Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 10. Jg. Heft 1 - April 2003
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Zur Bildungsdauer des Nusplinger Plattenkalks
Teil 1: Einführung, Sedimente sowie Zerfall und Einbettung von Fossilien
Teil 2: Einbettung der Belemniten, Sedimentationsgeschwindigkeit und Kalkverfestigung
Teil 3: Mikroevolution der Ammoniten, Massenvermehrungen von Kalkbildnern und Gesamtresultat

von Manfred Stephan

Studium Integrale Journal
10. Jahrgang / Heft 1 - April 2003
Seite 12 - 20


Zusammenfassung: Heute können massiv gestörte Umweltbedingungen zu raschen mikroevolutiven Artneubildungen führen. Ökologischer Druck könnte im Oberjura sowohl die Mikroevolution der Ammoniten als auch die Massenvermehrungen (Seeblüten) von Goldalgen (Coccolithophoriden), den Hauptbildnern des Kalkschlicks, beschleunigt oder sogar bewirkt haben. Neuere Befunde in Plattenkalken der südlichen Frankenalb belegen zahlreiche „Sterbeevents“ (Sterbeereignisse), die immer wieder unterschiedliche Tiergruppen betroffen haben; sie weisen auf „stärkste Umweltschwankungen“ hin (RÖPER et al. 2000, 50). Eine überschlägige Rechnung anhand der heutigen kalkskeletttragenden Goldalge Emiliania huxleyi zeigt, daß etwa 0,5-1 cm Sediment in ca. 10 Tagen entstehen könnte, wenn es im Oberjura Coccolithophoriden-Arten gab, die optimal mit Nährstoffen versorgt wurden und aufgrund bisher unbekannter genetischer Ausstattung noch höhere Zelldichten erreichen konnten. Das (vorläufige) Gesamtresultat am Schluß führt zu einer Ablagerungszeit des ca. 10,5-17 m mächtigen Nusplinger Plattenkalks in der Größenordnung von mehreren Jahrzehnten.




Formenwandel und Artneubildungen bei Ammoniten nur in langen Zeiträumen?

Widersprüchlich: Ammoniten-Mikroevolution contra schnelle Sedimentation? Der Nusplinger Plattenkalk umfaßt gerade noch den höchsten Abschnitt des Ammonitenfaunen-Horizontes zio-wepferi β und darüber den hoelderi-Horizont (s. Teil 1). Nach herkömmlicher Sicht soll ein solcher Faunenhorizont „im Durchschnitt etwa 80.000-100.000 Jahre“ Bildungszeit repräsentieren. Aus sedimentologischen Gründen sei jedoch eine erheblich kürzere Ablagerungszeit „in der Größenordnung von nur wenigen tausend Jahren realistischer“ (BANTEL et al. 1999, 26f.). Zwischen 80.000 bzw. 100.000 Jahren einerseits und nur wenigen tausend Jahren andererseits besteht ein zeitlicher Widerspruch von mindestens 20:1, der auf der gleichen Seite der zitierten Fachpublikation stehen geblieben ist. Der Widerspruch ist zeitlich derart groß, als daß er kaum mit BANTEL et al. (1999, 27) so erklärt werden kann, bei Nusplingen ließe der nächstjüngere Faunenhorizont keine zeitliche Eingrenzung zu, da Schichten dieses Alters hier bereits abgetragen sind.

Abb. 22: Beispiel für eine mikroevolutive Ammonitenabfolge: Auftreten, Reichweite und Erlöschen einiger Arten der Gattung Sutneria im Weißen (Oberen) Jura der Schwäbischen Alb. Links die Schichtenabfolge, bezeichnet mit griech. Buchstaben, der traditionellen Untergliederung in Süddeutschland. Nach den Arten Sutneria galar, S. platynota und S. subeumela sind Ammoniten-Zonen bzw. -Subzonen benannt worden. (Nach ZIEGLER 1987)

Wie lange dauerte eine Ammoniten-Zone? Immerhin sind wenige tausend Jahre nur etwa ein Zehntel der von DIETL & SCHWEIGERT (2001, 34) vermuteten Ablagerungszeit von einigen zehntausend Jahren1 (s. Teil 2). DIETL (1998, 132) nennt sogar ca. 100.000 Jahre Bildungszeit. Die geforderte langzeitliche Ablagerung ist wohl vor allem durch die ständigen mikroevolutiven Artneubildungen der Ammoniten bedingt (Abb. 22), für die man unterschiedliche, aber generell lange Zeiten veranschlagt. Für eine Ammonitenzone werden im Jura zwischen ca. 200.000 und über 1 Million Jahren genannt (BARTHEL 1964, 65f.; GEYER 1973, 249; RIEGRAF 1985, 56; LEHMANN 1990, 200; MÜLLER 1992, 234). Der süddeutsche Oberjura wird in ca. 20 Ammonitenzonen unterteilt (z.B. SCHLEGELMILCH 1994, 7-16). Die Zonen werden in Subzonen und in jüngerer Zeit in noch detailliertere Faunenhorizonte aufgegliedert (s.o. und Teil 1). Formenwandel bzw. Artneubildungen bei Jura-Ammoniten, die oft ganz allgemein Evolution genannt wird, bezeichnen z.B. DIETZE & SCHWEIGERT (2002) präziser als Mikroevolution2 (s. Teil 1).

Abb. 23: Bergwerkshaldenpflanzen. Die meisten Samen keimen auf den giftigen Böden nicht oder sterben schnell ab (†). Nur wenige Vorangepaßte können auswachsen. In manchen Fällen sind durch diesen Auslesevorgang neue Arten entstanden. (Aus JUNKER & SCHERER 2001)

Heute: Schnelle Artbildungen unter Umweltstress. Die Neubildungen von Ammoniten in der Schichtenfolge von Zone zu Zone usw. sollen im Rahmen der Historischen Geologie jedoch um viele zeitliche Größenordnungen langsamer abgelaufen sein als die Artbildungen, die inzwischen aus heutigen mikroevolutiven Prozessen bekannt geworden sind. So wurden an Kleinfischen (Guppys) unter ökologischem, von Freßfeinden verursachtem Stress nach 11 Jahren bzw. 18 Generationen selektiv bewirkte gestaltliche Veränderungen festgestellt. Sie entsprechen einer um bis zu 10 Millionen (!) mal höheren Evolutionsgeschwindigkeit gegenüber den aus Fossilreihen abgeleiteten Geschwindigkeiten (REZNICK et al. 1997).

Es ist wichtig, hier zu beachten: Die Fossilreihen mit allmählichen gestaltlichen Veränderungen sind in Sediment-Abfolgen eingeschlossen, deren Ablagerung insgesamt sehr langsam im Verlauf langer Zeiten erfolgt sein soll. Auf der Grundlage dieser Annahme erscheint es so, als sei das Mikro-evolutions-Tempo der Fossilreihen sehr gering gewesen gegenüber heute gemessenen Mikroevolutionsgeschwindigkeiten.

Schnelle Artbildung unter (enormem) Umweltstress wurde z.B. beobachtet bei Pflanzen auf schwermetallverseuchten Bergwerkshalden (Abb. 23; JUNKER 1993, 40f.) oder Mäusen (Selektion durch Umweltgifte; GARAGNA et al. 1997). Als letztes, besonders instruktives Beispiel sei die mikroevolutive Entstehung sehr artenreicher, ganzer Buntbarschfaunen im Malawisee in den vergangenen 200 Jahren (!) genannt. Dazu haben gestörte Umweltbedingungen wie die nachgewiesenen Austrocknungsphasen des Sees beigetragen. Dadurch ist es unter verschiedenartigen Selektionsdrücken bei Stammformen mit sehr vielseitigem Erbgut (genetische Polyvalenz) immer wieder zu neuen Gründerpopulationen gekommen (FEHRER 1997, 54f.).

Bei Bakterien bewirken starke Selektionsdrücke – wenn etwa 80% der nicht angepaßten Individuen einer Generation keine Nachkommen hinterlassen – drastische Veränderungen der Zusammensetzung einer Lebensgemeinschaft (Population). Dagegen verändern hier schwache Selektionsdrücke nicht viel (vgl. FEHRER & LOEWE 1999).

Schnelle Gehäuseabwandlungen auch ohne Mikroevolution möglich. Wie aus diesen Forschungsergebnissen zur Mikroevolution heutiger Organismen hervorgeht, können gravierende Umweltveränderungen u.a. über massive genetische Ausleseprozesse zu schnellen Gestaltänderungen und zu sehr rascher Bildung neuer Arten führen. Wenn Befunde auf gestörte ökologische Verhältnisse zur Zeit der Plattenkalkablagerung hindeuten, könnte in einem solchen Milieu die Mikroevolution der Ammoniten und anderer Oberjura-Organismen als schnell verlaufender Prozeß eine plausible Hypothese sein (s. nächsten Abschnitt). Allerdings: Aus Forschungen an heutigen Schnecken geht hervor, daß Abfolgen stufenweise abgewandelter Fossilien (hier Schneckengehäuse) nicht immer mikroevolutiv entstanden sein müssen. Bei der heutigen Art Melanoides tuberculata können Umweltschwankungen eine phänotypische Plastizität hervorrufen, die die genetisch bedingten Unterschiede übertrifft. Und in Martinique kam es durch Einwanderung neuer Gestalten oder nah verwandter Arten in kurzer Zeit zu einer Änderung der Schalenform (vgl. JUNKER & STEPHAN 2002).

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Gesteigerte Massenvermehrungen von Kalkbildnern im Oberjura unter Umweltstress?

Geologische Befunde und die Einbettungsweise vieler Fossilien legen eine schnelle Sedimentation des Nusplinger Plattenkalks nahe (s.o. sowie Teil 1 und 2). Das ist der wichtigste Gesichtspunkt der vorliegenden Arbeit. Ausgehend davon wird im Folgenden der Frage nachgegangen: Könnte durch enorm gestörte ökologische Verhältnisse im Oberjura-Meer eine erheblich gesteigerte biogene Kalkproduktion verursacht und damit sehr viel Kalksediment in kurzer Zeit bereitgestellt worden sein?

„Phytoplankton-Wolkenbrüche“. Nach SEIBOLD (1991, 293) hat es damals „im Ozean offensichtlich auch länger anhaltende ‚Wolkenbrüche’ von Phytoplankton [= pflanzliche Schwebe-Mikroben] gegeben“. Er verweist auf Lagen im obersten Jura, die durch Tiefseebohrungen bekannt wurden. Sie bestehen nahezu nur aus Coccolithen einer einzigen (!) Art; das ist ein deutlicher Hinweis auf gestörte Umweltbedingungen. Massenvermehrungen von Coccolithophoriden zur Zeit der Plattenkalkablagerung scheinen nach HEMLEBEN (1977, 259f.) auf Verschiebungen des biologischen Gleichgewichts zurückzugehen. Im Oberjurameer war die Temperaturverteilung viel gleichmäßiger als heute, dadurch kam es aufgrund der geringeren Umwälzung der Wassermassen viel leichter zu Sauerstoffmangel. LEINFELDER (1997, 110) weist darauf hin, daß deshalb damals Algenblüten ein nicht nur lokal, sondern regional auftretendes Problem waren.

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Abb. 24: Massensterben: Teil eines Leptolepides-Schwarms auf einer Solnhofener Kalkplatte, ein sog. „Fischli-Flinz“. (Museum beim Solenhofer Aktien-Verein)

„Stärkste Umweltschwankungen“ mit „vielen Sterbeevents“ im süddeutschen Oberjura. Hier dürften die detaillierten Schicht-für-Schicht-Untersuchungen in den Plattenkalken der Südlichen Frankenalb weiterführen, die seit 1985 vom Institut für Paläontologie der Universität Bonn und von RÖPER und Mitarbeitern durchgeführt werden. RÖPER et al. (2000, 50) sprechen z.B. angesichts der zahlreichen Sterbeereignisse der Seelilie Saccocoma, die auf vielen Schichtflächen des Plattenkalks zum Teil massenhaft eingebettet wurde, von „stärksten Umweltschwankungen“. Diese ökologischen Schwankungen dürften mit erheblichen Stressfaktoren für die Lebewelt verbunden gewesen sein. Es kam in unregelmäßiger Folge immer wieder zu Sterbeereignissen. Sie führten zu enormen Fossilanreicherungen mit in der Regel jeweils einer Art, die von dem Ereignis (besonders) betroffen war. Dabei handelt es sich zumeist um Saccocoma-Seelilien, Schwärme kleiner Fische, Ammoniten und Krebslarven.

Neuerdings ist im Bürgermeister-Müller-Museum (Solnhofen) als besondere Attraktion eine riesige Platte mit etwa 1500 (!) Exemplaren des kleinen sprottenartigen Knochenfisches Leptolepides ausgestellt (RÖPER 2002, 233; Abb. 24). Solche Sterbeereignisse wurden sowohl aus dem Plattenkalk von Brunn (Oberpfalz) beschrieben, der 2 Ammoniten-Subzonen älter ist als das Nusplinger Vorkommen (RÖPER et al. 1996, 14; RÖPER 1997b, 208), als auch aus den ausgedehnten Plattenkalk-Arealen der Südlichen Frankenalb, die 1 bis 3 Subzonen jünger sind als die Nusplinger Fossillagerstätte (GERHARD & MÖRS 1991, 30.33; RÖPER 1991, 12; 1997a, 123; 1997b, 202-210; RÖPER et al. 1996, 32.55.96f; 1999, 104-107; 2000, 50.52.122f.; RÖPER & ROTHGAENGER 1998, 24-26; PEITZ & PEITZ 1997, 221). Die massiven ökologischen Schwankungen, bei denen unterschiedliche Ursachen diskutiert werden, sind also nicht auf einen kleinen Abschnitt der Plattenkalke beschränkt. Vielmehr waren sie immer wieder in der gesamten Plattenkalkabfolge des süddeutschen Oberjura wirksam.

Ammoniten-Anhäufungen auf Nusplinger Kalkplatten. Auch in bestimmten Lagen der Nusplinger Fossillagerstätte treten besonders Ammoniten „sehr zahlreich auf, ebenso wie auch ihre kalzitischen Unterkiefer, die so genannten Aptychen“. Ihre Gehäuse werden „oft noch im Zusammenhang mit dem Aptychus gefunden“ (DIETL & SCHWEIGERT 2001, 47; vgl. SCHWEIGERT & DIETL 1999, 2-4). Diese Ammoniten müssen bald nach dem Tod in die Plattenkalk-Wannen verfrachtet worden sein. Es ist nämlich „kaum vorstellbar“, daß der zum Teil „sehr schwere“ Unterkiefer der driftenden Kadaver „länger als maximal wenige Tage – bis zur Verwesung des Weichkörpers – im Verband mit dem Gehäuse geblieben wäre“ (KEUPP et al. 1999, 129). Insgesamt spricht dies dafür, daß es auch in der Umgebung der Nusplinger Lagerstätte zu Massensterben von Ammoniten kam (und anderen Organismen; s. nächsten Abschnitt), und zwar im offenen Schelfmeer. Denn während für die Sterbeereignisse in den landnäheren bayerischen Plattenkalk-Arealen von manchen Autoren Übersalzung bzw. Aussüßung oder Sauerstoffarmut bei Niedrigwasserständen vermutet werden (z.B. RÖPER 1997b, 178; RÖPER & ROTHGAENGER 1998, 20f.26), lagen die Nusplinger Plattenkalk-Wannen nach paläogeographischen Rekonstruktionen mehrere hundert Kilometer vom Festland entfernt. Nur kleine Inseln werden in ihrer Nähe vermutet (DIETL & SCHWEIGERT 2001, 26-28).

Die „vielen Sterbeevents“ (RÖPER et al. 1999, 32) in den süddeutschen Plattenkalken deuten also auf erheblichen ökologischen Stress hin, durch den immer wieder Angehörige bestimmter Arten massenhaft umkamen. Beispielsweise geben RÖPER & ROTHGAENGER (1998, 24) für den unteren Teil des Plattenkalks von Mörnsheim als statistischen Mittelwert für jede 9. Schichtfläche ein Sterbeereignis an. Durch solche Sterbeereignisse wird es immer wieder zur „Überdüngung“ des Meeres mit Phosphaten infolge des Zerfall der Kadaver gekommen sein (vgl. LEINFELDER 1998). Dadurch dürften wiederum Massenvermehrungen planktonischer kalkbildender Algen hervorgerufen bzw. begünstigt worden sein (s. nächsten Abschnitt). Gleichzeitig könnte das eine der Ursachen für die immer wieder neue Mikroevolution besonders der Ammoniten sein. So wird beim Zerfall der periodisch bzw. episodisch massenhaft aufgetretenen Algen viel Sauerstoff verbraucht. Zusammen mit anderen Faktoren könnte dies zu enormem Umweltstress geführt und hohe Selektionsdrücke bewirkt haben (s.o., Abschnitt „Formenwandel...).

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Auch heute schnelle Kalkbildung durch Mikroorganismen möglich
Abb. 25: Gehäuse (Coccosphäre) einer mikroskopisch kleinen planktonischen Meeresalge (Coccolithophoride). Es besteht aus einzelnen ringförmigen Scheiben, den Coccolithen. (Aus Geyer 1973)

Goldalgen als Sedimentbildner. Wie im ersten Teil erwähnt, besteht der Nusplinger Plattenkalk überwiegend aus vollständig zerfallenen Gehäusen von Coccolithophoriden. Diese im Meerschwebenden winzigen pflanzlichen Goldalgen (Nanoplankton) scheiden eine „Rüstung“ ringartiger Gehäuse-Schilde (Coccolithen) aus Kalziumkarbonat (CaCO3) ab, die die Zelle kugelförmig umgeben (Abb. 25). Aus dem Nusplinger Plattenkalk wurden bisher 7 Coccolithophoriden-Taxa beschrieben (BANTEL et al. 1999, 14), weitere aus dem Solnhofener Plattenkalk (KEUPP 1977, 20-56). So kann über die Biologie der Oberjura-Coccolithophoriden kaum etwas ausgesagt werden. Weiterhin sind die damaligen Umweltbedingungen nur teilweise erschließbar, doch wird es sich, u.a. wegen des Auftretens von Riffkorallen, um ein tropisches Schelfmeer gehandelt haben (s. Teil 1).

Eine auffällige Nahrungskette. Nach DIETL & SCHWEIGERT (2001, 31) dürfte es von Zeit zu Zeit bzw. zumindest periodisch zu sog. Seeblüten der Coccolithophoriden gekommen sein. Diese Goldalgen waren nach HESS (2000, 351) Nahrungsgrundlage der im Wasser schwebenden Klein-Seelilie Saccocoma. Mehr oder weniger zerfallene Saccocoma-Skelette sind im Nusplinger Plattenkalk „fein verteilt“; in den „dicken Bänken“ bilden ihre Reste „eine Hauptkomponente“ (BANTEL et al. 1999, 24). Saccocomen konnten sich bei ausreichendem Nahrungsangebot also ebenfalls massenhaft vermehren; sie dienten wiederum mehreren Ammoniten-Gattungen der Familie Aspidoceratidae als Nahrung (BANTEL et al. 1999, 24). Auch damit könnte zusammenhängen, daß Ammoniten „mit Abstand die häufigsten“ Wirbellosen-Fossilien im Nusplinger Plattenkalk sind (SCHWEIGERT & DIETL 1999, 2). Kotschnüre (genannt Lumbricaria), die auf Ammoniten zurückgeführt werden, bestehen aus Skelettelementen von Saccocoma-Seelilien; auch sie sind in den meisten Plattenkalklagen sehr häufig (SCHWEIGERT & DIETL 1999, 7f.). Diese drei Lebensformen bildeten eine bedeutsame Nahrungskette; ihre beiden ersten Glieder traten massenhaft auf und wurden deshalb zu Gesteinsbildnern (s. Teil 1).

Abb. 26: Gehäuseelement (Coccolithe) der heutigen Coccolithophoride Emiliania huxleyi aus dem Atlantik. (Nach Ziegler 1991)

Goldalgen-Seeblüten in heutigen Meeren. Um einen Anhaltspunkt für die Kalkbildung durch heutige Coccolithophoriden zu erhalten, wird als Beispiel versuchsweise die lebende Alge Emiliania huxleyi herangezogen (Abb. 26).Diese Goldalgen erzeugen im Sommer in kühleren Meeresregionen sog. Algenblüten und können dabei Meeresflächen von bis zu 100.000 km2 einnehmen. Von Algenblüten spricht man bei mehr als 1.000 Zellen pro Milliliter (ml) Wasser (NANNINGA & TYRRELL 1996). So wurden 1955 in einem norwegischen Fjord 115.000 E. huxleyi pro ml Meerwasser gezählt (BERGE 1962). In Kultur sind Zahlen bis 1 Million Zellen pro ml erreichbar (mündl. Auskunft von T. TYRRELL). Das Aussehen des Meerwassers ähnelt bei solchen Algenblüten dem von türkisfarbener Milch (Abb. 27). Betroffen sind aber nur die obersten Wasserschichten von 10 bis 20 m, manchmal auch 30 m Tiefe. Unter diesen Bedingungen verdoppeln sich die Algen etwa alle 8,5 Stunden.

Emiliania huxleyi ist von durchschnittlich 30 Coccolithen (scheibenförmige Gehäuse-Ringe) umgeben. Eine Coccolithen-Scheibe wiegt ca. 1,82 x 10-12g, das Calciumcarbonat-Gewicht einer Algenzelle beträgt also 5,46 x 10-11g (TYRRELL 2002). Bei der o.g. Zellzahl der Algenblüte aus dem Jahr 1955 wurden 6,279 x 10-6g Calciumcarbonat in 1 ml Meerwasser erreicht. Bezogen auf eine Fläche von 1 m2 bei einer Wassersäule von 20 m wären das ca. 126 g Calciumcarbonat. Das ergäbe als Sediment (Kalkschlick) eine Schichtmächtigkeit von ca. 0,005 cm (spezifisches Gewicht von Calciumcarbonat = 2,7g/cm3). Das ist noch keine beeindruckende Menge. Setzt man die Algenmenge ein, die in Kultur erreichbar ist, so erhält man rund 1,1 kg Calciumcarbonat pro m2 Meeresfläche und eine Sedimentmächtigkeit von ca. 0,04 cm. Auch dieser Wert ist noch nicht besonders hoch; zu beachten ist aber, daß eine Algenblüte im Extremfall die Fläche von England, also rund 100.000 km2, bedecken kann. Bei einem solchen Ereignis würden ungefähr 107 bis 108 Tonnen Calciumcarbonat produziert werden!

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Abb. 27: Aufnahme einer Algenblüte vor der Küste von Cornwall/England durch den LANDSAT-Satelliten am 24. Juli 1999. © Andrew Wilson, Centre for Hydrology and Ecology, Monk’s Wook, UK, und Steve Groom, Plymouth Marine Laboratory. (Vgl. Groom 2001)

Mögliches Szenario im Oberjura-Meer. Es wird nun folgendes vorausgesetzt: Der Coccolithen-Schlamm wurde durch Transportereignisse besonders in etwas tiefere Areale des Meeresbodens verfrachtet und so auf kleinere Flächen „konzentriert“ (s. Abschnitt Gesamtresultat). Die beiden Nusplinger Plattenkalkwannen hatten jeweils eine Fläche von ca. 1 km2. Für eine 1 cm mächtige Schicht aus Coccolithen-Schlamm wäre bei maximalen natürlichen Zelldichten der heutigen Art Emiliania huxleyi eine Meeresoberfläche von ca. 200 km2 notwendig. Bei einer angenommenen Zelldichte, wie sie in Kultur bei E. huxleyi erreicht wird, würde sich die Fläche auf ca. 25 km2 verringern. Die Biologie der Oberjura-Arten ist jedoch unbekannt. Somit bleiben nur spekulative Annahmen, die durch die Untersuchungen an E. huxleyi aber nicht als unplausibel erscheinen.

Es wird also folgendes Szenario vorgeschlagen: Im relativ flachen, tropischen Oberjurameer kam es aufgrund hohen Nährstoffanfalls und -eintrags (auch vom Festland?) und ausreichender Sonneneinstrahlung (Photosynthese) zu enormen Massenvermehrungen (Gradationen) verschiedener, vermutlich räumlich getrennter Coccolithophoriden-Arten mit anschließendem Absterben. Sehr viele Coccolithen dürften als Verdauungsrückstände der Schweb-Seelilie Saccocoma in Kotpillen auf den Meeresboden gelangt sein (vgl. KEUPP 1977, 20; BANTEL et al. 1999, 13; s.o.); dann dauert bei etwa 150 m Schelfmeer-Tiefe das Absinken der Kalkskelette nur ca. einen Tag (ZIEGLER 1991, 25). In einem solchen Szenario müßte pro Monat mindestens eine Algenblüte gefordert werden. Der Coccolithen-Schlick wurde durch Transportereignisse immer wieder auch in die Nusplinger Plattenkalkwannen verfrachtet und setzte sich jeweils als eine Kalkschlicklage von ca. Millimeter- bis Zentimeter-Mächtigkeit ab.

Die heutige Art Emiliania huxleyi erreicht diese „Höchstleistung“ zwar nicht, doch ist nicht ausgeschlossen, daß im Oberjurameer andere Coccolithophoriden existierten, die eine größere Calciumcarbonat-Produktionsrate erreichten. Das könnte durch mehrere Ursachen ermöglicht worden sein: höhere Zelldichten infolge bisher unbekannter genetischer Ausstattung und größeres Nährstoffangebot, oder häufigere Wellen von kleineren Algenblüten in kürzeren Abständen. Bei einer angenommenen Zahl von 100 Millionen Zellen pro ml (das 100-fache [!] der in Kultur erreichbaren Zellzahl der heutigen Art Emiliania huxleyi) könnte innerhalb weniger Tage genügend Schlick für eine Kalklage von 1 cm Mächtigkeit gebildet werden3. Damit wären für die Entstehung des Nusplinger Plattenkalks weniger als 100 Jahre zu veranschlagen. Zusätzlich erschwerend kommt allerdings hinzu, daß in der oberen Kimmeridgium-Stufe neben Plattenkalken ungefähr gleichzeitig die Zementmergel- und die Liegende Bankkalk-Formation entstanden sind (s. Teil 1), die weitere enorme Mengen an Kalkschlick erfordern. Grundsätzlich scheint es aber möglich zu sein, daß die Entstehung der geforderten Kalkschlickmengen während kurzer Zeit in Reichweite bekannter biologischer Prozesse liegt. Das dürfte besonders dann zutreffen, wenn die o.g. gestörten Umweltbedingungen die Massenvermehrungen des kalkbildenden Planktons begünstigten oder sogar hervorriefen, so daß es immer wieder zu extremen Gradationen gekommen sein könnte.

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Gesamtresultat: Versuch einer kurzzeitigen Entstehungsdeutung des Nusplinger Plattenkalks

Eine Sedimentationsdauer von wenigen tausend Jahren (BANTEL et al. 1999), erst recht aber einigen zehntausend Jahren (DIETL & SCHWEIGERT 2001), dürfte viel zu lang sein (s. zum Folgenden oben sowie Teil 1 und 2):

(1) Schüttung der „Dicken Bänke“. Die dem Nusplinger Plattenkalk zwischengeschalteten „Dicken Bänke“ wurden nach ihrem Gefüge rasch als Trübeströme sedimentiert (z.B. MEISCHNER 1964, 184-186). Ihr heftiges Abgleiten in die Plattenkalkwanne könnte nach DIETL (1998, 132) durch stärkere Seebeben verursacht worden sein.

(2) Einbettung der Ammoniten. Nach Laborbefunden kann das Gehäuse ebenso wie der zerfallende Weichkörper des Ammonitentiers unter bakterieller Beteiligung „innerhalb von zwei bis vier Wochen“ durch Kalzium-Phosphat (Apatit) ersetzt werden (KEUPP 2000, 147). Das wurde vereinzelt auch aus dem Nusplinger Plattenkalk beschrieben (SCHWEIGERT & DIETL 1999, 8f.). Bei Plattenkalk-Ammoniten war Phosphat-Bildung allerdings selten. Aber auch bei ihnen sind die Gehäuse „meist schon vor der Kompaktion des Sediments durch den kohlensauren Chemismus des Fäulnisprozesses zersetzt“ worden (KEUPP 2000, 147f.; vgl. KEUPP et al. 1999, 127), also während des Weichkörperzerfalls. Beim Zerfall des Weichkörpers waren die Ammonitenschalen bereits einsedimentiert; sie wurden „schon früh, kurz nach der Überdeckung mit weiteren Plattenkalklagen, aufgelöst“ (DIETL & SCHWEIGERT 1999, 29; vgl. 2001, 86). Anschließend wurde durch Setzung des Kalkschlicks der Spalt, den das aufgelöste Ammonitengehäuse zurückgelassen hatte, zumeist zusammengedrückt (vgl. SCHWEIGERT 2000, 360). Wenn der mehr oder weniger stark angelöste Schalenrest der Wohnkammer aber zu dieser Zeit noch vorhanden war, kollabierte er unter der zunehmenden Auflast des Sediments und zerbrach in Scherben (vgl. SEILACHER et al. 1976; SCHWEIGERT 2000, 360f.). Unter diesen Gesichtspunkten kann bei angenommenen 2 cm Sediment in ca. 2 bis 4 Wochen der Plattenkalk-Stapel von 10,5 bis 17 m Mächtigkeit in etwa 20 bis 80 Jahren entstanden sein.

(3) Einbettung der Belemniten. Bei den ebenfalls häufigen, zumeist senkrecht oder schräg im Sediment steckenden Belemniten knickte der Luftkammerapparat nach DIETL & SCHWEIGERT (2001, 96) „im Verlauf einiger Zeit, vielleicht weniger Wochen“ ab und wurde erst auf einer ca. 15 mm höheren Kalklage zugedeckt, also nachdem weitere Sedimentationsereignisse in der gleichen Zeitspanne stattgefunden hatten (vgl. SCHWEIGERT 1999). Geht man demnach von 3 bis 4 Wochen aus, ergäbe das nach diesem Gesichtspunkt eine Gesamtablagerungszeit von ca. 40 bis 90 Jahren.

(4) Einbettung der Fische. FAHRION (1937, 64) faßte die Ablagerungsgeschwindigkeit so zusammen: „Das Tempo der Sedimentation war so rasch, daß Belemniten schief oder sogar senkrecht, Fischleichen in verschiedenen Schieferebenen eingebettet werden konnten; auf der anderen Seite aber doch wieder nicht so rasch, daß nicht ein bestimmtes Maß von Verwesung am Meeresboden möglich gewesen wäre“. Der Zerfall der Fischkadaver kann „unter günstigen [tropischen] Bedingungen schon in wenigen Tagen vor sich gehen“. Deshalb spricht das nach ALDINGER (1930, 266) nicht unbedingt dafür, daß die Schichtflächen mit mehr oder weniger stark an Ort und Stelle zerfallenen Fischen längere Sedimentationspausen darstellen. Geht man im tropischen Meer von höchstens 8 bis 10 Tagen Zerfallszeit und einer durchschnittlichen Plattenstärke zwischen 0,5 und 1 cm aus, dann braucht zwischen der Ablagerung von zwei Plattenkalklagen kein längerer Zeitraum als 8 bis 10 Tage zu liegen. Auch von diesem Gesichtspunkt aus könnte der gesamte Plattenkalkstapel in ca. 25 bis 95 Jahren entstanden sein. Wichtig ist: Die Ablagerungszeit, die sich aus den Einbettungsmerkmalen von Ammoniten und Fischen ergeben, ist sehr ähnlich wie die von DIETL & SCHWEIGERT (2001) angenommene Sedimentationsgeschwindigkeit für Plattenkalklagen um senkrechte Belemniten.

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Abb. 28: Quer durchgesägter Schuppenpanzer eines Schmelzschuppenfischs (Aspidorhynchus) aus dem Solnhofener Plattenkalk, „der eine sehr rasche Sedimentation anzeigt“ (Viohl 1998, 43). Denn er wurde mit fünf aufspaltbaren Plattenkalk-Lagen (mit interner Feinschichtung) gefüllt, bevor er zerfallen konnte. (Aus Viohl 1998; Photo: H.-W. Balling)

Fünf Plattenkalklagen im Schuppenpanzerschlauch. In diesem Zusammenhang ist ein einmaliger Fund aus den Solnhofener Plattenkalken von Bedeutung, der mit Sediment gefüllte Panzer einesSchmelzschuppenfischs (VIOHL 1998, 41-44). Der Schuppenpanzer hatte sich vom Fischkadaver abgelöst und lag auf dem Meeresboden. Dann lagerten sich in dem hohlen Panzerschlauch fünf aufspaltbare Plattenkalklagen ab, die zusätzlich noch eine interne Feinschichtung aufweisen (Abb. 28). VIOHL nimmt für die Ablagerung dieser fünf Kalklagen höchstens ein bis zwei Jahre an, da auch ein stabiler Schmelzschuppenpanzer dem bakteriellen Zerfall nicht länger trotzen könne4. Jedoch: Schon die Beobachtungen von WEIGELT (1930, 181-185) zum Zerfall heutiger Schmelzschuppenfischkadaver bzw. -panzer belegen, daß dieser Prozeß unter Wasserbedeckung nur einige Wochen benötigt. Das gilt erst recht für die tropischen Plattenkalkwannen der südlichen Frankenalb; hier rechnet VIOHL (1987, 52) mit über 25°C Wassertemperatur. In tropischem Meerwasser verläuft Verwesung bzw. Fäulnis wesentlich schneller, „fast explosionsartig“ (SCHÄFER 1962, 68; vgl. WUTTKE 1983, 558f.). Die fünf Sedimentlagen, die in dem Schmelzschuppenschlauch abgelagert wurden, bevor er zerfallen konnte, dürften sich genauso schnell gebildet haben wie die Kalkschlicklagen der Nusplinger Lagerstätte, nämlich innerhalb einiger Wochen. Bei alledem darf nicht vergessen werden, daß die Sedimentationsunterbrechungen bei den wirklich gut erhaltenen Fossilien im Nusplinger Plattenkalk nur kurz gewesen sein können. „Sie müssen also bei guter Erhaltung sehr schnell von Sediment überdeckt worden sein“ (DIETL & SCHWEIGERT 1999, 27).

(5) Mikroevolution der Ammoniten. Auch mikroevolutive Artneubildungen, die heute (unter extremen Umweltbedingungen) sehr rasch ablaufen können, stehen mit der angenommenen hohen Sedimentationsrate in gutem Einklang. Das gilt sogar in besonders hohem Maß, denn nur die unterste Lage des Nusplinger Plattenkalks gehört noch zum Ammonitenhorizont zio-wepferi β, während das darüber liegende komplette Plattenkalkpaket in den nächsthöheren hoelderi-Horizont gestellt wird. Demnach haben sich nur ungefähr zur Zeit der Ablagerung der untersten Lage ein gewisser Formenwandel bzw. Artneubildungen vollzogen. Anschließend blieb offenbar während der Sedimentation fast des kompletten Nusplinger Plattenkalks die Ammonitenvergesellschaftung praktisch unverändert.

(6) Bodenwühler im Sediment. Wühlorganismen gab es fast nur in den untersten Plattenkalk-lagen. Es handelt sich fast immer um Pioniersiedler. Durch Einschüttung von Trübeströmen in die Ablagerungswannen entstanden mehrmals kurzzeitig günstige Bedingungen infolge von Wasserdurchmischung; die Bodenwühler vermehrten sich dann schnell und massenhaft (soweit nicht ohnehin viele mit eingeschwemmt wurden), verschwanden aber ebenso rasch wieder mit Änderung des Milieus (DIETL & SCHWEIGERT 2001, 40). Heute können frisch gebildete Sedimente von 5–8 cm im Meer in wenigen Tagen völlig verwühlt sein (TUREKIAN 1985, 152).

(7) Massenvermehrung von Kalkbildnern. Hier ist bisher eine deutliche zeitliche Diskrepanz zu verzeichnen. Heutige Goldalgen (Coccolithophoriden) scheinen nur etwa ein Hundertstel des Kalkschlicks für die oben genannten großen Sedimentationsgeschwindigkeiten zu liefern. Über die damaligen Goldalgen ist allerdings kaum etwas bekannt. Immerhin erreichen heute andere Mikroorganismen die geforderten hohen Zelldichten. Grundsätzlich könnte die kurzzeitige Entstehung der hohen Kalkmengen also in Reichweite bekannter biologischer Prozesse liegen, insbesondere, wenn (massiv) gestörte Umweltbedingungen unterstellt werden.

Fazit: Zeitliche Größenordnung der Plattenkalk-Ablagerung. Da „die Dicke der einzelnen Kalkplatten ... von papierdünn bis zu wenigen Zentimetern variieren“ kann, haben die einzelnen Sedimentationsereignisse jeweils recht unterschiedliche Kalkmengen herangeführt (DIETL & SCHWEIGERT 2001, 10). Hier wird eine durchschnittliche Mächtigkeit von 0,5 bis 1 cm zugrunde gelegt. Die (soweit vorhanden) internen, kaum noch oder nicht mehr spaltbaren Trennflächen innerhalb einer bis mehrere Zentimeter dicken Kalkplatte dürften sehr kurze Sedimentationspausen (von höchstens 1 bis 2 Tagen?) zwischen an- und abschwellenden Sedimentations-Schüben eines größeren Transportereignisses darstellen (vgl. dazu VIOHL 1998, 44f.; 2000, 149).

Es kann nun angenommen werden, daß nach einer kurzen Ruhepause das nächste größere (zum Teil ebenfalls mehrfach an- und abschwellende) Sedimentationsereignis ca. eine Woche später die folgende Millimeter- bis Zentimeter-mächtige Kalkschlicklage (mit oder ohne interne, mehr oder weniger schlecht spaltbare Trennflächen) absetzte. Oft könnten solche Ereignisse noch rascher nacheinander abgelaufen sein. Das gilt besonders, wenn man nicht allein tropische Stürme, sondern vor allem Abfolgen tektonisch ausgelöster Tsunami-Wogen als Sedimentverfrachter in Betracht zieht; dafür gibt es vermehrt Hinweise im süddeutschen Oberjura (s. Teil 1 und STEPHAN 2001). Der Nusplinger Plattenkalk hat sich nach der Ablagerung wegen seines korngestützten, wenig kompaktierbaren Gefüges kaum gesetzt (SCHWEIGERT 1999, 14). Seine Gesamtmächtigkeit beträgt nach bisheriger Kenntnis zwischen 10,5 und 17 m. Dann dürfte der Nusplinger Plattenkalk in einem Zeitraum von etlichen Jahrzehnten gebildet worden sein (wobei nach unten noch zeitliche Spielräume bestehen könnten).

Dank: Dr. Reinhard JUNKER danke ich herzlich für wertvolle Hinweise und vielfältige weitere Hilfen. Prof. Dr. Siegfried SCHERER sowie besonders Dr. Laurence LOEWE und Dr. Klaus NEUHAUS sage ich herzlichen Dank für ihre unverzichtbare Hilfe bei biologischen Aspekten. Ebenso bedanke ich mich herzlich bei Dr. Martin ERNST, Dr. Michael HEISIG, Dr. Torsten ROSSMANN und Dipl.-Geol. Achim ZIMMERMANN für die kritische Durchsicht des Manuskripts und für wertvolle Hinweise. SDG.

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Anmerkung

1 Im Widerspruch zu dieser Aussage trägt jedoch SCHWEIGERT in der Arbeit von BANTEL et al. (1999, 27) die Ansicht mit, „eine erheblich kürzere Sedimentationsdauer in der Größenordnung von nur wenigen tausend Jahren“ erscheine als Ablagerungszeit für den gesamten Nusplinger Plattenkalk „realistischer“.

2 F.A. QUENSTEDT, der Pionier der südwestdeutschen Jura-Stratigraphie und Ammonitenforschung, anerkannte offenbar nur das, was heute Mikroevolution genannt wird. So schrieb er z.B. zur Formenabwandlung der Wirbellosen in der Schichtenfolge des Unteren Oberjura, besonders der Ammoniten: „Ich habe immer für Entwickelung gekämpft, wenn auch nicht für DARWIN’sche, denn die Masse unserer sogenannten Species ist aus einander entstanden ... Die Thiere von alpha beta gamma [= QUENSTEDTs Schichtengliederung des schwäbischen Ober- bzw. Weißjura mit griechischen Buchstaben; vgl. Abb. 22] bleiben sich außerordentlich ähnlich, und vielleicht fehlt unten kein einziges, was oben da ist, freilich etwas verändert da ist“ (QUENSTEDT 1871, 862). ENGELHARDT & HÖLDER (1977, 196) teilen zum Thema mit: „So distanzierte sich Quenstedt nach der erfolgreichen Popularisierung von Darwins Gedankengut auch von Männern, ‚die schon Affenblut in ihren Adern spüren’“. Es ist nicht erstaunlich, daß QUENSTEDTs Position später nicht immer verstanden wurde (vgl. HÖLDER 1983, 327; ZIEGLER 1986, 87f.).

3 Heute bekannte Coccolithophoriden-Taxa erreichen keine so hohen Zelldichten. Sie werden aber durchaus von anderen Mikroorganismen erreicht (mündl. Auskunft von L. LOEWE).

4 PARK & FÜRSICH (2001) versuchen die Entstehung der Feinschichtung des Solnhofener Plattenkalks mit Hilfe eines Computerprogramms (Zeitreihen-Analyse) zu modellieren. Sie gelangen zu einem langzeitlichen zyklischen Sedimentationsmodell, das u.a. vom Präzessionszyklus (Kreiselbewegung der Erdachse) beeinflußt sei. Für eine Plattenkalklage (die zusätzlich interne Feinschichtung aufweisen kann) mit dünner toniger Unterlage (sog. Fäule/Flinz-Paar) gelangen sie so zu einer durchschnittlichen Sedimentationsdauer von 345 Jahren (!). Immerhin sehen PARK & FÜRSICH (2001, 96) ein Problem in dem Tatbestand, daß die Resultate der Zeitreihenanalyse gegenwärtig im Widerspruch stehen zu den Beobachtungen an dem genannten Schmelzschuppenfisch-Panzerschlauch (VIOHL 1998). Sie gestehen zu, daß dieser Befund eine sehr schnelle Sedimentation der Plattenkalklagen nacheinander befürwortet und plädieren für weiterführende Studien, um den Widerspruch zwischen Fossilisationslehre (Taphonomie) und zyklischer Sedimentation zu lösen. Allerdings ist schwer vorstellbar, wie diese Lösung aussehen sollte. Denn hier liegt ein eklatanter Widerspruch vor zwischen Beobachtungen, die sich aus heutigen Zerfallsprozessen ableiten lassen, und einer theoretischen Computersimulation.

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Studium Integrale Journal 10. Jg. Heft 1 - April 2003