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Zellwandwachstum: „Design ohne intelligenten Designer“?

von Christoph Heilig

Studium Integrale Journal
15. Jahrgang / Heft 2 - Oktober 2008
Seite 109 - 110


Der Kasseler Pflanzenphysiologe Ulrich Kutschera, der auch als Kritiker des Kreationismus und „Intelligent-Design“ (ID)-Ansatzes bekannt ist, veröffentlichte kürzlich in der Zeitschrift „Annals of Botany“ einen Artikel zum Zellwandwachstum (Kutschera 2008). Dabei legt Kutschera ein besonderes Augenmerk auf die Rolle der Epidermis (oberste Zellschicht des Blattes), der bei diesem Prozess eine steuernde Funktion zukommt. Das besondere an dieser Arbeit: Kutschera legt in diesem Artikel nicht nur neue Ergebnisse zur Zusammensetzung der äußeren Epidermiswand vor, sondern geht auch auf den ID-Ansatz ein: Der molekulare Selbstzusammenbau („self assembly“) der Wandstrukturen in der extrazellulären Matrix sei ein eindrucksvolles Beispiel für komplexes Design in einem biologischen System ohne einen „intelligenten Designer“.

Angesichts der Tatsache, dass der Artikel rein beschreibend ist, kommt diese weitreichende Schlussfolgerung überraschend. Tatsächlich lässt sie sich aus den von Kutschera diskutierten Forschungsergebnissen aus folgenden Gründen nicht ableiten:

Erstens stellt Kutschera in dieser Studie gar keine evolutionsbiologischen Betrachtungen an: die Mechanismen der Entstehung des Beschriebenen im Laufe der Stammesentwicklung werden nicht thematisiert – und nur diese sind im Zusammenhang mit ID von Bedeutung. Vielmehr bespricht er die Mechanismen, die bei der Individualentwicklung von Pflanzen zum Tragen kommen. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass sich extrazelluläre biologische helicoidale Cellulose-Zellwandstrukturen durch einen gerichteten Selbstzusammenbau von kristallinen Biopolymeren bilden (S. 616). Aus dieser Aussage über das Wachstum von Pflanzen lässt sich jedoch keine Feststellung zur Evolution dieses Wachstumsmechanismus ableiten. Das ist eine ganz andere Fragestellung. Wissenszuwachs über die Funktionsweise einer Struktur bedeutet für sich genommen kein Zuwachs an Wissen bezüglich ihrer Entstehung.

Zweitens stellen die einzigen Anmerkungen Kutscheras, die sich auf die Evolution beziehen, eher weitere Schwierigkeiten als Argumente für eine Evolution dar: Dieses „komplexe Design“ helicoidaler extrazellulärer Polymere soll mehrfach unabhängig in ähnlicher Form (konvergent) in Pflanzen, Tieren und vielen anderen Organismen entstanden sein. Dies stellt sogar noch eine verschärfte Herausforderung an die mit der Hervorbringung von organismischen Neukonstruktionen ohnehin überforderten Makroevolutionsmechanismen dar.

Von diesen Einwänden abgesehen kann man Kutscheras Aussage zu ID vielleicht so verstehen: Wenn während der Individualentwicklung komplexe Strukturen gebildet werden, ohne dass dafür genetische Programme die Steuerung direkt übernehmen, könnte das als Beleg dafür gewertet werden, dass komplexe Strukturen (z. B. auch informationstragende Makromoleküle wie RNA und DNA) prinzipiell – also beispielsweise auch beim Ursprung des Lebens – spontan entstehen können.

Doch auch dieses Argument würde den Kerngedanken des ID-Ansatzes nicht treffen: Dass unter geeigneten Umständen Bauteile mit spezifischen Eigenschaften geordnete Komplexe bilden, steht außer Frage. Dies wurde schon oft beobachtet, beispielsweise beim self-assembly von Viren in ihren Wirtszellen, nachdem diese die einzelnen Bausteine aufgrund des eingeschleusten Fremd-Erbguts synthetisiert haben. Doch „Leben“ ist mehr als nur Ordnung, mehr als bloße Komplexität. Auch eine durch einen Zufallsgenerator erzeugte Zeichenfolge ist „komplex“. Aber sie ergibt keinen Sinn, sie ist nicht spezifiziert. Lebewesen sind mehr als komplizierte Gebilde – sie erfüllen Funktionen. Leben ist „spezifiziert komplex“ – und mit dieser Eigenschaft haben Selbstorganisationsprozesse große prinzipielle Probleme (Meyer 2003). Anders als beispielsweise Schneeflocken ist das Leben nicht das bloße Produkt von Naturgesetzen und wird von ihnen determiniert und gesteuert, sondern nutzt diese – Leben „surft“ (vgl. Rammerstorfer 2006). Das self-assembly biologischer Struktur hat nichts mit Selbstorganisation zu tun, die teilweise bemüht wird, um die Entstehung erster lebender Zellen zu erklären.

Abel & Trevors (2006) weisen in einer detaillierten Studie nach, dass es einen prinzipiellen qualitativen Unterschied gibt zwischen self-assembly-Phänomenen (von ihnen unter dem Begriff „self-ordering“ eingeordnet), wie hier von Kutschera am Beispiel des Zellwandwachstums geschildert, und „self-organization“ im Sinne der Lebensentstehung, der Entstehung von „Design“, wie man es sonst nur von intelligenten Agenten kennt. Für Letzteres gibt es nach Auffassung der Autoren nicht die geringsten Hinweise, oder auch nur sinnvolle wissenschaftliche Hypothesen (vgl. Imming & Bertsch 2007). Des Weiteren betonen sie: „Man sollte darauf achten, den Begriff ‘Selbstorganisation’ nicht fälschlicherweise für nieder-informative, natürliche Prozesse und Selbstordnungsereignisse verwendet wird, besonders wenn man den Ursprung genetischer Information diskutiert.“

Eben eine solche Verwechslung begeht Kutschera, wenn er auf der Basis des von ihm beschriebenen Selbstordnungsprozesses auch die Existenz von Selbstorganisationsprozessen annimmt, welche die spezifiziert-komplexe genetische Information der Lebewesen hervorgebracht haben sollen, sodass diese ohne Verweis auf einen intelligenten Urheber erklärt werden könnten. Komplexes Design in biologischen Systemen ohne intelligenten Designer (vgl. Haller & Heilig 2008)? Zumindest die Ergebnisse von Kutschera (2008) liefern nichts, was hierfür sprechen würde.



Literatur

Abel DL & Trevors JT (2006)
Self-organization vs. Self-ordering events in life-origin models. Physics of Life Reviews 3, 211-228.
Haller T & Heilig C (2008)
Spinnen-Design oder Spinnen-„Design“? Essay zu einem vieldiskutierten Begriff. Stud. Int. J. 15, 43-45.
Imming P & Bertsch E (2007)
„Zufall und Notwendigkeit erklären den Ursprung des Lebens nicht“. Stud. Int. J. 14, 55-65.
Kutschera U (2008)
The Growing Outer Epidermal Wall: Design and Physiological Role of a Composite Structure. Ann. Bot. 101, 615-621.
Meyer SC (2003)
DNA and the Origin of Life: Information, Specification, and Explanation. In: Campbell JA & Meyer SC (eds) (2003) Darwinism, Design, and Public Education. East Lansing, pp 223-285.
Rammerstorfer M (2006)
Nur eine Illusion? Biologie und Design. Marburg.

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