Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 23. Jg. Heft 1 - Mai 2016
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Die Paradiesvögel

1: Farbenpracht, Vielfalt und Einheit und ihre Hybriden
2: Präexistente genetische Programme und die Rolle der sexuellen Selektion

von Nigel Crompton

Studium Integrale Journal
24. Jahrgang / Heft 2 - Oktober 2017
Seite 88 - 97


Zusammenfassung: Paradiesvögel tragen ihren verheißungsvollen Namen zu Recht, angesichts ungewöhnlicher Schönheit und ausufernder Vielfalt. Diese außergewöhnlichen Vögel verkörpern durch ihre Balzrituale das Wesen des Liebeswerbens. Bei aller Unterschiedlichkeit erweisen sie sich aber auch als einheitliche, zusammengehörige Gruppe.




Einleitung

Paradiesvögel – was für ein großartiger Name für eine Vogelfamilie! Er löst freudige Gefühle geheimnisvoller Romantik aus. Diese Vögel stammen aus dem einst sagenumwobenen Neuguinea und die Europäer bekamen sie erst 1522 zu Gesicht, und auch dann zunächst nur als Bälge mit außergewöhnlichem Gefieder. Da diese ja kein Fleisch und keine Beine hatten, verbreitete sich das Gerücht, dass die Vögel weder Nahrung zu sich nehmen mussten noch einen Platz zum Landen brauchten, sondern immer im Himmel umherflogen und himmlischen Tau tranken: Sie waren Vögel des Paradieses – ein passender Name für eine Vogelfamilie, die in ihrem Wesen das Liebeswerben zu verkörpern scheint (vgl. den 2. Teil dieses Artikels in der nächsten Ausgabe).

Abb. 1: Großer Paradiesvogel (Paradisaea apoda) (Tim Laman / National Geographic Creative, © naturepl.com)
Bei der Balz scheinen sich die Vögel in Ballerinas zu verwandeln, die in verblüffenden Formen und Drehschwüngen herumwirbeln.

Der Mensch hat immer die Farbenpracht und überwältigende Vielfalt der Gefieder dieser Vogelfamilie bewundert. Viele andere Vogeltaxa haben auch ein großartiges Gefieder, Fadenfedern am Kopf oder spektakuläre Schwänze, aber die Paradiesvögel scheinen alles zusammen in einem Paket bekommen zu haben. Die Exemplare vieler Arten sind knallbunt, schillernd und oft irisierend, ihre Konturfedern glänzen gelb und rot, grün und blau, purpurrot und braun. Viele haben auffällige Steuerfedern, die übermäßig extravagant sind, wie prächtige weiße Bänder oder Federn, die zu engen Schäften gleich paarigen Drähten reduziert und – nur fürs Auge – an den Spitzen geschmückt sind. Die ikonenhafteren und spektakuläreren Arten haben wunderbare Flankenfedern, die bei der Balz wie vibrierende Farbfontänen unter ihren Flügeln hervorbrechen. Viele der nur etwas weniger bezaubernden Arten haben verblüffende Kämme aus Federn oder Fadenfedern an ihrem Hinterkopf, die strahlenförmig hinter ihrem Auge hervortreten. Diese verwenden sie bei ihren atemberaubenden Darbietungen, bei denen sich die Vögel in Ballerinas zu verwandeln scheinen, die in verblüffenden Formen und Drehschwüngen herumwirbeln. All das, um das Herz der Dame zu gewinnen – und das ist erst der Anfang, es gibt noch so viel mehr. Es gibt wirklich keine andere Vogelfamilie, die man so richtig mit den Paradiesvögeln und ihren einzigartigen Balzdarbietungen vergleichen könnte.

Die Paradiesvögel (Paradisaeidae) sind eine faszinierende Familie schöner Vögel, die in Neuguinea und Nord-Ostaustralien vorkommen und außergewöhnliche Balzrituale zur Schau stellen. Zu ihrer Familie gehören 41 Arten in 16 Gattungen, die in 5 Gruppen (Kladen) eingeteilt werden. Die Vögel sind sexualdimorph*, wobei die Männchen eine außergewöhnliche phänotypische* Vielfalt aufweisen. Die Ähnlichkeit im Aussehen der Weibchen und ähnliche molekulare Sequenzen sind klare Indikatoren ihrer Verwandtschaft. Es sind zahlreiche Gattungshybriden bekannt; diese sind allerdings insofern ungewöhnlich, als es für sie zwar formale Beschreibungen und lateinische Namen gibt, ihre Abstammungsverhältnisse jedoch häufig auf bloßen Vermutungen basieren. Die phänotypischen Ähnlichkeiten der Hybriden*, die zurück zu einem gemeinsamen Urtyp tendieren, unterstreichen, dass die Paradiesvögel zu einer einzigen genetischen Familie (erweiterter Grundtyp) gehören.

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Die Familie und ihre Mitglieder

Trotz des äußerst unterschiedlichen Federschmucks der männlichen Paradiesvögel beweisen die zahlreichen Versuche von Systematikern, wie schwierig es ist, eine einigermaßen überzeugende taxonomische Ordnung in diese Familie zu bringen oder auch nur ihre Grenzen ungefähr zu bestimmen. In jüngster Zeit haben molekularbiologische Studien auf der Grundlage von Sequenzdaten Klarheit gebracht. Zurzeit gehören zur Familie der Paradiesvögel 41 Arten (oder 39 je nach der Bestimmung von Unterarten) in 16 Gattungen (Gill & Donsker 2012).

Bezüglich der internen Beziehungen der Arten und Gattungen der Familie wurden im Laufe der Jahre viele Vorschläge vorgebracht (Übersicht in Nunn & Cracraft 1996). Eine vorläufige Analyse auf der Basis von Sequenzvergleichen von drei Genen, einem mitochondrialen Gen und zwei Genen des Zellkerns, machte es möglich, eine objektive und detaillierte Stammesgeschichte zu rekonstruieren (Irestedt et al. 2009). Dadurch ergab sich für die Familie eine Unterteilung in fünf handliche Kladen („Zweige“, Gruppen A-E), auf der Stufe von Tribus oder Unterfamilie (siehe Tab. 1, Online-Zusatz). Wenn einmal komplette Genomsequenzen zur Verfügung stehen werden, werden sich die Verwandtschaftsverhältnisse zweifellos wieder ändern, aber sehr wahrscheinlich werden diese Änderungen nur geringfügig sein.

Hinweis: Die im Text erwähnten Tabellen und weitere Informationen können als Zusatzmaterial zum Artikel unter hier (paradiesvoegel-1.pdf) heruntergeladen werden.
Abb. 2: Der Krähenparadiesvogel (Lycocorax pyrrhopterus). (Tim Laman / National Geographic Creative, © naturepl.com)

Die fünf Kladen, die mit A-E bezeichnet werden, bieten einen guten Ausgangspunkt für einen Überblick über die Familie. Klade A unterscheidet sich deutlich von den anderen vier Kladen, welche man als die Kerngruppe der Paradiesvögel bezeichnet. Zur Klade A gehören der Krähenparadiesvogel (Lycocorax pyrrhopterus) und die fünf Manukoden (in den zwei Gattungen Phonygammus und Manucodia); sie sehen alle ziemlich krähenähnlich aus. Lycocorax ist schwarz und hat braune Flügel (Abb. 2). Die Manukoden sind schwarz mit einem grünen Schimmer, dunkelpurpurroten Flügeln und Schwänzen sowie stark verlängerter Luftröhre für die Bildung der Balzlaute. Alle Vögel der Klade A haben hell­karminrote Augen und alle werden als monogam angesehen.

Die Vögel der Kladen B-E haben viel leuchtendere Farben und exotisches Gefieder. Sie sind sexualdimorph* und polygyn (d. h. Männchen haben viele Weibchen). Klade B enthält die Gattung Parotia (Strahlenparadiesvögel) mit fünf Arten. Die Männchen haben leuchtend farbige Brustschilde, bunt schillernde Nackenkronen und, als unverkennbares Kennzeichen, sechs Federstrahlen hinter den Augen am Kopf, drei auf jeder Seite, die sie bei der Paarung um ihre Köpfe herumschwirren lassen. Klade B enthält auch den außergewöhnlichen Wimpelträger (Pteridophora alberti, Abb. 3). Diese Art hat spektakuläre Fadenfedern am Hinterkopf, sogenannte Wimpel, die ganz einzigartig sind.

Abb. 3: Der Wimpelträger (Pteridophora alberti). Die Fadenfeder-„Wimpel“ sind dreimal länger als der Vogel selbst und entlang nur einer Seite angeordnet; es handelt sich um rautenförmige Federäste, die wie silberfarbenes Plastik aussehen. Die Männchen schwenken diese Wimpelfedern vor und zurück, während sie beim Balztanz auf und ab hüpfen. (Illustration: Richard Bowdler Sharpe)

Klade C ist ein Mix aus fünf Gattungen. Die Vögel sehen gedrungener aus und haben einige außergewöhnliche morphologische Kennzeichen. Der Fadenparadieshopf (Seleucidis melanoleucus, Abb. 4) ist ein typisches Beispiel dafür. Seine Flankenfedern sind leuchtend gelb und bilden mit seinen anderen, zumeist dunkelpurpurroten Konturfedern einen starken Kontrast. Diese Federn drängen entlang der Flanken hinaus, sind aber auf mittlere Länge gestutzt, mit Ausnahme ihrer Kiele, die wie lange nackte Drähte herausragen. Feldstudien zeigen, dass diese Drähte an den Schnäbeln der Weibchen gerieben werden – ein weiteres, unerwartetes Element der Berührung, zusätzlich zu dem schon unglaublichen Füllhorn an Balzideen, über die diese Familie ohnehin verfügt. Der Gelbschwanz-Paradieshopf und der Braunschwanz-Paradieshopf (Gattung Drepanornis) sind überwiegend braune Vögel mit zusätzlichen Farbtupfern, die in ihrem Federkleid aufleuchten. Sie haben großartige sichelförmige Schnäbel, mit denen sie an die Nektarquellen an der Basis langer trompetenförmiger Blüten gelangen. Dieses phänotypische Merkmal wurde bei anderen Vogelfamilien oft erforscht. Die imposanten Honigfresser von Hawaii (Carduelinae) sind dafür ein ausgezeichnetes Beispiel, ebenso auch verschiedene Kolibriarten (Trochilidae). Zur Klade C gehört auch der Bänderparadiesvogel (Semioptera wallacii), der nach Darwins Landsmann und Mitstreiter Alfred Russel Wallace benannt ist. Aufgrund ihrer phänotypischen Merkmale wird die Art mitten in Klade C eingeordnet, sie besitzt aber einzigartige Paare schmaler weißer Standarten (kleine Armdecken), die deutlich über jeden braunen Flügel hinausstehen. Der Bänderparadiesvogel hat einen schlichteren Schnabel, einen etwas abgeflachten Schädel, und die Männchen tragen einen leuchtend grünen Brustschild zur Schau. Der Rest von Klade C besteht aus vier Reifelvögeln (Gattung Ptiloris), die für ihre pistolenschussartigen Laute und das Hellgelb ihrer aufgesperrten Schnäbel bekannt sind. Mit Ausnahme ihrer grünen Scheitel, Brustschilde und Schwänze sind die Männchen schwarz. Unter ihnen finden wir den Kragenparadiesvogel (Lophorina superba). Wenn der Balztanz dieses Vogels auch nicht der farbigste ist, so ist er doch ganz erstaunlich: ein schwarz-blaues Smiley-Gesicht, das man wirklich gesehen haben muss. Das Männchen plustert seinen schwarzen, langfedrigen Umhang auf und bildet so einen Kegel, der einer veterinären Halskrause ähnelt. Davor breitet er seinen leuchtend blauen Brustschild aus (der das Lächeln darstellt) und lässt ein Paar hellblauer Scheitelflecken aufblitzen (welche die Augen darstellen). Offensichtlich sind die Weibchen dieser Art mit Smileys zu begeistern.

Klade D enthält die langschwänzige Astrapia-Gattung, zu der auch die großartige Schmalschwanz-Paradieselster (Astrapia mayeri) gehört, mit ihrem Paar strahlend weißer Steuerfedern. Die fünf Arten, zumeist schwarze Vögel mit leuchtend grünem Scheitel, grünen Brustschilden oder Bäuchen und aufblitzenden Flecken mit roten Rändern haben Weibchen, die teilweise auch solche langen Schwanzfedern haben. Auch die langschwänzigen Sichelschnäbel (Gattung Epimachus) gehören in diese Klade. Die Männchen verändern bei ihren Darbietungen ihr Epaulettengefieder in einer außergewöhnlichen Weise, wodurch ihr Körper eine äußerst bizarre eiförmige Kometenform annimmt. Vielleicht überrascht es etwas, dass die zwei Paradigalla-Arten ebenfalls zur Klade D gehören, auch wenn der Langschwanz-Paradigalla nicht besonders lange Schwanzfedern hat. Diese kleineren schwarzen Vögel haben markante gelbe Kehllappen, von denen Reste auch bei ihren Gattungshybriden (Mischlinge) beobachtet werden.

Und zu guter Letzt noch Klade E. Sie enthält die sieben Arten der Gattung Paradisaea, die klassischen Paradiesvögel. Die Art Paradisaea ragianna ist auf der Staatsflagge von Papua Neuguinea. Sie haben meist eine gelbe Krone, grüne Kehle, braune Brust und Flügel und einen braunen Schwanz. Bei ihren Balzdarbietungen in den Baumwipfeln verwandeln sich ihre herrlichen Flankenfedern in Farbfontänen. Die zwei zentralen Steuerfedern verlängern sich in lange drahtartige Schäfte, die manchmal sogar geschmückt sind. Der Blauparadiesvogel ist sogar unter diesen Schönheiten eine Ausnahme. Er hat schöne silberweiße Augenränder und verschönert seine Kopfüber-Balzdarbietung mit vibrierendem Gefieder und einem außerweltlichen Summen. Klade E enthält überraschenderweise auch die drei kleineren Cicinnurus-Arten (die inzwischen in zwei Gattungen aufgeteilt sind: Cicinnurus, den Königsparadiesvogel, und Diphyllodes, den Nacktkopf-Paradiesvogel und den Sichelschwanz-Paradiesvogel). Trotz ihrer Größe haben diese Vögel sicher die kesseste Farbgebung von allen. Die Haut ihrer Beine und Füße hat ein kräftiges Violett. Der Nacktkopf-Paradiesvogel hat sogar eine leuchtend blaue Krone, die statt aus Federn aus Haut besteht. Die drahtartigen Schäfte der zentralen Schwanzfedern dieser drei Arten sind betont auffällig. Bei dem leuchtend orangefarbenen Königsparadiesvogel sind sie am Ende mit zierlichen und ausgesprochen schönen grünen Spateln versehen.

AHybride: Mischling. phänotypisch: das Erscheinungsbild (äußeres Aussehen) betreffend. präexistent: hier: in der Ursprungspopulation einer Art bereits vorhanden. Sexualdimorphismus: Unterschiedliches Aussehen von Männchen und Weibchen derselben Art.

Sowohl Stresemann (1930) als auch Mayr (1945) bemerkten, dass viele der Hybriden (14 von 24) während der Blütezeit des Gefiederhandels (1890-1915) von Spezialhändlern als seltene Arten bezeichnet wurden. Viele Zehntausende von Paradiesvogelbälgen gingen zu dieser Zeit buchstäblich durch die Hände von Federhändlern wie dem Holländer Duivenbode und dem französischen Händler Mantou, nach denen verschiedene Hybriden benannt wurden. Der Einfluss des Handels spiegelt sich in der nicht zufälligen Verteilung der anerkannten Hybriden innerhalb der Familie wider. Viele Hybriden hängen wegen ihres herrlichen Gefieders mit den Gattungen Paradisaea und Cicinnurus oder mit dem Kragenparadiesvogel zusammen. Hybriden waren selten, und da man sie damals als neue Arten ansah, schickte Lord Rothschild Ernst Mayr nach Neuguinea, um diese seltenen Paradiesvögel ausfindig zu machen. Überraschenderweise fand Mayr kein einziges Exemplar. Laman & Scholes (2012) berichteten über ihre achtjährige Forschungsarbeit in Neuguinea. In diesem Zeitraum untersuchten und fotografierten sie alle 39 Arten und legten dabei einen besonderen Schwerpunkt auf die wissenschaftliche Dokumentation ihres Balzverhaltens. Sie berichten nicht ein einziges Mal, dass sie eine Hybride gesehen hätten. Aber wir wissen, dass Hybriden existieren, ihre Bälge kann man sehen, sie befinden sich in verschiedenen Museen. Mayr (1945) stellte sich in der Tat die Frage, ob Hybriden häufig vorkommen. Aufgrund des Umsatzes im Gefiederhandel kam er zu einer Schätzung von 1 Hybride auf 20 000 Exemplare. Laman & Scholes (2012) berichteten, dass sie 40 000 Fotos von Paradiesvögeln geschossen hatten (fast 75 Fotos pro Expeditionstag: 39.568/544). Wenn sie durchschnittlich zwei Fotos von jedem Vogel machten, den sie zu Gesicht bekamen (höchstwahrscheinlich ist das eine zu niedrige Schätzung), dokumentierten sie etwa 20 000 Paradiesvögel. Auf der Basis der Einschätzung von Mayr würde das gerade einmal einen hybriden Vogel beinhalten.

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Paradiesvogel-Mischlinge
Abb. 5: Mayrs (1945) Hybridisierungs-Schema der Paradiesvögel-Gattungen. In dem Schema wurde die Anzahl der Kreuzungen mit anderen Gattungen farblich gekennzeichnet (schwarz: 1, blau: 2, rot: 3, gelb: 4). Die Gattung Craspedophora wird heute Ptiloris genannt. (Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Journals of Natural History)

Paradiesvogel-Mischlinge haben einen ungewöhnlichen taxonomischen Status. Fullers entzückendes Buch (1995) gibt einen Überblick über viele Einzelheiten. Dabei gab es ein zweifaches Problem: ein naturkundliches und ein akademisches. Erstens weisen die männlichen Paradiesvögel eine solche Heterogenität der Gefieder und der Formen auf, dass Hybriden (Mischlinge), selbst wenn sie Zwischenformen sind, leicht den Rang einer Art zugeteilt bekamen. Zweitens gewinnen Akademiker an Ansehen, wenn sie Arten entdecken, kaum aber, wenn sie Hybriden entdecken. Stresemann (1930) verfasste einen bemerkenswerten Fachartikel, in dem er behauptete, dass mindestens 14 Paradiesvogelarten in Wirklichkeit Hybriden seien, und in einer Textergänzung gab Lord Rothschild (1930) seine volle Zustimmung zu diesem Vorschlag. Somit haben zwar die meisten Hybriden der Paradiesvögel wissenschaftliche Namen und wissenschaftliche Beschreibungen, aber ihre Abstammung basiert nur auf Vermutungen. Sie sind mehr als reif für eine Genomsequenzierung.

Unter den 41 Arten der Paradiesvögel sind 24 Hybriden bekannt.

In einer Familie mit 41 Arten dokumentiert die große Anzahl von 24 Hybriden (siehe Tab. 2, Online-Zusatz) den Hang der Paradiesvogelweibchen, sich auch außerhalb ihrer Art beeindrucken zu lassen. Es überrascht eigentlich nicht, dass angesichts der außerordentlichen Balzdarbietungen der Männchen auch Weibchen anderer Arten gelegentlich einen schwachen Moment haben. Nach den Berichten von Feldbiologen zeigen polygyne Männchen im Grunde keine Neigung zu bestimmten Weibchen. Und da Weibchen unterschiedlicher Arten oft recht ähnlich aussehen, gibt es für die Männchen keine Paarungsgrenzen. In ihrem Anhang über Hybriden der Paradiesvögel behaupten Frith & Beehler (1998), dass unerfahrene junge Weibchen, die an den Rand ihrer Reviere gedrängt werden, vielleicht am ehesten zu Irrtümern bei der Partnerwahl neigen.

Tatsächlich ist das Verhältnis Hybriden/Arten sogar noch markanter als 24/41, weil die Krähenparadiesvögel und die Manukoden, Arten aus Klade A, nicht für die Bildung von Hybriden bekannt sind. Ein primärer Grund für die Treue der Arten in Klade A ist die von diesen Vögeln praktizierte monogame Paarungsstrategie. In der Klade A sind einige Arten, aber keineswegs alle, Insel-Arten. Aufgrund geringer geographischer Überlappung könnten sich der Krähenparadiesvogel und die Kräuselparadieskrähe möglicherweise nur mit einer einzigen anderen Art paaren. Allerdings überlappt der Lebensraum der Schall-Manukodia im Hinblick auf Geographie und Höhenlage mit dem Siedlungsgebiet von mehr Paradiesvogelarten, als dies bei irgendeiner anderen Vogelart der Fall ist, ohne dass bei ihr jemals Hybriden dokumentiert wurden. Das Verhältnis Hybriden/Arten ändert sich somit zu 24/35. Der Schildparadiesvogel, der Viktoriaparadiesvogel und der Standardwing-Paradiesvogel können auch ausgeschlossen werden, weil die ersten beiden weit südostlich auf dem Festland von Australien und letztere Art weit nordwestlich auf der Molukken-Inselgruppe isoliert sind und dadurch eine natürliche Hybridisierung unmöglich ist; das Verhältnis Hybriden/Arten beträgt damit sogar 24/32. Aufgrund der geographischen Verteilung und des besiedelten Höhenstufenbereichs könnten sich aber alle anderen Paradiesvögel mit mindestens einer anderen Art paaren und viele tun es auch. Stresemann (1930) veröffentlichte als erster ein Hybridisierungsschema. Sein Schüler Mayr (1945) gab ein zweites heraus (Abb. 5). Fuller veröffentlichte im Jahr 1995 das Buch „Die verlorenen Paradiesvögel“, in welchem er aufgrund neu gewonnener Kenntnisse über diese Vögel viele Gattungshybriden anerkannte, die er 16 Jahre zuvor noch bezweifelt hatte (Fuller 1979).

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Die Phänotypen der Hybriden

Es ist lehrreich, die männlichen hybriden Vögel wegen ihres faszinierenden Erscheinungsbildes (Phänotyp) zu untersuchen. Drei Kategorien von Hybriden mit zunehmender Vielfalt sind anerkannt: Hybriden innerhalb von Gattungen (intragenerisch), Hybriden verschiedener Gattungen, aber derselben Kladen, und Hybriden zwischen Gattungen verschiedener Kladen. Fünf der sechs intragenerischen Hybriden, die alle zu den Kladen D und E gehören und von Frith und Beehler (1998) beschrieben wurden, gehören zu der Gattung Paradisaea, nämlich der Captain-Blood-Vogel (Raggi x Blau), der Duivenbode-Vogel (Kaiser x Kleiner), der Gilliard-Vogel (Raggi x Kleiner), der Lupton-Vogel (Raggi x Großer) und der Maria-Vogel (Kaiser x Raggi). Die Hybriden sehen alle wie Mitglieder der Gattung Paradisaea aus, ihr Aussehen lässt sich zwischen dem ihrer Eltern einordnen. Der dramatischste ist – wegen des Inputs des Blauparadiesvogels – der Captain-Blood-Paradiesvogel (Abb. 6). Die einzige sonst bekannte intragenerische Hybride ist Barnes-Atrapia, eine Hybride der Schmalschwanz-Paradieselster und der Stephanie-Paradieselster. Diese Hybride weist ebenfalls eine Zwischenausprägung zwischen ihren beiden elterlichen Arten auf, einschließlich ihres prächtigen Seidenschwanzes, der kürzer und breiter ist und deutlich weniger weiße Färbung hat als sein Namensvetter.

Abb. 6: Captain-Blood-Paradiesvogel (Mitte), eine intragenerische Hybride zwischen dem Raggi-Paradiesvogel (Paradisaea raggiana, links) und dem Blauparadiesvogel (Paradisaea rudolphi). Die Verbreitungsgebiete dieser Arten überschneiden sich sowohl geografisch als auch in der Höhenlage. (Aus Frith & Beehler 1998, mit freundlicher Genehmigung der Oxford University Press)

Die gattungsübergreifenden Hybriden innerhalb eines Klades sind noch faszinierender. Acht Hybriden sind anerkannt. Es sind Vögel aus den Kladen C, D und E. Vier von den acht sind typische Hybriden. Die anderen vier stellen Hybridenpaare aus denselben Kreuzungen dar. Kreuzungen zwischen dem Breitschwanz-Paradieshopf und der Fächer-Paradieselster brachten sowohl den Astrapia-Sichelschnabel als auch den Elliot-Vogel hervor. In ähnlicher Weise ergaben Kreuzungen zwischen dem Königs­paradiesvogel und dem Sichelschwanz-Paradiesvogel sowohl den König-von-Holland-Paradiesvogel als auch den Leierschwanz-Königsparadiesvogel (vgl. Abb. 7). Einige intergenerische Hybriden innerhalb derselben Klade weisen gemeinsame Kennzeichen auf: einen gedrungeneren Körper und einen einfarbigen dunkelpurpurroten Phänotypen. Das ist sowohl bei den Mantou- (Abb. 8) als auch bei den Duivenbode-Reifel-Paradiesvogel-Hybriden deutlich zu erkennen.

Abb. 7: Der König-von-Holland-Paradiesvogel und der Leierschwanz-Königsparadiesvogel (Mitte). Diese zwei intergenerischen Hybriden haben beide intermediäre Ausprägungen zwischen dem Königs-Paradiesvogel (Cicinnurus regius, links) und dem Sichelschwanz-Paradiesvogel (Diphyllodes maginificus). Die Verbreitungsgebiete dieser Arten überschneiden sich sowohl geografisch als auch in Bezug auf die Höhenlage. (Aus Frith & Beehler 1998, mit freundlicher Genehmigung der Oxford University Press)

Schließlich werden sieben kladenübergreifende Hybriden anerkannt. Es handelt sich um Kreuzungen zwischen Arten aus den Kladen B, C, D und E. Man kann bei diesen Kreuzungen deutlich einen Trend zu Hybriden mit gemeinsamen Kennzeichen erkennen. Wo man vielleicht bedeutende Unterschiede zwischen den verschiedenen Hybriden erwartet hat, findet man erstaunliche Ähnlichkeiten. Die meisten Hybriden neigen zu einem gedrungenen Körperbau. Ebenso neigen sie zu einem dunkelpurpurroten Phänotypen, eine Beobachtung, die auch Stresemann (1930) vermerkt hat. Die extremen, bombastischen Züge scheinen bei diesen Hybriden abzunehmen. Der Wilhelmina-Vogel verliert die langen Nackenkronenfedern des Kragenparadiesvogels und die farbliche Bandbreite des Prachtparadiesvogels. Der Wunder-Vogel verliert die kräftigen Farben und Drähte sowohl des Kleinen Paradiesvogels als auch des Fadenhopfes. Der Bensbach-Vogel verliert alle die leuchtend gelben und weißen Flankenfedern und die Drähte des Kleinen Paradiesvogels sowie den markanten grünen Brustschild des Prachtparadiesvogels. Der Rothschild-Lappenschnabel-Paradiesvogel hat nur noch eine bescheidene Brustrüsche und Nackenkrone, aber gewinnt viel an einfarbigem Dunkelpurpurrot dazu. Die Männchen des Sechsdrahtigen Duivenbode-Vogels weisen eine ähnliche Zunahme an Einfarbigkeit auf. Alles, was er noch von seinen Eltern übrig hat, sind seine Fadenfedern und ein ziemlich bescheidener Brustschild. Der Sharpe-Lappenschnabel-Strahlenparadiesvogel hat in ähnlicher Weise an Ausdruck verloren. Die sechs Nacken-Fadenfedern und der Brustschild, der gelbe Kehllappen und die verlängerten Schwanzfedern – all das ist weg. Es bleibt nur noch ein sehr bescheidener, einfarbig dunkelpurpurroter Vogel (Abb. 9). Der mysteriöse Babairo-Vogel verkörpert diesen Rückgang. Leider fehlt bei dem einzigen bekannten Exemplar der Schwanz.

Abb. 8: Mantou-Reifelparadiesvogel (Mitte). Die Gattungshybride zwischen dem Prachtparadiesvogel (Ptiloris magnificus, links) und dem Fadenhopf (Seleucidis melanoleucus). Die Verbreitungsgebiete dieser Arten überschneiden sich sowohl geografisch als auch in der Höhenlage. (Aus Frith & Beehler 1998, mit freundlicher Genehmigung der Oxford University Press)

Da weibliche Paradiesvögel sehr viele Ähnlichkeiten zwischen den Arten aufweisen, ist es verständlich, warum, verglichen mit 23 männlichen Hybriden, nur zwei weibliche anerkannt wurden. Die zwei weiblichen Hybriden stellen kladenübergreifende Kreuzungen dar, welche phänotypisch äußerst vielfältig sein sollten. Sehr wahrscheinlich gibt es viel mehr weibliche Hybriden, aber sie sind im Feld nicht auszumachen. Genaue Sequenzierungsuntersuchungen stellen vielleicht die einzige Möglichkeit dar, um diese faszinierenden Kreuzungen zu identifizieren.

Die Paradiesvögel ermöglichen außergewöhnliche Einsichten in die phänotypische Vielfalt von Hybriden. Was lehren sie über ihren Ursprung? Dazu gibt es zwei konkurrierende Artbildungsmodelle: mehrfache vorteilhafte Mutationen (MVM) und präexistente* genetische Programme (PGP). Die beiden Modelle beinhalten unterschiedliche Erwartungen an die phänotypische* Vielfalt, die die Hybriden zeigen. Um diese Unterschiede vollständig zu erfassen, soll zwischen proximalen Hybriden (innerhalb von Gattungen) und distalen Hybriden (gattungs- oder kladeübergreifend) unterschieden werden.

Wenn neue Arten durch Ansammlung vieler vorteilhafter Mutationen entstehen, ist zu erwarten, dass proximale Hybriden einige phänotypische Unterschiede aufweisen, während distale Hybriden (die auf eine größere Anzahl von Mutationen zurückgehen) mehr phänotypische Vielfalt zeigen sollten. Wenn neue Arten jedoch durch präexistente genetische Programme und durch Verlust von Heterozygotie entstehen, sollten proximale Hybriden einige phänotypische Vielfalt zeigen, während distale Hybriden (die durch die Vermischung des Erbguts wiederum ein größeres Ausmaß an Heterozygotie aufweisen) weniger phänotypische Vielfalt zeigen sollten. Wenn Heterozygotie wiederhergestellt wird, wird die Anzahl der Merkmalsausprägungen zurückgehen; das Aussehen wird sozusagen durchschnittlicher. Somit wird bei allen distalen Hybriden eine verringerte phänotypische Vielfalt erwartet. Außerdem ist allgemein zu erwarten, dass distale Hybriden eine Rückkehr zu einem allgemeinen, anzestralen, pan-heterozygoten Phänotyp aufweisen. Welche dieser zwei unterschiedlichen Möglichkeiten sind bei den Paradiesvögeln verwirklicht?

Abb. 9: Sharpe-Lappenschnabel-Strahlenparadiesvogel (Mitte). Die Gattungs-Hybride zwischen dem Arfak-Strahlenparadiesvogel (Parotia sefilata, links) und dem Langschwanz-Paradiesvogel (Paradigalla carunculata). Die Verbreitungsgebiete dieser Arten überschneiden sich sowohl geografisch als auch in Bezug auf die Höhenlage. (Aus Frith & Beehler 1998, mit freundlicher Genehmigung der Oxford University Press)

Die Hybriden erzählen eine überzeugende, schlüssige Geschichte: Die verschiedenen Arten der Paradiesvögel haben trotz ihrer außerordentlich vielfältigen Ausgestaltungen einen gemeinsamen Ursprung (Darwin 1859, Frith & Beehler 1998). Die Vögel haben eine dramatische Artbildung durchlaufen, eine Radiation, die mit großer Wahrscheinlichkeit durch sexuelle Selektion gefördert und aufrechterhalten wurde (vgl. Teil 2 dieses Artikels in der nächsten Ausgabe) (Frith & Beehler 1998; Safran et al. 2016) und die zu ihrer jetzigen Heterogenität führte. Der männliche Vorfahr dieser Vögel scheint ein Individuum gewesen zu sein, das im Aussehen den Manukoden nicht unähnlich war, besonders in Bezug auf die gedrungene Form und die einheitlich dunkelpurpurrote Farbe. Die weiblichen Hybriden zeigen keine Reversion zu einem monochromen dunkelpurpurroten Gefieder. Stattdessen behalten sie ein braunes und gestreiftes Bauchgefieder bei. Das lässt darauf schließen, dass die ursprünglichen Paradiesvögel vielleicht sexualdimorph waren. Mit fortschreitender Artbildung haben die monogameren Arten vielleicht diese Unterschiede verloren und bei den polygyneren Arten haben sich diese Unterschiede eventuell erheblich verstärkt, insbesondere bei den Männchen.

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Die genetische Familie der Paradisaeidae
Abb. 10: Abb. 10 Ein aktuelles Hybridisierungsschema mit allen 41 Arten von Paradiesvögeln. Die fünf blauen Kreise stellen die fünf Kladen dar, die von Irestedt et al. (2009) anerkannt wurden. Klade A ist mit dem Rest der Kladen nicht durch rote Linien verbunden. Die Kladen B-E werden als Kerngruppe der Paradiesvögel bezeichnet. Jede Klade enthält eine Anzahl von Arten. Arten innerhalb derselben Gattung berühren sich. Arten, die zu separaten Gattungen gehören, sind voneinander abgesetzt dargestellt. Hybridisierungen zwischen Arten oder Gattungen innerhalb einer bestimmten Klade sind durch rote Linien gekennzeichnet, die sich komplett innerhalb eines blauen Kreises befinden. Interkladisch-intergenerische Hybridisierungen sind durch rote Linien gekennzeichnet, die zwischen blauen Kreisen verlaufen. Alle 24 Hybridisierungen sind dargestellt. Die Abkürzungen der Artennamen werden in Tab. 1 (Online-Zusatz) erklärt. Weitere Einzelheiten siehe Tab. 2 (Online-Zusatz).

Wodurch ist die Familie der Paradiesvögel definiert? Viele heutige Biologen sehen das eukaryotische Leben als einen einzelnen Lebensbaum an – sie haben eine monoarboreale Perspektive; das heißt: Alle Lebewesen stammen von einem einzigen Vorfahren ab. Diese Ansicht ist vor allem durch die Überzeugung motiviert, dass es notwendigerweise Vorfahrenarten bis zurück zu einem frühesten gemeinsamen Urahn geben muss. Eine Alternative zu dieser Auffassung geht davon aus, dass die Vielfalt eukaryotischen Lebens nicht in einem einzigen Baum dargestellt werden kann, sondern in zahlreiche Bäume aufgeteilt werden muss, d. h. – im Bild gesprochen – es gibt einen Wald. Bei dieser sylvanen Perspektive hat jeder Baum einen separaten Ursprung. Das sylvane Konzept unterliegt nicht dem vermeintlichen Zwang, fragwürdige gemeinsame Vorfahren zwischen den eukaryotischen Familien (trans-Evolution) darstellen zu müssen, umfasst aber immer noch die evolutionären Prozesse innerhalb jedes Baumes oder jeder Familie (cis-Evolution). Der im Rahmen des sylvanen Konzepts arbeitende Biologe konzentriert sich zum Beispiel auf die Beantwortung folgender Fragen: Wie sind Familien definiert, wie entwickeln sich die Arten innerhalb der Familien, was bewirkt die Grenzen zwischen den Familien? Mendel lieferte Antworten auf die Fragen, wie Arten evolvieren und was deren Grenzen bewirkt, indem er die meiotischen Mechanismen der Vererbung enthüllte. Die Reifeteilung (Meiose) ist der Grund dafür, dass das eukaryotische Leben sylvan ist, also polyphyletisch (zahlreiche „Bäume des Lebens“). Denn obwohl vielfach heterozygote Gründerindividuen Ausgangspunkte für die Entstehung einer Vielzahl von Arten sein können (durch Verlust der Heterozygotie), sind diese reproduktiv von anderen genetischen Familien aufgrund biologischer Inkompatibilitäten isoliert.

Mayr (1969, Kapitel 5) beklagte zwar einmal: „Wie im Falle der Gattung und anderer höherer Kategorien ist es nicht möglich, eine verlässliche, nicht-willkürliche Definition der Kategorie Familie zu formulieren.“ Doch im Gegensatz dazu ermöglicht die Meiose eine nicht-willkürliche Grenze der Kategorie Familie. Dies führt zu natürlichen, praktischen und theoretischen Grenzen der Familien, die sich aus gemeinsamen Kompatibilitäten (Verträglichkeiten) ergeben. Bei der Meiose zeigt sich genomische Kompatibilität durch die Homologen-Chromosomenpaarung (Synapsis). Eine erfolgreiche Befruchtung zeigt an, dass die Genome von Samenzelle und Ei miteinander kompatibel sind (Mengerink & Vacquier 2001), und wenn nachfolgend die Embryogenese durchlaufen wird, wird dadurch die Entwicklungskompatibilität bestätigt. Eine Familie, die durch eine unter natürlichen Bedingungen kompatible Meiose und Fruchtbarkeit gekennzeichnet ist, wird als genetische Familie bezeichnet, um sie von Familienkategorien zu unterscheiden, die auf andere Weisen charakterisiert werden.

Die Anerkennung dieser leicht nachvollziehbaren taxonomischen Gruppierung hat unter Naturforschern eine lange Tradition. Mayrs (1969) oben erwähnte Klage wurde durch seine zusätzliche Beobachtung abgeschwächt: „Was ein Laie als ‚Tierart‘ bezeichnen würde, ist oft eine Familie.“ Darwin (1859) war mit dem taxonomischen Rang der Familie vertraut und erkannte ihn durchaus an. Wenn Familien auf der Basis gemeinsamer genetischer Kennzeichen diagnostiziert werden, dann können Hybridisierungen, die kompatible Genome voraussetzen, verwendet werden, um diese höhere taxonomische Gruppe zu definieren. Marsh (1941) benutzte die Hybridisierung zur Definition von „Baramin“ (geschaffene Arten) und Scherer (1993) definierte „Grundtypen“ ebenfalls mithilfe von Kreuzungen; dabei weisen beide Begriffe auf die genetische Familie hin. Die Fähigkeit, erfolgreich zu kreuzen, ist ein elegantes und nicht willkürliches Kennzeichen, um die Zugehörigkeit zu einer genetischen Familie aufzuzeigen. Sie hat sich für Biologen oft als unersetzlich erwiesen, wenn sie Artengruppen nach Familienstatus sortieren wollen.

Die Fähigkeit, erfolgreich zu kreuzen, ist ein geeignetes Kennzeichen, um die Zugehörigkeit zu einem Grundtyp aufzuzeigen.

Wenn die Kreuzbarkeit auch ein ausreichendes Mittel ist, um die Zugehörigkeit zu einer Familie zu definieren, kann die Hybridisierung innerhalb einer genetischen Familie doch durch eine Vielfalt von teilweise unüberwindlichen Züchtungsbarrieren sekundär eingeschränkt sein, und sie lässt sich natürlich auch bei ausgestorbenen, nur fossil bekannten Arten nicht anwenden. Ihre diagnostischen Möglichkeiten müssen daher durch die Kladistik ergänzt werden (Bestimmung des Verwandtschaftsgrades auf der Basis gemeinsamer abgeleiteter Merkmale). Dabei werden die Vergleiche verschiedener Arten mittlerweile vor allem anhand genomischer Sequenzierungen vorgenommen. Kladistik und die ihr zugrunde liegenden Sequenzvergleiche erfüllen Mayrs Bedingung einer „nicht-willkürlichen“ Klassifizierung allerdings nicht. Sie sind willkürlich, weil sie keine grundsätzliche Abgrenzung zwischen Taxon-Ebenen liefern, sondern nur retro­spektive und veränderliche subjektive Grenzen. Sequenzvergleiche ergeben automatisch Phylogenien, selbst wenn die zugrunde liegenden Sequenzen nicht näher verwandt sind. Da die Taxonomie, insbesondere die phylogenetische Taxonomie, immer mehr von Kladistik und Sequenzuntersuchungen abhängt, unterliegt sie automatisch einer gewissen Willkür. Durch umsichtigen Gebrauch der Kreuzungsfähigkeit als verlässliche Grundlage zur Bestimmung der „Familien“-Klade kann dieser Mangel einigermaßen ausgeglichen werden.

Hybridisierung, Kladistik und Sequenzvergleiche können einander ergänzen, um den Umfang einer genetischen Familie abzuklären.

Die Paradiesvögel sind ein wunderbares Beispiel dafür, wie die drei Methoden – Hybridisierung, Kladistik, Sequenzvergleiche – einander ergänzen, wenn es darum geht, den Umfang ihrer genetischen Familie gut begründet zu diagnostizieren und zu definieren. Kladistische Untersuchungen erlauben es schon seit Langem, eine Gruppe von Vögeln zu umschreiben, die gut unter das Dach der Paradiesvögel passt. Es gibt einige Vögel, die vielleicht zu dieser Gruppe gehören, aber normalerweise ausgeschlossen wurden. Und es gibt einige, die aufgenommen wurden, aber nicht wirklich dazugehörten. Moderne Sequenzierungsstudien haben bestätigt, dass die drei Cnemophilinae-Arten und der Brillenparadiesvogel (Cracraft & Feinstein 2000) sowie der Glanzflöter und der Lamprolia aus der Familie ausgeschlossen werden müssen (Barker et al. 2004; Irestedt et al. 2009).

Abb. 10 zeigt eine aktuelle Kreuzungsmatrix für die Paradiesvögel. Es gibt viele intergenerische Gattungshybriden. Die neun Hybriden von Arten verschiedener Kladen verbinden die Kerngruppe der Paradiesvögel deutlich zu einer genetischen Familie. Sehr wenige Arten fallen heraus (d. h. sie sind nicht in einer gemeinsamen Gattung oder durch Hybridisierung verbunden): der Wimpelträger, der Bänderparadiesvogel und die zwei Drepanorniden. Die Einbeziehung dieser Arten in die genetische Familie ist jedoch gesichert wegen des Ausmaßes ihrer passenden „Sequenz-Ähnlichkeit“ im Vergleich mit Schwesterarten, die zur selben Klade gehören und aufgrund ihrer Kreuzbarkeit klar zur Familie gehören. Die einzigen verbleibenden Ausnahmen sind Arten in der Klade A. Man könnte sie auf der Grundlage von zwar reduzierter, aber noch genügend großer „Sequenz-Ähnlichkeit“ mit Vögeln aus anderen Kladen in die genetische Familie der Paradiesvögel aufnehmen, aber solange keine Hybride mit Arten anderer Kladen beobachtet wird, bleibt die Einbeziehung in die Familie subjektiv.

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Literatur

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Studium Integrale Journal 24. Jg. Heft 2 - Oktober 2017