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Salzlagerstätten: War das Mittelmeer einst ausgetrocknet?

von Michael Kotulla

Studium Integrale Journal
24. Jahrgang / Heft 1 - Mai 2017
Seite 22 - 30
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Zusammenfassung: Im Untergrund des Mittelmeeres befinden sich gigantische Salzvorkommen. Sie bildeten sich einst – so stand 40 Jahre lang fest – durch Austrocknung des Mittelmeeres, in bis über 2000 Meter tiefen Becken und dort in flachem Wasser und an der Erdoberfläche. Diese „Tatsache“ ist ins Wanken geraten. Vielmehr deuten Indizien darauf hin, dass die Salzablagerungen in tieferem Wasser gebildet wurden. Mit dieser Erkenntnis sind aber die Bedingungen und Prozesse zur Entstehung der Salzvorkommen nach wie vor nicht gelöst. Die angenommene Sedimentationszeit mächtiger Steinsalz-Körper ist im Rahmen des konventionellen Langzeit-Altersmodells ausgenommen kurz – die unterstellte Sedimentationsrate aber dennoch klein und zu hinterfragen.




Wüste Mittelmeer
Abb. 1: Das Mittelmeer war eine Wüste. Das populäre Buch von Kenneth J. Hsü (1984) über „die einstmalige Austrocknung des Mittelmeeres“ – präsentiert als Tatsache.

Das Mittelmeer war eine Wüste. Mit diesem Buchtitel präsentierte Kenneth J. Hsü (1984, engl. Ausgabe 1983; Abb. 1) der breiten Öffentlichkeit die Entdeckung gigantischer Salzvorkommen im Untergrund des Mittelmeeres und ihre Entstehung durch Austrocknung. Die Entdeckung, so Hsü (1984, 7), „fand weit mehr Echo als andere, wichtigere, aber weniger erregende Taten der Wissenschaft.“ Das Mittelmeer – abgeschnürt, ausgetrocknet und geflutet, über einen „ungeheuren“ Wasserfall bei Gibraltar (S. 122). So liest sich verkürzt eine katastrophisch anmutende Episode des Mittelmeeres und seiner Becken. Sie hat Eingang gefunden in Lehrbücher, und sie hat als Gegenstand zahlreicher TV-Dokumentationen auch in Deutschland Bekanntheit erlangt.

Die systematische, wissenschaftliche Erforschung des Untergrundes des Mittelmeeres begann mit dem Einsatz des Bohrschiffes Glomar Challenger (Abb. 2). Bis heute sind durch vier Tiefsee-Bohrkampagnen Salzgesteine (Evaporite*) erbohrt worden (Abb. 3): DSDP*-Expeditionen 13 (1970) und 42A (1975) sowie ODP*-Expeditionen 107 (1990) und 161 (1999).

Das Vorkommen von Salzgesteinen im Untergrund war aufgrund domartiger Strukturen in See-seismischen Profilen bereits in den 1960er-Jahren vermutet worden (vgl. Abb. 6). Umfang und stratigraphische* Stellung aber waren vollkommen unklar. Ausschlaggebend für das präsentierte Erklärungsmodell zur Entstehung der Salzgesteine war im Wesentlichen die DSDP-Bohrkampagne 13 in 1970, bei welcher Hsü und William B. F. Ryan gemeinsam die wissenschaftliche Leitung innehatten. Ryan (2009) schätzt den mittelmeerischen Salzgiganten auf ein Volumen von > 1 Million km3.1

Zwingender Beweis

Die durch die Tiefbohrungen gewonnenen Evaporit-Proben wurden mineralogisch, petrographisch, sedimentologisch und geochemisch untersucht. Es war die Gesamtheit der mit den Evaporit-Proben verbundenen Untersuchungen, die den „zwingenden Beweis“ („conclusive evidence“) erbrachten, so Hsü (1972, 386), dass ihre Ablagerung in flachem Wasser oder an der Erdoberfläche (subaerisch) erfolgt war. Als maßgebliche Befunde werden u. a. genannt (diverse Publikationen; Aufstellung teilweise nach Hardie & Lowenstein 2004):

Abb. 2: Bohrschiff D/V Glomar Challenger. Das Bohrschiff stand von 1968-1983 im Dienst des Tiefsee-Expeditionsprogramms „Deep Sea Drilling Program“ (DSDP, deepseadrilling.org). „Glomar“ ist eine Verkürzung von „Global Marine“. Die wohl bekanntesten Expeditionen sind „Mittel­atlantischer Rücken“ (Theorie der Ozeanboden-Spreizung) sowie „Mittelmeer“ (Theorie der Austrocknung). Foto: Wikimedia Commons (gemeinfrei).

a) Anhydrit (CaSO4, Calciumsulfat*), knollenartig oder als sog. „Hühnerdraht“-Variante2 – Formen, die von Sebkhas (Salzmarschen) bekannt sind und diesen zugeschrieben werden, also Bildungen an der Erdoberfläche.3

b) Kubische Halit*-Kristalle (NaCl) – Formen, die von Salzpfannen bekannt sind und diesen zugeschrieben werden (subaerisch).4

c) „Stromatolithische“ Lamination – interpretiert als Algen-Stromatolith („Mattenstein“), ein unter der Beteiligung von Algen im Gezeitenbereich gebildetes organisches Sediment.5

d) Das „Stieraugen“-Muster der Verteilung der Evaporite im Balearen-Becken (Abb. 4) – eine für Salzpfannen charakteristische Verteilung (im Idealfall konzentrisch): Chloride im Zentrum, umgeben von einem inneren Ring aus Sulfaten und einem äußeren Ring aus Karbonaten.6

e) Ein vertikaler Riss (5 cm) in einer Siltstein-Lage – als Riss infolge Austrocknung an der Oberfläche (Trockenriss) interpretiert.7

f) Das Fehlen von Strömungsstrukturen und Turbiditen (Ablagerungen von Trübeströmen), Anzeichen für subaquatische Beckenablagerungen – als Bestätigung einer Austrocknung.8

g) Canyons im Schelf- und Hangbereich des mittelmeerischen Beckens (Nil, Golfe du Lion) – als Bildungen von Flüssen interpretiert (Tiefenerosion, subaerisch), nach einer Absenkung des Wasserspiegels von 1500 m und mehr (bis zur Austrocknung).9

Sherlock Holmes als Wegweiser

„Es ist eine alte Maxime von mir, dass immer dann, wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hat, das, was zurückbleibt, die Wahrheit sein muss“ (Arthur Conan Doyle: Die verlorene Adelskrone).

Das „Unmögliche“ und die „Wahrheit“ – kombinieren wie ein Meisterdetektiv?

Mit diesem Zitat von Sherlock Holmes endet der wissenschaftliche Expeditionsbericht von Hsü et al. (1973b) über die Entstehung der Mittelmeer-Evaporite: In diesem Bericht hatten sie „einen Fall für eine Ablagerung in einem tiefen Becken“, „einen Fall gegen eine Ablagerung in tiefen Wasser“ und „einen Fall für Salina- oder Playa-Ablagerungen“ (terrestrische flache Salzseen oder -pfannen) konstruiert: Das Ergebnis war das „Modell eines ausgetrockneten tiefen Beckens“.10

Mit anderen Worten (Hsü 1984, 186): Unter Vorgabe von zwei entscheidenden Faktoren – Tiefe des Beckens und Tiefe des Wassers – sind unter Verwendung der Adjektive „tief“ und „flach“ drei mögliche (Bildungs-) Alternativen vorgegeben: 1) tiefes Becken, tiefes Wasser; 2) flaches Becken, flaches Wasser und 3) tiefes Becken, flaches Wasser.11 Unter Anwendung des Grundsatzes von Sherlock Holmes hatten Hsü et al. (1973b) die Alternativen (1) und (2) als „unmöglich“ ausgeschlossen – der geologischen Daten wegen (!) –, also verblieb „als Wahrheit“ Alternative (3), Austrocknung eingeschlossen.12 Die Alternative, z. B. am Flachbecken-Modell festzuhalten, hätte bedeutet, eine beckenweite Absenkung von etwa 2000 m in weniger als 10 000 Jahren zu postulieren – für Hsü et al. (1973b, 1208) „unmöglich“.

Hinweis zu den Anmerkungen: Die Anmerkungen enthalten Belegzitate und weitere Informationen; sie können als Zusatzmaterial zum Artikel unter www.si-journal.de/jg24/heft1/mittelmeer.pdf heruntergeladen werden.

Mittelmeer – mehrfach ausgetrocknet und geflutet

Nach Hsü et al. (1973a) trocknete das Mittelmeer nicht nur einmal aus. Vielmehr postulieren sie „acht oder zehn marine Einbrüche“13, die jeweils ein Mehrfaches von dem Wasservolumen des Mittelmeeres lieferten. Das mehrfache Nachfüllen war zwingend notwendig, um nach ihrem Austrocknungs- bzw. Evaporationsmodell die ausgewiesene Halit-Mächtigkeit aufzubauen, wie ihre Rechnung – auf Basis heutiger Größen – zeigt:

Das Mittelmeer ohne Schwarzes Meer hat ein Wasservolumen von 3,7 x 106 km3; bei einem jährlichen Netto-Wasserverlust von 3,3 x 103 km3 (Verdunstung zzgl. Niederschlag und Fluss-Eintrag) wäre das Mittelmeer – wenn die Straße von Gibraltar heute geschlossen werden würde – in etwa 1000 Jahren ausgetrocknet. Bei einer angenommenen mittleren Tiefe von 1500 m würde ein etwa 20 m mächtiger Halit-Körper entstehen14; ist nur ein Drittel der Fläche betroffen (Tiefseebecken), beträgt die Mächtigkeit 60 m. Die ausgewiesenen Halit-Körper aber sind teilweise zwischen 2 und 3 km mächtig, demzufolge bedarf es mindestens eines 30-fachen Wasservolumens des Mittelmeeres (entspricht einer Wassersäule von 45 km).

Die Flutung des Mittelmeeres erfolgte durch Eintritt (Überlauf) atlantischer Wasser über ein „Tor“ bei Gibraltar (heute: Straße von Gibraltar). Für das jeweilige Nachfüllen, auch für die finale Flut („the Final Deluge“), nehmen Hsü et al. (1973b, 1219) eine Dauer von möglicherweise weniger als 1000 Jahren an.15

Den mehrfachen Wechsel von Austrocknung und Flutung schreiben sie – bedingt durch den Schwellencharakter des Tores – globalen Meeresspiegelschwankungen zu16; die finale Flut sei möglicherweise durch Krustenbewegungen verursacht gewesen (Hsü et al. 1973a, 243).

Das „ausgetrocknete Mittelmeer“, die „Wüste Mittelmeer“, ist wohl Fiktion. – Zur Erklärung der Entstehung der bis zu 1 Kilometer und mehr mächtigen, obermiozänen Salzgesteine im Untergrund des Mittelmeeres hatten Hsü et al. (1973a/b) ein „Austrocknungsmodell“ vorgeschlagen. Neuere Überprüfungen des ursprünglichen Probenmaterials, das durch Tiefsee-Bohrkampagnen gewonnen worden war, können ein einstmals ausgetrocknetes Mittelmeer nicht bestätigen. Die Idee der „Austrocknung des Mittelmeeres“ war zu einem Paradigma geworden, das über Jahrzehnte gepflegt wurde. Der Öffentlichkeit wurde das Erklärungsmodell als Tatsache präsentiert.

Wie die Mittelmeer-Salzgesteine entstanden sind, ist nach wie vor unklar. Die Frage nach der Herkunft der hochkonzentrierten Salzsolen wird nicht gestellt, a priori gilt Verdunstung (Wasserentzug) als der primäre (Konzentrations-) Prozess. Salzsolen können aber auch von extern zugeführt werden (z. B. aus dem Untergrund; Modell Rotes Meer). Dieser Prozess ist – was Salzlagerstätten insgesamt anbelangt – bisher kaum verfolgt und wenig erforscht worden.

In einem Szenario der „externen Zufuhr“ und unter der Annahme einer hohen primären Produktionsrate (z. B. für Halit) wird auch die Sedimentationsrate entsprechend hoch und die Bildungszeit entsprechend niedrig ausfallen. Demzufolge ist die der Entstehung der Halit-führenden Sedimentfolge zugeschriebene Minimum-Dauer von weniger als 10 000 Jahren kein (realer) Schwellenwert. Unter Zugrundelegung einer höheren Sedimentationsrate reduziert sich dieser Wert ggf. um Größenordnungen.

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Abb. 3: Bathymetrische und Relief-Karte des Mittelmeeres mit Tiefsee-Bohrlokalitäten der DSDP- und ODP-Expeditionen. Rote Kreise markieren Bohrlokalitäten, an welchen Evaporite gewonnen wurden. Die größeren Tiefseebecken (dunkleren Bereiche) sind: I: Balearen-Becken, II: Tyrrhenisches Becken, III: Ionisches Becken, IV: Levante-Becken (Beckengliederung nach Hsü 1984). Bild: http://ngdc.noaa.gov; Einfügungen durch den Verfasser.
Überprüfung und Neubewertung der Daten

Eine Überprüfung des gewonnenen Kernmaterials (Expedition 13 und 42A) – der Daten – erfolgte zunächst durch Hardie & Lowenstein (2004). Sie schließen, dass die von Hsü (1972, 386) präsentierten „beweiskräftigen Indizien“ für eine Ablagerung in Flachwasser oder unter Oberflächenbedingungen (subaerisch) fragwürdig sind. Einige der Erscheinungen deuteten vielmehr auf tieferes Wasser hin, andere wiederum seien schlicht nicht einzuordnen (mit Bezug zu den Positionen a-e oben):

Knollen- und „Hühnerdraht“-Anhydrit (a) können auch unter anderen Bedingungen gebildet werden und seien auf keinen Fall eindeutige Indikatoren für eine Sebkha-Entstehung. Die Halit-Aggregate (b) zeigen Charakteristika subaquatischer Anhäufungen (Kumulate*), des mechanischen Absetzens von Präzipitaten. Die Halit-Proben seien nicht in ausgetrockneten Salzpfannen oder flachen Soleseebecken abgelagert worden, sondern akkumulierten in einem beständigen Solekörper, der in einer Wassersäule Zehner, Hunderte oder Tausende Meter tief gelegen haben kann. In „stromatolithischen“ Laminen (c) konnten Überreste von Cyanobakterien nicht gefunden werden; eine Zersetzung bzw. Auflösung seit Bergung der Kerne sei aber nicht auszuschließen.

Abb. 4: Balearen-Becken. Bohr-Lokalitäten und Interpretation der Verbreitung der Evaporite (hier inklusive Karbonate); nach dem Evaporit-Ausfällungsmodell (vom Beckenrand zur Beckenmitte, schüsselförmig): Karbonat-Anhydrit-Steinsalz (nebeneinander und übereinander). Nach Hsü (1984), seine Abb. 37 (S. 163), Grafik: Frank Meyer.

Die Autoren diskutieren auch die Möglichkeit der Resedimentation, also die Bildung der Laminen durch umgelagertes Material. Die Verteilung der Evaporite nach dem „Stieraugen“-Muster (d) ist nicht auf „Flachwasser-Verdunstungspfannen“ beschränkt, sondern kann auch in einem tiefen Solenkörper entstehen, der von flachen Schelfbereichen umgeben ist. Der Riss (e) zerreißt siltigen Sandstein und Halit, nicht Tonstein. Er zeigt nicht die charakteristische Vertikalstruktur subaerischer Schrumpfrisse. Von weiteren „Trockenrissen“, insbesondere in Tonsteinen, sei nicht berichtet worden. Das Einzel-Vorkommen sei kein eindeutiges Indiz für einen an der Erdoberfläche entstandenen Trockenriss.

Eine nochmalige, vollumfängliche Überprüfung des Kernmaterials, das in Bremen17 eingelagert ist, vollzogen Lugli et al. (2015) auf Basis moderner sedimentologischer und petrographischer Analyse. Sie ordnen die Proben der vier Expeditionen mehrheitlich den Einheiten 3 und 2 zu; nur die Proben der Tiefbohr-Lokalität 378a (nördlich Kreta, Abb. 3) weisen sie Einheit 1 zu (siehe Kasten, Tab. 1). Sie folgern, dass die obersten Einheiten hauptsächlich aus klastischen* und voll-subaquatischen Ablagerungen bestehen. Es seien keine eindeutigen Indizien für Flachwasser- oder gar Sebkha-Ablagerungen erkennbar. Dies deute darauf hin, dass es in der letzten Phase der „Salinitätskrise des Mittelmeeres“ (s. Kasten) nicht zu einer Austrocknung gekommen sei, sondern dass die Ablagerung unter permanenter Wasserbedeckung stattfand. Hier einige ausgewählte Einzelergebnisse (z. T. mit Bezug zu den Positionen a-e oben):

Die einzigen Proben primären (unveränderten) Halits (b) werden als subaquatische Ablagerung in einem relativ tiefen Wasser interpretiert (Abb. 5E-G; Kern 134, Abb. 4); im Wechsel mit Silt/Sand-Lagen, deren Entstehung auf Gravitationsströme (s. u.) zurückgeführt wird. Der „Trockenriss“ (e), der sich in die Halit-Lagen fortsetzt, wird als später, postsedimentärer Bruch gedeutet; es lägen keine Anzeichen für eine subaerische Exposition, also Austrocknung vor (Abb. 5B-D).

Keine „Wüste Mittelmeer“: Daten neu evaluiert – Indizien für Austrocknung fehlen.

Ein Großteil der Gipsproben wird als „laminarer Gips“ beschrieben; dieser Gips-Typ, mit und ohne Knollen, war zuvor als Sebkha-Ablagerung betrachtet worden18. Im Wesentlichen handelt es sich um einen Wechsel von primären Gips-Kumulaten mit klastischen Lagen, die in dieser Assoziation hier als subaquatische Ablagerungen in einem relativ tiefen Wasser interpretiert werden; die Knollen seien Neubildungen (diagenetisch).

Roveri et al. (2014b, 774) stellen fest, dass das Vorkommen resedimentierter Evaporite (klastische Lagen, s. o.) in den DSDP/ODP-Bohrkernen dem von Hsü et al. (1973a) reklamierten Fehlen von Strömungsstrukturen und Turbiditen widerspreche19 (Pos. f oben).20

Zu den obermiozänen Canyons zeigen Roveri et al. (2014b) auf (Pos. g oben), dass eine große Ähnlichkeit zwischen subaerischen und submarinen Drainage-Mustern und Kanälen bestehe und auch unter heutigen Bedingungen signifikante submarine Erosion und Sedimenttransport in submarinen Canyons geschehe – also eine subaerische Exposition nicht notwendigerweise gegeben sein müsse.

Calciumsulfat: Häufige Formen sind Anhydrit (CaSO4) und Gips (Ca[SO4]·2H2O). DSDP: Deep Sea Drilling Project (1968-1983); erstes internationales, wissenschaftliches Tiefsee-Bohrprojekt (mit 96 Expeditionen). Evaporite: Salzgesteine; hier Chlorid­gesteine, hauptsächlich aus den Mineralen Halit und Sylvin (KCl) aufgebaut, und Sulfatgesteine, hauptsächlich aus Calciumsulfat-Mineralen aufgebaut. Halit: Steinsalz (NaCl); bezeichnet sowohl das Mineral als auch das vorwiegend aus Halit-Mineralen bestehende Gestein. Halit-Kumulit: Übersetzung des engl. Begriffs „halite cumulite“; meint hier das durch Anhäufung (Akkumulation) von Halit-Kristallen bzw. -Aggregaten (Kumulaten) und Verfestigung entstandene Gestein. klastisch: Aus den Trümmern anderer Gesteine bestehend. Kumulate: Hier Anhäufungen (kontinuierlicher „Regen“) von ausgeschiedenen Halit- oder Gips-Kristallen bzw. Aggregaten. ODP: Ocean Drilling Program (1985-2003); DSDP-Nachfolgeprogramm (110 Expeditionen). Salzgesteine (Salz-): siehe Evaporite. stratigraphisch: Hier die relative Alters­folge der Schichtgesteine betreffend.

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Bildungszeiten und Zeitskalen
Abb. 5: Halit-Sedimentologie und -Petrographie, Tiefbohr-Lokalität 134 (s. Abb. 3). a Kernabschnitt 10, neu fotographiert 1984. b Riss in einer klastischen Lage; von Hsü et al. (1973b, 1973a) als Trockenriss interpretiert. d Neuer Anschnitt der Oberfläche des Gegenstückes; der Riss setzt sich über und unter der klastischen Lage in Halit fort – und wird als nach der Sedimentation entstandener, mit klarem Halit verfüllter Bruch angesehen. e Kernausschnitt mit gradiertem sandigen Siltstein (oben) und Halit-Kumulit* (unten). Die klastische Lage besteht aus Körnern von korrodierten Halit-Würfeln, planktonischen Foraminiferen, Quarz, Feldspat und Glaukonit. f Dünnschliff des markierten Bereiches; Gradierung (oben) und feinkörnige, würfelige Halit-Kristalle (unten). g Unter polarisiertem Licht; zusätzlich sind kleine Anhydrit-Knollen (post-sedimentär, diagenetisch) sowie Polyhalit-Nadeln37 erkennbar. Diskussion siehe Textteil. Nachdruck von Fig. 4 aus Lugli et al. (2015) mit Erlaubnis von Elsevier. Übersetzung durch den Verfasser; Abbildungsbeschreibung verändert/gekürzt.

Hsü et al. (1973a; b)21 betten die Evaporit-führenden Ablagerungen ein in den (damals) für das Messinium vorgegebenen Zeitrahmen von 1,5 Millionen [radiometrischen]22 Jahren; Grundlage ist das konventionelle, radiometrisch begründete Langzeit-Altersmodell (vgl. Kotulla 2016). Eine summarische (reine) Bildungs- bzw. Sedimentationsdauer für die Mittelmeer-Evaporite nennen sie nicht. Ihrer Modellvorstellung zufolge (~10 Zyklen Austrocknung/Auffüllung; je 1000 Jahre) kann eine Größe von etwa 20 000 [Modell-] Jahren abgeleitet werden.

Der aktuellen chronostratigraphischen Tabelle, deren neogene Serien und weitere stratigraphische Einheiten geochronologisch mit der zyklostratigraphischen Methode feinkalibriert sind, kann für das Messinium eine Dauer von rund 2 und für das „obere Messinium“ („Evaporit-Fazies“) eine Dauer von rund 0,7 Millionen [radiometrische] Jahre entnommen werden (Tab. 1, Kasten). Für die mächtige „Halit-Einheit“ wird ein Zeit-Fenster von rund 50 000 [radiometrischen] Jahren – implizit mit Kalenderjahren gleichgesetzt – bereitgestellt.

Die Halit-führenden Sedimentkörper auf Sizilien erreichen Mächtigkeiten von bis zu 1000 m (CIESM 2008). Im Halit-Körper von Realmonte (Südsizilien) haben Manzi et al. (2012) in einem Abschnitt mit einer zyklischen Folge 120 Zyklen vermessen (ø Dicke 15 cm). Unter der Annahme, dass es sich um Jahresschichtung (Warvierung) handelt und eine Extrapolation auf den gesamten Halit-führenden Körper von 400 m zulässig ist, ermitteln sie überschlägig rund 2500 Zyklen (-Einheiten) – entsprechend rund 2500 [Warven-] Jahre.

Die Sedimentationsrate von 15 cm/[Warven-] Jahr sei vergleichbar mit Raten, die Schreiber & Hsü (1980, 93) für moderne Salinas (s. o.) errechnet hatten – 10 cm/Jahr (im Original: 10-100 m/1000 Jahre). Bereits in CIESM (2008, 20) ist aufgrund dieser mutmaßlichen Rate gefolgert worden, dass daraus eine Minimum-Dauer von weniger als 10 000 Jahren für die gesamte „Halit-Einheit“ geschätzt werden könnte – ein unter diesen Bedingungen sich „sehr schnell akkumulierendes Salz“.23 Diese Minimum-Dauer basiert allerdings auf der Annahme einer jahreszeitlichen Steuerung, die von den Autoren nicht verifiziert werden kann.24

Evaporite und Präzipitation

Evaporite (Salzgesteine) entstehen per definitionem durch solare Verdunstung (Evaporation) bzw. Eindunstung (saliner) wässriger Lösungen (mitunter großer Salzwasserkörper); die konzentrierten Salzsolen bilden sich an oder nahe der Erdoberfläche. Der solargesteuerte Konzentrationsprozess beruht auf Wasserentzug; dabei werden bei Erreichen bestimmter physikochemischer Bedingungen (Saturationsgrad etc.) Salzminerale (hier Chloride und Sulfate) abgeschieden25 bzw. ausgefällt (Präzipitation) (vgl. Warren 2016).

Diese Definition ist einschränkend; sie kann sogar irreleitend sein. Denn einer Präzipitation von Salzmineralen muss nicht notwendigerweise eine Verdunstung vorausgegangen sein. In diesem Sinne wäre die Verwendung eines beschreibenden Begriffs wie „Präzipitit“ (precipitite)26 anstelle Evaporit angezeigt.

Es gibt zwar zahlreiche Laboratoriumsbefunde und Naturbeobachtungen kleinskaliger Evaporit-Vorkommen, nirgendwo auf der Erde aber sind heute die Voraussetzungen bzw. Bedingungen für die Bildung großskaliger Evaporit-Vorkommen wie das des Mittelmeeres erfüllt. Dass bei der Entstehung der Mittelmeer-Evaporite ein simpler Evaporations-Mechanismus gewirkt haben soll, ist mit Blick auf die bekannten Halit-führenden Sedimentfolgen (z. B. Realmonte, Abb. 8)27 und Halit-Kernproben unwahrscheinlich.

Für eine großskalige Halit-Produktion und -Sedimentation ist vielmehr anzunehmen, dass die (hochkonzentrierten) Salzwasser nicht primär aus Meerwasser (Mutter-Salzsole) gebildet wurden, sondern von anderen Quellen herrührten. Rahmenbedingung und Prozess wären demnach grundsätzlich andere: nicht Entzug von Wasser (Evaporation), sondern Zufuhr von teilweise hochkonzentriertem Salzwasser (Salzsolen). Und auch die Grundfrage wäre eine andere: Woher kommen die Salzsolen?

Eine Zufuhr von Solen könnte aus dem Untergrund erfolgt sein: Einerseits in Verbindung mit intensiver, magmatisch intrusiver oder submarin vulkanischer Aktivität, z. B. hydrothermale Wasser oder zirkulierende Wasser in Verbindung mit Gangsystemen; andererseits in Verbindung mit Störungssystemen. Der Mittelmeerraum war geodynamisch hochaktiv, sowohl tektonisch als auch magmatisch. Als weitere Quelle kommt z. B. frisches Meerwasser infrage. Für die kambrischen Ara-Evaporite im Südoman nehmen Mattes & Conway Morris (1990, 630) an, dass meteorische (Niederschlags-), hydrothermale und vulkanogene Wasser signifikant zu einer Salzsole beigetragen haben können; zumal das Ablagerungsbecken durch Störungssysteme begrenzt war. Hovland et al. (2006) schlagen vor, dass sich signifikante Halit-Anreicherungen unter hydrothermalen Bedingungen haben bilden können (Beispiel Rotes Meer).

Ein weiterer Aspekt ist das Verhalten von Evaporit-Mineralen oder -Aggregaten. Sie können ebenso transportiert, umgelagert und akkumuliert (sedimentiert) werden wie andere Bestandteile, die Ton- und Kalksteine, aber auch Silt- und Sandsteine aufbauen. Der Transport kann über Trübe- (Dichte-) und Masseströme (werden teilweise unter Gravitationsströme zusammengefasst) oder in Suspension erfolgen. Auch unter den Mittelmeer-Kernproben finden sich Evaporit-Ablagerungen mit Sedimentationsstrukturen (Lugli et al. 2015) wie Gradierung (normal, revers), Kreuzschichtung und Rippelmarken28; sie werden als klastische Evaporite bezeichnet. Sie zeugen von kurzen Sedimentationsereignissen, wahrscheinlich Minuten- oder Stunden-Ereignissen.

Denkbar ist, dass nicht nur diese klastisch-evaporitischen Ablagerungen rasch erfolgten, sondern auch die (primären) Salzablagerungen (Abb. 5), die am Meeresboden abgesetzten Präzipitate aus den hoch-konzentrierten Salzsolen. Vielleicht lag in hochproduktiven Phasen die durchschnittliche Sedimentationsrate in der Größenordnung von Zentimetern pro Stunde – vergleichbar mit Schneeakkumulationen extrem starker und anhaltender Schneefallereignisse; das ist allerdings spekulativ.29 Insofern könnte die reine Bildungs- bzw. Sedimentationsdauer der „Halit-Einheit“ – verglichen mit den o. g. Schätzwerten von einigen Tausend oder Zehntausend Jahren – auch deutlich niedriger ausfallen.

Tab. 1: Chronostratigraphie der oberen Messinium-Stufe, Obermiozän. Vereinfacht nach Roveri et al. (2014a) und CIESM (2008). Schematische Land-basierte Mittelmeer-Modellgliederung der „Evaporit-Fazies“ (B) und Versuch einer Korrelation mit seismischen Einheiten des Untergrundes der Mittelmeerbecken.38

Mra: Millionen radiometrische Jahre, jeweils Basis der Einheiten. Zur Seismik s. Abb. 6 (unten). Der untere Teil der Messinium-Stufe (A) wird hier nicht weiter differenziert. Zur Chronostratigraphie siehe Kotulla (2016). Die Fein-Segmentierung des radiometrischen Altersrahmens erfolgt konventionell mit der zyklostratigraphischen Methode (siehe Kotulla 2015).

Die Evaporit-führenden Sedimentfolgen der Mittelmeer-Region werden in die Messinium-Stufe (Obermiozän) gestellt; sie charakterisieren in der klassischen Typ-Region Sizilien den oberen Teil der Stufe, die „Evaporit-Fazies“. Es gibt an keinem Land-basierten Ort ein durchgängiges Profil der Sedimentfolge. Eine weitreichende Korrelation der Oberflächenaufschlüsse ist unsicher; die Vorkommen in Algerien, Spanien, Italien, Griechenland und Zypern sind physisch voneinander getrennt.

Die schematische Land-basierte Modellgliederung besteht aus drei Einheiten (Tab. 1). Die Land-basierte „Rand“- und „Becken-Fazies“ kann aufgrund der wenigen Daten nicht verlässlich mit der „Becken-Fazies“ des mittelmeerischen Untergrundes korreliert werden. Es wird vermutet, dass der Halit-führende Körper der Einheit 2 mit MU, der mobilen Einheit, korreliert; hinsichtlich einer Korrelation der darunter- und darüberliegenden geschichteten Gesteinskörper bestehen unterschiedliche Vorstellungen (Einheit 3, Top der Einheit 2 – UU?, Einheit 1, Basis der Einheit 2 – LU?) (s. Abb. 6). Im östlichen Teil des Mittelmeeres ist im Untergrund nur die Einheit MU ausgebildet; sie vertritt möglicherweise zusätzlich die Einheiten UU und LU. In Sizilien werden die Evaporit-führenden Sedimentfolgen von der Tripoli-Formation (Messinium-Stufe) unter- und von der Trubi-Formation (Pliozän) überlagert.

Weit mehr verbreitet als der rein deskriptive Begriff „Evaporit-Fazies“ (Tab. 1) ist der Begriff „Messinische Salinitätskrise“ (Messinian salinity crisis, MSC). Salinitätskrise bezieht sich auf eine „abnorme Zunahme des Meeressalzgehaltes, sodass das Leben der im Meer heimischen Organismen bedroht ist“ (Hsü 1984, 196), wird demnach definiert als ökologische Krise (Roveri et al. 2014, 52).

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Die Megaflut
Abb. 6: Seismisches Profil (MS-39) des Untergrundes des Mittelmeeres etwa 200-250 km W Sardinien (siehe Linie der kleinen Karte rechts unten). Aus: Dal Cin et al. (2016), ihre Fig. 3; freundliche Freistellung (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0); Anpassungen (Übersetzungen) durch den Verfasser.

Die dreiteilige Grafik ist systematisch aufgebaut: Laufzeiten-Profil (a), Tiefen-Profil (b) und stratigraphische/geologische Interpretation (c). Die Mobiltät der Einheit MU (mobile unit) zeigt sich z. B. an Aufwölbungen (Domen)39, bei denen sogar der Untergrund (LU) emporgezogen wurde (pull-up) – besser in (a) als in (b) zu sehen – oder durch ihr Fehlen („Naht“ UU/LU). Die reflektionsarme, „transparente“ Einheit MU wird als Salzkörper interpretiert; die Mächtigkeit im Untergrund des Balearen-Beckens wird auf 900-950 m beziffert. Die starke Reflektion in etwa 8 km Tiefe (schwarze Pfeile) wird als Oberfläche (Zb) eines basaltischen Untergrundes (ZB) gedeutet. (b) und (c) sind zweifach überhöht.

Nach Hsü et al. (1973b) endet die Evaporit-Sedimentation in den Becken des Mittelmeeres gleichzeitig mit der finalen Öffnung der Straße von Gibraltar und einer finalen, moderaten Flut (s. o.).

Neuere Untersuchungen des Untergrundes der Straße von Gibraltar veranlassen Garcia-Castellanos et al. (2009), für den „finalen“ Eintritt atlantischer Wasser in das mutmaßlich leere (ausgetrocknete) Mittelmeer einen katastrophischen Einbruch anzunehmen (Abb. 7). Durch die Auswertung (Interpretation) von seismischen Profilen und Ergebnissen von Tiefbohrungen hatten sie einen 200 km langen Kanal mit über 250 m tiefen Einschnitten am Boden beidseits der Straße von Gibraltar und weiter westlich ins Mittelmeer hinein rekonstruieren können.30 Die Seebodenmorphologie weist auf ein extremes Erosionsereignis hin sowie auf die Ausbildung einer Art Rampe.

Die aufgrund dieser Gegebenheiten durchgeführten Modellrechnungen ergeben maximale Wasseraustritte, die um eine Größenordnung höher sind (Abflussrate: 108 m3/s) als bei der Lake-Missoula-Flut31; die maximale Strömungsgeschwindigkeit wird mit etwa 140 km/h angegeben und die „Eintiefungsrate“ (Tiefenerosion) mit über 0,4 m pro Tag. „(…) unsere Resultate lassen darauf schließen, dass 90 % des Wassers in einer kurzen Periode zwischen einigen Monaten und zwei Jahren transferiert wurde. Diese extreme, schlagartige Flut mag Spitzenwerte des Seespiegelanstieges des Mittelmeeres um mehr als zehn Meter pro Tag bedingt haben“ (S. 778).

Diese wahrscheinliche Megaflut bedarf nicht einer Seespiegel-Differenz (Atlantik zu Mittelmeer) von über 2000 m und mehr bzw. eines ausgetrockneten Mittelmeeres. Eine Differenz von wenigen 100 m mag eine ebenso hohe Abflussrate erzeugt und ebenso erosiv gewirkt haben. Eine Absenkung des Meeresspiegels im Mittelmeer kann auch von Krustenbewegungen verursacht gewesen sein und muss nicht notwendigerweise einem Wasserentzug durch Verdunstung zugeschrieben werden (s. u.). Die neue Verbindung Atlantik-Mittelmeer über die Straße von Gibraltar ist primär Krustenbewegungen zuzuschreiben.

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Vorläufiges Fazit und Ausblick
Abb. 7: Einbruch des Atlantiks in das Mittelmeerbecken, künstlerische Darstellung. Nach Vorstellungen von Garcia-Castellanos (2009); siehe Textteil. Grafik: Roger Pibernat, Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0).

Das „Modell eines ausgetrockneten tiefen Beckens“ zur Entstehung der Mittelmeer-Evaporite war – trotz anfänglicher Widerstände32 –, wie von Hsü (1972) erhofft33, zu einem Paradigma geworden34, zu einem Referenz-Standard für die Entstehung gigantischer Salzvorkommen. Dabei ist das Modell später in Teilen noch modifiziert worden (vgl. Ryan 2009). Der Öffentlichkeit wurde die Austrocknung des Mittelmeeres als Tatsache präsentiert (Hsü 1984): „Das Mittelmeer war eine Wüste.“ Oder konkret: „Doch die Tatsache, dass das Mittelmeer einmal ausgetrocknet war (…)“ (S. 184).

Schwerwiegende Einwände sind zuerst von Hardie & Lowenstein (2004) vorgebracht worden; danach sind vermehrt differenzierende Arbeiten publiziert worden, kürzlich z. B. von Roveri et al. (2014b). Schließlich haben Lugli et al. (2015) das verfügbare Kernmaterial, das insgesamt mengenmäßig gering und fragmentarisch ist, vollumfänglich überprüft und neu bewertet: Demnach gibt es keine Indizien für ein ausgetrocknetes Mittelmeer.35

Damit ist die Entstehung der Mittelmeer-Evaporite, insbesondere der Halite, keinesfalls abschließend geklärt. Die Frage nach der Herkunft der hochkonzentrierten Salzsolen wird nicht gestellt, a priori gilt Verdunstung (Wasserentzug) als der primäre (Konzentrations-) Prozess. Mächtige, durch Sedimentation akkumulierte Halit-Körper lassen sich durch diesen eingeschränkten Prozess mit geringer Magnitude (im Ergebnis geringe Halit-Produktion) jedoch nicht erklären. Mit der Alternative „externe Zufuhr“ sind höhere Magnituden (im Ergebnis sehr hohe Halit-Produktion) denk- und erzielbar. Implizit ist damit eine geringere (reine) Bildungs- bzw. Sedimentationsdauer verbunden. Diese Alternative aber ist bisher nicht in Betracht gezogen worden.

Hardie & Lowenstein (2004, 460) stellen infrage, ob das Mittelmeer-Becken während des Miozäns in Realität ein tiefes Becken war.36 Die heutige Verteilung der Evaporite im Mittelmeer-Raum (unter Einbeziehung der Land-basierten Vorkommen) umfasst eine vertikale Reichweite von fast 5 km. Diese vertikalen tektonischen Bewegungen werden von einigen Bearbeitern in das Plio-Pleistozän gestellt, d. h. es besteht durchaus die Möglichkeit, dass durch nach-miozäne tektonische Bewegungen der Boden des Mittelmeeres um bis zu 2,5 km abgesenkt wurde – unter diesen Voraussetzungen also ein eher flaches als tiefes Becken war. Auch müsse in Betracht gezogen werden, dass das (Alt-) Mittelmeer möglicherweise aus einem Komplex kleinerer struktureller Becken bestand, die jeweils ihre eigene unterschiedliche tektonische und hydrologische Entwicklung vollzogen. Des Weiteren ist nicht sicher, ob die seismischen Interpretationen korrekt sind. Erst mit Kernmaterial der gesamten Evaporit-Folge des mittelmeerischen Untergrundes könnte die Sedimentationsgeschichte enträtselt werden.

Neue Tiefbohr-Kampagne vorgeschlagen

Abb. 8: Wechsel von hauptsächlich Kali- und Steinsalz, Salzbergwerk Realmonte, Sizilien. Foto: Italkali S. P. A. (freundl. Zurverfügungstellung). Höhe bis zur Decke etwa 5 m. In Realmonte ist die Halit-führende Folge (bezogen auf Bohrung PE EMS 39) etwa 400 m mächtig (290-680 m Tiefe unter dem Meeresspeigel), im mittleren Teil treten Kalisalze auf (Manzi et al. 2012).

In Roveri et al. (2014a, 48ff) werden, wohl stellvertretend für einen Großteil der Gemeinschaft, die die Mittelmeer-Evaporite und die „Salinitätskrise“ erforscht, die fundamentalen offenen Fragen (bzw. aktuellen Mängel) aufgeführt:

i) Mangel an stratigraphischer Kontrolle – insbesondere die verlässliche Korrelation der Landbasierten und untermeerischen Sedimentfolgen;

ii) Mangel an Informationen zur verlässlichen Abschätzung der einstmaligen Meeresspiegelstände und Wassertiefen;

iii) Mangel des Verständnisses des Ablagerungsmilieus – mit Bezug auf zahlreiche Detailaspekte (Anmerkung: grundsätzlich ist die Entstehung der Salzgesteine nicht geklärt);

iv) Unkenntnis über einen möglichen Einfluss auf das globale Klima.

Zur möglichen Klärung dieser Komplexe ist von einem Teil der Gemeinschaft die Durchführung einer erneuten Tiefsee-Bohrkampagne – im Rahmen von IODP – vorgeschlagen worden. Mit der Vorschlagsnummer 857 und unter dem Kurztitel „DREAM: Mittelmeer-Salzgigant“ befindet sich das gewünschte Vorhaben seit Oktober 2014 im Bearbeitungsstatus „in Klärung“ (http://www.iodp.org/proposals/active-proposals; ergänzt durch 857B). IODP (International Ocean Discovery Program) verfügt mit den Forschungsbohrschiffen Chikyu und JOIDES Resolution über die Ressourcen, die Evaporite in Wassertiefen von über 2000 m nicht nur anzubohren, sondern vollkommen zu durchteufen und durchgängig Kerne zu gewinnen.

Nachwort

Hsü (1984, 185) endet seinen Epilog in dem Buch Das Mittelmeer war eine Wüste mit einer Voraussage: „Neue Schülergenerationen werden mit der Schulweisheit aufwachsen, die Austrocknung des Mittelmeeres vor etlichen Jahrmillionen sei so gewiss wie das Amen in der Kirche.“ Das könnte durchaus schon eingetroffen sein. Ein Dementi in puncto Austrocknung oder eine Korrektur in puncto Tatsachendarstellung ist dem Verfasser nicht bekannt.

Dank

Dr. Reinhard Junker und Dr. Martin Ernst danke ich für die Durchsicht des Manuskripts und wertvolle Anregungen und Hinweise, Frank Meyer für die graphischen Arbeiten, die auch Änderungen und Ergänzungen eines Teils des Bildmaterials umfassen.

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Literatur

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Studium Integrale Journal 24. Jg. Heft 1 - Mai 2017