Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 19. Jg. Heft 1 - Mai 2012
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Island: eine Insel, zwei „Kontinente“
Teil 1: Was Island einzigartig macht
Teil 2: Geodynamische Phänomene und Zeit

von Michael Kotulla

Studium Integrale Journal
21. Jahrgang / Heft 2 - Oktober 2014
Seite 81 - 90
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Zusammenfassung: Almannagjá, Skjaldbreiður, Mývatn, Askja, Ódáðahraun – fremdartige Namen, die dem Islandkenner wohl vertraut sind. Es sind Orte, Strukturen, Phänomene der Erdoberfläche, die eines gemeinsam haben: Sie befinden sich in einer vulkano-tektonisch aktiven Zone, die mitten durch Island verläuft. Sie wird als Grenzzone definiert, an welcher die tektonischen Platten Nordamerikas und Eurasiens auseinanderdriften. Doch nur in Island tritt eine divergierende Plattengrenze auf dem Festland maßgeblich zu Tage. Wie kommt es zu dieser einzigartigen geologischen Situation und was sind die besonderen Charakteristika der plattentektonischen Grenzzone?




Einführung

Spätestens mit Ausbruch des relativ kleinen Eyjafjallajökull1 ist der isländische Vulkanismus in das öffentliche Bewusstsein weiter Teile der nördlichen Hemisphäre getreten. Die explosive Eruption am 14. April 2010 (Abb. 1) katapultierte feinkörnige Asche bis in die Stratosphäre, und Jetstreams verteilten sie rasch nach Süden und Osten. Sicherheitshalber wurde in weiten Teilen Europas über mehrere Tage der Flugverkehr unterbrochen. Der Grund: Aschepartikel schmelzen in den Triebwerken, was zu deren Ausfall führen kann, und ihre scharfkantigen Mikrogläser können die Flugzeugoberflächen gefährlich aufrauen. Die Aschepartikel des Eyjafjallajökull wurden u. a. von Gislason et al. (2011) untersucht, die die Luftverkehrsbedenken als gut begründet bestätigten. Vom Stillstand waren weltweit insgesamt 100.000 Flüge und sieben Millionen Passagiere betroffen. Der gesamtwirtschaftliche Schaden betrug einer Studie der Oxford Economics zufolge 5 Milliarden US$ an entgangenem Bruttoinlandsprodukt.

Abb. 1: Der explosive Ausbruch des Eyjafjallajökull am 14. April 2010. Die Aschepartikel in der Troposphäre brachten den europäischen Flugverkehr für Tage zum Erliegen. Foto: Thorsten Boeckel (freundliche Zurverfügungstellung); Aufnahme um 16:08 Uhr Ortszeit aus nördlicher Richtung in etwa 2.000 m Höhe.

Die divergierende (auseinanderstrebende) Plattengrenze in Island ist eine komplexe Deformationszone, die aus vier etwa 40-50 km breiten Rift-Zonen* besteht; diese wiederum setzen sich aus 3-6 quasiparallelen bis zu 200 km langen vulkanischen Spaltenschwärmen und innewohnenden Zentralvulkanen zusammen. Der Hotspot unter Zentralisland – durch eine seismisch interpretierte positive Wärmeanomalie gekennzeichnet – gilt als Indiz für einen tiefen Manteldiapir, der die gesamte isländische Plattform (Fläche: ~300.000 km2, Höhe ~2-3 km) hauptsächlich im Tertiär aufgebaut haben soll. Die Interaktion eines Manteldiapirs mit einem mittelozeanischen Rücken wird häufig als geologische Einzigartigkeit Islands herausgestellt.

Die gegenwärtige (rezente) vulkano-tektonische Aktivität in Island ist allerdings sehr gering. Es scheint, als seien die geodynamischen Prozesse der Vorzeit, die zum Aufbau der gewaltigen isländischen Plattform geführt haben, im Wesentlichen zur Ruhe gekommen oder abgeklungen. Die beschriebene zylindrische Struktur unter Zentralisland scheint im Wesentlichen „inaktiv“ zu sein und könnte als Diapir-Relikt angesprochen werden.

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Islands vulkano-tektonisch aktives System

Übersicht

Island hat eine Ausdehnung von etwa 300 x 500 km; wird der durch einen scharfen Rand begrenzte Schelfbereich hinzugenommen, so zeichnet sich eine Plattform mit einer Dimension von etwa 450 x 750 km ab (Abb. 2 und Z-1). Die Insel besteht aus neogenen* (jungtertiären) und quartären vulkanischen Gesteinen, hauptsächlich basaltischen Laven; neogene Sedimentgesteine sind selten. Der geologischen Karte (Abb. 3) kann ein deutlich zweiseitig-symmetrischer Aufbau entnommen werden. Die ältesten Formationen befinden sich im äußersten Westen und Osten; beidseits zum Zentrum werden die Einheiten jünger.

Abb. 2: Bathymetrische und (Relief-) Karte des Nordatlantik zwischen Grönland und Norwegen. Im Zentrum liegt Island. Die isländische Plattform umfasst zusätzlich den Island umgebenden Schelfbereich; er bildet einen scharfen Rand. In einer WNW-OSO-Achse bestehen allerdings zwei Kontakte der isländischen Plattform zur Umgebung: Zum Schelfbereich Grönlands und zum südwestlich gelegenen Plateau der Faröer-Inseln. Bild: http://ngdc.noaa.gov; Einfügungen durch den Verfasser.

Schon Schwarzbach (1964) stellte in Geologenfahrten in Island als einzigartiges Charakteristikum der Insel neben dem Vulkanismus das übermäßige und geordnete Vorkommen von Spalten heraus, was ihn dazu bewog, Island als „Land der Spalten“ (S. 54) zu bezeichnen. Der Erkenntnisgewinn der letzten Jahrzehnte führte dazu, die Phänomene im Kontext geodynamischer Zusammenhänge zu deuten. Demnach bildet die zentrale, sich von Norden nach Süden bzw. Südwesten verzweigende Zone das gegenwärtige vulkano-tektonisch* aktive System Islands (Abb. 3, im Wesentlichen der Bereich mit der roten Farbsignatur). Es setzt sich hauptsächlich aus vier etwa 40-50 km breiten, südwestlich/südlich bis nordöstlich/nördlich ausgerichteten Grabensystemen zusammen. Sie bestehen aus einer staffelartigen Anordnung von 3-6 quasi-parallelen, 5-15 km breiten und bis zu 200 km langen vulkanischen Spaltenschwärmen, die, wenn sie einen zentralen Vulkan aufweisen, geothermale Hochtemperatur-Systeme konstituieren (> 200° C in 1.000 m Tiefe). Die Spaltenschwärme werden als Oberflächenausdruck vulkanischer Gangschwärme im Untergrund (Trønnes 2002) oder einer Krustendehnung interpretiert.

Abschiebung: Relative Abwärtsbewegung einer Gesteinsscholle gegenüber einer anderen; tektonisch eine Form der Dehnung (Zerrung). Caldera: Kesselartige Vertiefung an Vulkanen; durch Einsturz über weitgehend entleertem Magmaherd (Einbruchscaldera) oder nach gewaltiger Explosion (Explosionscaldera) entstanden. Diapir: Pfropfenförmiger Gesteinskörper, teilweise pilzförmig, z. B. Salzdiapir; auch für andere Phänomene verwendet (magmatische Intrusionen; Manteldiapir, siehe Abb. Z-29). glazial: Eiszeitlich, Erscheinungen im Zusammenhang mit einer Eiszeit; subglazial: dem Eisschild/Gletscher untergelagert; postglazial: nacheiszeitlich, korrespondiert häufig mit Holozän. Hyaloklastit: Aus Hyaloklasten (zerbrochenem Glas) bestehendes vulkanisches Eruptivgestein, hauptsächlich submariner oder -glazialer Entstehung; stark hydratisiert und brekziiert (auch als Tuffbrekzie oder Palagonit bezeichnet), sehr glasreich; die extreme Fragmentierung des Magmas erfolgt durch Explosion und/oder thermischen Schock infolge rascher Abkühlung. Lithosphäre: Die Erdkruste sowie der oberste, starre Teil des Erdmantels (siehe Abb. Z-28). Neogen: System der Stratigraphischen Tabelle, die Serien Miozän und Pliozän umfassend; vormals auch als Jungtertiär bezeichnet. Dem Neogen folgt unmittelbar das Quartär. Plattentektonik: Konzept (Theorie) einer „globalen“ Tektonik, wonach die → Lithosphäre in wenige größere und kleinere „Platten“ zerlegt ist und die Platten horizontale Bewegungen ausführen können. Als „Bewegungs“-Motor werden Konvektionsströme im Mantel angenommen. Zahlreiche tektonische Großformen der Erdkruste (z. B. Kettengebirge, Ozeanbecken) werden auf plattentektonische Prozesse zurückgeführt. Rift-Zone, Rifting: Grabenbruch-Zone, langgestreckte tektonische Dehnungszone in der Erdkruste; Rifting bezeichnet das Aufreißen, den Aufreiß-Prozess. Seismisch: Die Seismik betreffend; sie untersucht die Entstehung, Ausbreitung und Auswirkung von Erdbeben. Tektonik: Der Bau der Erdkruste (bzw. der Lithosphäre) und die diesen Bau erzeugenden Prozesse. Vulkano-tektonisch: Vulkanische und tektonische Prozesse in enger Wechselbeziehung.

Abb. 3: Vereinfachte geologische Karte Islands. Die Formationen werden beidseits vom Rand zur Mitte hin jünger. Der sich von Norden nach Süden bzw. Südwesten aufspaltende Bereich des jungpleistozänen Grundgebirges (rote Farbe) deckt sich im Wesentlichen mit dem gegenwärtigen vulkano-tektonisch aktiven System Islands. Diese 50-150 km breite Zone ist der deformierte Grenzbereich zweier großer divergierender tektonischer Platten, der nordamerikanischen und eurasischen (siehe auch Abb. 10). Karte modifiziert nach Jóhannesson & Saemundsson  (1998) sowie T. Weissenberger4. Zonengliederung und -charakterisierung siehe Textteil; VFZ: Vulkanische Flankenzone, RH: Reykjanes-Halbinsel, SISZ: Südisländische Seismische Zone, WVZ: Westliche Vulkanische Zone, ZIVZ: Zentralisländische Vulkanische Zone, NVZ: Nördliche Vulkanische Zone, TFZ: Tjörnes Bruchzone, EVZ: Östliche Vulkanische Zone, SIVZ: Südisländische Vulkanische Zone.

Die nachfolgende Gliederung und Charakterisierung der Zonen erfolgt im Wesentlichen nach Einarsson (2008).

Einzelne Zonen und ihre Charakteristika

Reykjanes-Halbinsel (RH). Die Reykjanes-Halbinsel im Südwesten Islands (Abb. 3) wird als strukturelle Fortsetzung des untermeerischen Reykjanes-Rückens (Teil des Mittelozeanischen Rückens, Abb. 2) angesehen. Die prominenten Strukturelemente sind dehnender Natur mit einer (nord)nordöstlichen Richtung (30-40°) (Abb. Z-2): Hyaloklastit*-Rücken (Abb. 4, Z-3 und Z-4), die durch Spalteneruptionen unter der pleistozänen Eisdecke entstanden (vgl. Gudmundsson et al. 1997), postglaziale* eruptive Spalten, Abschiebungen* und offene Spalten. Die fünf Schwarmsysteme werden nach den geothermalen Gebieten ihres Zentralbereiches benannt: Reykjanes, Svartsengi, Krísuvík (Abb. Z-5), Brennisteinsfjöll und Hengill. Eine letzte vulkanisch aktive Periode datiert von 950 bis 1240 n. Chr.; dagegen ist die seismische* Aktivität der Halbinsel bis heute hoch.

Abb. 4: Thorbjarnarfell (243 m), Reykjanes-Halbinsel, nahe der Blauen Lagune. Der durch eine subglaziale vulkanische (Spalten-) Eruption im Pleistozän entstandene Bergrücken besteht hauptsächlich aus Hyaloklastiten. Die Spalten dominieren die Struktur des frei stehenden Berges mit einer Grundfläche von etwa 1,2 x 1,8 km (Fortsetzung im Untergrund nicht bekannt). Zum Vergleich: Die subglaziale Gjálp-Eruption 1996 dauerte 13 Tage und bildete einen Hyaloklastit-Rücken von 6-7 km Länge und 200-300 m Höhe unter einer 500-750 m dicken Eisbedeckung (Gudmundsson et al. 1997). Foto: M. Kotulla (17. 8. 2014), Richtung SW.

Im Hochtemperaturgebiet Svartsengi unweit des internationalen Flughafens Keflavik liegt im 1226 entstandenen Lavafeld Illahraun (dt.: Lava des Schreckens) das inzwischen international bekannte Thermalfreibad Blaue Lagune (isl.: Bláa Lónið, Abb. 5), ein Nebenprodukt des nahe gelegenen Geothermalkraftwerkes Svartsengi (Leistung insgesamt etwa 150 Megawatt).

Des Weiteren befindet sich etwa 20 km südöstlich Reykjavik der Thrihnukagigur (dt.: Dreigipfelkrater). Der nordöstlichste der drei „Gipfel“ ist ein Schlackenkegel und überragt seine Umgebung um etwa 35 m. Über eine kleine Öffnung am Top führt eine Gondel in einen Hohlraum, der an manchen Stellen eine Höhe von 120 m erreicht; die Kaverne ist eine (obenflächennahe) entleerte Magmakammer. Hier kann aus einer Innenperspektive beobachtet werden, dass das Magma auf Spalten zur Oberfläche drang (Abb. 6, Z-6 und Z-7). Die „Befahrung“ einer Magmakammer wird touristisch und medial als Alleinstellungsmerkmal verwertet (www.insidethevolcano.com).

Eine Zone hoher seismischer Aktivität (mit Magnituden bis 7), West-Ost-orientiert, etwa 70 km lang und 10-15 km breit, wird als „Verbindungsstück“ zwischen der Reykjanes-Halbinsel und der Östlichen Vulkanischen Zone gedeutet. Diese Südisländische Seismische Zone (SISZ, Abb. 3) ist durch Nord-Süd-verlaufende Störungszonen charakterisiert.

Westliche Vulkanische Zone (WVZ). Diese Grabenbruch-Zone (Abb. 3 und Z-8) schließt sich an die Reykjanes-Halbinsel und die SISZ an. Sie umfasst das Hengill-Vulkansystem (Abb. Z-9 und Z-10) mit seinen Spaltenschwärmen; hierzu gehört im Nordosten der Thingvellir-Graben, der teilweise mit dem Thingvallvatn-See verfüllt ist. Der weitere Verlauf der Zone, seiner vulkanischen Systeme und Strukturen in nordöstlicher Richtung ist durch die Überdeckung des Langjökull-Gletschers weitestgehend verschleiert. Schildvulkane sind in der „Westzone“ verbreitet; sie entstanden in nur einer einzigen Ausbruchsphase (Busche et al. 2005, 34). Von der Skjaldbreiður (dt.: Schildbreite, Abb. Z-11) leitet sich die allgemeine Bezeichnung dieser Bauform ab. Die vulkanische Aktivität dieser Zone in historischer Zeit (ab 871 n. Chr.) war allerdings niedrig.

Die spektakulären Dehnungsstrukturen im Thingvellir-Graben (Abb. 6, Z-12 bis Z-14) – dort liegt die altisländische Thingstätte (dt.: Ebene der Vollversammlung), von 930 bis 1789 „Hauptstadt und Regierungssitz“ Islands, mit der bedeutenden Almannagjá (dt.: Allmännerschlucht) – werden als Abschiebungen in Folge von Krustendehnung und nicht (mehr) als Folge von Spaltenintrusionen und Lavaeffusion gedeutet (Einarsson 2008).

Abb. 5: Das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden. Das Thermalfreibad Blaue Lagune auf der Reykjanes-Halbinsel unmittelbar neben dem Geothermalkraftwerk Svartsengi (östlich, nicht im Bild), vom nahegelegenen Thorbjarnarfell (Abb. 3) aus gesehen. Das Bad befindet sich in einem im Jahre 1226 entstandenen Lavafeld. Im Hintergrund der 12 km entfernte Flughafen Keflavik. Der Flughafen liegt – (platten)tektonisch betrachtet – auf der nordamerikanischen Platte, während das Lavafeld in der vulkanisch aktiven Grenzzone zwischen den Platten liegt. Am Horizont noch zu erkennen ist der 120 km entfernte schnee- und eisbedeckte Snæfellsnes-Vulkan. Foto: M. Kotulla (17. 8. 2014), Richtung NW.
Abb. 6: In der Magmakammer des Thrihnukagigur. Eine einzigartige Perspektive: „Inside the volcano“. Die farbenprächtige, bis zu 120 m hohe Kaverne wird längs von einer basaltisch (grau) verfüllten Spalte durchzogen; in der Mitte am Top die kleine, etwa 4 x 4 m große Öffnung. Der Drei­gipfelkrater liegt etwa 20 km südöstlich Reykjavik. Foto: Stefan Drüeke (2014, freundliche Zurverfügungstellung).

Südlich des Langjökull liegt das kleine Vulkansystem Haukadalur mit dem berühmten Thermalgebiet Geysir. Die namengebende Springquelle Stóri-Geysir (dt.: großer Geysir, 60+ m, Abb. Z-15) ist gegenwärtig sehr selten aktiv. Ihre „Ingangsetzung“ erfolgte, historisch dokumentiert, im Jahre 1294 nach einem Erdbeben. Dagegen ist der benachbarte Strokkur (dt.: Butterfass, 25-35 m, Abb. Z-16) – „ersatzweise“ – im Minutentakt tätig. Weiter im Norden, unter dem nördlichen Bereich des Langjökull, befindet sich der Zentralvulkan Hveravellir mit dem gleichnamigen Geothermalfeld (Abb. Z-17) unweit der Kjölur-Hochlandroute (Abb. Z-18).

Für die östlich gelegenen Vulkansysteme Hofsjökull und möglicherweise Tungnafellsjökull gliedert Einarsson eine separate Zentralisländische Vulkanische Zone (ZIVZ, Abb. 3) aus.

Östliche Vulkanische Zone (EVZ). Die Grabenbruch-Zone reicht vom östlichen Ende der SISZ im Süden bis nach Zentralisland, wo sie auf die „West-“ und „Nordzone“ trifft (Abb. 3). Charakteristisch sind lange, lineare, parallel verlaufende Strukturen mit einer strengen nordöstlichen Ausrichtung; es sind hauptsächlich vulkanische Spalten und ältere, subglazial* entstandene hyaloklastische Rücken (Abb. Z-19). Die Zentralvulkane der „Ostzone“ liegen vorwiegend in Zentralisland; größtenteils sind sie von den Eismassen des Vatnajökull-Schildes (dt.: Wassergletscher, Abb. Z-20) bedeckt. Sie gehören zu Spaltenschwärmen, die südwestlich des Gletschers zu beobachten sind. Ihre eruptive Aktivität in historischer Zeit war verhältnismäßig hoch und ergiebig (2-15 km3): Vatnaöldur-Spalte (um 872), Eldgjá-Spalte (934), Veiðivötn-Spalte (um 1480), Laki (1783). Die Laki-Spalte ist Teil des vulkanischen Systems des Grímsvötn, die Vatnaöldur- und die Veiðivötn-Spalten sowie der Heljargjá-Graben gehören zum Bárðarbunga-System (seit 16. August 2014 erneut aktiv, siehe Kasten). Die Eldgjá-Spalte (Abb. Z-21) ist Teil des Katla-Vulkansystems, welches allerdings einer separaten Südisländischen Vulkanischen Zone (SIVZ, Abb. 3) zugerechnet wird. Es wird angenommen, dass sich die vulkanische Aktivität mit der Zeit von der Westlichen Vulkanischen Zone auf die Östliche Vulkanische Zone verlagert hat.

Während der Laki-Spalteneruption 1873-74 entstanden über 130 kegelförmige Krater in strenger SW-NO-Ausrichtung (Abb. 8). An der 25 km langen Spalte flossen etwa 15 km3 Lava, die sich über eine Fläche von 600 km2 verteilte, aus; des Weiteren wurde etwa 1 km3 Asche gefördert. Die exzessiven Gasexhalationen der 8-monatigen Eruptionsperiode (insbesondere SO2, das in der feuchten Atmosphäre zu H2SO4 reagierte) führten in Island und Westeuropa zu langanhaltenden Säure-Aerosolniederschlägen (sog. „dry fogs“) und in der Folge zu einer erhöhten Sterberate (Thordason & Self 2003).

Abb. 7: Grabenbruch in der Almannagjá, der Allmännerschlucht. Die riesige spektakuläre Spalte ist gleichzeitig eine Verwerfung mit abgesunkenem Ostflügel. Mehrere solcher tiefer parallel verlaufender Spalten zerreißen die Lavafelder über Kilometer. Die postglaziale Krustendehnung führte zur Ausbildung eines symmetrischen tektonischen Grabens, im Bild der Westteil. Thingvellir, etwa 40 km NO Reykjavik, Westliche Vulkanische Zone. Foto: M. Kotulla (5. 8. 2014), Richtung NNO, im Hintergrund der Armannsfell.

Subglaziale Eruptionen können gewaltige Gletscherläufe (isl.: Jökulhlaup, katastrophische Fluten) auslösen. Der in der jüngsten Vergangenheit größte Gletscherlauf ereignete sich 1996. Infolge einer Spalteneruption sammelte sich rasch Schmelzwasser im Krater des Grimsvötn. Der Gletschersee brach schließlich am 4. November aus; am Morgen des 5. November ergossen sich Fluten über die Sanderfläche des Skeiðarársandur (max. Flussrate 45.000 m3/s). Binnen Stunden wurden bis zu 9 m Sediment aufgeschüttet, und die Küstenlinie wurde um 900 m meerwärts verlagert. Die eigens für solche Flutkatastrophen konstruierte, tiefverankerte Brückenkonstruktion der Ringstraße wurde in dem Teilabschnitt über den Gígjukvísl-Fluss zerstört und mitgerissen (Kotulla 2014a).

Abb. 8: Laki-Krater. Während der Spalteneruption 1873-74 entstandene Krater-Reihe in strenger SW-NO-Ausrichtung. 15 km3 Lava verteilte sich auf einer Fläche von 600 km2. Die Gasexhalationen führten in Island und Westeuropa zu langanhaltenden Säureniederschlägen und in der Folge zu einer erhöhten Sterberate. Östliche Vulkanische Zone, etwa 15 km bis zum Vatnajökull-Gletscher. Foto: Janos Rajki, 25. 7. 2013, Aufnahme etwa von der Mitte der Reihe Richtung NO (freundliche Zurverfügungstellung).

Nördliche Vulkanische Zone (NVZ). Diese Grabenbruch-Zone erstreckt sich von Zentralisland bis zur Nordküste (Abb. 3 und Z-22). Die wichtigsten vulkanischen Systeme werden nach ihren Zentralvulkanen benannt (von Süden nach Norden): Kverkfjöll, Askja, Fremrinámar, Krafla und Theistareykir. Ihre nördlich bis nordnordöstlich verlaufenden linearen Spaltenschwärme sind schräg gegeneinander versetzt und grenzen sich von Westen nach Osten deutlich ab. Der größte ist der Askja-Spaltenschwarm mit einer beachtlichen Längen-Ausdehnung von ~200 km (Hjar-tardóttir 2008, Jóhannesson & Sæmundsson 2009). Die Spaltenschwärme sind hauptsächlich in den postglazialen Lavaströmen gelegen. Das größte Lavafeld Islands, Ódáðahraun (dt.: Missetäterlavafeld), umfasst 4.400 km2 und reicht vom Vatnajökull bis etwa zum Myvatn (dt.: Mückensee, Abb. Z-23 und Z-24); es setzt sich aus Laven unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft zusammen.

Eine explosive (plinianische) Eruption der Askja (dt.: Schachtel) in 1875 führte zur Entstehung einer inneren Caldera* (Abb. Z-25). Diese jüngste Caldera Islands, ein Kessel mit einem Durchmesser von etwa 5 km, verfüllte sich über Jahrzehnte mit Wasser und beherbergt nun den Öskjuvatn-See (dt.: Calderensee). Der Randbereich der Innencaldera ist instabil; erst kürzlich, am 21. Juli 2014, ereignete sich ein gewaltiger Bergsturz, der einen Tsunami mit einer Wellenhöhe von etwa 20-30 m auslöste (siehe Kasten). Sechs weitere (kleinere) Eruptionen erfolgten in den 1920er-Jahren und 1961, letztere entlang des nördlichen Randbereiches der Außencaldera; der Lavastrom erreichte binnen 24 Stunden eine Länge von 7-8 km (Fließgeschwindigkeit etwa 5 m pro Minute; Gesamtlänge 9,2 km) (Schwarzbach 1964).

Abb. 9: Solfatarenfeld Hverir. Das Hochtemperaturgebiet mit heißen Quellen, kochenden Schlammtöpfen und Gasausströmungen gehört zum Krafla-Vulkansystem. Nördliche Vulkanische Zone, 5 km östlich des Myvatn (dt.: Mückensee). Foto: M. Kotulla (9. 8. 2014), im Hintergrund der Námafjall (dt.: Minenberg).

Die instrumental aufgezeichnete Krafla-„Aufreiß“-Periode von 1975-1984 wurde von Spalteneruptionen (Krafla-Feuer) begleitet (Abb. Z-26); hierbei wurde hauptsächlich der nördliche Krafla-Spaltenschwarm aktiviert (Hjartardóttir 2012). Im südlichen Spaltenschwarm-Bereich befindet sich der Námafjall (dt.: Minenberg); in dem Hochtemperaturgebiet gibt es zahlreiche Solfatarenfelder (z. B. Hverir, Abb. 9) sowie das kleine Geothermalkraftwerk Bjarnaflag.

Vulkanische Flankenzone (VFZ). Außerhalb der zuvor definierten Zonen gibt es weitere vulkanisch aktive Gebiete, die u. a. als Flankenzonen bezeichnet werden: Das Snæfellsnes-Vulkansystem im Westen, die Südisländische Vulkanische Zone (SIVZ) mit den Systemen Hekla, Katla und Eyjafjallajökull sowie das Öræfajökull-Gebiet (Abb. Z-27), zusätzlich mit den Systemen von Esjufjöll und Snæfell. In diesen Gebieten fehlen gut entwickelte Spaltenschwärme.

Abb. 10: Definition der nordamerikanisch-eurasischen Plattengrenze. Die Karte weist alle Erdbeben der Magnitude 4 und größer für den Zeitraum 1984-2013 aus. Die mittelatlantische Plattengrenze wird durch den „linienhaften“ Verlauf der Epizentren der Erdbeben definiert. Der USGS legt (schematisch) eine enge Grenzzone über Island, der Grenzbereich hat allerdings eine Ausdehnung von bis zu 150 km (vgl. Textteil und Abb. 3). Der Scheitelgraben des mittelatlantischen Rückens hat in Island über eine Ausdehnung von etwa 350 km seinen einzigen festländischen Anteil; es schließen im SW der Reykjanes-Rücken, im N der Kolbeinsey-Rücken, an. Bild: Google Earth, Bildbreite etwa 1.050 km; Daten und Grenzziehung: USGS (earthquake.usgs.gov), geologischer Dienst der USA; Grenze nachgebildet durch den Verfasser (einfache Linie: Transformstörung; doppelte Linie: divergierende Plattengrenze).

Plattentektonische Interpretation

Die isländischen Grabenbruch-Zonen mit ihren Spaltenschwarm-Systemen (Reykjanes-Halbinsel sowie die Westliche, Östliche und Nördliche Vulkanische Zone) werden auch als Rift-Zonen bezeichnet. Im Kontext des plattentektonischen Konzepts wird der Rifting („Aufreiß“)-Prozess als Folge des Auseinanderdriftens (Divergierens) von Lithosphärenplatten* (Abb. Z-28) gedeutet. Der Prozess soll durch auf- bzw. nachströmendes Mantelmaterial (im Sinne einer Konvektionsströmung) in Gang gesetzt bzw. gehalten werden; in der Spreizungszone bildet sich neue ozeanische Kruste, die beidseits der Spreizungsachse an die divergierenden Lithosphärenplatten „angeschweißt“ wird.

Die Gesamtheit der Rift-Zonen bildet oberflächlich die Plattengrenze ab; diese ist aber nicht eine „einfache“ Grenzlinie, über die hinweggeschritten werden kann, sondern eine komplexe Deformationszone, die sich von Norden nach Süden von etwa 50 km auf 150 km verbreitert. Die jeweils westlichsten und östlichsten Begrenzungen der Gesamtheit der Rift-Zonen markieren den Übergang von der jeweiligen Lithosphärenplatte zur Plattengrenzen-Deformationszone (Abb. 3, im Wesentlichen etwa die Grenzlinie grüner zu roter Farbsignatur, jeweils von außen zur Mitte hin).2

Die nordamerikanisch-eurasische Plattengrenze kann nicht auf einer Brücke überschritten werden.

Demzufolge verläuft – auf der großen Skala – rittlings über Island der Grenzbereich zweier großer tektonischer Platten, der nordamerikanischen und eurasischen. Z. B. liegen Reykjavik und Keflavik (Flughafen) – auf pleistozänem Untergrund – tektonisch bereits in Nordamerika, während Höfn und der Küstenort Djúpivogur im Osten – auf neogenem Untergrund – tektonisch zu Eurasien gehören (Abb. 3 und Z-1). Auf den ersten Anschein allerdings sieht man der Insel Island ihre zwei „Kontinente“ nicht an (Abb. 2).

Im engeren Sinne wird die nordamerikanisch-eurasische Plattengrenze durch den „linienhaften“ Verlauf der Epizentren der Erdbeben definiert (Abb. 10). Der geologische Dienst der USA (USGS) bspw. legt (schematisch) eine enge Grenzzone über Island. Der jeweilige Übergang zum festländischen Teil des Mittelatlantischen Rückens, der etwa um 200 km Richtung Osten/Südosten versetzt ist, wird durch zwei Bruchzonen markiert (vgl. Abb. 3 und Abb. 10): Im Süden die Südisländische Bruchzone (SIFZ, auch SISZ genannt), im Norden die Tjörnes-Bruchzone (TFZ).

Bergsturz in Askja löst Tsunami aus

Abb. 11: Bergsturz vom 21. 7. 2014 in den Caldera-See der Askja. Breite der Abbruchkrone etwa 800 m. Ein Teil der schätzungsweise 30-50 Millionen m3 Schuttmassen gelangte in den See und löste eine 20-30 m hohe Flutwelle aus. Foto: Sveinn Brynjolfsson, IMO*, http://en.vedur.is/avalanches/articles/nr/2929 (freundliche Zurverfügungstellung).

Am 21. Juli 2014 ereignete sich gegen 23:24 Uhr ein gewaltiger Bergsturz in den Öskjuvatn, dem Caldera-See der Askja (Abb. 11, Z-25 und Z-30). Der Bergsturz an der südostlichen Caldera-Wand, bei dem schätzungsweise 30-50 Millionen m3 Material freigesetzt wurden, verursachte eine Flutwelle von 20-30 m Höhe, die den gesamten Uferbereich „abspülte“ und erodierte; mancherorts schoss die Flutwelle ~50 m die äußere, ansteigende Caldera hinauf. Glücklicherweise hielten sich zu diesem Zeitpunkt weder Wissenschaftler noch Touristen am See auf. Es soll sich möglicherweise um den größten bekannten Bergsturz seit der Besiedlung Islands handeln (IMO*).

Abb. 12: Spalteneruption im Holuhraun-Gebiet. Der Ausbruch begann am 29. August 2014; nach 8 Tagen erreichte der Lavastrom eine Länge von etwa 10 km. Der Lavaaustritt folgt streng einer N-NO-orientierten Linie (weiße Pfeile, kleinerer Ausbruchspunkt unterhalb), eine Ausrichtung die für die Nördliche Vulkanische Zone typisch ist. Oben (N) der Zentralvulkan Askja mit dem Calderasee Öskjuvatn, unten (S) die nördlichen Ausläufer des Vatnajökull-Eisschildes; Bildbreite: 36 km. LANDSAT 8-Falschfarbenaufnahme, Foto/Credit: NASA (5. September 2014).

Askja ist ein Zentralvulkan der Nördlichen Vulkanischen Zone Islands. Ihre innere Caldera bildete sich 1875 nach einer explosiven Eruption; während dieser Periode entstand auch der unmittelbar nördlich anschließende kleine Explosionskrater Viti (Abb. Z-25). Nach dem vorläufigen Bericht von Helgason et al. (2014) umfasst das Bergsturz-Areal eine Breite von 800 m und eine Auslauflänge von etwa 1000 m; die Sturztiefe beträgt 350 m. Nur ein Teil der Schuttmassen gelangte in den abflusslosen See, der um 1-2 m anstieg. Das flache Gebiet südöstlich des Viti ist horizontal durch die Flutwelle 400 m tief „landeinwärts“ überspült worden, mit deutlichen Wellenauflaufmarken. Dabei erreichte(n) die Welle(n) ein um 50 m höheres Niveau als der Wasserspiegel des Öskjuvatn (alte Marke 1053 m ü. NN). Die Rückströmung des Flutwassers verursachte an Kulminationspunkten metermächtige hufeisenförmige Abbrüche (ihre Fig. 7). – Zu eigenen Beobachtungen vor Ort und weiteren Informationen siehe ZE-1 sowie Abb. Z-31 bis Z-39.

Der Bergsturz in den Caldera-See erinnert an den Ausbruch des Mount St. Helens vom 18. Mai 1980. Damals lösten die in den Spirit Lake stürzenden Schuttmassen (0,5 km3) eine Flutwelle aus, die am Nordufer des Sees bis zu 260 m in die Höhe schoss und dabei die gesamte Vegetationsdecke samt Boden wegriss und darüber hinaus das anstehende Untergrundgestein erodierte. Die dabei entstandenen Schrammen ähneln denen, die von Gletschern erzeugt werden (Fritzsche 1995).

Explosiver Ausbruch des Bárðarbunga befürchtet – Lavaeruption im Holuhraun hält unvermindert an

Am 16. August 2014 wurde eine plötzlich eintretende seismische Aktivität im Bárðarbunga-Vulkankomplex unterhalb des Vatnajökull-Eisschildes registriert. Bis zum Abend des 18. August ereigneten sich 2.600 Erdbeben in Herdtiefen von hauptsächlich 5-10 km. Als Ursache dieser Schwarmbeben wurden sogleich Magmenbewegungen in Verbindung mit Gangintrusionen vermutet. Mit Einstufung der Aktivität des Bárðarbunga auf Stufe „orange“, der zweithöchsten verfügbaren Alarmstufe, erfolgte am 19. August eine entsprechende Warnmeldung für die Luftfahrt.

Die erste umfassendere Auswertung der Beben zeigte eine Verdichtung der Häufigkeit im Randbereich der 10 km durchmessenden Caldera des Bárðarbunga sowie die sukzessive Bildung eines von der Caldera weg nach Nordosten gerichteten 5-10 km tiefen Ganges unter dem Dyngjujökull-Gletscher, der bis zum 24. August eine Länge von 30 km aufwies (Abb. Z-40 bis Z-42). Die Daten wurden dahingehend interpretiert, dass sich Magma entlang des Ganges bewegt und sich möglicherweise am NO-Ende des Ganges ansammelt und ggf. dort an die Erdoberfläche dringen wird.

Schließlich erfolgte eine Spalten-Eruption am 29. August mit dem Austritt von Lava im Holuhraun-Gebiet (N des Dyngjujökull), entlang einer älteren Spalte. Der zuvor erwähnte Gang hatte sich um weitere 10 km nordöstlich bis dorthin „fortgepflanzt“. Die Eruption setzte sich am 1. September fort (Abb. 12); zeitweilig erreichten die Lavafontänen Höhen von über 100 m. Am 7. September hatte die Zunge des zu diesem Zeitpunkt über 11 km langen Lavastromes den westlichen Hauptarm des Jökulsá á Fjöllum (dt.: Gletscherfluss aus den Bergen) erreicht (Abb. Z-43 bis Z-45); sie folgt nun seinem Bett. Bis zum 8. September bedeckte die frische Lava im Holuhraun eine Fläche von 19 km2. Damit ist die Holohraun-Eruption wahrscheinlich die größte Lava-Eruption in Island seit dem 19. Jahrhundert. Am 5. September wurde eine Absenkung der Eisoberfläche des Bárðarbunga von bis zu 15 m festgestellt; sie soll von einer Absenkung des Caldera-Bodens herrühren, die möglicherweise von einem Abfließen von Magma in die aktive Spalte (Abb. Z-46) ausgelöst wurde.

Die vorbereitenden Schutzmaßnahmen beziehen sich auf einen möglichen explosiven Ausbruch des Bárðarbunga und demzufolge Gefährdungen durch Gletscherausbruchsfluten (Gletscherläufe) und den Ausstoß und der Verbreitung vulkanischer Asche. Im Fokus steht das nordwärts gerichtete Drainage-System des Jökulsá á Fjöllum. Zusätzlich werden – mit anhaltender Eruptionstätigkeit im Holuhraun – Gefährdungen durch den massiven Austritt von SO2 nicht ausgeschlossen und sorgfältig beobachtet (vgl. Laki-Spalteneruption oben). (Stand 9. September 2014, Quelle: IMO*)

* Isländischer Meteorologischer Dienst, http://en.vedur.is/.

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Islands Hotspot

Island ist ein „heißer Fleck“. Das zeigt sich nicht nur in der Anzahl und Dichte an Thermalgebieten (~250) und heißen Quellen (~700) in Verbindung mit den zahlreichen Hochtemperaturgebieten, sondern insbesondere an einer gegenwärtigen seismischen Anomalie im ~100-400 km tiefen Untergrund Zentralislands (mit Zentrum zwischen Hofsjoküll und Vatnajökull). Die niedrigere Wellenausbreitungsgeschwindigkeit wird als eine um bis 200° höhere Temperatur gegenüber der Umgebung interpretiert. Die positive Temperaturanomalie wird auf die mögliche Existenz eines Manteldiapirs (Abb. Z-29) zurückgeführt („Iceland Mantel Plume“), einer vertikalen zylindrischen Aufströmung heißen Materials aus dem unteren Mantel (Morgan 1971). Erreicht nach diesem Konzept das Material den Top des oberen Mantels, verteilt es sich nach allen Seiten und bildet unterhalb der Lithosphäre über dem „Diapir*-Schlauch“ einen pilzartigen „Diapir-Kopf“ aus. Eine partielle Schmelze des aufströmenden Materials soll schließlich in ~100-120 km Tiefe beginnen.3 Im Falle Islands soll ein Manteldiapir zusätzlich und maßgeblich an der Produktion ozeanischer Kruste und damit am Entstehen und Werden Islands beteiligt gewesen sein. Die Krustendicke schwankt zwischen 15-20 km in den Randbereichen Islands und 46 km unter Zentralisland (Bjarnason 2008).

Die heutige vulkanische Aktivität ist nicht vergleichbar mit dem gewaltigen, inselaufbauenden Vulkanismus der Vorzeit.

Doch sieht die Struktur im Untergrund Islands einem Diapir ähnlich? Zahlreiche Autoren wollen mit Hilfe der seismischen Tomographie (siehe gleichlautenden Kurzbeitrag auf Seite 110 dieses Journals, Kotulla 2014b) einen Diapir tatsächlich nachgewiesen haben: Tryggvason et al. (1983) einen „Stock“ bis in 375 km Tiefe mit einem Durchmesser von etwa 200-250 km; Wolfe et al. (1997) eine zylindrische Zone im Tiefenbereich von 100-400 km mit einem Radius von 150 km; Shen et al. (1998) folgern aus einer leicht ausgedünnten Übergangszone (Tiefenbereich 410-660 km) einen aus dem unteren Mantel stammenden heißen und schmalen Diapir. Allen et al. (2002) beschreiben den „Island-Diapir“ als ein gewaltiges vertikales System („plumbing system“), das Manteldiapir-Schmelze in Magmenkammern der oberen Kruste transportiert, wo (dann) die Krustenbildung stattfindet. Foulger & Anderson (2005) dagegen nehmen als Ursache der zusätzlichen Ergiebigkeit („fertility“) von Gesteinsschmelze zuvor subduzierte ozeanische Kruste an, die im oberen Mantelbereich unter Island aufgearbeitet („recycled“) wurde.

Nüchtern betrachtet kann für den Tiefenbereich ~100-400 km mit größerer Sicherheit eine zylindrische Struktur („Diapir-Ruine“?) identifiziert werden, die einem „Diapir-Schlauch“ ähnelt; es kann aber weder eine „Diapir-Kopf“-ähnliche Struktur erkannt noch eine Fortsetzung der „Diapir-Schlauch“-Struktur in Tiefen >400 km sicher verfolgt werden (vgl. Bjarnason). Hauptgrund hierfür ist das begrenzte Datenmaterial; für eine hochauflösende (Tiefen-) Tomographie bedarf es u. a. eines dichteren Seismometer-Netzwerkes (vgl. Kotulla 2014b).

Auch wenn die Ursache noch unklar ist, muss ein über das Produktionsniveau ozeanischer Kruste an divergierenden Platten hinaus lebhafter (exzessiver) Vulkanismus stattgefunden haben, der durch erhöhte Materialförderung die isländische Plattform gebildet hat. Andernfalls gäbe es die Insel nicht. Insofern beschreibt Bjarnason (2008) die erhöhte Produktion an Gesteinsschmelze – unabhängig von der Herkunft und dem Prozess – mit dem Begriff „Meltspot“ (dt.: Schmelzfleck); demnach ist (war?) Islands Hotspot ein Meltspot.

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Zusammenfassung und Ausblick

Im Vergleich zu den ozeanischen Rücken, deren Scheitelgräben im Normalfall 1.500 bis 2.500 m über den zwischen 3.000 bis 6.000 m tiefen Tiefseeboden aufragen, ist das isländische Plateau etwa 3.000 m höher. Die Krustendicke des Plateaus beträgt etwa das Drei- bis Vierfache im Vergleich zur durchschnittlichen Ozeankruste (Bjanarson 2008), die geringer als 10 km ist. Island ist zudem die einzige Stelle, an der ein Scheitelgraben einen festländischen Anteil aufweist; er erstreckt sich über 350 km (Busche et al. 2005).

Diese Gegebenheiten machen Island geologisch einzigartig. Aktuelle Beobachtungen (u. a. Vulkanismus, Tektonik – auch unter Einbeziehung der hier nicht diskutierten Plattenbewegungen –, Seismik) zeichnen ein Bild eines gegenwärtigen vulkano-tektonisch aktiven Systems quer durch Island, das gut begründet als eine Deformationszone zweier auseinanderdriftender Platten interpretiert werden kann. Die größte vulkanische Insel der Erde verdankt ihre Existenz einer ehemals lokal extrem hohen Produktionsrate ozeanischer Kruste. Für diese hohe Produktionsrate werden sich überlagernde Prozesse der Magmenbildung und -aufströmung durch Konvektionsströme (Konzept der Plattentektonik) und zylindrische Ströme (Konzept des Manteldiapirs) vorgeschlagen; was allerdings im Untergrund geschah bzw. geschieht ist rätselhaft. Das gegenwärtige Bild des isländischen Hotspots (seismisch interpretierte positive Wärmeanomalie) und die heute geringe vulkanische Aktivität im Vergleich zur Vorzeit, als die gewaltige isländische Plattform gebildet wurde, lassen auf ein drastisches „Abklingen“ oder „zur Ruhe kommen“ ehemals geodynamisch hochenergetischer Prozesse schließen (vgl. Kotulla 2014b).

Im zweiten Teil des Artikels (nächste Ausgabe) wird – ausgehend von der geologischen Situation in Island – u. a. der Frage nachgegangen werden, ob die Bewegungsraten der tektonischen Platten in der Erdvergangenheit, wie nach konventioneller Vorstellung, niedrig und vorwiegend graduell (niedrigenergetisch) oder hoch (katastrophisch, hochenergetisch) gewesen waren bzw. gewesen sein konnten.

Dank

Eine im August 2014 durchgeführte Exkursion nach Island war zuvor durch den Leitungskreis der SG Wort und Wissen angeregt worden. Für die Motivation und vollumfängliche finanzielle Unterstützung möchte ich mich ausdrücklich bedanken. Dr. Martin Ernst, Dr. Reinhard Junker und Thomas Veigel danke ich für die Durchsicht des Manuskripts und wertvolle Hinweise, Thorsten Boeckel, Janos Rajki, Sveinn Brynjolfsson und Stefan Drüeke für die Zurverfügungstellung von Fotos (siehe Abbildungen), des Weiteren – das Zusatzmaterial betreffend – den Personen, die ihre Fotos und Grafiken frei verfügbar gestellt haben. Mein Dank gilt zudem Frank Meyer für die grafischen Arbeiten (u. a. Abb. 3).

Hinweis

Hinweis: Die Z-Verweise beziehen sich auf das Zusatzmaterial unter www.si-journal.de/jg21/heft2/island1.pdf.

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Anmerkungen

1 Der Ausweis der isländischen geographischen Bezeichnungen erfolgt in der isländischen oder englischen Schreibweise.

2 Abb. 3 weist im Süden Islands – eingerahmt von WVZ, ZIVZ, EVZ und SISZ – einen Bereich mit grüner Farbsignatur aus, der von den zwei Zweigen der vulkano-tektonisch aktiven Zone mit roter Farbsignatur umschlossen wird. Diese Scholle, die keine interne Deformation zeigt, wird Hreppar genannt und plattentektonisch als Mikroplatte interpretiert (Einarsson 2008).

3 Siehe auch Streiflicht Zirkon auf Seite S. 123 dieses Journals.

4 http://www.tobias-weisenberger.de/.

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Literatur

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Studium Integrale Journal 21. Jg. Heft 2 - Oktober 2014