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Neues vom Gesundheitssystem der Ameisen

von Hans-Bertram Braun

Studium Integrale Journal
25. Jahrgang / Heft 2 - Oktober 2018
Seite 92 - 93


Zusammenfassung: In Studium Integrale Journal wurde bereits von Ameisen berichtet, die verletzte Kameraden in Sicherheit bringen. Weitere Beobachtungen enthüllen nun interessante Details der gegenseitigen Gesundheitsfürsorge dieser sozialen Insekten.




Einleitung
Abb. 1: Eine durch Termitenbisse verletzte Megaponera-Ameise wird durch eine Kameradin in ihrem Jagdgebiet untersucht. (© Erik T. Frank, mit freundlicher Genehmigung; Bild: ETF89, CC BY-SA 4.0)

Wie berichtet tragen räuberische Ameisen der afrikanischen Art Megaponera analis Artgenossen, die bei Kämpfen mit Termiten verletzt wurden, zurück ins heimische Nest (Frank et al. 2017; vgl. Braun 2017). Später konnte man dann beobachten, dass frische Angriffskolonnen einen signifikanten Anteil genesener „Veteranen“ aufweisen. Forscher der Universität Würzburg um E.T. Frank haben im Detail untersucht, was die Ameisen unternehmen, um ihren Kameraden wieder auf die nunmehr oft nicht mehr vollzähligen 6 Beine zu helfen (Frank et al. 2018). Sie konnten dabei zeigen, dass im Nest Ameisen die Wunden (in diesem Fall die Beinstümpfe) ihrer verletzten Artgenossen zumeist 30-60 Minuten, aber auch bis zu 180 Minuten lang intensiv ableckten, wonach nur 10 % der Verletzten starben, während unbehandelte Verletzte zu bis zu 80 % die nächsten 24 Stunden nicht überlebten, obwohl die Wunde selbst bei unbehandelten Individuen innerhalb 10 Minuten durch einen Wundpfropf geschlossen war. Durch geschickte Kontrollexperimente, in denen sie z. B. verletzte Tiere auf sterilisiertem und unbehandeltem Untergrund hielten, konnten die Forscher zeigen, dass Infektionen zum Tod der verletzten Kämpfer führten, sodass einiges dafür spricht, dass der Speichel der Wundversorger desinfizierend wirkt.

Abb. 2: Eine Ameise der Art Megaponera behandelt die Wunde eines Kameraden im Nest. (© Erik T. Frank, mit freundlicher Genehmigung; Bild: ETF89, CC BY-SA 4.0)

Die Würzburger Wissenschaftler untersuchten auch genauer, unter welchen Umständen der Rücktransport der verletzten Artgenossen erfolgte. Sie fanden heraus, dass „leicht“ Verletzte (zwei Beine abgetrennt) regelmäßig nach kurzer In­spektion zurück transportiert wurden, während Schwerverletzte (5 Beine abgetrennt) zwar lange inspiziert, aber kaum zurücktransportiert wurden, sogar teilweise vom Nest weg gebracht und abgelegt wurden. Schwerverletzte zeigten auch ein anderes Verhalten als das typische Verhalten der Leichtverletzten. Letztere nahmen eine Haltung an, die den Transport erleichterte, dagegen bewegten sich die Schwerverletzten chaotisch. Die Wichtigkeit der Transporthaltung konnte auch dadurch untermauert werden, dass Ameisen, deren Beine nicht gekappt, sondern nur gebrochen waren, dadurch aber die Transporthaltung verhinderten, zwar häufig aufgenommen, aber dann doch nicht erfolgreich zum Nest transportiert wurden. Die Ergebnisse der ersten Studie wurden durch weitere Untersuchungen bestätigt. Dabei zeigte sich, dass Ameisen, die mit den in der ersten Studie identifizierten zwei Pheromonen (Duftstoffen) Dimethyl-Disulfid und Dimethyl-Trisulfid bestrichen waren, sehr häufig aufgenommen und zurücktransportiert wurden. Damit wurde ihre Wirkung als „Hilfe-ich-bin-verletzt“-Pheromone bestätigt. Dies unterstreicht, dass sowohl chemische Signalstoffe als auch ein bestimmtes Verhalten am Entscheidungsprozess für das Engagement der Sanitäter beteiligt sind.

Außerdem beobachteten die Forscher, dass Leichtverletzte ein deutlich anderes Verhalten an den Tag legten, wenn die zurückkehrende Angriffskolonne noch in der Nähe war (sie bewegten sich weit langsamer und überschlugen sich, wohl in der Hoffnung, aufgenommen und transportiert zu werden), als wenn die Kolonne nicht mehr in Sicht war. Dann bewegten sie sich selbst relativ schnell auf der Pheromonspur der Kolonne Richtung Nest, in Ermangelung eines Rücktransports per Sanitäter. Da die Ameisen tatsächlich verletzt waren, kann man schwerlich von „versuchter Täuschung“ sprechen, trotzdem fühlt man sich an manche Szene „schwer verletzter“ Spieler während der vergangenen Fußball-WM erinnert.

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Hilfen für Artgenossen bei Infektionsgefahr
Soziale Insekten beeindrucken mit kompliziertem, planvoll erscheinendem Verhalten.

Einen weiteren Aspekt planvoller Gesundheitsvorsorge bei sozialen Insekten konnte eine österreichische Arbeitsgruppe dokumentieren (Konrad et al. 2018): Bei friedfertigen Gartenameisen der Art Lasius neglectus spielen Pilzsporen eine große Rolle als Krankheitserreger (Pathogene). Sporen werden passiv aus der Umgebung aufgenommen und haften leicht am Panzer der Ameisen. In diesem Stadium können sie noch selbst oder durch Artgenossen abgelesen und entfernt werden. Oder die betroffenen Ameisen werden durch Besprühen mit Ameisensäure desinfiziert. Nach längerer Anhaftung am Panzer allerdings dringen die Sporen in die Körperhöhle der Insekten ein und verursachen eine Infektion. Leichte Infektionen können vom Immunsystem der Insekten unter Kontrolle gebracht werden, die Ameisen sind dann vor einer Re-Infektion mit demselben Pathogen besser geschützt. Werden sie allerdings von einer anderen Pilzart bedroht, sind sie weit anfälliger für Infektionen. Erstaunlicherweise scheinen die Ameisen nun erkennen zu können, ob eine angeschlagene Artgenossin mit demselben oder einem anderen Pathogen infiziert ist als dem, das bei Infektion von der potentiellen Helferin schon unter Kontrolle gebracht wurde. Handelt es sich um ein anderes Pathogen, sind die helfenden Ameisen sehr vorsichtig, vermeiden direkten Kontakt, sammeln Sporen nicht mit ihren Mundwerkzeugen ab, sondern besprühen die erkrankten Artgenossen lieber aus der Entfernung mit desinfizierender Ameisensäure. Man könnte diese angepasste Verhaltensweise mit dem planvollen Verhalten eines menschlichen Arztes vergleichen, der im Fall einer gefährlichen Infektion des Patienten sich mit Mundschutz, Handschuhen und Labor­mantel schützt und direkten Körperkontakt vermeidet.

Wieder einmal beeindrucken uns hier soziale Insekten mit kompliziertem, planvoll erscheinendem Verhalten. Obwohl der Nutzen für die Gemeinschaft leicht erkennbar ist, fällt es doch schwer, sich einen ungeplanten Mechanismus für die genetische Fixierung als Entstehung solcher Verhaltensweisen vorzustellen, die ja nur in einzelnen Individuen geschehen sein muss, aber erst im sozialen Zusammenspiel effektiv werden kann. Die Autoren äußern sich dazu nicht, aber entsprechende Fragen drängen sich angesichts der neuen Befunde und der allgemein behaupteten Erklärungskraft von Evolutionstheorien auf.

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Literatur

Braun HB (2017)
Sanitäter bei Ameisen. Stud. Integr. J. 24, 98-99.
Frank ET, Schmitt T, Hovestadt T, Mitesser O, Stiegler J & Linsenmair KE (2017)
Saving the injured: Rescue behavior in the termite-hunting ant Megaponera analis. Sci. Adv. 2017, 3, doi: 10.1126/sciadv.1602187
Frank ET, Wehrhahn M & Linsenmair KE (2018)
Wound treatment and selective help in a termite-hunting ant. Proc. R. Soc. B 20172457, http://dx.doi.org/10.1098/rspb.2017.2457
Konrad M, Pull CD, Metzler S, Seif K, Naderlinger E, Grasse AV & Cremer S (2018)
Ants avoid superinfections by performing risk-adjusted sanitary care. Proc. Natl. Acad. Sci. 115, 2782-2787.


Studium Integrale Journal 25. Jg. Heft 2 - Oktober 2018