Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 14. Jg. Heft 1 - April 2007
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Woher stammen kurzperiodische Kometen?
Messungen der Raumsonde „Stardust“ passen nicht in Entstehungstheorie

von Peter Korevaar

Studium Integrale Journal
14. Jahrgang / Heft 1 - April 2007
Seite 38 - 39





„Stardust“ und Kometenstaub

Die Schweifsterne in unserem Sonnensystem, auch Kometen genannt, werden üblicherweise in zwei Hauptgruppen unterteilt: Die kurzperiodischen Kometen mit einer Umlaufzeit um die Sonne unter 200 Jahren und die langperiodischen mit einer Umlaufzeit über 200 Jahren. Die beiden Gruppen unterscheiden sich neben der Umlaufzeit auch durch:

  • Abb. 1: Stardust-Mission in der Darstellung eines Künstlers (http://stardust.jpl.nasa.gov/images/gallery/sc0297a.jpg)
    Ihre Bahnneigung: Die kurzperiodischen Kometen bewegen sich nahe der Ekliptik (das ist die Ebene, in der sich die Erde um die Sonne bewegt). Die Neigungen der Bahnen der langperiodischen Kometen sind hingegen kugelsymmetrisch im ganzen Raum verteilt.
  • Ihren vermeintlichen Ursprung: Die langperiodischen Kometen stammen nach gängiger Vorstellung aus der Oortschen Wolke, einem von Oort (1950) postulierten, aber nicht direkt beobachtbaren Kometenreservoir, aus dem immer wieder Kometen durch Störungen in das Innere des Sonnensystems gelangen sollen. Die kurzperiodischen Kometen sollen dagegen aus dem nach Kuiper (1951) genannten Kuipergürtel stammen, der sich viel näher an der Sonne außerhalb der Umlaufbahn von Neptun befindet.

Zum aktuellen Stand der Forschung siehe Korevaar (2002) und Korevaar (2004).

Neueste Ergebnisse der Stardust-Mission (interplanetare Weltraumsonde) stellen nun den Ursprung der kurzperiodischen Kometen in Frage. Die Zeitschrift Science berichtete in ihrer Ausgabe vom 15. Dezember 2006 darüber ausführlich in mehreren Beiträgen. Nach ihrem Abflug im Jahr 1999 erreichte Stardust den kurzperiodischen Kometen 81P/Wild 2 im Januar 2004 und lieferte im Januar 2006 eingesammeltes Material zur Erde zurück. Die Stardust-Mission ist die zweite erfolgreiche Kometenmission innerhalb eines Jahres. Zunächst brachte die Mission Deep Impact im Jahr 2005 neueste Erkenntnisse über den Kometen 9P/Tempel 1, indem sie durch Beschuss eine künstliche Kometenstaubwolke erzeugte, deren Studium wertvolle Informationen über die chemische Zusammensetzung dieses ebenfalls kurzperiodischen Kometen lieferte, siehe dazu Mumma (2005). Das Auswurfmaterial des Aufpralls konnte allerdings nicht direkt untersucht, nur das Spektrum aufgenommen und die Dichte des Kometen bestimmt werden. Daraus ergab sich, dass der Komet eine Dichte hat, die etwa 2/3 der Dichte von Wasser entspricht, was darauf hinweist, dass er wahrscheinlich porös ist.

Die Stardust-Mission ging anders an die Untersuchungen heran: Sie flog durch den Kometenschweif, fing dabei tausende Staubteilchen ein und brachte diese zur Erde zurück. Durch die sehr geschickt gewählte Bahn der Stardust-Sonde war ihre Geschwindigkeit fast gleich der Kometengeschwindigkeit, und die Teilchen wurden in Aerogel, einem der leichtesten und weichsten bekannten Materialien, aufgefangen. Dadurch sollte verhindert werden, dass die Teilchen beim Einfangen verformt und erhitzt wurden. Obwohl alle Teilchen kleiner als 1 Millimeter, die meisten sogar nur wenige Mikrometer groß sind, liefert dieser Kometenstaub erstaunliche Erkenntnisse über die Materialbeschaffenheit des Kometen und erlaubt somit, die gängig angenommene Entstehungstheorie zu überprüfen. Jedes Teilchen ist unter dem Mikroskop sozusagen ein Gesteins-„Brocken“ aus dem All. Zu dem beabsichtigten Sammeln von kometarem Staub hat sich allerdings auch interplanetarer und sogar – in Spuren – interstellarer Staub gemischt, was die Interpretation der Ergebnisse erschwert. Abgesehen von den Mondsteinen, die von den Apollomissionen zur Erde gebracht wurden, brachte Stardust nach der im Jahr 2004 unsanft gelandeten Genesis-Sonde1 die zweite „Ladung“ an außerirdischem Material zur Erde – eine technische Höchstleistung!

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Unerwartete Befunde

Kaum hatten die Forscher die ersten Teilchen untersucht, staunten sie nicht schlecht. Denn Komponenten der Kometenbrösel ähneln dem typischen Material aus dem inneren Teil des Sonnensystems. Sowohl die chemische Zusammensetzung als auch die kristallinen Formen lassen keinen Zweifel: Die meisten gemessenen Komponenten der Teilchen sind „gewöhnliches“, teilweise kristallines Material, für dessen Entstehung ein heißer Prozess notwendig ist.

Dies ist deswegen so erstaunlich, weil dieser Befund der gängigen Theorie zur Entstehung kurzperiodischer Kometen widerspricht. Üblicherweise wird nämlich folgendes Szenario zur Entstehung des Sonnensystems angenommen: Sonne, Planeten und Kometen hätten sich aus einer Gaswolke gebildet, die sich durch die eigene Gravitation immer weiter verdichtete. Die langperiodischen Kometen seien im Laufe dieses Prozesses nahe der Protosonne2 im heißen Innenbereich dieser Gaswolke entstanden und danach weit nach außen geschleudert worden, um so die Oortsche Wolke zu bilden. Aus diesem Grund wird für langperiodische Kometen auch eine Zusammenstellung wie im Inneren des Sonnensystems erwartet. Die kurzperiodischen Kometen hingegen hätten sich in ferner Distanz der Protosonne aus kaltem interstellarem Staub gebildet. Aufgrund dieses Szenarios dürften keine Spuren von Erhitzung vorhanden sein.

Soweit die theoretische Erwartung. Der Stardust-Befund zeigt eindeutig, dass dem nicht so ist: Der Komet Wild 2, der als Musterbeispiel für einen kurzperiodischen Kometen gilt, ist aus Materialkomponenten zusammengesetzt, die sich im Inneren des Sonnensystems gebildet haben. Denn die erwarteten amorphen3 Körner fehlen fast vollständig, dagegen weisen die gefundenen Minerale typische kristalline Strukturen auf, die einen Bildungsvorgang bei hohen Temperaturen (über 1500 °C) benötigen, wie sie nur sehr nahe der sich bildenden Sonne erwartet werden.

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Erklärungsversuche

Obwohl es sicherlich noch zu früh ist für handfeste Schlussfolgerungen, wird doch schon gemutmaßt, wie der überraschende Befund zu interpretieren sei. Zwei mögliche Erklärungen werden zur Zeit diskutiert.

  1. Die meistgenannte Erklärung lässt die Hypothese, dass kurzperiodische Kometen aus dem Kuipergürtel stammen, unberührt. Stattdessen wird das Entstehungsszenario des Sonnensystems selbst erweitert: Es soll viel mehr Vermengung von Material, das nahe der Protosonne entstanden ist, mit Material weit weg von der Protosonne stattgefunden haben (Brownlee 2006). Die Protosonne wäre demnach viel aktiver gewesen als bislang angenommen und hätte ständig Material nach außen geschleudert. So wäre der Bereich des jetzigen Kuipergürtels massiv mit Material aus dem Inneren des sich bildenden Sonnensystems angereichert worden. Für Brownlee ist dies gar kein Erklärungsversuch, sondern eine Feststellung. Er schreibt: „Das wahrscheinlich unmittelbarste Ergebnis des Stardust-Analyseprogramms ist Information über großräumige Vermengung im Sonnennebel.“ Eine Prüfung mit Computermodellen, die diese Behauptung theoretisch untermauern könnte, steht freilich noch aus.
  2. Einige Autoren zweifeln daran, ob Komet 18P/Wild 2 aus dem Kuipergürtel stammt. A’Hearn (2006) berichtet, dass neueste dynamische Berechnungen zeigen, dass kurzperiodische Kometen auch aus der Oortschen Wolke stammen können und damit automatisch eine Zusammenstellung wie im Inneren des Sonnensystems aufzeigen würden. Interessant an dieser Stelle ist, dass auch der vom Deep Impact beschossene kurzperiodische Komet 9P/Tempel 1, wovon oben berichtet wurde, ein Spektrum aufzeigt, das auf eine chemische Zusammensetzung eines langperiodischen Kometen hinweist. Damit stehen ausgerechnet die beiden ersten untersuchten kurzperiodischen Kometen im Verdacht, gemäß ihrer chemischen Zusammensetzung eher langperiodischen Kometen zu sein.

Welche Erklärung richtig ist, kann im Moment nicht mit Sicherheit gesagt werden. Fest steht lediglich, dass entweder die Theorie zur Entstehung des Sonnensystems oder die Theorie des Ursprungs der kurzperiodischen Kometen revidiert werden muss. Vielleicht sogar beide. Es ist immer wieder erstaunlich, dass vermeintlich sichere Theorien revidiert werden müssen, sobald neue Messdaten vorliegen. Diese Erkenntnis lehrt, dass Entstehungstheorien vorläufiger Natur sind und allgemein vorsichtig formuliert werden sollten. Dementsprechend ist es angebracht, auf ihre begrenzte Gültigkeit hinzuweisen.

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Anmerkungen

1 Die Raumsonde Genesis sammelte Teilchen aus dem Sonnenwind ein und brachte sie in August 2004 zur Erde zurück.

2 Eine Protosonne ist das Vorstadium eines Sterns während der Bildung aus einer Gaswolke.

3 Amorphes Material hat im Gegensatz zu kristallinem Material keine geordnete Struktur.

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Literatur

A’Hearn (2006)
Whence Comets? Science 314, 1708-1709.
Brownlee D et. al. (2006)
Comet 81P/Wild 2 Under a Microscope. Science 314, 1711-1716.
Mumma MJ et. al. (2005)
Parent Volatiles in Comet 9P/Tempel 1: Before and After Impact. Science 310, 270-274.
Korevaar P (2002)
Die rätselhafte Oortsche Wolke. Stud. Int. J. 9, 79-82.
Korevaar P (2004)
Der rätselhafte Ursprung der Kometen. Stud. Int. J. 11, 78-80.
Kuiper GP (1951)
Astrophysics: A Topical Symposium. ed. J. A. Hynek, New York: McGraw-Hill.
Oort JH (1950)
The structure of the cloud of comets surrounding the Solar System, and a hypothesis concerning its origin. Bull. Astron. Inst. Neth. 11, 91.

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