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Giraffenartige – Genom und Körperbau

von Harald Binder

Studium Integrale Journal
24. Jahrgang / Heft 1 - Mai 2017
Seite 40 - 42


Zusammenfassung: Das Erbgut von Giraffen und Okapi zeigt im Vergleich zu anderen Säugetieren auffällige Besonderheiten, die vor allem mit ihrer besonderen Statur, der Ausbildung des Skeletts, dem Herz-Kreislaufsystem, dem Stoffwechsel und dem Nervensystem in Zusammenhang stehen. Bei vielen der entsprechenden Gene handelt es sich um Regulationsgene, d. h. sie sind beim Werden und Aufrechterhalten des Organismus von großer Bedeutung. Auf molekularer Ebene spiegelt sich also die Besonderheit in der Ontogenese und der Lebensweise der Giraffenartigen wider. Einblicke in deren Phylogenese aber werden durch die bisherigen Befunde nicht erhellt.


Abb. 1: Giraffe (Giraffa camelopardalis), Melbourne Zoo, Australien. (GFDL 1.2)

Gegenwärtig kennen wir als Vertreter der Giraffenartigen (Giraffidae) neben den neun beschriebenen Giraffen-Unterarten nur noch das Okapi (Okapi johnstoni), das auch Waldgiraffe genannt wird (Abb. 2).

Einzigartiger Körperbau

Der einzigartige Körperbau der Giraffen mit den langen Beinen und dem charakteristischen langen Hals, der zu einer Körperhöhe von bis zu fast 6 Metern beiträgt, erfordert ganz besondere physiologische Leistungen. Das Herz-Kreislaufsystem muss im Körper einen bestimmten Blutdruck aufrechterhalten. Die Pumpleistung des Herzens muss sicherstellen, dass das Gehirn, das aufgrund des charakteristisch langen Halses ca. 2 m höher als das Herz gelagert ist, zuverlässig mit Blut versorgt wird. Die Blutgefäße in den Beinen müssen gewährleisten, dass das Blut auch bei dem enormen Blutdruck ordnungsgemäß transportiert und verteilt wird. Die Skelettmuskulatur muss den langen Hals mit dem Kopf auch bei schneller Fortbewegung in aufrechter Position stabilisieren. Wenn die Giraffe den Kopf zum Trinken auf den Boden beugt, darf der Blutdruck darin nicht zu hoch ansteigen. Das sind nur einige der auffälligsten Charakteristika, die gegeben sein müssen, damit die Giraffen mit ihrem besonderen Körperbau lebensfähig sind. Das Okapi, das Säugetier, das die größte Ähnlichkeit mit den Giraffen aufweist und heute der einzige weitere Vertreter der Giraffenartigen ist, zeigt im Vergleich zu den Giraffen einen unspektakulären Körperbau.

Abb. 2: Das Okapi (Okapia johnstoni) wird manchmal auch als Waldgiraffe bezeichnet. (Foto: © michael luckett, fotolia.com)

Gegenwärtig werden 9 Unterarten bei den Giraffen (Giraffa camelopardalis, Abb. 1) unterschieden, und zwar aufgrund ihrer Fellzeichnung. In einer populationsgenetischen Studie hatten Brown et al. (2007) mindestens sechs eindeutige Linien verschiedener Giraffen aufgezeigt und anhand ihrer Daten mindestens 11 genetisch unterscheidbare Populationen ausgewiesen.

Agara et al. (2016) haben das Genom zweier Masai-Giraffen (Giraffa camelopardalis tippelskirchi) und eines Okapis (Fötus von Okapi johnstoni) bestimmt und in vergleichenden Untersuchungen nach den genetischen Grundlagen der besonderen Körperleistungen der Giraffen gesucht. Zunächst stellten die Autoren die beiden Genome mit den 19 030 Genen des Rindes (Bos taurus) zusammen (Alignment1), um entsprechende (homologe) Gene in den neuen Sequenzen in Giraffen und Okapi zu identifizieren. So konnten 17 210 homologe Gene im Giraffengenom und 17 048 beim Okapi dokumentiert werden. Das ermittelte Erbgut der Giraffen enthält 2,9 Gb (Milliarden Basen); das des Okapi 3,3 Gb. Fast ein Fünftel (19,4 %) der Proteine in Giraffe und Okapi sind identisch und beide unterscheiden sich in fast gleicher Weise vom Rind (etwas mehr als 9 % der Proteine sind identisch).

Besonderheiten des Erbguts

Durch vergleichende Analysen mit Genen aus weiteren Organismen konnten 70 Gene bestimmt werden, die mit den physiologischen Besonderheiten der Giraffen im Zusammenhang stehen. Nahezu die Hälfte dieser Gene nimmt zentrale Positionen in der Hierarchie der Regulationsgene (z. B. Homeobox-Gene) ein. Somit lässt sich z. B. auf der genetischen Regulationsebene nachvollziehen, dass im Skelett des Giraffenhalses nicht mehr Wirbel, sondern wie bei anderen Säugern auch sieben Wirbel ausgebildet werden, allerdings sind sie hier sehr viel länger. Auffällige Änderungen in Regulationsgenen finden sich auch in solchen, die den Herz-Kreislauf-Bereich betreffen.

Auffällig ist folgender Befund: In der Regel sind die Gene, die bei Säugetieren die Entwicklung und Physiologie regulieren, hoch konserviert, d. h. es liegen im Vergleich verschiedener Arten nur sehr wenige Veränderungen vor. Agaba et al. (2016) fanden im Giraffengenom jedoch deutliche Abweichungen.

2/3 der Gene, bei denen im Vergleich mit anderen Säugetieren besondere Unterschiede festgestellt wurden, spielen eine bedeutende Rolle in der Regulation der Skelettausbildung, der Entwicklung des Herz-Kreislaufsystems, des Nervensystems oder der Physiologie.

Die Autoren dieser Studie interpretieren die Daten in einem evolutionären Zusammenhang und können dafür einige ähnliche genetische Änderungen bei Okapi und Giraffe im Vergleich zu anderen Säugern anführen. Allerdings sagt die Korrespondenz der genetischen Veränderungen mit den körperlichen Besonderheiten bei den Giraffidae nichts darüber aus, wie sie zustande gekommen sein könnten. Das Kamel, das für Säuger einen verhältnismäßig langen Hals besitzt (und daher im wissenschaftlichen Namen der Giraffen – Giraffa camelopardalis – verwendet wurde), zeigt in keinem der 70 bei den Giraffen auffälligen Gene eine entsprechende Besonderheit. Die Okapis dagegen teilen einige der genetischen Veränderungen (was eine evolutionäre Interpretation stützt). Die bei Giraffen und Okapi dokumentierten genetischen Unterschiede zu anderen Säugetieren sind vor dem Hintergrund der biologischen Besonderheit der Giraffen zwar verständlich, sie isolieren jedoch gleichzeitig die Giraffenartigen und das ist besser mit einem Grundtypkonzept verträglich.

Die bei Giraffen und Okapi dokumentierten genetischen Unterschiede zu anderen Säugetieren isolieren die Giraffenartigen; das ist mit einem Grundtypkonzept verträglich.

Agaba et al. äußern abschließend die Hoffnung, dass die spezifischen Veränderungen im Genom von Giraffen durch moderne gentechnische Methoden (gene editing) in Modellorganismen nachvollzogen und bestätigt werden könnten, um so vielleicht dazu beizutragen, dass Herz-Kreislauf-Probleme oder Bluthochdruck auch beim Menschen besser behandelt werden können.

Es steht allerdings zu befürchten, dass bei diesen Gedanken die Komplexität von Organismen bezüglich ihrer Genome stark vereinfacht wird und sich die Erfahrung bestätigt, dass Lebewesen jeweils für sich sehr passend und gut konstruiert zu sein scheinen; mit der Konsequenz, dass isolierte Besonderheiten nicht ohne weiteres auf andere Organismen übertragbar sind. Die 70 von Agaba et al. als besonders ausgewiesenen Gene der Giraffe zeigen, dass durch vergleichende Genomik aufgezeigt werden kann, dass der Genotyp gut zum Phänotyp passt und diesen verständlich machen kann. Die Behauptung, dass dies durch entsprechende Anpassung zustande gekommen sei, passt zwar zu gängigen evolutionären Erklärungsansätzen, ist aber in diesem Fall bisher keineswegs belegt.

Die Kenntnis der Nukleotidsequenz eines Genoms ist bei weitem nicht ausreichend, um Ontogenese und die Physiologie eines Organismus zu verstehen. Daher liefern genetische Vergleiche höchstens Hinweise auf hypothetische evolutionäre Prozesse.


Anmerkung

1 Die heute gängigen Sequenzierungstechniken liefern Fragmente des Genoms, die zu Vergleichszwecken anhand bekannter Genomsequenzen zusammengestellt und dann mit Methoden der Bioinformatik untersucht und interpretiert werden können.


Literatur

Agaba M, Ishengoma E, et al. (2016)
Giraffe genome sequence reveals clues to its unique morphology and physiology. Nat. Comm. doi: 10.1038/ncomms11519
Brown DM, Brenneman RA, et al. (2007)
Extensive population genetic structure in the giraffe. BMC Biol. 5, 57, doi: 10.1186/1741-7007-5-57


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