Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 5. Jg. Heft 2 - Oktober 1998


Abnehmender Sexappeal von männlichen Buntbarschen durch Umweltverschmutzung des Viktoriasees


von Siegfried Scherer

Studium Integrale Journal
5. Jahrgang / Heft 2 - September 1998
Seite 85 - 86


Buntbarsche (Familie Cichlidae) repräsentieren mit mehr als 1000 Arten in etwa 150 Gattungen vermutlich das artenreichste und diverseste Spektrum einer Wirbeltierradiation im mikroevolutiven Rahmen (d.h. innerhalb eines Grundtyps, vgl. Scherer 1993). Ihre Hauptverbreitungsgebiete sind Afrika und Südamerika. Die meisten dieser Süßwasserfische sind zwischen 10 und 30 cm lang, die Extreme reichen von Daumennagelgröße bis über 70 cm. Da bisher keine Untersuchungen im Rahmen der Grundtypenbiologie vorliegen, ist unklar, ob die Familie einen Grundtyp repräsentiert, doch sprechen viele Indizien dafür.

Der Malawi-See beherbergt beispielsweise mehr als 500 endemische Buntbarscharten, etwas weniger Arten finden sich im Viktoriasee, dem ein geringeres Alter zugeschrieben wird. Man weiß heute, daß die mikroevolutive Entstehung der Buntbarscharten in afrikanischen Seen extrem schnell vor sich gehen kann (Fehrer 1997, Turner 1998). Dies wurde beispielsweise aus zeitlich nicht weit zurückliegenden Austrocknungen oder Seespiegelschwankungen der zur Diskussion stehenden Seen geschlossen (vgl. Egli-Arm 1997). Die Evolution der heute beobachteten Arten muß also zeitlich danach stattgefunden haben.

Ein wichtiges Kriterium für die Evolution dieser Arten ist "sexuelle Selektion". Wenn nahe verwandte Arten sympatrisch (im selben Lebensraum) leben, dann muß sichergestellt sein, daß sich nicht Angehörige verschiedener Arten paaren. Bei Buntbarschen wird dies möglicherweise durch die Färbung der Männchen erreicht. Während die Männchen der einen Art eine kräftig blaue Färbung aufweisen, sind die der anderen, im gleichen Habitat (Lebensraum) lebenden Art stark rot gefärbt. Interessanterweise fallen diese Farben gerade in Bereiche, wo die Netzhaut der Fische besonders empfindlich ist. Die Färbungen könnten also für die jeweiligen Weibchen die Erkennungssignale für den Paarungspartner der eigenen Art sein und damit die (genetisch durchaus mögliche) Kreuzung verschiedener Arten verhindern.

Die genetischen Ursachen für derart schnelle Artbildungen sind nicht im einzelnen bekannt. In einer neuen Arbeit über Buntbarscharten im Malawi-See berichten van Oppen und Kollegen (1998), daß die Artbildung bei Buntbarschen tatsächlich mit sexueller Selektion zusammenhängen könnte. Sie untersuchten das Paarungsverhalten sowie 6 unterschiedliche, stark variable Genorte (Mikrosatelliten) von sympatrisch lebenden Buntbarscharten, welche sich durch die Färbung der Männchen unterscheiden. Die Ergebnisse der genetischen Analyse zeigten, daß die Sequenzen der untersuchten Genorte nicht gleich über alle Färbungsmuster verteilt sind: Die einzelnen Färbungstypen wiesen jeweils unterschiedliche Mikrosatellitensequenzen auf. Die Autoren schließen, daß zwischen den im selben Habitat lebenden Populationen wenig oder gar kein Genfluß existiert. Die Beobachtungen des Paarungsverhaltens durch Taucher führten ebenfalls zu dem Ergebnis, daß die Weibchen sich selektiv mit den entsprechend gefärbten Männchen paaren. Das relativ hohe Maß an Sequenzunterschieden innerhalb der Arten deuten die Autoren als Zeichen für einen geringen Einfluß genetischer Flaschenhälse bei diesen Artbildungen.

In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Artenvielfalt der Buntbarsche im Viktoria-See dramatisch abgenommen. Welche Ursachen kommen dafür in Frage? Seehausen und Mitarbeiter (1997) haben gezeigt, daß zunehmende Eutrophierung dafür verantwortlich ist. Der Grad der Eutrophierung hängt vom Nährstoffgehalt des Wassers ab und dieser nimmt mit steigender Düngung in der Landwirtschaft zu. Das macht sich direkt in der Durchlässigkeit des Wassers für Licht bemerkbar: Je mehr Algen- und Bakterienwachstum, desto besser wird Licht im Wasser absorbiert und desto weniger gut können sich die Buntbarsche gegenseitig sehen.


Abb. 1: Korrelation der Färbungsintensität von Buntbarschmännchen der Gattungen Nyererei (A) und Neochromis (B) mit dem Trübungsgrad des Wassers in verschieden stark eutrophierten Habitaten des Viktoriasees. Nach Seehausen et al. (1997), verändert.

Seehausen et al. (1997) haben die Artenvielfalt und die Farbenpracht der Buntbarsche an verschiedenen stark eutrophierten Stellen des Viktoriasees untersucht. Es zeigte sich, daß die Intensität der Färbung der Fische mit abnehmender Lichtdurchlässigkeit des Wassers abnimmt (Abb. 1). Die roten Männchen sind dann weniger rot und die blauen weniger blau. Dies hängt wahrscheinlich damit zusammen, daß die Weibchen die Farben ihrer Männchen nicht mehr gut genug sehen können, wenn das Wasser trüber wird. Dadurch kommt es vermehrt zu Paarungen mit einem Männchen der "falschen" Art und der Selektionsdruck auf ausgeprägte Färbung fällt weg. Das Endresultat ist eine dramatische Abnahme der Artenvielfalt in solcherart verschmutzten Gewässern innerhalb von wenigen Jahren.

Es wäre interessant zu sehen, ob dieser Prozeß reversibel ist: Kann aus den neu entstandenen Populationen bei geänderten Umweltbedingungen wiederum eine neue Artenvielfalt in kurzer Zeit entstehen? Dies wäre ein experimentelles Indiz dafür, daß ein verborgenes Variationspotential von polyvalenten Stammformen (vgl. Junker & Scherer, 1998, S. 285-294) eine explosive Artbildung zur Folge haben kann. Weil in diesen Fällen durch Mutationen keine neuartige genetische Information entstehen muß, könnte man sich extrem schnelle Artbildungsprozesse innerhalb vergleichsweise weniger Generationen gut vorstellen.


Literatur

  • Egli-Arm F (1997) Kann die Reflexionsseismik eine Austrocknung belegen? Stud. Int. J. 4, 55-58.
  • Fehrer J (1997) Explosive Artbildung bei Buntbarschen der ostafrikanischen Seen. Stud. Int. J. 4, 51-55.
  • Junker R & Scherer S (1998) Evolution - ein kritisches Lehrbuch. Gießen.
  • Scherer S (Hg., 1993) Typen des Lebens. Berlin.
  • Seehausen O, van Alphen JJM & Witte F (1997) Cichlid fish diversity threatened by eutrophication that curbs sexual selection. Science 277, 1808-1811.
  • Turner GF (1998) Explosive speciation in African cichlid fishes. In: Magurran AE & May RM (eds) Evolution of biological diversity. Oxford.
  • Van Oppen MJH, Turner GF, Robinson CRR, Deutsch JC, Genner MJ & Hewitt GM (1998) Assortative mating among rock-dwelling cichlid fishes supports high estimates of species richness from lake Malawi. Mol. Ecol. 7, 991-1001.


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