Mit Spinnenseide Wasser aus der Luft melken
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Abb. 1: Herbstspinne (Metellina segmentata) mit Beute in ihrem Netz. (Foto: Winfried Borlinghaus) |
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Spinnen produzieren Seide, ein komplexes Proteingemisch, das sie in unterschiedlichster Weise anwenden: Sicherungsfäden für die Selbstsicherung, zum Bau eines Netzes, das für viele Spinnen auch weitgehend deren Lebensraum darstellt, zum Auskleiden der Wohnhöhle, zur Umhüllung des Eikokons, zum Einspinnen von Beutetieren („Frischhaltefolie“) und vieles andere mehr. Hinsichtlich der Materialeigenschaften stellt Spinnenseide eine einzigartige Kombination unterschiedlichster physikalischer Eigenschaften dar, die man in der Technik mit viel Aufwand zumindest ansatzweise nachzubilden versucht (Bionik).
Zu den bekanntesten Bauwerken von Spinnen dürften neben den häufig als störend empfundenen „Spinnweben“ in den Wohnungen die Radnetze der Radnetzspinnen (Araneidae) gehören, zu denen auch die Gartenkreuzspinne (Araneus diadematus) zählt.
Im Herbst oder sehr früh an einem Sommermorgen kann man auf Wiesen und an Hecken verschiedenste Netzkonstruktionen leicht erkennen, weil an ihnen viele Tautropfen im Sonnenlicht funkeln. Wie aber kommt das Wasser auf die Spinnfäden und warum sind die Tröpfchen so regelmäßig und fein verteilt?
Diesen Fragen hat sich der chinesische Chemiker Lei Jiang von der Chinesischen Akademie der Wissenschaft gestellt (Jiang 2010). Seine Mitarbeiter untersuchten zunächst mit elektronenmikroskopischen Methoden (Zheng et al. 2010) Fangfäden der Federfußspinne (Uloborus walckenaerius). U. walckenaerius gehört zu den Cribellaten, d. h. sie besitzt neben Spinndrüsen eine Spinnplatte (Cribellum), womit die Spinne bis zu 50 000 einzelne, sehr dünne Fäden als Fangwolle auf dickere Achsfäden aufbringen kann.
Die trockenen Fangfäden zeigten zunächst, dass die Fangwolle an zwei Achsfäden aufgebracht ist. Der Durchmesser der Fangwollfäden beträgt 20-30 nm (ca. 10-facher DNA-Querschnitt). Die Fangwolle ist strukturiert und zwar so, dass kleine Bäusche regelmäßig im Abstand von ca. 85 µm auftreten, sie haben einen Durchmesser von ca. 130 µm und sind durch dünne Bereiche (Fugen) miteinander verbunden, die nur ca. 40 µm dick sind. Die Fangwolle scheint in den Bäuschen zufällig angeordnet zu sein.
Gibt man den Fangfaden in eine feuchte Atmosphäre, so kann man durch ein Lichtmikroskop erkennen, dass sich an den ultradünnen hydrophilen (wasseranziehenden) Fäden der Bäusche kleine Kondenswassertröpfchen bilden, die an dem Faden wandern. Während weiteres Wasser am Faden kondensiert, schrumpfen die Bäusche zu undurchsichtigen flachen Beulen. Die Struktur des Fadens wird also infolge der Befeuchtung umgebildet und anschließend ist eine gerichtete Wanderung der Wassertröpfchen zu beobachten. Kleine Wassertröpfchen wandern, und zwar in Richtung der nächsten beulenartigen Verdickung (bergauf), dort vereinigen sie sich. Diese gerichtete Wanderung der kleinsten kondensierten Wassertröpfchen und deren Vereinigung zu größeren verläuft im Bruchteil einer Sekunde. Die beschriebenen Effekte waren nur an Spinnfäden zu beobachten, nicht aber an Seide- oder Nylonfäden.
Aufgrund der Analyse der gerichteten Wanderung der Wassertröpfchen am Spinnfaden machen Zheng et al. einen Oberflächenenergiegradienten und Unterschiede im Laplace-Druck für den Prozess verantwortlich. Jeder einzelne der beiden Effekte für sich genommen führt nicht zu einer gerichteten Wanderung, erst das Zusammenwirken beider Kräfte erklärt das Phänomen.
Aufgrund ihrer Einsichten in die Vorgänge an feuchten Spinnfäden haben die Autoren künstliche Spinnfäden hergestellt, in denen sie die strukturellen Merkmale der natürlichen Vorbilder nachbauten. Daran konnten sie den Effekt ebenfalls beobachten. Zheng et al. hoffen mit den entdeckten Designmerkmalen („design principles“) technisch zur Gewinnung von Wasser und zur Trennung flüssiger Aerosole in technischen Prozessen beitragen zu können. Ein sehr komplexer Mechanismus, der erst aufwändig aufgedeckt werden musste, erklärt also nicht nur die eindrucksvollen Spinnennetze an einem sonnigen Morgen im Herbst in Hecken und Wiesen, sondern versorgt auch die Spinne wohl portioniert mit Trinkwasser. Gleichzeitig spornt er zu neuen technischen Innovationen an.
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