Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 8. Jg. Heft 1 - April 2001
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Millionenverluste: Das Kambrium schrumpft

von Thomas Fritzsche

Studium Integrale Journal
8. Jahrgang / Heft 1 - April 2001
Seite 22 - 27



Zusammenfassung: In den letzten Jahren konnten vermehrt vulkanische Ablagerungen des Kambriums datiert werden. Die ermittelten Alter waren niedriger als erwartet. Die Präkambrium/Kambrium-Grenze dürfte deshalb bei 544 Millionen Jahren (Ma) liegen, womit der zuvor allgemein anerkannte Wert von 570 Ma um rund 25 Ma korrigiert werden muß; auch die Kambrium/Ordovizium-Grenze wird 15 Ma jünger datiert. Insgesamt verkürzt sich die Dauer des Kambriums. Demzufolge hat die explosive Entfaltung des Lebens, die auch als "kambrische Explosion" bezeichnet wird, nur 5-10 Ma gedauert, das ist nur noch ein Drittel der Zeit, die Paläontologen zuvor dafür veranschlagt hatten. Die weiterentwickelte Datierungsmethode - U/Pb-Isotopenverhältnisse an Zirkonen - verspricht interessante Resultate auch für die anderen Systeme, vielleicht sogar für das Präkambrium. Eine weitere Anwendung findet die Methode bei der Ermittlung der Dauer des Massensterbens an der Perm/Trias-Grenze.





Kasten 1: Absolute und relative Datierungen

Die radiometrischen Datierungsmethoden werden als absolute Methoden angesehen. Mit dieser Bezeichnung soll auch der Unterschied zu den relativen Datierungen betont werden, bei denen das zeitliche Nacheinander ermittelt wird, ohne daß ein sicheres Alter angegeben werden kann. Da die absoluten Methoden auf verschiedenen Annahmen und Konventionen beruhen – beispielsweise wird eine internationale Übereinkunft über den Wert der Zerfallsrate getroffen, mit der nach der jeweiligen Methode die Alter berechnet werden – müssen sie nicht das tatsächliche Alter eines Gesteins anzeigen. Um den Modellcharakter der Datierungen hervorzuheben, spricht man auch von Modellaltern. Sind alle Voraussetzungen für eine gelungene Datierung erfüllt, der gewonnene Alterswert entspricht aber nicht der geologischen Stellung des Gesteins, spricht man vom scheinbaren Alter. Das kann der Fall sein, wenn ein Gestein irgendwann nach seiner Entstehung thermisch überprägt wurde: dann wird u.U. das "Alter" des thermischen Ereignisses erfaßt, nicht das des Gesteins.

Wer die ältere geologische Literatur studiert, wird in den geologischen Zeittafeln für die Präkambrium/Kambrium-Grenze den runden Alterswert von 600 Ma entdecken. Vor über zwei Jahrzehnten wurde diese Angabe auf 590 bzw. 570 Ma heruntergesetzt und findet sich heute in den meisten einschlägigen Lehrbüchern. Im Zeitalter präziser Isotopenmessungen sollte man erwarten, daß sich hieran nicht mehr viel ändern würde. Doch seit einigen Jahren weisen Forschergruppen darauf hin, daß der Beginn des Kambriums noch jünger anzusetzen sei. Der Alterswert für die Präkambrium/Kambrium-Grenze soll nun bei 544 Ma liegen, was auch Folgen für die jüngeren Systeme hat.

Welche Beobachtungen haben zu dieser Korrektur der absoluten Zeitskala geführt und warum sind die Datierungen überhaupt so nachgiebig? Datiert werden zumeist magmatische Gesteine, d.h. vulkanische Gesteine wie erstarrte Laven und Aschen oder Tiefengesteine, die inzwischen durch geologische Prozesse an die Erdoberfläche gelangten. Solches Gestein ist im älteren Paläozoikum, das die Systeme Kambrium, Ordovizium und Silur umfaßt, eher selten. Deshalb gründeten die früheren absoluten Altersangaben auf wenigen Messungen (siehe auch Kasten 1). Zwischen diesen Meßpunkten wurde interpoliert, wobei z.B. die Sedimentmächtigkeit geteilt durch die vermutete Sedimentationsrate mehr oder weniger verläßliche Zwischenwerte lieferte.

Abb. 1: Stratigraphische Tabelle mit der Präkambrium/Kambrium-Grenze und die Untergliederung des Kambriums. Nach den jüngeren Datierungen nimmt das Untere Kambrium einen großen Teil der kambrischen Periode ein. Das Nemakit-Daldynium (auch Manikaianium genannt) wurde erst vor wenigen Jahren dem Kambrium hinzugefügt. (Nach Bowring & Erwin 1998)

Abb. 1
Anfang der 80er Jahre lagen aber Datierungen von Gesteinen aus verschiedenen Regionen der Erde vor, die zusammen mit der stratigraphischen Stellung benachbarter Sedimentgesteine allesamt auf ein Alter von ca. 520-540 Ma für die Basis des Kambriums wiesen (Odin et al. 1983). Auch wenn die litho- und biostratigraphische Definition der Präkambrium/Kambrium-Grenze zu dieser Zeit noch nicht exakt vorgenommen war, schien eine Korrektur der absoluten Zeitskala unumgänglich (vgl. Abb. 1).

Nur wenige Datierungen stützten noch den ursprünglichen Wert von 600 Ma für die Grenze Präkambrium/Kambrium, darunter Gesteine von zwei Sektionen aus dem Unteren Kambrium in China. Die Rubidium/Strontium-Alter von 587 ± 17 Ma und 588 ± 13 Ma dieser Gesteine lassen sich aber durch eingeschwemmte ältere Minerale erklären (Compston et al. 1992). Die Datierung von Zirkonen aus einer stratigraphisch älteren Schicht in der Nähe von Kunming (China) erbrachte dagegen einen viel jüngeren Wert von 525 ± 7 Ma (Compston et al. 1992). Die gleichen Autoren berichten auch von Datierungen an Zirkonen aus einem wenige Zentimenter mächtigen Tuff der Lie de Vin Formation (Tommotian) in Marokko. Das ermittelte Alter von 521 ± 7 Ma stützt die Werte von Odin et al. (1983).

In den letzten Jahrzehnten haben sich die Geologen vermehrt den Details gewidmet, viele Profile wurden Zentimeter für Zentimeter aufgenommen. Dabei stellte sich heraus, daß dünne Lagen vulkanischer Aschen häufiger auftreten als früher vermutet. Von besonderer stratigraphischer Bedeutung sind die mitunter kontinentweiten Ablagerungen gewaltiger Vulkanausbrüche. Läßt sich eine Aschenschicht geochemisch einwandfrei einem vulkanischen Ereignis zuordnen, kann sie unter Umständen als Kontrolle der biostratigraphischen Stellung dienen. Parallel dazu wurden die Datierungsmethoden verfeinert. So sollten die Wechselfolgen datierbarer vulkanischer Aschen mit fossilhaltigen Ablagerungen die Aufeinanderfolge der Schichten wiedergeben.



Kasten 2: Uran/Thorium/Blei-Methoden

Ein bestimmtes chemisches Element besteht in der Regel aus mehreren Isotopen, d.h. aus Atomen, die sich in der Zahl ihrer Kernbausteine unterscheiden. Vom Element Uran (chemisches Symbol: U) kommen drei Isotope in der Natur vor. Alle drei Isotope sind instabil, sie zerfallen mit konstanter Rate. Bei den unter dem Oberbegriff Uran/Thorium/Blei-Methoden zusammengefaßten Datierungsverfahren handelt es sich um drei voneinander unabhängige Zerfallsreihen. Ein instabiles Mutterisotop zerfällt über eine Reihe von Zwischenprodukten, die ihrerseits alle instabil sind, schließlich zu einem stabilen Bleiisotop (chemisches Symbol: Pb). Das Besondere ist nun, daß am Ende einer jeden Zerfallsreihe ein charakteristisches Bleiisotop steht.

instabiles Isotop End-produkt Halbwerts-zeit (in Ma) Zerfallskonstante
235U 207Pb 703,8 1,55125 x 10-10
238U 206Pb 4468 9,8485 x 10-10
232Th 208Pb 14010 4,9475 x 10-11

Das dritte in der Natur auftretende Uranisotop 234U ist ein Zwischenprodukt in der 238U/206Pb-Zerfallsreihe und deshalb nicht in der Tabelle aufgeführt. Sind die Mutterisotope in einem Gestein nach seiner Bildung erst einmal fixiert, so stellt sich nach einiger Zeit ein Gleichgewicht zwischen den einzelnen Zerfallsschritten einer jeden Zerfallsreihe ein. Deshalb ist es zulässig zur Beschreibung des Zerfalls und Ermittlung des Alters einer Probe nur die Anfangs- und Endprodukte zu betrachten.

Von den Bestandteilen vulkanischer Aschen ist das Mineral Zirkon besonders für Datierungen geeignet. Zirkone sind gegen nachfolgende thermische Ereignisse oftmals resistent. Zu den in das Mineral eingebauten Spurenelementen gehört auch das Uran. Die Datierung der Zirkone erfolgt mittels der sog. Uran/Blei-Methoden (siehe Kasten 2). Die unabhängigen Ergebnisse der 2 Zerfallsreihen, zum einen 238U/206Pb, zum anderen 235U/207Pb, sollten nun die gleichen Alter liefern. Mit dem Verhältnis der stabilen Bleiisotope 207Pb und 206Pb steht noch eine dritte Datierungsmethode zur Verfügung (siehe Kasten 3). Die heutigen Verfahren zur Isotopenmessung sind so präzise, daß selbst geringe Bleigehalte bis 10-12 g in einem Zirkonmineral bestimmt werden können.

Führen alle drei Methoden zum gleichen (konkordanten) Alter, so zeigt dies an, daß das System nach der Kristallisation geschlossen war. Diese Bedingung ist jedoch nicht immer erfüllt, besonders das Blei diffundiert mit der Zeit aus der Probe heraus. Bleibt das Uran in der Probe, erhält man folglich zu junge Alter. Da vom Bleiverlust aber alle Pb-Isotope betroffen sind, sollte das an den Verhältnissen 207Pb/204Pb und 206Pb/204Pb nichts ändern. Deshalb gelten die 207Pb/206Pb-Alter im Zweifel als zuverlässiger.

Die Probe kann aber auch ererbtes Blei enthalten, wodurch das ermittelte Alter zu hoch ausfällt. Bleiverlust und ererbtes Blei können sich hinsichtlich ihres Einflusses auf das Alter der Probe ausgleichen, was sich aber ohne zusätzliche Informationen nicht sicher bestimmen läßt. Deshalb ist es wünschenswert, besonders solche Proben zu analysieren, in denen der Gehalt an radiogenem Blei hoch ist. Hierzu müssen Annahmen über die Bleiisotopen-Verhältnisse zur Zeit der Bildung des Minerals gemacht werden, die z.B. aus Erzmineralen mit ähnlicher Altersstellung abgeleitet werden.

Die beiden modernen Verfahren zur Isotopenmessung sind IDTIMS (für: Isotope Dilution-Thermal Ionization Mass Spectrometry) und SHRIMP (für: Super-High-Resolution Ion Microprobe).



Die Präkambrium/Kambrium-Grenze ist nach internationaler Übereinkunft durch das erstmalige Auftreten des Spurenfossils Phycodes pedum bestimmt. Die Typlokalität ist ein Aufschluß im Südosten Neufundlands (Grotzinger et al. 1995). Mit der paläontologischen Definition ist jedoch kein absolutes Alter dieser Grenze verbunden, tatsächlich erwies sich die Bestimmung eines radiometrischen Alters wegen des Fehlens datierbaren Materials als schwierig.

Die veränderte politische Lage kam den Forschern zu Hilfe. Bowring et al. (1993) bekamen Zugang zu einer Gegend in Sibirien, die zuvor militärisches Sperrgebiet war. Dadurch war es ihnen möglich, die U-Pb-Alter an Vulkaniten und Brekzien mit eingeschalteten kambrischen Gesteinen zu ermitteln. Daß es sich um vulkanische Brekzien handelte, die sich datieren lassen, ging aus den älteren geologischen Karten nicht hervor. Aus diesen Datierungen folgt, daß das Kambrium vor 544 Ma begann.

Weitere Resultate zeigen, daß nicht nur der Beginn des Kambriums jünger einzustufen ist, sondern auch die Dauer des gesamten Kambriums komprimiert werden muß. Die erste Stufe des Kambriums dauerte nur 10-15 Ma. Das Untere Kambrium dürfte rund 35 Ma gedauert haben und bildet damit den Hauptteil des Systems (siehe Abb. 2). Dagegen verkürzt sich die Dauer des Mittleren und Oberen Kambriums von 17 bzw. 18 Ma auf jeweils nur rund 10 Ma (Bowring et al. 1993; Davidek et al. 1998).


Abb. 2: Die Entwicklung chronologischer Zeitangaben für die Grenzen der geologischen Systeme vom oberen Präkambrium bis zum Unter-Ordovizium der letzten 20 Jahre (nach verschiedenen Autoren; verändert nach Bowring & Erwin 1998). Danach wird die Präkambrium/Kambrium-Grenze immer jünger und die auch die Dauer der einzelenen Stufen der Systeme verschiebt sich.

Abb. 2

Anhand bestimmter Fossilgruppen (Leitfossilien) werden die einzelnen geologischen Systeme weiter untergliedert. So sind Mittleres und Oberes Kambrium hauptsächlich mit Hilfe der Trilobiten in 6 bzw. 7 Zonen eingeteilt. Die Dauer der einzelnen Zonen wurde früher mit 2,8 bzw. 2,6 Ma angegeben. Nach den jetzt vorliegenden Datierungen schmelzen sie durchschnittlich auf jeweils nur 1,5 Ma zusammen und sind denen jurassischer Ammoniten vergleichbar (Bowring & Erwin 1998).

Für den angenommenen Weg der Lebensentwicklung sind sehr hohe Evolutionsraten erforderlich, die durch die jüngsten Datierungen sogar noch einmal gesteigert werden müssen. Bislang erwies sich die Bestimmung von Evolutionsraten ohne feste Zeitskala als schwierig. Wie lange existieren Lebensgemeinschaften, wieviel Zeit benötigen sie für die Radiation, wie lange dauert die Erholung nach Massensterben und schließlich: haben sich diese Raten während des Phanerozoikums verändert (Bowring & Erwin 1998)? Die hohe Auflösung der Zirkonalter verspricht erstmals Antworten auf diese fundamentalen Fragen.



Das Kambrium ist nach allgemeinem paläontologischen Befund die Zeitperiode, in der das Leben auf der Erde eine explosive Entfaltung nahm. Alle heute bekannten Tierstämme und ein Großteil der Tierklassen existieren seit dem Kambrium. Auf die Dauer des gesamten Phanerozoikums bezogen treten die ersten Vertreter der Tierstämme fast gleichzeitig auf. Deshalb spricht man von der "kambrischen Explosion". Die Ursache für das plötzliche Erscheinen ist unbekannt.


Abb. 3: Ediacara-Fauna (Vendobionten), deren Natur umstritten ist. (Nach Gould 1991)

Abb. 3

Für einige Zeit wurde die berühmte Ediacara-Fauna (siehe Abb. 3), die sich in Ablagerungen unmittelbar unter dem Kambrium findet, als möglicher Vorläufer der explosiven Ausbreitung des Lebens gedeutet (vgl. auch Stephan 1994). Inzwischen wurde sie aber auch im Kambrium nachgewiesen. Gleichzeitig finden sich immer mehr Vertreter der kambrischen Tierstämme auch unterhalb der Präkambrium/Kambrium-Grenze. Demnach lebten Ediacara-Fauna und Schalentiere gleichzeitig. Das stützt die Vermutung, daß die Lebensentfaltung bereits im späten Präkambrium erfolgt war, nur fossil bisher kaum bzw. gar nicht belegt ist. Die kambrische Explosion wäre dann nicht als der "Urknall des tierischen Lebens" zu verstehen (Erdtmann et al. 1994). Sowohl die neuen paläontologischen Funde als auch die Resultate der Altersbestimmungen stellen heute Schichten zeitlich nebeneinander, die zuvor im Sinne einer evolutiven Folge als nacheinander angesehen wurden (Grotzinger et al. 1995). Damit wird die Suche nach ursprünglichen Lebensformen ins späte Präkambrium gedrängt.



Kasten 3: Konkordia- und Diskordiakurve

Das chemische Element Blei besteht neben den schon genannten Isotopen auch aus dem stabilen Isotop 204Pb, das nicht aus aus dem radioaktiven Zerfall stammt. Es kann nun als Referenzisotop dienen. Aus dem Verhältnis von 207Pb/204Pb zu 206Pb/204Pb erhält man ein sog. 207Pb/206Pb-Alter. Damit hat man im System Uran-Blei eine dritte Datierungsmethode gewonnen. Sie bietet den großen Vorteil, daß man nur Bleiisotopen-Verhältnisse bestimmen muß, also auf eine Messung der Uran-Isotope und des Gesamtbleis verzichten kann. Allerdings müssen noch Annahmen über die bei der Bildung der Probe bereits existierenden Bleiisotope getroffen werden. Sind aus einer Probe nach ihrer Entstehung weder Blei noch Uran entwichen oder wurden zugeführt, so sollte bei Anwendung der drei Datierungsverfahren 238U/206Pb, 235U/207Pb und 207Pb/206Pb jeweils das gleiche Alter herauskommen. Das ist oftmals nicht der Fall (Faure 1986, S. 282-308).

Trägt man das Verhältnis von 238U/206Pb gegen 235U/207Pb für verschiedene Zeitpunkte in einem Diagramm auf, so erhält man die sog. Konkordiakurve. Das ist zunächst eine rein theoretische Kurve, die beispielsweise verdeutlicht, daß die Menge an 207Pb wegen der höheren Zerfallsrate von 235U am Anfang sehr viel schneller zunimmt als die Menge an 206Pb. Im Idealfall sollten die ermittelten Isotopenverhältnisse einer untersuchten Probe nun genau auf dieser Kurve liegen. Oft erhält man jedoch diskordante Alter. Selbst dann besteht die Möglichkeit, eine Altersinformation zu erhalten. Bestimmt man z.B. an mehreren Zirkonen einer Probe die Uran/Blei-Verhältnisse, so werden diese sich gering unterscheiden. Trägt man sie als Meßpunkte in das Diagramm ein, lassen sie sich in der Regel durch eine Gerade (die sog. Diskordia) verbinden, die die Konkordiakurve schneidet. Beim Schnittpunkt dieser Geraden mit der Konkordia-Kurve kann es sich um den gesuchten Alterswert handeln.

Ein weiteres Resultat dieser Datierungsmethode trifft die Auseinandersetzung um die Ursache des Massensterbens an der Perm/Trias-Grenze. In Meishan (China) wurden mehrere stratigraphisch aufeinanderfolgende Aschenlagen datiert, von denen eine unmittelbar an die Perm/Trias-Grenze heranreicht. Um verläßliche Mittelwerte zu erhalten, wurden Isotopenmessungen an 5-10 Fraktionen Zirkonen je Aschenlage ausgeführt. Im günstigsten Fall bildeten die Isotopendaten Gruppen mit konkordanten Altern. Dann entsprachen die angegebenen Alter den gewichteten Mitteln aus den drei Datierungsverfahren. Bowring et al. (1998) haben bevorzugt Zirkone analysiert, die einen hohen Gehalt an radiogenem Blei aufwiesen (siehe Kasten 3). Dadurch sank die Differenz in den ermittelten Resultaten zwischen den 3 Methoden auf unter 0,5 %. Oftmals erhielten sie jedoch diskordante Alter, dann wurden die 207Pb/206Pb-Alter als am zuverlässigsten angesehen. Die minimale Unsicherheit der einzelnen Datierungen betrug 1-2 Ma. Die untersuchten Aschenschichten können aber auch bis über 10 Ma ältere Zirkone enthalten, die bei der Ermittlung der o.g. Zahlen ausgeschlossen wurden.

Die Datierungen grenzen die Dauer des Massensterbens auf etwa 1 Million Jahre ein (Bowring et al. 1998). Zieht man außerdem die Ergebnisse der Kohlenstoff-Isotopenverhältnisse hinzu, folgt als maximale Dauer 165.000 Jahre. Damit ist ein katastrophisches Ereignis, z.B. ein Kometeneinschlag oder heftiger Vulkanismus als Auslöser wahrscheinlich. Der sibirische Flutbasalt-Vulkanismus wäre ein potentieller Kandidat. Die geochronologische Auflösung ist in diesem Bereich höher als die paläontologische (Bowring & Erwin 1998).

Werden einzelne übereinanderliegende Aschelagen nach derselben Methode und Probenverarbeitung datiert, fallen beim Vergleich der Resultate systematische Fehler fort. Derartige Fehler sind z.B. durch Unsicherheiten der Zerfallskonstanten von Uran oder der Vergleichsproben mit definierten Anteilen radioaktiver Substanz gegeben. Während die einzelnen Alterswerte jeweils für sich allein betrachtet wegen systematischer Fehler falsch sein können, dürfte der relative Altersvergleich korrekte Werte liefern. Sind die zeitlichen Abstände zwischen den Schichten nicht wesentlich kleiner als der Meßfehler bei den Datierungen und können mehrere Lagen datiert werden, so läßt sich die relative Altersbeziehung möglicherweise als eine absolute ansehen mit weiterreichenden Folgerungen für die dazwischenliegenden Schichten. Beispielsweise ließen sich Aussagen zu Sedimentationsgeschwindigkeiten und - sofern Makroevolution vorausgesetzt wird - evolutiven Prozessen machen.



Die gleichen Methoden wurden inzwischen eingesetzt, um Datierungen an kambrischen Sedimentgesteinen auszuführen. Wegen der geringen Konzentrationen an Blei und Uran und auch der leichten Mobilisierung des Urans liefern Sedimente meist unzuverlässige Zahlen. Datierungen an kalzitischen Konkretionen in Alaunschiefern des Oberen Kambriums aus Schweden versprachen wegen der hohen U/Pb-Verhältnisse jedoch sinnvolle Resultate (Israelson et al. 1996). Begünstigend wirkt sich hierbei aus, daß die Schiefer organisches Material enthalten, das Uran aus der Lösung extrahierte. Ein Alter von rund 510 Ma für die feinkristallinen inneren Füllungen der Konkretionen ist mit der stratigraphischen Stellung und der jüngst eingeforderten Korrektur der Zeitskala verträglich. Der äußere Rand der Konkretionen ist etwa 30 Ma jünger und wird durch langsame Umwandlung des Gesteins infolge späterer Kompaktion interpretiert.

Die Kambrium/Ordovizium-Grenze dürfte jünger als 491 ± 1 Ma sein. Dies folgt aus der Datierung einer Aschenlage des Oberen Kambriums in Nordwales (Davidek et al. 1998). Unklar ist zur Zeit allerdings noch die biostratigraphische Definition dieser Grenze.

Datierungen in anderen geologischen Systemen erlauben die zeitliche Eingrenzung der Graptholithen-Zonen im Ordovizium mit 1 bis 2 Ma und die der Graptholithen-Zonen im Silur mit 0,44 Ma, 1 Ma und 1,43 Ma (Hughes 1995; Tucker et al. 1990) anzugeben. Die früher genannte Zahl von 1 Ma für eine Graptholithenzone des Silurs war nur ein geschätzter Mittelwert. Die Ursachen der jetzt entdeckten unterschiedlichen Dauer der Zonen sind noch völlig unbekannt.



Durch die jüngsten Fortschritte bei der Datierung vulkanischer Gesteine können einzelne Schichten auf weniger als 1 Ma genau datiert werden. Die Unsicherheiten, mit denen einzelne absolute Werte immer noch behaftet sein können, gelten für die relative zeitliche Beziehung der Schichten zueinander nicht mehr. Deshalb äußern die Geochronologen die Hoffnung, den Biologen Zahlen in die Hand geben zu können, mit denen die Dimensionen evolutionärer Prozesse besser erfaßt werden können (Bowring & Ewing 1998). Überraschungen sind eingeschlossen, wie die Entwicklung der letzten Jahre beweist, nach der die kambrische Explosion noch explosiver erscheint, als bis vor kurzem vermutet. In weiteren strittigen Fragen, wie z.B. der Ursache des Massensterbens an der Wende Perm/Trias, grenzen jüngere Datierungen die Zahl der Hypothesen insofern ein, als die Plötzlichkeit des Aussterbens ein katastrophisches Ereignis nahelegt (Bowring et al. 1998).

Allerdings könnte sich die Wende Präkambrium/Kambrium hinsichtlich des Fossilbefundes und weiterer geologischer Indizien nicht als die strenge Grenze erweisen, die allgemein angenommen wird. Im Sinne eines stetigen Evolutionsgeschehens wäre zu fordern, daß noch mehr der aus dem Kambrium bekannten Stämme im späten Proterozoikum auftauchen, vor allem aber passende Vorläuferformen. Andernfalls müßten für die kambrische Explosion ungewöhnliche evolutive Schübe angenommen werden. Eine Schlüsselrolle würde dann Datierungen spätproterozoischer Gesteine zukommen, die allerdings recht selten sind. Ob es im Proterozoikum oder auch im Phanerozoikum zu weiteren Verschiebungen der existierenden Zeitskala kommt, läßt sich zur Zeit nicht absehen.

Danksagung: Bei Thomas Herzog und Reinhard Junker möchte ich mich herzlich für die Durchsicht und kritische Kommentare zu diesem Beitrag bedanken.



Glossar

Biostratigraphie:
Untergliederung der Gesteinsfolge anhand der Fossilien
Brekzien:
grobkörniges Gestein, das aus Bruchstücken anderer Gesteine besteht. Es kann sedimentär, vulkanisch oder tektonisch gebildet werden.
jurassisch:
dem geologischen System Jura angehörend
Lithostratigraphie:
Untergliederung der Gesteinsfolge anhand der Eigenschaften der Gesteine selbst
Phanerozoikum:
zusammenfassender Begriff für alle geologischen Systeme vom Kambrium bis Tertiär


Literatur

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