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Großes Aufsehen hat eine Altersbestimmung von indonesischen Steinwerkzeugen erregt, die vor kurzem M. J. Morwood, P. B. OSullivan, F. Aziz und A. Raza durchgeführt haben. Diese Forscher datierten mit der Spaltspurmethode Steinwerkzeuge der indonesischen Insel Flores auf 800.000-880.000 Jahre (Abb. 1 oben) und schlußfolgerten, daß Homo erectus wiederholt Seefahrten unternahm. Dieses Ergebnis konnte im angesehenen englischen Wissenschaftsjournal Nature am 12. März 1998 veröffentlicht werden. Einen Tag später wurde diese Datierung und ihre Folge in Science, dem amerikanischen Pendant zu Nature, von A. Gibbons ausführlich kommentiert. Das hohe Alter der Steinwerkzeuge von Flores hat zur Folge, daß das von Archäologen und Paläanthropologen entworfene bisherige Bild des Frühmenschen Homo erectus drastisch korrigiert werden muß. Allerdings wurde schon vor längerer Zeit mit guten Gründen vermutet, daß die Flores-Steinwerkzeuge ein ungewöhnlich hohes Alter haben müssen. Diese Erkenntnis wurde in der Fachwelt bisher aber weitgehend abgelehnt oder ignoriert. Der Hauptgrund war, daß eine frühe Besiedlung von Flores nicht plausibel in Grundvorstellungen der Evolution des Menschen passen. Bednarik (1997) kommt das Verdienst zu, bereits vor der spektakulären Veröffentlichung von Morwood et al. (1998) die Geschichte der Entdeckung von Steinwerkzeugen auf Flores und ihre Folge für unser Frühmenschenbild ausführlich dargestellt zu haben. Im folgenden soll die Entdeckungs- und Datierungsgeschichte der Flores-Steinwerkzeuge kurz dargestellt werden. Außerdem werden die Folgen der sehr frühen Datierung der Flores-Artefakte für die Ursprungsvorstellungen vom Menschen diskutiert. Entdeckungsgeschichte der Steinwerkzeuge von Flores. T. Verhoeven entdeckte auf der indonesischen Insel Flores im Januar 1957 (Hooijer 1957, Verhoeven 1958) und im August 1964 auf Timor (Verhoeven 1964) Stegodon-Fossilien. Stegodon ist ein ausgestorbenes elefantenähnliches Rüsseltier (Abb. 2). Unter den ersten Flores-Fossilien erkannte der französische Prähistoriker H. Breuil eine Anzahl von Steinartefakten altpaläolithischen Typs (Verhoeven 1958). 1957 fand auch Verhoeven Steinartefakte, die aber nicht aus der Fossilschicht, sondern von der Oberfläche stammten. 1963 entdeckte er dann aber bei Boa Leza Steinartefakte in Schichten, die auch Stegodon-Reste enthielten (Abb. 1 unten) und bestätigte damit Breuils Entdeckung (Verhoeven 1968, Maringer & Verhoeven 1970a). Weitere Steinartefakte in Schichten mit Stegodon-Resten wurden von Verhoeven 1965 bei Meta Menge und 1968 bei Lehmban Menge entdeckt. Damit war durch Steinwerkzeugfunde aus einer pleistozänen Fossilschicht mit Stegodon trigonocephalus als Leitfossil der Nachweis der Anwesenheit des pleistozänen Menschen auf Flores erbracht. Dieses Ergebnis publizierten Maringer & Verhoeven 1970(b) in der Zeitschrift Anthropos (28 Jahre vor der sensationellen Nature-Veröffentlichung). Als Beginn der Besiedlung von Flores gaben sie das frühe Oberpleistozän an. Im gleichen Jahr erschien ein zweiter Artikel von Maringer & Verhoeven, in dem ähnliche Steinwerkzeugfunde von der Oberfläche aus der gleichen Region (Menge Ruda, Ola Bula) beschrieben wurden (Maringer & Verhoeven 1970c). Maringer & Verhoeven verglichen die lithische Industrie der Insel Flores mit Steinartefakten von Java. Die Floresartefakte ähnelten zum Teil der Pacitanian- (auch Pajitanian-) Industrie, die damals allgemein als die älteste lithische Industrie Javas angesehen und mit Homo erectus in Verbindung gebracht wurde. Allerdings wurde später von anderen Forschern aus geomorphologischen Gründen vermutet, daß diese Industrie mit weniger als 60.000 Jahren wesentlich jünger sei (Pope 1988). Weitere Entdeckungen von Steinwerkzeugen ähnlichen Typs wurden in Waiklau (Maringer & Verhoeven 1972) und bei Marokoak (Maringer & Verhoeven 1975) gemacht. Noch bedeutender war die Entdeckung von Steinwerkzeugen des Clactonian-Typs von dem Höhlenfundplatz Liang Michael (Maringer & Verhoeven 1977). Schließlich fand Maringer (1978) ein bemerkenswertes Steinwerkzeug aus schwarzem Opal. Datierungsgeschichte der Flores-Artefakte.In den Stegodon-Fossilschichten wurden auch Tektite (Glas kosmischen Ursprungs) gefunden. Von Koenigswald (1958) vermutete noch vor der Entdeckung von Steinwerkzeugen in den Fossilschichten, daß die Tektite (Abb. 3) ins Mittelpleistozän gehören. Dieses Alter wurde auch durch den geologischen und paläontologischen Befund unterstützt. Hooijer (1957) stufte die Fauna ins Mittel- und Oberpleistozän ein. Heekeren (1975) grenzte das Alter der fossil- und steinartefaktführende Schichten zwischen 830.000 und 200.000 Jahre ein. Von Koenigswald schätzte auf der Grundlage der Tektitenfunde das Alter auf 830.000 bis 500.000 Jahre mit 710.000 Jahre als dem wahrscheinlichsten Wert höher ein (von Koenigswald & Gosh 1973). Dieses Alter konnte zwei Jahrzehnte später paläomagnetisch bestätigt werden (Sondaar et al. 1994, zitiert in Bednarik 1997). Die jetzt datierten 800.000-880.000 Jahre von Morwood et al. (1998) liegen sogar noch etwas über den bisherigen Altersangaben der Flores-Steinwerkzeuge. Besiedlung von Flores und Fähigkeiten des Frühmenschen.Zwischen den Inseln Indonesien verläuft die sogenannte Wallace-Linie. Sie trennt die östlich von Java gelegene Insel Bali und das weiter nördlich gelegene Borneo von den weiter östlich gelegenen Inseln Lombok und Celebes (Abb. 4). Die Gebiete östlich und westlich der Wallace-Linie weisen Unterschiede in der Tierwelt auf, die ihre Ursache in einer lange bestehenden geographischen Isolation haben. Während die Inseln Java und Bali während des Pleistozäns periodisch mit dem asiatischen Festland verbunden waren, konnten die östlich der Wallace-Linie gelegenen Inseln wie Flores nur auf dem Seeweg erreicht werden. |
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Auf isolierten Inseln ist der Zwergwuchs großer Säugetiere und der Riesenwuchs von Reptilien und Nagetieren ein (mikro)evolutionärer Trend (Azzaroli 1981, Davis 1985; Abb. 5). Auf der Insel Flores existierte auch solch eine Fauna (Sondaar 1987; Abb. 2). Homo erectus hat Java (und wahrscheinlich auch Bali) vor datierten 1 Mill. Jahren (De Vos & Sondaar 1994) bis 1,8 Mill. Jahren (Swisher III et al. 1994) besiedelt. Nach bisherigem Konsens unter Archäologen und Paläanthroplogen überschritt Homo erectus aber niemals die Wallace-Linie. Barstra et al. (1991) bringen die weitverbreite Meinung zum Ausdruck, daß der Mensch die Wallace-Linie zuerst vor ca. 50.000 Jahren überquert hat. Die Hinweise auf eine wesentlich frühere Überschreitung der Wallace-Linie wurden ignoriert oder abgelehnt. Zum Teil lag das daran, daß die grundlegenden Veröffentlichungen in deutscher Sprache erfolgten und englischsprachige Berichte eher abgelegen publiziert wurden (Bednarik 1997). Die Ablehnung von frühmenschlichen Artefakten östlich der Wallace-Linie wurde mit Zweifeln bezüglich des Status und der Assoziation mit Stegodon-Resten der Steinartefakte sowie unklaren Aussterbedatums von Stegodon begründet (Bellwood 1985, Allen 1991). 1994 und 1997 wurden erneut auf Flores bei Meta Menge Steinwerkzeuge in primärer Assoziation mit frühpleistozänem Tuff und Tierresten gefunden. Die datierten 800.000-880.000 Jahre bestätigten vorherige Datierungen auf der Basis paläomagnetischer Bestimmungen, der Biostratigraphie und dem Vorhandensein von Tektiten (Moorwood et al. 1997, 1998). Ähnliche Steinwerkzeuge wie von Flores gibt es auch von anderen Inseln östlich der Wallace-Linie: Timor (Verhoeven 1964, Glover & Glover 1970), Celebes und Ceram (siehe Bednarik 1997). In einigen Fällen, insbesondere auf Timor, treten diese Werkzeuge in einem stratigraphischen Zusammenhang mit Stegodon und anderen ausgestorbenen Tieren auf. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, daß Homo erectus außer Flores auch viele andere Inseln östlich der Wallace-Linie besiedelt hat (Bednarik 1997). Während bei Meta Menge im Zusammenhang mit Steinwerkzeugen normalgroße Stegodons und Riesenratten geborgen wurden, gehören zur fossilen Fauna des etwas älteren Floresfundplatzes Tangi Talo (ca. 900.000 Jahre datiert) Zwerg-Stegodons, Riesenschildkröten und riesige Komodowarane, aber keine Werkzeuge. Wie ist dieser Faunenschnitt zu erklären? Die kleinen Stegodons und Riesenschildkröten waren für den angekommenen Homo erectus wahrscheinlich eine leichte Beute und konnten deshalb von ihm ausgerottet worden. Die Riesenratten überlebten wegen ihrer hohen Reproduktionsrate und waren eine wichtige Proteinquelle für den Menschen (Sondaar 1987). Homo erectus mußte mindestens 19 km Seeweg zurücklegen, um Flores zu erreichen (Birdsell 1977). Dieser Menschentyp war somit ein Seefahrer und muß navigatorische Fähigkeiten besessen haben. Damit verfügte Homo erectus auch über ein effektives Kommunikationssystem. Somit war Homo erectus nicht weniger entwickelt als der moderne Mensch. Mißachtung von Daten durch Theorien.In einem Übersichtsartikel über die Ausbreitungsgeschichte des Homo erectus erwähnt R. Gore 1997 in der populärwissenschaftlichen Zeitschrift National Geographic gegenüber einem breiten Lesepublikum, daß auf Flores in einer 700.000 Jahre alten Steinschicht in der Nähe von Knochen einer ausgestorbenen Elephantenspezies Steinwerkzeuge gefunden wurden. Weiter heißt es dann in dem Artikel, daß diese Entdeckung aber ein so frühes Überqueren der Wallace-Linie impliziert, daß die meisten Wissenschaftler die Notwendigkeit zur Vorsicht gegenüber solch einer These betonen. Warum diese Vorsicht? Die Aufklärung des Leser erfolgte schon einige Seiten vorher. Zwar glauben einige Wissenschaftler an eine verbale Kommunikationsfähigkeit von Homo erectus, der Grundtenor in der Paläanthropologie ist jedoch der, daß Homo erectus keine uns vergleichbare Sprache besaß. Erst der moderne Homo sapiens soll von seinen Fähigkeiten her in der Lage gewesen sein, Seereisen durchzuführen. Als prominente Vertreter dieser Auffassung seien beispielhaft Noble & Davidson (1996) genannt. Nach Überzeugung der allermeisten Archäologen und Paläanthropologen verfügte Homo erectus im Vergleich mit dem Homo sapiens über geringe geistige und kommunikative Fähigkeiten. Nur diese Überzeugung erklärt das über Jahrzehnte dauernde Leugnen der Existenz von Menschen im Mittelpleistozän auf Flores, nachdem diese überzeugend nachgewiesen und publiziert wurde. Die Steinwerkzeuge von Flores sind aber nicht die ersten Hinweise auf einen hochentwickelten Frühmenschen. Ebenfalls in Nature wurde im vergangenen Jahr über aufsehenerregende Waffen des Homo erectus berichtet: H. Thieme (1997) hat am Rande des Harzes mehrere Holzspeere entdeckt, die auf Fähigkeiten weisen, die bis dahin nur dem modernen Menschen zugebilligt wurden (Dennell 1997, siehe auch Brandt 1997). Es ist zu hoffen, daß diese Entdeckung und andere Argumente die üblichen Darstellungen von Homo erectus als primitiven Menschen korrigieren. Hochentwickelter Frühmensch und Evolution.Die neuen Erkenntnisse von Homo erectus als Menschenspezies, die nicht weniger entwickelt war als der moderne Homo sapiens, passen schlecht in evolutionäre Ursprungsmodelle des Menschen. Nach diesen Vorstellungen repräsentieren die Australopithecinen eine erste Stufe der Menschwerdung. Die weitere Evolution erfolgte über Habilis-Vertreter. Homo erectus war danach der unzweifelhaft erste echte, aber noch primitive Mensch. Die Habilinen sind eine besonders kontrovers diskutierte Hominidengruppe. Das ihnen zugeordnete Knochenmaterial kann überwiegend zu den Australopithecinen gestellt werden. Einige Habilis-Skelettelemente zeigen eine Ähnlichkeit mit Homo erectus (Brandt 1995a). Trotz gelegentlich geäußerter gegenteiliger Behauptung (siehe kritische Diskussion Aiello 1994 und auch Brandt 1995b sowie Brandt in Vorb.) verfügten die Australopithecinen nicht über Fähigkeiten (z.B. Herstellung von Steinwerkzeugen in großer Stückzahl), die sie geistig über das Großaffenniveau heben. Homo erectus als unbestritten erster echter Mensch war dagegen von Beginn seines Nachweises ein voll entwickelter Mensch. Damit fehlen eindeutige fossile Belege für den Prozeß der Menschwerdung. Im Grundtypmodell können diese Befunde besser gedeutet werden. Die Australopithecinen repräsentieren hier einen eigenen Grundtyp ohne verwandtschaftliche Beziehung zum Menschen. Homo erectus gehört zum Grundtyp Mensch und war deshalb nicht weniger menschlich als die heute lebenden Menschen. |
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