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Neuer Canyon am Oroville-Staudamm –
Ausgebrochener Wasserstrom verursacht schnelle Erosion

von Michael Kotulla

Studium Integrale Journal
24. Jahrgang / Heft 1 - Mai 2017
Seite 45 - 48

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Zusammenfassung: Für das Phänomen der Erosion liegen neue Beobachtungsdaten vor: Der Wasserstrom, der seitlich aus der beschädigten Überlaufrinne des Oroville-Staudamms (Kalifornien) ausgebrochen war, ließ binnen Tagen einen beachtlichen Canyon entstehen. Das Geschehen im Februar dieses Jahres ist u. a. durch zahlreiche Foto- und Filmaufnahmen gut dokumentiert.


Abb. 1: (oben) Oroville-Staudamm, nachdem der Abfluss gestoppt wurde. Übersichtsaufnahme; von rechts nach links: Staumauer (Höhe 235 m), am Fuß Feather River; die zerstörte Überlaufrinne, daneben (rechts) der neugeschaffene Canyon, am Fuß das Schuttfeld; Notfall-Überlauf mit neu befestigtem Wehr. (Foto/Credit: Dale Kolke/California Department of Water Resources; 27. 2. 2017.)

Erst nachdem der Wasserstand im Oroville-Staudamm nachhaltig unter die 850-Fuß-Zielmarke1 gesenkt werden konnte, war der Wasserfluss am Kontroll-Überlauf gestoppt worden. Die Gischt hatte über Tage die Sicht behindert (Abb. 3 und 5), nun war aber das Ausmaß der Erosion offenbar (Abb. 1): Die betonierte Abflussrinne war im unteren Mittelteil zerstört und weggerissen. Neben der künstlichen Rinne war ein Canyon entstanden, einige Zehner Meter tief und einige Hundert Meter lang (Abb. 6). Und am Fuße des neuen Canyons, im Flussbett des Feather River, hatten sich schätzungsweise 1 Million Tonnen Schutt angehäuft.

Abb. 2: Erodierte Überlaufrinne, Schrägsicht. a 7. 2. 2017, b 9. 2. 2017 nach Testläufen. Rückschreitende Erosion (gelbe Pfeile); die Front hat sich nicht verändert (schwarze Pfeile). (Foto/Credit: Kelly M. Grow/California Department of Water Resources)

Die grauen Brocken im Flussbett, kantig und zum Teil metergroß, sind von dem schießenden Wasser regelrecht aus dem Felsverband herausgemeißelt und abgesprengt worden (Abb. 7). Bei dem Fels handelt es sich um metamorphisierte vulkanische Gesteine2 (im frischen Zustand graue Farbe), deren oberer Teil (thermisch?) verändert, alteriert, und weniger resistent ist (orangebraune Farbe). Dieses alterierte Gestein ist im Vergleich zum frischen Fels weitestgehend aufgerieben worden (orangebraune Gischt, Abb. 3; vgl. weiße Gischt in Abb. 5).

Abb. 3: Fortsetzung der Flutung, 9. 2. 2017, nachmittags. Die Überlaufrinne wird „aufgegeben“. Der oberflächennahe Untergrund neben der Rinne wird zerrieben und färbt das Wasser orangebraun. (Foto/Credit: Kelly M. Grow/California Department of Water Resources)

Zu Beginn der Krise war befürchtet worden, dass die anfangs im Mittelteil beschädigte Überlaufrinne (Abb. 2a) durch den Wirkmechanismus der rückschreitenden Erosion weiter nach oben hin „weggefressen“ werden würde und gar die Staumauer angegriffen werden könnte. In der Tat geschah dies auch zunächst noch (Abb. 2b), dann aber scheint sich die Energie im eingeengten Strömungsquerschnitt neben der Überflussrinne konzentriert und dort für die massive Einschneidung gesorgt zu haben.

Den Entscheidungsträgern blieb keine Wahl (s. u.). Sie mussten die Zerstörung der betonierten Abflussrinne in Kauf nehmen, denn es war abzusehen, dass im neuen Abfluss neben der Abflussrinne „kontrolliert“ tiefenerodiert wurde, also keine Flächenerosion bzw. ein weiteres seitliches Ausbrechen in Richtung der Staumauer zu befürchten war.

Die initiale Ursache der Beschädigung – dass das schießende Wasser Angriffspunkte zur Zerstörung der Betonrinne hatte – und auch Umfang und Wirkmechanismen der Erosion werden von Ingenieuren und Geologen eingehend untersucht werden. Hier sind entsprechende Sach- und Fachpublikationen zu erwarten.

Abb. 4: Gravierende Erosion am Notfall-Überlauf (Markierung). Es besteht das Risiko einer Unterspülung und des Bruchs des Wehrs. Weiter unten: weggespülte Straße und Entstehung eines Abflusskanals. (Foto/Credit: Kelly M. Grow/California Department of Water Resources)

Die maximale Fluss- bzw. Abflussrate in dem Felseinschnitt – 2800 m3/s (über 4 Tage), reduziert um den Anteil, der über die Schussrinne abfloss – ist vergleichbar mit kleineren isländischen Gletscherläufen (isl.: jökulhlaup) mit Raten von 103 bis 104 m3/s und um Größenordnungen niedriger als eine Megaflut mit Raten von ≥ 106 m3/s (vgl. Baker 2013, Kotulla 2014).

Dieses Ereignis beobachteter Erosion bietet die seltene Gelegenheit, die Bildung eines Canyons zu analysieren und Modelle zu testen, die für die Rekonstruktion großskaliger Bildungen der Vergangenheit angewendet werden. Denn nach wie vor ist die Vorstellung weit verbreitet, dass sich tief eingeschnittene Fluss-Canyons (z. B. Grand Canyon) durch moderate Ströme nur langsam bildeten, in geologischen Zeiträumen, denen teilweise Millionen Jahre zugewiesen werden; im Kontrast hierzu aber stehen Beobachtungsdaten, die vielmehr hochenergetische und rasche Erosionsereignisse nahelegen (ausführliche Diskussion siehe Ernst 2010).3

Abb. 5: Situation am 15. 2. 2017. Der Abflussstrom hat sich bereits in den frischen, harten Fels­untergrund eingeschnitten; die Gischt ist nicht mehr orangebraun gefärbt. Links der Abflussweg unterhalb des Notfall-Wehrs; die graue Farbe deutet an, dass auch hier die Erosion bereits im frischen Felsuntergrund wirkte. (Foto/Credit: Dale Kolke/California Department of Water Resources)

Der Oroville-Staudamm

Der 1968 fertiggestellte Oroville-Staudamm im Norden Kaliforniens am Rande der Sierra Nevada, etwa 200 km NNO San Francisco, dient hauptsächlich der Versorgung mit Wasser. Das Rückhaltevermögen beträgt etwa 4 km3 Wasser. Der Kontroll-Überlauf (control spillway) ist ein Einlassbauwerk mit einer nachgelagerten Schussrinne, die knapp 1 km lang und etwa 50 m breit ist und über 200 Höhenmeter tief zum Feather River hinabführt; dabei erreichen die Abflussströme Geschwindigkeiten von bis zu 80 km/h. Der seitlich (NW) angelegte Notfall-Überlauf (emergency spillway) ist lediglich ein Wehr; der Überlaufweg zum Fluss ist ein entsprechend breiter, steiler Hang.

Die Krise im Februar 2017 – Chronologie der Ereignisse4

Abb. 6: Der neue Canyon aus einer anderen Perspektive; 27. 2. 2017. (Foto/Credit: Dale Kolke/California Department of Water Resources)

Am 7. Februar war ein unregelmäßiges Fließverhalten im mittleren Teil der Überlaufrinne festgestellt worden; eine Unterbrechung zeigte die Ursache: Die betonierte Rinne war über Zehner Meter gravierend beschädigt, es klaffte ein großes Loch, das Abflusswasser war bereits seitlich nach rechts (SO) ausgebrochen (Abb. 2a). Die herausgebrochenen Betonteile waren bereits weggespült. Es wurden sofort Notmaßnahmen eingeleitet, u. a. die zusätzliche Befestigung des Wehrs am Notfall-Überlauf sowie die Durchführung von Testläufen am Kontroll-Überlauf zur Abschätzung der zerstörerischen Wirkung durch die Erosion (Abb. 2b).

In Befürchtung einer Zuspitzung der Lage – der Seespiegel war 30 Fuß über die Zielmarke von 850 Fuß gestiegen und weitere starke Zuflüsse wurden in den nächsten 48 Stunden erwartet – wurde am 9. Februar der Kontroll-Überlauf wieder dauerhaft geöffnet (Abb. 3), zunächst mit einem Volumen von 1120, dann 1820 und schließlich 1540 m3/s. Tatsächlich stieg der Seespiegel durch enorme Zuflüsse auf ein Niveau von über 901 Fuß (275 m; Nacht vom 11. zum 12. Februar). Dies führte zu einem Austritt (Überfall) des aufgestauten Seewassers am Wehr des Notfall-Überlaufs; erstmals in der Geschichte des Staudamms. Die Erosion am Notfall-Überlauf allerdings wirkte schneller und einschneidender als angenommen; es wurde noch am 12. Februar eine Pflicht-Evakuierung des Oroville-Gebietes (etwa 200.000 Einwohner) veranlasst. Gleichzeitig wurde die Ausflussrate auf 2800 m3/s gesteigert, und in der Nacht vom 12. auf den 13. Februar wurde damit schließlich der Überfall am Wehr des Notfall-Überlaufs gestoppt. Die Schäden dort waren gravierend (Abb. 4); rechtzeitig war eine wahrscheinliche Unterspülung und ein möglicher Bruch des Wehrs verhindert worden.

Abb. 7: Der Tag danach – Geologen beginnen ihre Untersuchungen; 28. 2. 2017. Die unebene, unregelmäßige Oberfläche des blaugrauen vulkanischen Gesteins zeugt von einer „absprengenden“, erosiven Wirkung. (Foto/Credit: Brian Baer/California Department of Water Resources)

Am 14. Februar wurde die Pflicht-Evakuierung aufgehoben. Aufgrund eines stetigen Falls des Seespiegels konnte auch der Abfluss am Kontroll-Überlauf stufenweise reduziert werden (16. und 18. Februar), für den Zeitraum 23. bis 27. Februar auf 1400 m3/s. Nach dem 24. Februar sank der Seespiegel unter die Zielmarke von 850 Fuß.

Am 27. Februar schließlich – nach 18 Tagen – wurde der Abfluss bis auf Weiteres für eine Bestandsaufnahme sowie Aufräum- und Reparaturarbeiten gestoppt (Abb. 7).


Anmerkung

1 1 1 Fuß = ca. 0,305 m.

2 Gesteine des Smartville-Komplexes. Nach der geologischen Karte des Department of Water Resources vom 2. 8. 2003, Plate G, Appendix A, Signatur „Js“: u. a. metamorphisierte Vulkanite; nach der geologischen Karte des Chico Quadringle, Map No. 7A, Sheet 1, Signatur „mv“: vulkanische Gesteine.

3 Siehe auch „Entstehung von Canyons“: DVD-Reihe defacto, Folge 2.

4 Nach einem Bericht des California Department of Water Resources: „Lake Oroville Spillway Incident: Timeline of Major Events February 4-25“; Zugriff 7. März 2017. (http://www.water.ca.gov/oroville-spillway/index.cfm)


Literatur

Baker VR (2013)
Global late quaternary fluvial paleohydrology: With special emphasis on paleofloods and megafloods. In: Shroder JF (ed.) Treatise on Geomorphology, Vol. 9, 511-527.
Ernst M (2010)
Bildung eines Canyons in nur 3 Tagen. Stud. Integr. J. 17, 88-92.
Kotulla M (2014)
Megafluten. Stud. Integr. J. 21, 4-11.


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