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Mischwesen: Chimäre Mensch-Tier-Föten

Anmerkungen und Einschätzung zu aktuellen Forschungen

Kommentar von Harald Binder

Studium Integrale Journal
24. Jahrgang / Heft 1 - Mai 2017
Seite 51 - 52


Seit den frühen 1980er-Jahren sind embryonale Stammzellen isolier- und im Labor handhabbar. Stammzellen zeichnen sich dadurch aus, dass sie in einem nicht spezialisierten, sondern toti- bzw. pluripotenten Zustand vorliegen. Das bedeutet, dass sie noch nicht differenziert sind, aber ein hohes Potenzial zur Differenzierung in sich tragen. Stammzellen können sich, bevor sie sich in spezielle Körperzellen differenzieren, prinzipiell unaufhörlich vermehren.

Inzwischen stehen verschiedene Methoden zur Verfügung, um Stammzellen zu erzeugen. Menschliche Stammzellen, aber auch solche anderer Organismen, werden häufig aus somatischen Zellen (Körperzellen) durch „Umprogrammierung“ hergestellt; man bezeichnet sie als „induzierte Stammzellen“. Dabei werden differenzierte Körperzellen durch Zugabe bestimmter Faktoren (Proteine Oct-4, Sox-2, das sind Transkriptionsfaktoren) in den Status von Stammzellen zurückversetzt. Dadurch erhält man idealerweise sog. „pluripotente Stammzellen“. Diese unterscheiden sich von totipotenten Stammzellen dadurch, dass aus ihnen zwar keine kompletten Organismen entstehen können, sehr wohl aber im Prinzip alle Zelltypen des Körpers, einschließlich Geschlechtszellen (dagegen kann aus totipotenten Stammzellen ein kompletter Organismus erzeugt werden, weil sie auch extraembryonales Gewebe produzieren können, z. B. die Plazenta).

Im Labor von J. C. I. Belmonte am Salk Institute in La Jolla, USA, werden seit Jahren verschiedene Methoden zur Erzeugung von Stammzellen genutzt, u. a. auch in der Absicht, therapeutische Ziele in der Humanmedizin zu erreichen.

In einer aktuellen Arbeit beschreiben Wu et al. (2017) Versuche, mit Hilfe von pluripotenten Stammzellen aus verschiedenen Organismen Chimären zu erzeugen, also Mischwesen aus verschiedenen Arten. So konnten die Autoren zeigen, dass man Stammzellen von Ratten in Blastozysten1 von Mäusen einbringen kann und daraus chimäre Föten entstehen, also Mäuse, die auch Rattengewebe ausbilden. In diesen Föten befinden sich also Zellen, die Erbinformation von Mäusen enthalten, und gleichzeitig auch Gewebe, das aus Rattenzellen besteht – Zellen mit Rattengenom.

Dieses Verfahren wurde so ausgebaut, dass die Forscher im Mäuseembryo die Entwicklung bestimmter Organe (z. B. der Bauchspeicheldrüse) genetisch ausgeschaltet haben (knock-out) und stattdessen in dem chimären Ratte-Maus-Embryo ein Rattenorgan in der Maus gebildet wurde. Dieses Organ ist zwar im Vergleich zum normalen Rattenorgan kleiner, enthält aber die typischen Merkmale von Rattengewebe. Dieses konnte dann operativ aus der Ratte-Maus-Chimäre entnommen und erfolgreich in entsprechend erkrankte Ratten transplantiert werden (wo die Bauchspeicheldrüse dann Insulin produzierte). Für Naturwissenschaftler ist das Faszinierende an diesen Versuchen die Möglichkeit, Neues zu lernen über die grundlegenden Prozesse bei der frühen Entwicklung von Organismen.

Es ist naheliegend, vergleichbare Konzepte zur Herstellung menschlicher Organe zu prüfen. Dazu haben Wu et al. zunächst versucht, Ratte-Schwein-Chimären zu erzeugen, indem sie Stammzellen aus Ratten in Schweineblastozysten einbrachten. Diese Versuche waren bisher jedoch nicht erfolgreich, d. h. in den sich entwickelnden Schweineembryonen konnten keine Rattenzellen nachgewiesen werden. Das legt die Vermutung nahe, dass die Entwicklung dieser beiden Tiere solche Unterschiede aufweist, dass es auf dem versuchten Weg nicht zur Bildung von Mischwesen kommt; Ratte und Schwein scheinen zu unterschiedlich zu sein. Als die Autoren aber menschliche Stammzellen in Blastozysten von Schweinen einführten, erhielten sie chimäre Föten, die entwicklungsfähig waren (wenn auch nicht so gut wie die Ratte-Maus-Föten). Es ist nach diesen vorläufigen Erkenntnissen grundsätzlich möglich, in Schweinen menschliches Gewebe wachsen zu lassen.

Solche Mischwesen sind durch klassische Kreuzung nicht zu gewinnen, die Keimzellen (Ei- und Samenzellen) sind nicht kompatibel.

Der genaue Status dieser Chimären ist bisher nicht geklärt, aber die Aussicht, humane Transplantationsorgane auf diesem Wege zu gewinnen, erscheint als aussichtsreich (wenn auch das Ziel noch unabsehbar weit entfernt ist).

Solche Mischwesen sind durch klassische Kreuzung nicht zu gewinnen, die Keimzellen (Ei- und Samenzellen) sind nicht kompatibel. In den Chimären liegen in den verschiedenen Geweben auch entsprechend unterschiedliche Genome vor; es handelt sich also um Wesen mit uneinheitlichem Erbgut. Die bisher nicht erfolgreichen Versuche, Ratte-Schwein-Chimären zu erzeugen, und auch die Beobachtung, dass die Mensch-Schwein-Chimären einen weniger starken Mischwesen-Charakter zeigten als die Ratte-Maus-Chimären, deuten an, dass es auch technisch nicht einfach ist, Artgrenzen bei dieser Art von Experimenten zu überschreiten. Die von Wu et al. beschriebenen Experimente bestätigen die bisherigen Erfahrungen von stabilen Grenzen zwischen „Arten“, die auch als Grundtypen beschrieben wurden.

Wie ist die Erzeugung solcher Mensch-Tier-Chimären ethisch zu bewerten?

Nach geltendem Recht (Embryonenschutzgesetz) ist die Erzeugung von Mensch-Tier-Chimären in Deutschland – zumindest derzeit – nicht legal. In einer Gesellschaft aber, in der die Gesundheit und Vitalität bis in ein immer höheres Alter als hochrangige Ziele erachtet werden und die bereit ist, dafür einen sehr hohen Preis zu bezahlen, muss man davon ausgehen, dass Forschung dieser Art – wenn auch von kontroversen Diskussionen begleitet – vorangetrieben werden wird. (Auch wenn derzeit nicht annähernd abgeschätzt werden kann, ob eine Anwendung z. B. zur Gewinnung menschlicher Organe zur Transplantation jemals möglich sein wird.)

Eine Verletzung der Würde des Menschen wird in den aktuellen Diskussionen angeführt. Dies trifft zwar die emotionale Befindlichkeit eines großen Teils der Öffentlichkeit, ist rational allerdings auf der Basis des vorherrschenden naturalistischen Weltbildes nur schwer zu begründen. Danach ist der Mensch alleine aufgrund der natürlichen Gegebenheiten vollständig und umfassend zu verstehen und es gibt im Grunde keine wesentlichen Unterschiede zwischen Mensch und anderen Lebewesen. Nach dem vorherrschenden Denk- und Erklärungsschema der Evolution haben Mensch und andere Lebewesen letztlich einen gemeinsamen Vorfahren. Bei Zugrundelegung dieses Menschenbildes ist es eigentlich konsequent, diese Forschung zu fördern und Funktionalität und Qualität menschlichen Lebens um (fast) jeden Preis zu erhalten und zu verbessern.

Bei Berücksichtigung biblischer Aussagen – die in unserer Kultur den Wurzelboden der Werteordnung bilden – muss man dagegen zunächst festhalten, dass dort die Würde des Menschen an seiner Gottesebenbildlichkeit festgemacht wird. Der Mensch wird dort nicht als das am höchste entwickelte Lebewesen gezeichnet, sondern als besonderes Geschöpf Gottes, ihm ähnlich. Gott unterstellt die Tiere ausdrücklich dem Menschen. In der Thora, im Gesetz Moses, ist die Vermischung verschiedener Arten ausdrücklich untersagt.

In den Bemühungen zur (Bio-)Ethik zeigt sich, dass philosophische Überlegungen auf humanistischer Basis bisher wenig erfolgreich darin waren, klare Orientierung in drängenden Fragen zu liefern. Exemplarisch zeigen sich die Probleme in der Stellungnahme des Deutschen Ethikrats: „Mensch-Tier-Mischwesen in der Forschung“ (aus dem Jahr 2011). Die drei dort ausgewählten exemplarischen Bereiche konnten von dem Gremium nur teilweise einhellig bewertet werden; es ist dort ein Sondervotum aufgeführt (S. 125 ff).

Philosophische Überlegungen auf humanistischer Basis waren bisher wenig erfolgreich darin, klare Orientierung in drängenden Fragen zu liefern.

Aus der Sicht des Autors ist es zu wünschen, dass die verhältnismäßig restriktive Gesetzgebung in Deutschland in der Frage der Erzeugung von Mensch-Tier-Chimären nicht aufgeweicht, sondern – auch im Blick auf die Forschung – eine Grenzziehung beibehalten wird und dies verboten bleibt. Wir sollten als Gesellschaft in der Forschungspolitik alternative Ansätze anregen und fördern.

Ein nüchterner Blick macht allerdings skeptisch, ob dies angesichts des Welt- und Menschenbildes in unserer Gesellschaft realistisch ist. Mit Mensch-Tier-Chimären sind große Hoffnungen zur Steigerung und Maximierung menschlicher Lebensqualität verknüpft. Die Vorstellung, dass menschliches Leben durch Tod begrenzt ist, ist ein Skandalon, das Menschen versuchen – auch unter Nutzung dieses Mittels – zu überwinden.


Anmerkungen

1 Blastozysten stellen in der Embryonalentwicklung von Säugern das Stadium dar, das auf das Morulastadium folgt. Der humane Embryo nistet sich als Blastozyste in der Gebärmutter ein.

Literatur

Deutscher Ethikrat (2011)
Mensch-Tier-Mischwesen in der Forschung. www.ethikrat.org/dateien/pdf/stellungnahme-mensch-tier-mischwesen-in-der-Forschung.pdf (Zugriff 2. 2. 2017)
Wu J et al. (2017)
Interspecies chimerism with mammalian pluripotent stem cells. Cell 168, 473-486.


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