An der US-Ostküste haben Wissenschaftler in einer 1.766 m tiefen Bohrung nach eigenen Angaben Meerwasser aus der Kreidezeit angetroffen (Sanford et al. 2013). Ausgehend von der hydrochemischen und isotopischen Zusammensetzung des Wassers wird interpretiert, dass es sich um 100 bis 145 Millionen Jahre altes Meerwasser handelt. Die Bohrung wurde auf der Delmakva-Halbinsel im US-Bundesstaat Virginia in der Chesapeake Bay niedergebracht. Die Bucht befindet sich in einem Einschlagkrater aus dem mittleren Tertiär (Poag et al. 2004) mit einem Durchmesser von 75 km.
Konkret argumentieren die Autoren, dass das Massenverhältniss der Chlor- zu Bromionen von 262 auf fossiles Meerwasser hinweist (Sanford et al. 2013). Dieser Wert ist in guter Übereinstimmung mit dem Cl/Br-Verhältnis heutigen Meerwassers von durchschnittlich 292. Die Berechnung des Cl-/Br-Verhältnisses ist ein gängiges Verfahren zur Typisierung hochmineralisierter Wässer. Für Solen aus Evaporit- oder Kalkablagerungen sind nämlich um eine Größenordnung höhere, für Wässer aus kristallinen oder klastischen Gesteinen um eine Größenordnung geringere Cl/Br-Werte charakteristisch.
Das Cl/Br-Verhältnis an sich erlaubt jedoch keine Altersdatierung. Aussagen zum Alter eines Meerwassers basieren auf dem geologischen Modell, das zugrunde gelegt wird. Stober & Bucher (1999) beispielsweise weisen Mineralwässern des Grundgebirges des Schwarzwaldes mit einem Cl/Br-Verhältnis von 288 ein oligozänes oder älteres Alter zu, da nach allgemeiner Auffassung im Oligozän letztmalig Meerwasser in den Oberrheingraben eindrang. Das Meerwasser der Bohrung in der Chesapeake Bay aufgrund der Cl/Br-Verhältnis in die Kreide zu datieren, weil die Öffnung des Nordatlantiks in diese Zeit fallen soll, ist nicht überzeugend. Denn der Cl/Br-Wert könnte durch hydraulischen Kontakt mit heutigem Meerwasser des Atlantiks verursacht werden.
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Abb. 1: Bunte Ablagerungen in der Brunnenschale des König-Heinrich-Sprudels in Bad Soden-Salmünster (Hessen). Das hochkonzentrierte Mineralwasser stammt aus einem 540 m tiefen Brunnen, beim Kontakt mit der Luft werden gelöste Metalle oxidiert und gefällt. (Foto: R. Schäffer) |
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Auch die insgesamt hohe Salinität von 70‰ (etwa 70 mg/L), das entspricht in etwa der doppelten Konzentration heutigen Meerwassers, erlaubt keinen Rückschluss auf ein absolutes Alter. Der Lösungsgehalt eines Wassers hängt von vielen Faktoren ab, vor allem von der Löslichkeit der durchflossenen Gesteine, der Wassertemperatur, dem Gasgehalt, der Tiefe des Reservoirs und der Verweildauer des Wassers im Untergrund. Doch vom Lösungsgehalt eines Wassers kann weder auf eine absolute Reservoirtiefe noch auf ein absolutes Alter geschlossen werden. In Bad Soden-Salmünster in Hessen wird beispielsweise aus dem 540 m tiefen König-Heinrich-Sprudel eine Sole mit 122 mg/L gefördert (Abb. 1). Für den Lösungsprozess der Zechsteinsalze in Osthessen und den Fließweg nach Bad Soden-Salmünster sind nur wenige Jahrtausende ausreichend. Obwohl dieser Brunnen also nur 1/3 der Teufe der Bohrung an der US-Ostküste aufweist, ist der Gesamtlösungsgehalt fast doppelt so hoch und das Alter völlig verschieden.
Die in der Publikation vorgenommene Altersdatierung kann sich letztlich nur auf die Interpretation der 14C-, 36Cl- und 4He-Isotopendaten stützen. In der dortigen Abbildung 3 werden Heliumkonzentrationen aus Plummer et al. (2012) dargestellt, die auf 4He-Akkumulationsraten basieren und anhand von 14C- und 36Cl-Daten kalibriert worden sind. Es bleibt dem Leser völlig unklar, welche Überlegungen und Hypothesen diesem Verfahren zugrunde liegen und wie Plummer et al. zu der Einschätzung gekommen sind, dass es sich bei ihren Wasserproben um tertiäre Wässer handelt. Bei der doppelt logarithmischen Auftragung der Heliumkonzentration gegen das Alter in Abbildung 3 ergibt sich aus der Regressionsgeraden ein kretazisches Alter der Wasserproben aus der Bohrung in der Chesapeake Bay. Bei einer doppelt logarithmischen Auftragung ist eine Regressionsgerade nicht weiter verwunderlich. Doch für die Interpretation der Isotopendaten in dieser Form werden keinerlei wissenschaftlichen Beweise vorgelegt. Rückschlüsse auf Herkunft, Bildungsgeschichte und Alter eines Wassers sind dann möglich, wenn es keine Vermischung mit anderen Wässern gab bzw. wenn bei einem Mischwasser chemische und isotopische Zusammensetzung aller Komponenten sowie die Mischungsverhältnisse bekannt sind. Letzteres ist in der Natur eigentlich kaum präzise möglich.
Wenn das Wasser aus der Bohrung in der Chesapeake Bay tatsächlich aus einem Meer aus der Kreide stammt, warum sollte es bei einem postulierten so langen Zeitraum seitdem nicht in Kontakt mit anderen Wässern gestanden und dadurch seine hydrochemische und isotopische Zusammensetzung verändert haben? Für eine Vermischung sprechen mehrere Faktoren:
- Das humide Klima an der US-Ostküste und die ständige Grundwasserneubildung;
- die Nähe zum Atlantik und somit ein kurzer Infiltrationsweg für modernes Meerwasser;
- das geologische Profil der Bohrung, in dem ein abdichtender Grundwassernichtleiter im Hangenden fehlt; sowie
- die Struktur des Einschlagkraters selbst. Denn erst durch den Meteoriteneinschlag haben die Wirtsgesteine eine ausreichende Porosität erhalten, um als Grundwasserreservoir angesehen zu werden. Da der Einschlag jünger ist als das postulierte Alter, muss das Grundwasser nach dem Einschlag in das Reservoir migriert sein.
Es gibt also einige begründete geologische Zweifel an der Methodik und den Prämissen, die Sanford et al. 2013 gewählt haben, um das Grundwasser aus dem Brunnen in der Chesapeake Bay in die Kreide zu datieren. Dieses Wasser könnte auch ein ganz anderes Alter haben.
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