Symbiosen sind fein aufeinander abgestimmte Lebensgemeinschaften zwischen verschiedenartigen Organismen, von denen beide Partner profitieren. Ein sehr bekanntes Beispiel sind die Flechten, ein Zusammenschluß aus Pilz und Alge. Die Alge bildet durch Photosynthese mit Hilfe von Sonnenlicht Nährstoffe und dient dem Pilz damit als Lebensgrundlage; der Pilz bietet der Alge mineralische Stoffe, Lebensraum und Schutz vor Austrocknung, wodurch diese ihr sonst unzugängliche Lebensräume erschließen kann. Flechten können dadurch auch sehr unwirtliche Standorte wie nackte Steine besiedeln und sind in der Lage, extreme Temperaturen (von 48 °C bis + 80 °C) zu überstehen.
Aus evolutionstheoretischer Perspektive ging man lange davon aus, daß freilebende, einfach strukturierte Pilze irgendwann die Fähigkeit zur Flechtenbildung erworben hätten, also die komplexere Lebensform das Ergebnis einer Höherentwicklung ist. Allerdings kam man vor ca. 10 Jahren mit Hilfe von molekularen Stammbäumen zu dem Ergebnis, daß Flechten mindestens fünfmal unabhängig voneinander entstanden sein müßten (vgl. Studium Integrale Journal 10, 2003, S. 40). Einige Jahre später hatte sich aufgrund der hohen biologischen Diversität und des gemischten Vorkommens flechtenbildender und nicht-flechtenbildender Arten in vielen verschiedenen Pilzordnungen bereits die Sicht durchgesetzt, daß Flechtenbildner vielfach unabhängig voneinander entstanden seien. Mittlerweile findet sich in der evolutionsbiologischen Literatur zu diesem Thema eine völlige Umkehr des ursprünglichen Paradigmas, nämlich daß nicht die komplexeren Organisationsformen aus einfacheren entstanden seien, sondern umgekehrt.
Einige Ergebnisse aus dem Jahre 2001 seien nachfolgend zusammengefaßt: 1. Wesentliche, nicht-flechtenbildende Linien des Pilzstamms der Ascomycota (>15000 Arten) werden von flechtenbildenden Vorfahren abgeleitet; unter den ersteren sind zahlreiche für den Menschen wichtige Antibiotika-Produzenten. 2. Der Erwerb der Fähigkeit zur Flechtenbildung in diesem Pilzstamm (der die weitaus meisten Flechtenbildner überhaupt umfaßt) kam extrem selten vor, wohingegen sie häufig und unabhängig voneinander verlorenging. 3. Flechten müssen wesentlich früher entstanden sein, als früher angenommen.
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Nicht die komplexeren
Organisationsformen sollen aus
einfacheren entstanden sein,
sondern umgekehrt. |
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Inwieweit diese Ergebnisse Paläontologen dazu bewegt haben mögen, genauer hinzuschauen, läßt sich schwer sagen. Tatsache ist, daß in späteren Publikationen auf verschiedene Weise ein hohes Alter der Flechten zutage gefördert wird: 2003 konnte mit Hilfe von Isotopenverteilungen gezeigt werden, daß es sich bei dem global verbreiteten Makrofossil Spongiophyton minutissimum aus dem frühen Devon, das aufgrund seiner Morphologie entweder für ein Moos oder für eine Flechte gehalten wurde, definitiv nicht um ein Moos handelt. Da dieser Organismus sich nun also als Flechte entpuppte, wurde vermutet, daß die Präsenz großer, globaler Flechtenpopulationen im unteren Devon einen massiven Einfluß auf die Bodenbildung terrestrischer Ökosysteme im Paläozoikum gehabt haben könnte. Aus dem Jahre 2005 stammt die Entdeckung flechtenartiger Fossilien in marinen Ablagerungen aus dem Präkambrium Südchinas, datiert auf 600 Millionen Jahre. Daraus wird evolutionstheoretisch geschlossen, daß es Symbiosen zwischen Algen und Pilzen schon vor der Entstehung der Gefäßpflanzen (d.h. im wesentlichen der Landpflanzen) gegeben haben mußte.
Auch die ursprüngliche Annahme einer Koevolution zwischen Algen und Pilzen aufgrund der intimen Ver„flechtung” dieser symbiotischen Lebensform ist vom Tisch. Wegen signifikanter Unstimmigkeiten zwischen den Stammbäumen von Pilzen und ihren jeweiligen Algenpartnern geht man nun davon aus, daß die Pilze ihre jeweiligen Algen wiederholt gewechselt haben. Über ähnliche Befunde (Wirtswechsel statt Koevolution) bei ganz anderen Organismen haben wir bereits berichtet (Fehrer 1995).
Die Fälle häufen sich, in denen sich evolutionstheoretische Annahmen und Voraussagen nicht bestätigen, sondern unter Umständen sogar die Forschung durch Festlegung auf falsche Ausgangshypothesen und Konzepte behindern können.
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