stattfinden. Durch diese Kollisionen werden die Brocken in geringfügig andere Bahnen gelenkt, das Nettoergebnis ist, dass sich die Ringe verbreitern. Schätzungen ergeben, dass die Breite des A-Rings sich in höchstens einigen Hundert Millionen Jahren verdoppelt. Dieser Zeitraum ist wesentlich kürzer als das vermeintliche Alter des Ringmaterials und stellt eine ungelöste Diskrepanz dar: Wären die Ringe schon mehrere Milliarden Jahren alt, dürfte es aufgrund dieser Ausdehnung keinen A-Ring mehr geben. Der sehr helle B-Ring hingegen würde sich wesentlich langsamer ausdehnen und könnte somit theoretisch älter sein als der A-Ring und falls seine Masse höher ist als bisher abgeschätzt, sogar aus der Zeit des LHB stammen. Andererseits berücksichtigen Colwell et al. (2009) zusätzlich den Effekt der Eigengravitation des Ringmaterials und schließen daraus sogar auf wesentlich kürzere Zeitskalen unter einer Million Jahre für die Ausdehnung der Ringe.

2. Einwirkung von Meteoriten

Das Ringsystem ist dem ständigen Beschuss von Meteoriten und Meteoritenstaub ausgesetzt. Durch die große Fläche kollidieren viele Meteoriten mit den Ringteilchen. Schätzungen ergeben, dass im Laufe des vermeintlich hohen Alters des Sonnensystems das Ringsystem eine so große Menge an Material gesammelt haben könnte, dass sie vergleichbar mit der Masse der Ringe selbst ist. Wenn dies aber so wäre, würde der Anteil an Wassereis bei maximal 50% und nicht, wie aktuell gemessen bei 96% liegen. Außerdem wären die Ringe durch die Einwirkung des kohlenstoffhaltigen Meteoritenstaubs viel dunkler. Cuzzu & Estrada (1998) schließen daraus, dass die Ringe wesentlich jünger als das Sonnensystem sind. Interessant ist anzumerken, dass die deutlich weniger ausgeprägten Ringe um Jupiter, Uranus und Neptun tatsächlich eine solche Verschmutzung und Verdunklung aufweisen und dies macht noch eindrucksvoller den Unterschied zu den hellen, sauberen Saturnringen klar.

3. Einfluss der inneren Saturnmonde

Einige Monde von Saturn befinden sich sehr nahe am Ringsystem (Mimas, Enceladus) und einige ganz kleine Objekte, „Moonlets“ (Minimonde) genannt, befinden sich sogar im Ringsystem selbst. Diese Moonlets und Monde waren zeitweise Hoffnungsträger für die Stabilisierung der Ringe. Man hoffte, dass sie die Ausdehnung der Ringe verhindern könnten. Inzwischen ist aber bekannt, dass dies nicht möglich ist (Tiscareno 2013). Im Gegenteil, diese Objekte ziehen Drehmoment aus dem Ringsystem ab und können die Ausdehnung höchstens etwas bremsen, aber nicht aufhalten. Außerdem werden die Moonlets durch die ständigen Kollisionen im Ringsystem nach und nach in maximal 10 Millionen Jahren zerstört und ihre bloße Existenz ist somit ein weiterer Hinweis auf ein relativ junges Alter der Ringstruktur.

4. Die Existenz der unzähligen Unterringe

Die hochauflösenden Bilder von Cassini zeigen sehr eindrucksvoll, wie fein strukturiert das Ringsystem ist (Abb. 2). Wie werden solche Strukturen erklärt und wie lange können sie bestehen, ohne verschmiert zu werden? Es handelt sich genau genommen nicht um separate Unterringe, sondern vielmehr um Dichtevariationen. In Wirklichkeit sind die dunklen Teile zwischen den Unterringen nicht leer, sondern enthalten lediglich weniger Material als die direkte Umgebung. Diese Feinstruktur lässt sich sehr zufriedenstellend durch Resonanzen erklären, die durch die kleinen Monde hervorgerufen werden. Dabei spielt insbesondere der Mond Mimas eine Rolle, weil er sich sehr nah am Ringsystem befindet. Solange diese Monde ihre Bahnen ziehen, bleibt auch die Feinstruktur der Ringe erhalten. Ohne die Monde würden sich diese Dichtevariationen in sehr kurzer Zeit (weniger als 1 Monat) verschmieren. Obwohl also die Feinstruktur an sich nur sehr kurzlebig ist, stellt sie kein Argument gegen ein hohes Alter der Ringe oder der Ringstruktur dar, weil die Struktur aktiv durch die Monde von Saturn aufrechterhalten wird.

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Diskussion

Die Diskrepanz zwischen dem vermeintlich hohen Alter des Ringsystems und des Ringmaterials einerseits und dem deutlich niedrigeren Alter der dynamischen Ringstrukturen stellt eine große Herausforderung für die Astronomen dar. Offen wird zugegeben, dass Entstehung, Alter und Erhalt der Ringe noch ungelöst sind. Dies wirft die berechtigte Frage auf, ob die Ringe jünger sind als bisher angenommen. Gemeinhin werden größere Katastrophen in der Neuzeit des Sonnensystems verneint. Doch die immer größer werdende Zahl an Anomalien im Sonnensystem (Korevaar 2007, 2014), nicht nur bei Saturn, könnte darauf hindeuten, dass generell das Entstehungsszenario des Sonnensystems mit als letzter größeren Katastrophe des LHB vor 4 Milliarden Jahren einfach nicht genügt als alleinige Erklärung für alle Beobachtungen im Sonnensystem.

Steht in der planetaren Astronomie
ein Umdenken bezüglich Katastrophen in jüngerer Zeit bevor?

Es drängt sich hier ein Vergleich mit der Geologie auf: Vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts wurden sämtliche geologischen Befunde im Rahmen des Aktualitätsprinzips gedeutet. Katastrophen wurden dabei als unbedeutende Randerscheinungen vernachlässigt. Erst in den letzten Jahrzehnten kam das Bewusstsein wieder, dass Katastrophen die Erdoberfläche maßgeblich mitgestaltet haben und dies legt für viele Formationen wesentlich kürzere Entstehungszeiten nahe.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass in der planetaren Astronomie ein ähnliches Umdenken bevorsteht. Wenn es in der rezenten Vergangenheit des Sonnensystems größere Katastrophen gegeben hat, beispielsweise hervorgerufen durch eine wesentlich höhere Anzahl von Kometen oder durch das Auseinanderbrechen eines Planeten zwischen Mars und Jupiter, würden sich viele Anomalien inklusive der Frage nach Entstehung und Alter der Saturnringe auflösen.

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Anmerkungen

1 Übersetzung durch den Autor. In original: „Several aspects of the rings are difficult to reconcile with a ring age comparable to that of Saturn.”

2 LHB: Das Late Heavy Bombardement (letzte schwere Bombardement) soll vor ca. 4 Milliarden Jahren die unruhige Entstehungsphase des Sonnensystems abgeschlossen haben. Dabei sollen die großen Gasplaneten in ihre jetzigen stabilen Bahnen gewandert sein und dabei viele Asteroiden und Kometen gestört und quer durch das Sonnensystem geschleudert haben. Es handelt sich hierbei nicht um eine bewiesene Tatsache, sondern um eine Arbeitshypothese.

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Literatur

Cuzzi JN & Estrada PR (1998)
Compositional evolution of Saturn’s rings due to meteoroid bombardment. Icarus 132, 1-35.
Colwell JE, Esposito LW & Srem evi M (2006)
Self-gravity wakes in Saturn’s A ring measured by stellar occultations from Cassini. Geophys. Res. Lett. 33, L07201.
Colwell JE et al. (2007)
Self-gravity wakes and radial structure of Saturn’s B ring. Icarus 190, 127-144.
Korevaar P (2007)
Woher stammen kurzperiodische Kometen? Stud. Integr. J. 14, 38-39.
Korevaar P (2014)
Zu viele Zufälle im Sonnensystem, Stud. Integr. J. 21, 38-39.
Tiscareno MS (2013)
Planetary Rings. Planets, Stars and Stellar Systems, Volume 3, 309-375, Springer.


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