1% Unterschied zwischen Mensch und Schimpanse?
1% Unterschied zwischen Mensch und Schimpanse? Ähnlich wie der Begriff vom „DNA-Müll“ hat sich auch die vermeintliche Tatsache von der weitgehenden Übereinstimmung zwischen dem Genom des Menschen (Homo sapiens) und des Schimpansen (Pan troglodytes) im Allgemeinwissen eingenistet; der genetische Unterschied soll gerade mal 1% betragen.
Die Behauptung der ca. 99%-igen Übereinstimmung der Genome von Mensch und Schimpanse wurde erstmals von Wilson & King (1975) in einem Science-Artikel aufgestellt. Damals erregte dieser erstaunlich geringe Unterschied Aufsehen. Bei aufmerksamer Lektüre der Veröffentlichung von Wilson & King fällt jedoch auf, dass die beiden Autoren vermuten, neben den Genen (bekannte codierende Sequenzabschnitte) müssen weitergehende Differenzen vorliegen, die ursächlich für die auffälligen Unterschiede z.B. in Anatomie und Verhalten sind. Sie dachten dabei vor allem an genregulatorische Prozesse.
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Abb. 1: Dem Menschen genetisch doch nicht so nahe: Der Schimpanse. (Zoo Basel; Foto: Richard Wiskin) |
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Nachfolgende Untersuchungen unterstützten die weitgehende genetische Übereinstimmung der beiden Primaten. Als 2005 vom Chimpanzee Se-quencing and Analysis Consortium die Sequenz des Schimpansengenoms veröffentlicht wurde (King war im Autorenteam), bestätigten diese Untersuchungen die auffällige Übereinstimmung: der Vergleich von 2,4 ⋅ 109 Basen der beiden Arten ergab eine Differenz von 1,23%. In der Publikation wurde jedoch ebenfalls vermerkt, dass diese Angabe ausschließlich den Austausch einzelner Basen berücksichtigt, nicht jedoch die vielen größeren Genomabschnitte, die eingefügt (Insertion) bzw. herausgeschnitten (Deletion) worden sind. Diese Bereiche werden häufig als „indels“ bezeichnet. Berücksichtigt man diese „indels“, so ergibt sich nach Berechnungen des Schimpansen-Konsortiums eine Differenz von zusätzlich 3%. Weitere vergleichende Untersuchungen zwischen dem menschlichen Erbgut und dem Schimpansengenom relativierten die Angabe von ca. 1% Unterschied zunehmend und veranlassten Cohen (2007), in einem Science-Artikel vom „Mythos“ dieses 1%-igen Unterschieds zu sprechen.
Doch nicht nur „indels“ vergrößern den Unterschied zwischen den beiden Genomen. Auch ganze Gene werden dupliziert oder eliminiert. Diese Vorgänge verursachen nach Berechnungen von Hahn und Mitarbeitern (2006) einen Unterschied von 6,4%. Nach Ansicht der Autoren spielten Genduplikationen (Verdoppelungen) und Genverluste bei der Entwicklung von spezifisch menschlichen Phänotypen (äußere Gestalt) eine größere Rolle als der Austausch von Basen und ganz sicher eine größere Rolle, als man bisher geschätzt hat.
Geschwind hat gemeinsam mit Mitarbeitern untersucht, welche von 4000 Genen in bestimmten Arealen des Gehirns gleichzeitig angeschaltet (exprimiert) werden und aus den gewonnenen Daten ein Gen-Netzwerk für verschiedene Organismen konstruiert. Die Autoren berichten, dass im Cortex beim Menschen 17,4% der Vernetzungen spezifisch sind und beim Schimpansen nicht auftreten (Geschwind et al. 2006).
Abschließend zitiert Cohen Svante Pääbo vom Max Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig; dieser antwortete auf die Frage, ob man unter Berücksichtigung aller bekannten Daten den Unterscheid zwischen Mensch und Schimpanse genau beziffern könne: Er glaube nicht, dass es eine Möglichkeit gebe, eine Zahl zu berechnen. Weiter wird Pääbo mit der Aussage zitiert: „In the end, it’s a political and social and cultural thing about how we see our differences.“ Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen außer vielleicht der Wunsch, dass sich diese Einsicht ähnlich rasch und nachhaltig in das Allgemeinwissen eingräbt wie die noch viel zu häufig und unreflektiert erwähnten 1%- Unterschied zwischen Mensch und Schimpanse. Wir wissen inzwischen mehr!
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