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Dittmar Graf
Evolutionstheorie – Akzeptanz und Vermittlung im europäischen Vergleich

Rezension von Reinhard Junker

Studium Integrale Journal
18. Jahrgang / Heft 1 - April 2011
Seite 63 - 64


Dittmar Graf
Evolutionstheorie – Akzeptanz und
Vermittlung im europäischen Vergleich

Heidelberg: Springer 2010
164 Seiten, 29,95 Euro
Gosses Bild

Von 2005 bis 2009 beherrschte das Thema „Schöpfung und Evolution“ ungewöhnlich häufig die Schlagzeilen. Dies führte dazu, dass zahlreiche Tagungen verschiedenster Veranstalter durchgeführt wurden. Mit etwas Verspätung werden die Tagungsbeiträge in Sammelbänden der Öffentlichkeit präsentiert. Auch der von Dittmar Graf, Biologiedidaktiker an der Universität Dortmund herausgegebene Sammelband geht auf eine Tagung zurück, die am 20. März 2009 zum Thema „Einstellung und Wissen zu Evolution und Wissenschaft in Europa“ (EWEWE) durchgeführt wurde. Tagung und Tagungsband wurden durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.

Die zehn Beiträge befassen sich mit unterschiedlichen Aspekten zur Akzeptanz der „Evolutionstheorie“ – womit das Evolutionsparadigma gemeint ist, denn es gibt nicht die Evolutionstheorie. Einige Beiträge seien besonders herausgegriffen. In den ersten beiden Beiträgen geht es um die Verbreitung kreationistischen Denkens in Europa; dazu erfährt man einige Streiflichter aus neun europäischen Ländern. Die Kenntnisse darüber seien aber noch sehr lückenhaft. Im Eingangsbeitrag geht die Autorin, Anne Brasseur, auch auf einige Hintergründe zur Entschließung der Vollversammlung des Europarats ein. Darin wird die „Vorgehensweise der Kreationisten“ als eindeutig gefährlich eingestuft. Dazu gibt Thomas Junker (s. u.) einige interessante Kommentare (S. 78f.), etwa warum die katholische Kirche trotz grundsätzlicher Akzeptanz von Evolution diese Resolution ablehnte: Evolution wird als rein natürlicher Vorgang angesehen.

Der Wissenschaftstheoretiker Gerhard Vollmer befasst sich mit der Frage „Wie wissenschaftlich ist der Evolutionsgedanke?“ Darin stellt er heraus, dass Charles Darwin entgegen seiner eigenen Einschätzung nicht von Daten ausging, sondern von einer Idee, die Anregungen für die Lösung eines Problems gibt (S. 49f.). Viele Einwände und „Meta-Einwände“ gegen die Evolutionstheorie weist Vollmer in einer umfangreichen Tabelle zurück. Ein wissenschaftstheoretischer Einwand gegen die Evolutionstheorie, der aber nach wie vor Gewicht habe, sei die mangelnde Prüfbarkeit (S. 56, 60ff.); sie tue sich mit der Falsifizierbarkeit schwer. „[W]ann würde sich ein Evolutionstheoretiker je geschlagen geben?“ (S. 63). Vieles in ihr sei nach wie vor unerklärt, so etwa die Entstehung neuer Gene, für die Genverdopplung alleine nicht ausreiche (S. 58). Es genüge auch nicht, „gezeigt zu haben, dass es natürliche Auslese gibt; vielmehr sollte auf Nachfrage bei jedem Merkmal gezeigt werden können, ob und wie es durch natürliche Auslese hervorgebracht wurde“ (S. 62). Man könne auch nicht von Beweisen für Evolution sprechen, sondern nur von Zeugnissen. Hier ist der Band in sich widersprüchlich, denn Ralf J. Sommer spricht in seinem Beitrag „Zum Wissenschaftsverständnis der modernen Evolutionsbiologie“ dann doch von einem „weiteren wichtigen Beweis“ für Evolution (S. 93).

Im Beitrag „Evolutionstheorie und Kreationismus. Ein aktueller Überblick“ macht sich Thomas Junker für eine Unvereinbarkeit jeglicher Schöpfungsvorstellungen mit der Evolutionstheorie stark. Letztere beschreibe einen rein natürlichen Vorgang, weshalb von vermeintlichen guten Übereinstimmungen zwischen Bibel und Biologie nichts übrig bleibe (S. 83). Er kritisiert die Vagheit theologischer Aussagen über Gottes Schöpferwirken in der Evolution. „Wie erfolgt die Kontrolle? Durch die Steuerung der Mutationen? Durch Einflussnahme auf die Selektion?“ (S. 85). „Verfügungswissen“ (das die Naturwissenschaft hervorbringt) könne nicht von „Orientierungswissen“ (Ziele und Maxime) strikt getrennt werden – Schöpfung und Evolution könnten nicht zwei völlig getrennten Ebenen zugewiesen werden. Der Konflikt sei echt, und häufig werde er einfach nur verdrängt, etwa wenn gesagt werde, dass die Rede von Fragen und Antworten auf verschiedenen Ebenen abstrakt sei und viele Menschen überfordere (Hemminger), jedoch nicht geklärt wird, wie diese zugestandene Schwierigkeit überwunden wird.

Eine Reihe interessanter Zahlen über die Akzeptanz und Ablehnung der Evolutionsanschauung liefern James D. Williams über Großbritannien und Dittmar Graf über Deutschland und der Türkei. Beide Autoren beklagen, dass der Anteil derer, die Evolution nicht als Faktum akzeptieren, hoch sei. Evolution müsse viel früher unterrichtet werden, damit sich nicht falsche Vorstellungen festsetzen. Ein grundlegender Evolutionsunterricht sollte schon im Alter von 7 bis 11 Jahren beginnen (S. 113, 116). Falsche („alternative“) Evolutionsverständnisse beklagt auch Anita Wallin, die die Ergebnisse ihrer Promotionsarbeit über den Evolutionsunterricht vorstellt. Das Selektionsprinzip sei wenig verstanden, werde oft teleologisch interpretiert (als gäbe es eine Zielorientierung). Von dieser Beobachtung berichtet auch Graf in seinem Schlussbeitrag. Auch jahrelanger Biologieunterricht ändere daran oft nichts. Als Grund dafür vermutet Wallin, dass die evolutionären Prinzipien kontraintuitiv seien – „sowohl in Beziehung zu Schülererfahrungen zu biologischen Phänomenen als auch zur Alltagssprache“ (S. 122). Könnte es sein, dass die evolutionären Prinzipien nicht nur kontraintuitiv sind, sondern keine Stützung in naturwissenschaftlichen Befunden haben, sobald es um die Entstehungsprozesse von evolutionär Neuem geht?

Graf stellt auch ernüchtert fest, dass es nur unzureichend gelinge, „die Art und Weise, wie in den empirischen Wissenschaften gearbeitet wird, adäquat zu vermitteln“ (S. 155). Ob diese wünschenswerte Vermittlung zur höheren Akzeptanz der Evolutionsanschauung führt, sei aber dahingestellt.

In weiteren Beiträgen befasst sich Christoph Antweiler mit „Darwinischer Kulturtheorie“ und (quasi) evolutionistischen Theorien sozialen Wandels sowie Werner J. Patzelt mit den kulturellen Tiefenschichten des Streits um die Evolutionstheorie.

Der Sammelband von Dittmar Graf bietet gegenüber der reichhaltigen neueren Literatur zum Thema Schöpfung/Evolution durchaus einige Informationen, die nicht sehr bekannt sind. Wer sich für die „Akzeptanz und Vermittlung“ der Evolutionstheorie interessiert, erhält einige interessante Informationen, die in dieser kompakten Form andernorts wohl nicht verfügbar sind.



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