Die Insektenflügel bestehen wie die Cuticula ("Häutchen", das Außenskelett von Insekten und Krebsen) aus Chitin und Proteinen. Aus diesem sehr vielseitigen Material bestehen sowohl die glasig-durchsichtigen Doppelmembranen der Flügelzellen als auch das die Flügel durchziehende Netz von Längs- und Queradern. Dieses Grundgerüst der Flügel dient gleichzeitig als Atemröhren. Gorb (1999a) hat nun in Studien an der Becher-Azurjungfer (Enallagma cyathigerum, Zygoptera) nachweisen können, daß die Verbindungen der Adern in zwei Varianten vorkommen. Dieses Fachwerk weist starre, unbewegliche Verbindungen auf und solche, die flexibel sind. Mittels fluoreszenzmikroskopischer Techniken konnte er zeigen, daß die Flexibilität im Zusammenhang mit Resilin, einem Protein, steht. Dieses Protein ist aus vielen anderen Insekten bekannt und erlaubt durch seine elastische Materialeigenschaft, daß sich die entsprechenden Verbindungen wie Mikrogelenke verhalten. Im Adernetz des Libellenflügels sind diese Mikrogelenke in verschiedenen Achsen angeordnet (Abb. 1). Beim Flügelschlag wirken nun auf diese Mikrogelenke Torsionskräfte, welche über die Gelenkachsen das Profil der Flügel verändern. Das Resilin nimmt beim Verwindungsvorgang die Energie auf und setzt sie am Ende des Flügelschlags, wenn keine aerodynamischen Kräfte mehr angreifen, wieder frei, so daß der Flügel wieder seine ursprüngliche Form annimmt. Dadurch werden z. B. in Abhängigkeit von Windrichtung und -stärke) stets ein günstiger Anstellwinkel und ein optimales Profil gewährleistet. Zu den optimalen aerodynamischen Eigenschaften des Libellenflügels tragen außerdem das spezielle Faltungsmuster des Adernetzwerks bei sowie die Ultrafeinstruktur der Flügelmembran. Diese wird von Gorb und Mitarbeitern z.Z. mit speziellen faseroptischen Meßsystemen eingehender untersucht. Gorb et al. (2000) schließen ihren Beitrag angesichts solcher Befunde denn auch staunend mit der Bemerkung ab: "Im Licht der neuen Befunde erscheinen Libellenflügel jedenfalls als frühe Meisterstücke der Evolution: als in Gestalt und Material perfekt konstruierte Flugwerkzeuge, die auch nach Hunderten von Jahrmillionen noch keineswegs veraltet sind." (Wootton & Kukalová-Peck [2000] haben einen Überblicksartikel über Fluganpassungen von fossilen Insekten publiziert, in welchem auch fossile Libellen weiten Raum einnehmen.) In einer Arbeit über Fossilien von Libellenartigen staunen Wootton et al. (1998) darüber, daß diese "neben vielen ähnlich gestalteten (plesiomorphen) Anlagen Spezialisierungen zeigen, die denjenigen entsprechen, die gerade in modernen Libellen beschrieben sind und damit gute Hinweise für eine frühe Entwicklung vielseitiger Flugtechniken liefern." Sie sehen darin "spektakuläre Beispiele für Mikrotechnologie (microengineering)".
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Liebellen liefern spektakuläre Beispiele für Mikrotechnologie.
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Gorb hatte (1999b) bereits bei früheren Untersuchungen an Libellen weitere erstaunliche Beobachtungen gemacht. Er untersuchte 227 Arten aus 26 Libellenfamilien und wies verschiedene Ausführungen eines Arretiersystems für den Kopf der Libellen nach. Dieses Arretiersystem funktioniert nach dem Prinzip des Klettverschlusses (dieses wird z.B. als leicht zu bedienender Verschluß an Kleidungsstücken angewendet) und erlaubt es der Libelle, unter hoher Belastung (z.B. nach Beuteaufnahme) den sehr beweglichen, aber mechanisch verhältnismäßig labil aufgehängten Kopf zu arretieren, indem sie ihn gegen den Thorax zieht und ihn dort mittels des Klettverschluß-Systems fixiert. Dabei büßt der Kopf an Beweglichkeit ein; die Manövrierfähigkeit der Libelle bleibt aber weitgehend erhalten. Die Libelle kann dieses Arretiersystem jederzeit wieder aktiv lösen. Solche erstaunlichen Erscheinungen, die für Ingenieure noch viele Herausforderungen und lohnende Studienobjekte darstellen, finden sich ausgerechnet bei Insekten, die von Zoologen anhand entsprechender Kriterien als einfach oder gar primitiv charakterisiert werden.