Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 19. Jg. Heft 1 - Mai 2012
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Federfragmente in Kanadischem Bernstein aus der Oberen Kreide

von Harald Binder

Studium Integrale Journal
19. Jahrgang / Heft 1 - Mai 2012
Seite 42 - 44


Zusammenfassung: In Bernstein erhaltene Federn zeigen unterschiedlichste Strukturmerkmale, die einerseits zu einfachsten Vorstufen von Federn in einem angenommenen Modell zur Entstehung von Federn passen könnten. Details in anderen Federn weisen andererseits gleichzeitig auf gefiederte Lebewesen mit hohen Spezialisierungen hin. Eine Verbindung zwischen Protofedern und der Körperbedeckung von saurierartigen Lebewesen ist durch diese Fossilien nicht gut begründbar.


In fossilem Harz eingeschlossene Überreste von Pflanzen oder Tieren (Bernsteininklusen) bilden eine besondere Informationsquelle über Lebensräume der Erdvergangenheit. Federn werden in Bernstein sehr selten gefunden, liefern aber aufgrund der besonderen Art der Erhaltung sehr detaillierte Informationen. In Bernstein erhaltene Federn geben allerdings typischerweise keine direkten Hinweise auf die Träger des Federkleids. Trotz der seltenen Vorkommen liegt bereits eine Reihe von entsprechenden Veröffentlichungen über Federn bzw. Fragmente von Federn in Bernstein vor (Grimaldi 1996, Weitschat & Wichard 1998). Man erhofft sich von den fossilen Federn Hinweise darauf, wie sich diese besondere Form der Bedeckung von tierischen Körperoberflächen entwickelt haben könnte. Die derzeit favorisierte Vorstellung zur Evolution von Federn geht auf ein von Prum entwickeltes Modell (1999, 2002) zurück. Darin schlägt er fünf Stadien (I-V) vor, von einzelnen Filamenten (Fäden, Fasern) bis zur komplexen Feder, mit Schaft und Fahne, die durch von den Federästen abstehenden Strahlen (Bogen- und Hakenstrahlen) flächig stabil und hochflexibel gebaut ist. Perrichot et al. (2008) hatten sieben in fossilem Harz erhaltene Federn beschrieben, die in Westfrankreich in geologischen Schichten aus der Unteren Kreide geborgen worden waren. Sie stellten ihre Befunde als erste fossile Belege für theoretisch prognostizierte Stadien der Feder-Evolution vor. Junker (2009) hat diese Arbeit kritisch gewürdigt und darauf hingewiesen, dass angesichts der Tatsache, dass z.B. bereits aus dem Jura voll ausgebildete Federn (Archaeopteryx) mit modernen Merkmalen vorliegen, die jüngeren Funde aus der Kreide nur mit Einschränkung als Hinweis auf eine Feder-Evolution aufgefasst werden können.

Abb. 1: Verschiedene Details von Federn in Kanadischem Bernstein, die auch Hinweise auf die farbliche Erscheinung des Gefieders geben. Aus McKellar et al. (2011); Abdruck mit freundlicher Genehmigung.

Nun berichten McKellar et al. (2011) über unterschiedliche Federn und federähnliche Strukturen, die sie in Kanadischem Bernstein gefunden hatten (Abb. 1, 2). Auf diese Stücke waren sie bei der Untersuchung von über 4000 Inklusensteinen gestoßen, welche aus Grassy Lake, Alberta (Kanada) stammen und dort im Oberen Campan (Obere Kreide) gefunden worden waren. In ihrer Arbeit präsentieren die Autoren Haar-ähnliche Strukturen, in denen einzelne Filamente waldartig bzw. eng zusammen gelagert erscheinen. Die einzelnen Filamente sind hohl (ca. 60% des Durchmessers, es ist kein Mark im Inneren erkennbar) und unterschiedlich pigmentiert (fast transparent bis dunkel). Pflanzen und Pilze werden als Ursprung dieser Strukturen aufgrund mikroskopischer Vergleiche ausgeschlossen. McKellar et al. ordnen diese beiden Strukturtypen den Stadien I und II in Prums Federentstehungs-Modell zu, d. h. einzelnen, isolierten (I) und zu Bündeln zusammengelagerten Filamenten (II); diese stellen die ersten hypothetischen Stufen auf dem Weg zur Feder dar. Die Autoren stellen eine Verbindung zu mutmaßlichen fossilen Körperbedeckungen von saurierartigen Fossilien her. Die Organismen sind darin zweidimensional, in einer Ebene komprimiert. An verschiedenen Stellen sind an ihrem Rand Strukturen erkennbar, die als Bestandteile von deren Körperoberfläche angesehen werden können. McKellar et al. nennen zwei in China gefundene Fossilien, im ersten Fall Sinosauropteryx prima (Chen et al. 1998) und im andern Sinornithosaurus millenii (Xu et al. 2001) als diejenigen, die die größte Ähnlichkeit aufweisen. Diese Verbindung erscheint jedoch sehr gewagt. Der Einfluss der unterschiedlichen, an der jeweiligen Fossilisierung beteiligten Prozesse auf die hier verglichenen feinen Strukturen sollte in Betracht gezogen werden. Die Aufführung von Dinosaurierfedern in der Titelformulierung erscheint angesichts der empirischen Basis spekulativ. Eine breitere Abstützung durch weitere Untersuchungen wäre notwendig, um die behauptete Ähnlichkeit aussagekräftig zu erhärten.

Neben den einfach gebauten Federtypen beschreiben McKellar und Mitarbeiter auch Federfragmente aus dem Kanadischen Bernstein, die Merkmale ausgeprägter Spezialisierung aufweisen: Federstrahlen, die um den Federschaft (Rachis) angeordnet und an ihrer Basis zu einer Spirale geformt sind (vgl. Abb. 1). Die Federstrahlen weisen drei und mehr Windungen auf und die einzelnen Strahlen sind in ihrem Querschnitt abgeflacht und zeigen verdickte, knotenartige Bereiche. Da nur besondere Bereiche der Federstrahlen spiralig verdrillt sind, gehen die Autoren davon aus, dass diese Strukturmerkmale original sind und nicht erst nachträglich von Wechselwirkungen zwischen Harz und Feder durch die Polymerisationsprozesse verursacht worden sind. Heutige Höhenläufer (Thinocoridae) und Flughühner (Pteroclididae) besitzen Deckfedern, die ähnliche spiralige Strukturen am Ansatz der Federstrahlen aufweisen. Diese Besonderheit in der Federstruktur dient den Vögeln zum Transport von Wasser z. B. zum Nest für die Brut oder zur Kühlung des Geleges. Auch Lappentaucher (Podicipedidae) bilden derartige Federn aus, die Wasser im Gefieder adsorbieren und damit Tauchgänge begünstigen.

McKellar und Mitarbeiter vermuten aufgrund dieser besonderen Ähnlichkeit, dass Tauchen auch zum Verhaltensrepertoire des Trägers dieses Federkleids aus der Kreide gehörte. Damit wären diese Federn Hinweise auf die Existenz von in Anatomie und Verhalten bereits spezialisierten Vogelformen.

Unter den in Kanadischem Bernstein gefundenen Federfragmenten finden sich auch alle Strukturmerkmale, die für die Ausbildung der flächigen Federfahne erforderlich sind. Die Autoren ordnen diese Federn flugfähigen Tieren – Vögeln aus der Kreidezeit – zu.

Abb. 2: Federstrahlen mit auffälligen Strukturmerkmalen aus Kanadischem Bernstein; A: Federstrahlen umhüllen einen verdickten Schaft (Rachis; Pfeil zeigt auf Rachis); B: vergrößertes Detail aus A mit spiralisierten Federstrahlen; C: abgeflachte Bereiche und verdickte Knoten; D: einzelnes Federästchen in einem Spinnennetz; E: Federstrahlen nahe der Spitze des Federastes von D; F: einzelner Federstrahl aus (E); das Muster der dunklen Pigmentierung dürfte eine graue bis schwarze Feder bewirken. Die jeweils eingeblendeten Größenangaben betragen: 0,4 mm (A), (B); 0,2 mm (B), (D) und (E); 0,05 mm (C) und (F). Aus McKellar et al. (2011); Abdruck mit freundlicher Genehmigung.

Die übrigen Federfragmente sprechen McKellar et al. als zu Daunen- und Konturfedern gehörig an. Diese weisen wie eine Bernsteininkluse aus Frankreich (Perrichot et al. 2008) eine kurze Hauptachse auf, die nur schwach ausgeprägt und im Querschnitt abgeflacht ist; sie laufen in sich verzweigende Federäste aus. Bei den Federresten aus der Kreide Kanadas fällt eine ausgeprägte perlschnurartig erscheinende Pigmentierung auf (Abb. 2).

Die beschriebenen Fossilien dokumen-
tieren eine Variationsbreite, die bereits
in der Oberkreide heutige Speziali-
sierungen aufweist.

Keines der von McKellar et al. beschriebenen fossilen Federfragmente liefert einen direkten Hinweis auf den ursprünglichen Träger des Gefieders. Die Autoren führen aber an, dass aus den angrenzenden stratigraphischen Einheiten in der Umgebung des Fundorts der fossilen Harze, Grassy Lake, Hinweise sowohl auf Vögel als auch auf saurierartige Tiere vorliegen. Aus ihrer Sicht liefern die Funde von komplexen Federtypen aus der Kreide und die Ähnlichkeit mit fossilen Strukturen an der Oberfläche von Saurierartigen einen starken Hinweis darauf, dass es sich bei den einfacheren fadenförmigen und büscheligen Strukturen um Protofedern von Dinosauriern handelt. Die Dichte der einzelnen isolierten Filamente (erste Vorstufe von Federn) legt für die Autoren eine Funktion, wie z. B. Thermoregulation und Schutz nahe. Spezielle Federmerkmale, die aufgrund von Vergleichen mit heute bekannten einen Zusammenhang mit Tauchen nahe legen, weisen auf entsprechende Lebensweisen mit zugehöriger Spezialisierung bereits in der Epoche der Oberen Kreide hin.1

Mit diesen Befunden lassen sich zwar postulierte evolutionäre Entwicklungsstufen illustrieren, ein Argument für einen Entwicklungsprozess über einen längeren Zeitraum liefern sie jedoch nicht. Dafür wären in geologischen Systemen aufeinander folgende fossile Überlieferungen zu erwarten. Das Campan, zu dem die Bernsteinfedern zugeordnet werden, wird geochronologisch auf etwa 83 bis etwa 71 Millionen Jahre datiert und ist damit deutlich jünger als zahlreiche Vogelgattungen mit voll ausgebildeten Federn (wie Archaeopteryx), aber auch jünger als befiederte Theropoden-Dinosaurier, die als Vogelvorfahren diskutiert werden. Auch aufgrund der zeitlichen Stellung und der unterschiedlichen Fundorte ist die Zuordnung der Bernstein-Inklusen zu Sinosauropteryx prima und Sinornithosaurus millenii nicht gerechtfertigt. Andererseits dokumentieren die beschriebenen Fossilien eine Variationsbreite, die bereits in der Oberkreide heutige Spezialisierungen aufweist.


Anmerkung

1 Nach Fertigstellung dieses Artikels ist von Fachkollegen der Autoren Kritik an deren Interpretation der Befunde veröffentlicht worden (Dove & Stryker 2012), auf welche McKellar et al. (2012) auch geantwortet haben. Inhaltlich geht es dabei um Details der Interpretation der Befunde, welche die in diesem Beitrag aufgezeigten Argumentationslinien dahingehend bestätigen, dass eine Zuordnung der federartigen Strukturen auf Basis der derzeitigen Befunde unsicher ist.


Literatur

Chen P, Dong Z & Zhen S (1998)
An exceptionally well-preserved theropod dinosaur from the Yixian formation of China. Nature 391, 147-152.
Dove JC & Straker LC (2012)
Comment on “A diverse assemblage of late Cretaceous dinosaur and bird feathers from Canadian amber”. Science 335, 796-b.
Grimaldi AD (1996)
Amber - Window to the past. Harry N. Abrams; Times Mirror, New York.
Junker R (2009)
Protofedern in Bernstein? Stud. Int. J. 16, 120-121.
McKellar, Chatterton BD, Wolfe AP & Currie PJ (2011)
A diverse assemblage of late Cretaceous dinosaur and bird feathers from canadian amber. Science 333, 1619-1622.
McKellar RC, Chatterton BDE, Wolfe AP & Currie PJ (2012)
Response to comment on “A diverse assemblage of late Cretaceous dinosaur and bird feathers from Canadian amber”. Science 335, 796-c.
Perrichot V, Marion L, Néraudeau D, Vullo R & Tafforeau P (2008)
The early evolution of feathers: fossil evidence from Cretaceous amber of France. Proc. R. Soc. B 275, 1197-1202.
Prum RO (1999)
Developement and evolutionary origin of feathers. J. Exp. Zool. B (Mol. Dev. Evol.) 285, 291-306.
Prum RO & Brush AH (2002)
The evolutionary origin and diversification of feathers. Q. Rev. Biol. 77, 261-295.
Weitschat W & Wichard W (1998)
Atlas der Pflanzen und Tiere im Baltischen Bernstein. München.
Xu X, Zhou Z & Prum RO (2001)
Branched integumental structures in Sinornithosaurus and the origin of feathers. Nature 410, 200-204.


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